Tobin-Steuer: Nicht utopisch – aber wenig wirksam

von Angela Bankert (September 2001)

 
Wirtschafts-Nobelpreisträger James Tobin wundert sich über die späte Popularität seiner Forderung aus den 70er Jahren, Devisengeschäfte zu besteuern. Gar nicht einverstanden zeigte er sich in einem Interview (Spiegel 36/2001) damit, dass „diese Anti-Globalisierungs-Revoluzzer“ die Einnahmen für „ihre Projekte zur Weltverbesserung“ benutzen wollen. Er habe nur „mit einer kleinen Steuer (…) Spekulanten abschrecken“ wollen. „Ich wollte den Devisenhandel bremsen, Steuereinnahmen sind für mich nur ein Nebenprodukt.“
Hintergrund für die Renaissance der Forderung ist die immense Aufblähung der weltweiten Finanzmärkte, mit all den Instabilitäten, Krisenpotenzialen und dramatischen Folgen für nationale Volkswirtschaften, wie sie zum Beispiel in der Südostasienkrise 1997/98 sichtbar wurden.
Heute werden an den Devisenmärkten Tagesumsätze von 1,5 Billionen Dollar getätigt. Nur etwa 3 Prozent dieser Umsätze dienen zur Abwicklung von zugrundeliegenden Geschäften der Realökonomie wie Handels- oder Investitionsgeschäfte. Hinzu kommt ein gewisser Teil zur Absicherung dieser Geschäfte vor Währungsrisiken. Der weit überwiegende Teil der Devisentransaktionen ist jedoch inzwischen rein spekulativer Natur.
Allerdings ist es am Devisenmarkt ebenso wie an anderen Finanzmärkten schwierig, zwischen spekulativen und nicht-spekulativen Transaktionen zu unterscheiden. Zum Beispiel sind Transaktionen zur Absicherung von Realgeschäften gegen Währungsschwankungen oft mehrfach gestaffelte Kontrakte, die sich nur zwischen Banken abspielen. Um den Zweck eines Währungskaufs oder -verkaufs festzustellen, müsste man Geschäftsgebaren der Akteure komplett offen legen.

Kurzfristige Spekulation

Die Tobin-Steuer will dies nicht, sondern geht indirekt heran. Bei internationalen Finanzanlagen für Investitionen geht man von längerfristigen Zeithorizonten aus. Handelsgeschäfte beinhalten nur den Währungstausch in eine Richtung: ein deutsches Unternehmen importiert Öl und muss dafür je nach Wechselkurs eine bestimmte Menge Mark bzw. Euro aufwenden, um in Dollar zu bezahlen. Demgegenüber sind spekulative Devisengeschäfte meist kurzfristig und in zwei Richtungen: Kauf und Verkauf von Währungen in schneller Folge, dank des elektronischen Handels unter Umständen täglich. Diese Aktionen sollen durch die Steuer vor allem getroffen werden, auch wenn sie auf alle Devisengeschäfte ungeachtet ihrer Hintergründe erhoben wird.
Tobin selbst forderte ursprünglich einen Steuersatz von 1 Prozent vom Umsatz; ATTAC fordert zwischen 0,1 bis 0,25 Prozent. Ein Steuersatz von 1 Prozent würde auf Jahresbasis zu einer steuerlichen Belastung von 2 Prozent für einen kompletten Kauf und Verkauf führen. Je häufiger diese Kauf-/Verkauf-Aktion stattfindet, um so höher wird die effektive Jahressteuer: bei quartalsmäßigem Umschlag 8 Prozent, bei monatlichen 24 Prozent, bei wöchentlichem 104 Prozent. Demgegenüber bleibt es für einmalige Währungsgeschäfte in eine Richtung bei 1 Prozent, ebenso bleibt es bei 2 Prozent für Kauf und Verkauf, sofern der die Zeitspanne nicht unter einem Jahr liegt.
Wechselkursschwankungen oder auch Zinssatzdifferenzen zwischen Staaten von bis zu 2 Prozent im Jahr würden dann den Kauf und Verkauf oder die kurzfristige Anlage in der betreffenden Währung nicht mehr lohnen. Dies kann in „normalen“ Zeiten kurzfristige Ausschläge und Schwankungen an den Devisenbörsen verhindern und zu mehr Stabilität beitragen. Mit mehr Währungsstabilität würden auch die Kosten von Unternehmen für die Absicherung gegen Währungsschwankungen sinken.
Nach James Tobin soll seine Steuer „Sand im Getriebe der Spekulation“ werfen. Und mehr kann sie auch nicht. Die Steuer bewegt sich ganz im Rahmen der kapitalistischen Weltwirtschaft. Kurzfristige spekulative Währungsgeschäfte, die mit kleinen Veränderungen rechnen, lohnen sich dann nicht mehr. Geschäfte mit höheren Gewinnmargen durchaus.
Gegen Spekulationsströme bei massiven Veränderungen der Wechselkurse und Rahmendaten oder gar handfeste Krisen, wie zum Beispiel die Südostasienkrise 1997, ist die Steuer ohnmächtig. Hier geht es um viel größere Margen, nämlich um erhoffte große Gewinne oder befürchtete hohe Verluste, gegen die 2 Prozent Besteuerung nicht helfen. Das Argument, dass dann wenigstens hohe Steuereinnahmen eingestrichen werden können, zieht auch nur kurzfristig. Denn die Folge ist oft das Schrumpfen oder gar der Zusammenbruch der betreffenden Finanzmärkte, und damit würden dann auch die Einnahmen beträchtlich sinken.
Die Tobin-Steuer ist nicht utopisch, wenn sich wichtige G 7 Länder koordiniert darauf einigen und es politisch durchsetzen wollen. Sie hat aber auch nur begrenzte Effekte.
Allerdings sollte man sich keine Illusionen darüber machen, wie es um diesen politischen Willen bestellt ist. Führende ATTAC-SprecherInnen äußern sich recht euphorisch darüber, dass von Jospin bis über Kerstin Müller bis Wieczorek-Zeul alle mal darüber nachdenken wollen. Doch dies sind derzeit Wahlkampfmanöver oder plumpe Umarmungsversuche der Globalisierungskritiker, mehr auch nicht.
Und was die Verteilung möglicher Einnahmen aus der Tobin-Steuer betrifft, so wäre der Glaube naiv, dass die Schröders, Jospins oder Blairs dieser Welt, mit oder ohne grünem Koalitionspartner, das Geld für wohltätige Zwecke einsetzen. Eher werden zusätzliche Steuern für Kriegszwecke und Maßnahmen der „Inneren Sicherheit“ erhoben.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich wichtige Industriestaaten oder die G 7 in kommenden Krisenzeiten auf die Einführung von Kontroll- und Regulierungsinstrumenten, wie Kapitalverkehrskontrollen oder Schließung von Offshore-Zentren, einigen. Schließlich hat es schon alle möglichen Rettungsaktionen gegeben, die mit dem Geist des Neoliberalismus nicht vereinbar waren, bis hin zur Verstaatlichung gefährdeter Banken.

Finanzmärkte nicht allmächtig

Wichtig an der Diskussion über die Kontrolle der Finanzmärkte, auch wenn sie noch im Rahmen der kapitalistischen Weltarchitektur verharrt, ist das Infragestellen der angeblichen Allmacht der Finanzmärkte und angeblichen Ohnmacht der politischen Akteure in den Nationalstaaten. Selbst über die bescheidene Tobin-Steuer behauptet Bundesfinanzminister Eichel: „ … sie könnte nur funktionieren, wenn sie in allen Ländern der Welt eingeführt wird. Das ist illusorisch.“ Doch trotz allem Globalisierungs-Gerede ist das Finanzgeschäft bei weitem nicht derart internationalisiert, dass es keine politischen Zugriffsmöglichkeiten des Nationalstaates mehr gäbe.
Es ist im Gegenteil hochgradig konzentriert auf wenige Staaten und Finanzplätze (im wesentlichen die G 7 Staaten), Unternehmen und Finanzinstitutionen. Kredite, Anleihen und Aktien sind nach wie vor ein überwiegend inländisches Geschäft.
Von den weltweit vergebenen Krediten gehen rund 90 Prozent an inländische Kreditnehmer.
Von den öffentlichen Anleihen durch den Staat werden 90 Prozent im (jeweiligen) Inland plaziert, bei den privaten Anleihen von Unternehmen waren es immerhin noch 77 Prozent.
Auch der stärker internationalisierte Aktienhandel ist an wenigen Finanzplätzen konzentriert. 70 Prozent des weltweiten Aktienhandels werden an den 5 größten Börsenplätzen der Welt abgewickelt: an den beiden wichtigsten US-Börsen New Yorker Stock Exchange und NASDAQ, in London, Paris, Frankfurt. Hier werden übrigens auch rund 88 Prozent des weltweiten Anleihehandels abgewickelt.
74 Prozent des weltweiten Devisenhandels entfallen auf nur 6 Handelsplätze: England, USA, Japan, Singapur, Frankreich. Über nur 13 Geldinstitute (Banken und Finanzinstitute) werden 58 Prozent des Devisenhandels abgewickelt.
Die so genannten institutionellen Anleger (Investmentfonds, Pensionsfonds und Versicherungen) investieren zu 90,6 Prozent in inländische Finanzanlagen.
Zusammengefasst kann man sagen, dass politische Maßnahmen schon in einigen wenigen Industriestaaten zu umfassenden Kontrollmöglichkeiten führen würden – den politischen Willen vorausgesetzt. Ganz sicher sind die G 7 Staaten dazu in der Lage.
Die Liberalisierung des Finanzhandels und der Börsenplätze, der Abbau von Kontrollen bei grenzüberschreitendem Kapitalverkehr haben dazu geführt, dass Kapital problemlos Grenzen überschreiten kann. Dies waren politische Entscheidungen, die keineswegs unumkehrbar sind.

Wie sieht es mit den Möglichkeiten zur Kapitalflucht aus?

Hier werden immer wieder die so genannten Offshore-Zentren oder Steuerparadiese genannt. Doch dies sind keineswegs unabhängige Staaten, die machen können, was sie wollen. Sie gehören staats- und völkerrechtlich überwiegend zu G-7-Staaten, besonders zu Britannien und den Niederlanden. Sie sind extra errichtete Freihandelszonen für das Kapital: Diesen Status erhielten sie durch die Mutterländer, er kann ihnen bei entsprechendem politischen Willen per Federstrich wieder genommen werden.
Bleiben die tatsächlich unabhängigen Finanzzentren wie Luxemburg oder Singapur. Auch hier wäre das Unterbinden von Kapitalflucht eine Frage des politischen Drucks, oder auch des Verbots gegenüber Banken und Unternehmen, dort Filialen, Tochtergesellschaften oder überhaupt Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Was auf diesem Gebiet mit politischem Willen möglich ist, zeigen internationale Embargos wie gegen Kuba oder den Irak, oder auch derzeit die Verfolgung der Finanzgeschäfte eines gewissen bin Laden.

Systemkrise

Zu wenig beachtet in der aktuellen Diskussion wird allerdings: Es kann nicht nur um mehr Währungsstabilität und neue Einnahmequellen gehen, um den Widerstand gegen ideologisch bornierten Marktradikalismus und politische (Fehl-)Entscheidungen. Die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus selbst haben die krisenhaften Erscheinungen nach dem Auslaufen des Nachkriegsaufschwungs, das Abheben der Finanzmärkte, hervorgerufen. Anfang der 70er Jahre hatte sich der internationale Nachkriegsaufschwung erschöpft, die angehäuften Kapitalmassen fanden keine ausreichend profitablen Anlagemöglichkeiten mehr, die Profitraten (Verzinsung des in der Warenproduktion eingesetzten Kapitals) sanken. 1974/75 kam es zur ersten internationalen Rezession der Nachkriegszeit. Die Weltwährungsordnung der Nachkriegszeit mit festen Wechselkursen und der Bindung der Weltwährung Dollar an den Goldstandard zerbrach (1971) eben wegen dieser Krisenerscheinungen und der verschärften internationalen Konkurrenz. Verstärkte Währungsschwankungen durch frei floatende Wechselkurse, der Druck, internationale Geschäfte gegen diese Währungsschwankungen abzusichern, Kapitalmassen auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten – dies waren die „Zutaten“, die zum Aufblähen der Finanzmärkte führten.
Diese Krisenerscheinungen des Kapitalismus unterliegen allerdings nicht dem Willen der politischen Akteure; egal welcher wirtschaftspolitischen Couleur. Japan betreibt seit 10 Jahren Keynesianismus mit umfangreichen Konjunkturprogrammen und hatte viele Finanzmarkt-Restriktionen intern nicht aufgehoben. Dennoch steckt Japan seit nunmehr 10 Jahren in der Krise.
Ebenso wenig unterliegen diese Krisen in der Realökonomie, die dem Konkurrenz- und Profitmechanismus, sowie der planlosen Anarchie des Marktes entspringen, dem Willen der ökonomisch Mächtigen. Darum muss auch die Diskussion um eine ganz andere Wirtschaftsordnung geführt werden, die sich nicht nach Profitmaximierung sondern nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung richtet. Dies ist ein zentraler Beitrag, den die SAV in die Debatte einbringen will.