Interview mit Christina Frank, Bundestagskandidatin der LINKEN im Wahlkreis 258 Stuttgart I und langjährige Gewerkschaftssekretärin bei ver.di
Beim Streik der Einzelhandels-Beschäftigten am 2. August wurden die protestierenden Verkäufer in Stuttgart – vor den Geschäften von Zara und H&M auf der Königstraße – durch Stuttgart-21-Gegner aktiv unterstützt. Du bist bei der Aktion dabei gewesen. Wie lief der Protest ab?
Auch wenn die Streikenden auf der Königstraße inzwischen geübt und versiert sind, ist es trotzdem immer noch eine Kraftanstrengung, die Streikbewegung gegen bornierte oder gar aggressive Kunden und unfähige Führungskräfte aufzubauen. Da war es eine motivierende Überraschung, dass sich die Aktionsgruppe der S21-Aktivisten auf unsere Seite gestellt hat – noch dazu bei fast 40 Grad im Schatten! Ich glaube, beide Seiten haben etwas dazu gelernt: Es macht stark, wenn zwei Bewegungen zusammenkommen!
Es war interessant zu sehen, dass die Filialleitungen mit einer Gruppe, die nicht aus Beschäftigten und den üblichen gewerkschaftlichen Verdächtigen bestand, nichts so richtig anzufangen wussten. Man konnte das auch daran erkennen, dass sie so schnell die Polizei geholt haben, wie seit Langem nicht mehr.
Wo siehst du den Zusammenhang zwischen dem Widerstand gegen die Kündigung der Manteltarifverträge im Einzelhandel und den Stuttgart-21-Protesten?
Ich glaube, dass wesentliche Ziele der beiden Bewegungen aufeinander abstimmbar sind. Beide Seiten werden in Kürze konkret Nachteile aus dem Bahnhofsprojekt spüren. Dabei sind wahrscheinlich die Verkäuferinnen und Verkäufer noch kurzfristiger existenziell bedroht. Denn die Strukturen der Läden auf der Königstraße werden im Zuge der Umgestaltung der Innenstadt zerschlagen werden, die Beschäftigten werden Filialen in den neu entstehenden Einkaufs-Centern zugewiesen werden. In der Folge werden wir neue Betriebsratsstrukturen aufbauen müssen, nur eben unter verschlechterten und prekäreren Bedingungen als früher. Vorne werden betuchte Kundinnen und Kunden shoppen, hinten werden die Verkäuferinnen in den meisten Läden nicht wissen, wie sie existenziell über die Runden kommen sollen.
Diese Beschäftigten werden ganz klar Opfer des Projekts Stuttgart 21, und zwar ohne dass es dort brennt, Rauchentwicklung entsteht oder der Berg abrutscht. Weiter gedacht werden auch die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger Opfer dieser Entwicklung sein, weil ihnen die Nahversorgung wegbricht, die Stadt verödet und wir beim Sonntagsspaziergang dann das Gefühl haben werden, uns in einer Geisterstadt in Nevada oder Arizona zu bewegen.
Obwohl insbesondere die H&M-Kolleginnen und Kollegen fast als Avantgarde einer neuen Streikbewegung gelten können, fehlt ihnen bisher der vertiefte Einblick in die politischen Zusammenhänge. Als Folge sind sie bisher außerhalb der Betriebe viel zu wenig aktiv geworden. Hier könnte die S21-Bewegung die Streikenden weiter bringen.
Du bist auch Bundestagskandidatin der LINKEN. Welche Rolle sollte die Linkspartei in deinen Augen bei diesen Auseinandersetzungen spielen?
Die Arbeitgeber haben seit Januar alle Tarifverträge im Handel gekündigt. Das ist eine neue Qualität der Auseinandersetzung. Wenn die Arbeitgeber – sie gehören überwiegend zu den reichsten Menschen in diesem Land – nun aber alles an bisherigen Regelungen wegputzen, muss politisch die Gegenbewegung einsetzen. Zum Beispiel über eine erleichterte Möglichkeit, Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären zu lassen. Denn dann gelten sie einfach für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen, ob sie tarifgebunden sind oder nicht.
Bei der Einführung von entsprechenden gesetzlichen Grundlagen für eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ist die Linkspartei im politischen Spektrum die einzige Kraft, mit der man sich über die Notwendigkeit solcher Schutzmechanismen überhaupt unterhalten kann. Dass nur ein enges Zusammenspiel zwischen linker Politik und Gewerkschaft ein Gegengewicht aufbauen kann, ist für mich offenkundig.
DIE LINKE liegt in Umfragen stabil über fünf Prozent, ist aber noch deutlich von den 11,9 Prozent von 2009 entfernt. Was denkst du, steht in den letzten Wahlkampf-Wochen an, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen?
Ich habe seit Wochen jeden Tag mehrere Stunden Straßenwahlkampf gemacht und werde dies auch bis zum 22. September durchhalten. Natürlich nehme ich auch am regelmäßigen Kräftemessen bei Podiumsdiskussionen mit den übrigen Kandidaten teil, das ist mir aber weniger wichtig. Nur durch die vielen direkten Gespräche wird deutlich, dass wir als LINKE einen anderen Zugang zur Politik realisieren werden als die bisher in Stuttgart und anderswo fern von den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen repräsentierenden Politiker. Für mich ist es wichtig, Informationen über die Probleme und Sorgen aus erster Hand zu bekommen. Gleichzeitig geht es auch darum, im direkten Gespräch immer mehr Menschen für politische Aktionen zu motivieren.