[Socialism Today, Nr. 49, Juli-August 2000]
Ist Krieg zwischen Nationalstaaten ein Ding der Vergangenheit geworden? Bedeutet Globalisierung, dass Konflikte aus anderen Gründen als früher ausgekämpft werden. In einem kürzlich veröffentlichten Buch, ?Neue Krieg & Alte Kriege: Organisierte Gewalt in einer Globalen Ära?, vertritt Mary Kaldor diese Sicht. Per Olsson untersucht die Argumente.
Die vom US-Präsidenten George Bush 1991 ausgerufene Neue Weltordnung sollte angeblich allen Winkeln der Welt Frieden und Wohlstand bringen. Aber in den neunziger Jahren, dem ersten Jahrzehnt der nachstalinistischen Ära, sind Millionen Menschen in Kriegen gestorben und weitere Millionen sind Flüchtlinge geworden.
In den zwölf Monaten bis August 1999 gab es zehn internationale/regionale Kriege und 25 Bürgerkriege. Mindestens 110.000 Menschen wurden in diesen bewaffneten Konflikten getötet. Mehrere Länder sind in einen Teufelskreis von Bürgerkrieg, Zerfall und Chaos geraten, durch die sogar die Existenz einer Reihe von Nationalstaaten bedroht wird. Dies ist besonders in Afrika so ? dem schwächsten Glied in der globalen kapitalistischen Kette. Drei Viertel der Länder in Afrika südlich der Sahara sind an bewaffneten Konflikten beteiligt oder stehen einer beträchtlichen Bedrohung durch bewaffnete Gruppen gegenüber.
Diese Bürgerkriege werden durch soziale, wirtschaftliche und politische Krisen und nationale Unterdrückung verursacht: ?Als der Kalte Krieg endete, endeten zivile Konflikte in den Entwicklungsländern nicht. Im Gegenteil verdoppelten sie ihre Intensität. Seit dem Fall der Berliner Mauer (1989) sind mehr als 23 Situationen von innerem Krieg aufgetreten oder wieder aktiviert worden ? an denen mehr als 50 bewaffnete Gruppen beteiligt sind.? (Le Monde Diplomatique, Juni 1999)
58 der größeren bewaffneten Konflikte zwischen 1989 und 1998 waren Bürgerkriege. Sie wurden als ?neue Kriege? in der neuen Periode der Globalisierung beschrieben.
Mary Kaldors Buch behandelt die Merkmale und Ursprünge dieses neuen Typs von Konflikten in der nachstalinistischen Welt ausgiebig.
Sie beschreibt den Fall Jugoslawiens ? besonders den Krieg in Bosnien-Herzegowina ? als ?Paradebeispiel, das Modell des neuen Typs Krieg?. Sie argumentiert, dass dieser neue Typ Krieg die ?alten Kriege? ersetzt habe. ?Alte Kriege zwischen Staaten sind vielleicht ein Ding der Vergangenheit geworden?. Nach Kaldor liegt das am gegenwärtigen Niveau wirtschaftlicher Integration und internationaler militärischer Zusammenarbeit zumindest in der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt: ?Man kann die neuen Kriege den früheren Kriegen gegenüberstellen, was ihre Ziele, die Methoden der Kriegführung und ihre Finanzierung betrifft. Die Ziele der neuen Kriege drehen sich um Identität in der Politik im Unterschied zu den geopolitischen oder ideologischen Zielen in früheren Kriegen.? Und es ist nicht nur ein neuer Typ Krieg, sonder auch neue Methoden der Kriegführung, wo Schlachten tendenziell vermieden werden und das ?strategische Ziel ? die Vertreibung von Bevölkerung ist, um alle loszuwerden, die eine andere Identität haben?.
Aber Kaldors Behauptung, dass die neue Kriegführung Kriege alten Stils radikal ersetzt habe, ist gelinde gesagt sehr einseitig. In Wirklichkeit ist das Ziel der meisten neuen Kriege immer noch, territoriale Kontrolle zu erlangen, um die Völker und natürlichen Reichtümer, die es in einem bestimmten Gebiet gibt, auszubeuten. ?Neue? Konflikte entstehen nicht spontan aus ?Identitäts?bestrebungen. Sie werden unverändert durch nationalistische, ethnische, religiöse oder kommunalistische Eliten angezettelt, die ?Identitäts?unterschiede, Probleme und Bestrebungen zu ihren eigenen Zwecken verschärfen und verstärken. Die Führer mobilisieren oft Kräfte, die sich auf eine Bevölkerungsminderheit stützen. Sie polarisieren gezielt und gettoisieren Bevölkerungsgruppen ? oft mit Gewalt durch die Unterstützung paramilitärischer Organisationen oder durch bewaffnete Unterstützung benachbarter Regime. Dadurch können sie die entscheidende Kraft werden.
Selbst der bosnische Krieg hatte breitere Ziele als einfach das der ?Identität?. Es waren wirtschaftliche Interessen und auch Faktoren wie das Prestige der kroatischen und serbischen Regimes und ihre regionalen geopolitischen Interessen beteiligt. Der Krieg wurde von regulären Armee-Einheiten aus Serbien und Kroatien, örtlichen Armeen und Mörderbanden mit (finanzieller und militärischer) Beteiligung des westlichen und russischen Imperialismus durch örtliche Kliententruppen geführt.
Was jedoch wirklich neu in der nachstalinistischen Ära ist, ist das globale Szenario, unter dem alle Konflikte entstehen. In der alten Weltordnung war jeder größere Konflikt oder Bürgerkrieg Teil des Kampfes zwischen den zwei Supermächten ? den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die praktische Gleichheit der Supermächte im Zerstörungspotenzial während einer Periode (Mutual Assured Destruction ? MAD [wechselseitig gesicherte Zerstörung]) schloss die Errichtung absoluter US-Hegemonie mit militärischen Mitteln aus (außer in den Fantasien der Ultrarechten). Gleichzeitig gab diese Rivalität ein paar ärmeren Ländern eine Möglichkeit, zwischen den Supermächten zu manövrieren und dadurch ein paar Vorteile wie Wirtschafts- und Militärhilfe zu erlangen.
Das internationale Kräfteverhältnis spiegelte sich darin wider, dass es zwischen 1945 und 1989 keinen größeren Krieg auf europäischem Boden gab. Dieses Kräftegleichgewicht zerbröckelte mit dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989-91.
Die Geschichte des letzten Jahrhunderts veranschaulicht, dass jede Tendenz zu vergrößerter Integration von stabilen Nationalstaaten umgekehrt und durch eine Tendenz in die entgegengesetzte Richtung ersetzt werden kann, wenn dem Weltkapitalismus die Puste ausgeht. Eine Gegenbewegung gegen die gegenwärtige Phase von Globalisierung und Neoliberalismus ist unausweichlich im Zusammenhang einer neuen weltweiten Krise des Kapitalismus. Harold James, ein Historiker aus den USA schrieb: ?Es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen. Weltdepression zerstört politische Stabilität. In der Vergangenheit haben Deflation und Depression häufig zu Teufelskreisen von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, dem Zerfall von Staaten und sogar Kriegen geführt.? (International Herald Tribune, 26. Oktober 1998)
Der Teufelskreis der Zersplitterung von Nationalstaaten, die eine Grundeinheit des Kapitalismus sind, ist schon in den schwächeren und weniger entwickelten kapitalistischen Staaten in Afrika, Asien, der früheren Sowjetunion und dem Balkan sichtbar. Ein ähnlicher Prozess könnte sich in den fortgeschritteneren Ländern zu entwickeln beginnen, wenn die Arbeiterklasse es nicht schafft, der Zukunft ihren Stempel aufzudrücken.
Das Ende der ?Beschränkungen des Kalten Krieges?
Kaldors Definition von ?neuen Kriegen? nach dem Zusammenbruch des Stalinismus ist ein neuer Ausdruck von Postmodernismus ? eine nachgeschichtliche oder ungeschichtliche Herangehensweise auf der Grundlage oberflächlicher Merkmale, die eine Analyse der zugrunde liegenden Kräfte oder internationalen Beziehungen zurückweist. Kriege und Bürgerkriege werden nicht aus einem Klassenblickwinkel analysiert und die Gegenwart dauert ewig an.
Tatsächlich gibt es eine komplexe Wechselwirkung zwischen den ?neuen Kriegen? und den ?alten barbarischen Kriegen zwischen Staaten?: ?neue Kriege? können sich zu Kriegen zwischen Staaten entwickeln und Staaten können von außen intervenieren, um ihren Einfluss auszudehnen. Kein ?lokaler? Konflikt bleibt lange lokal. Zum Beispiel war im Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire) fast jedes Nachbarland an der Aufteilung des Landes beteiligt. Die verschiedenen Länder haben aus ihren eigenen geopolitischen Gründen und um ihre Hände auf die großen Rohstoffreichtümer des Kongo zu legen, interveniert. Wie ?Le Monde Diplomatique? bemerkte: ?Rebellentruppen verbrachen mit der Unterstützung ruandischer Offiziere mehr Zeit und Energie mit der Einnahme und Ausbeutung der Bergbauregionen als mit dem Aufspüren des Feindes? (Oktober 1999)
?Es gibt ein tödliches neues Merkmal bei den bewaffneten Kämpfen der Erde, dass Bürgerkriege in regionale Kriege eskalieren, während die internationale Gemeinschaft zunehmend mit dem Eingreifen zögert? schrieb das International Institute for Strategic Studies (IISS) mit Sitz in London in seinem Jahresbericht für 1999. Das nach dem Zusammenbruch des Stalinismus übrig gebliebene Macht- und Sicherheitsvakuum hat kleineren imperialistischen Nationen Platz gemacht, die Errichtung regionaler vorherrschender Stellungen zu versuchen, zum Beispiel Südafrika und in gewissem Umfang Simbabwe und Uganda im südlichen Afrika. Die Rolle der USA als Weltpolizist ist durch hauptsächlich innenpolitische Faktoren begrenzt, die jede Militäraktion beschränken, die potenzielle US-Opfer bedeuten würde. In manchen Regionen der Welt lohnt sich kein Risiko, bis eine größere Krise die Glaubwürdigkeit der USA als Weltruhestifter bedroht oder bis ihre Interessen direkt betroffen sind. Die tatsächliche Rolle, die die USA spielen, unterscheidet sich daher von Fall zu Fall.
Russlands Kriege gegen Tschetschenien ? 1994-96 und heute ? beinhaltet Elemente von neuen und alten Kriegen. Sie haben im Zusammenhang des schweren wirtschaftlichen Zusammenbruchs und des Zerfalls der früheren Sowjetunion stattgefunden. Russland ist immer noch die zweitgrößte Militärmacht der Welt und bereit, einen beträchtlichen Teil seiner Militärkapazität zu verwenden, um dafür zu sorgen, dass Tschetschenien und der Kaukasus ein Teil der Russischen Föderation bleiben. Dies ist ?altmodische? nackte imperialistische Aggression und ist Teil eines größeren Kampfs um Kontrolle über die ölreiche Region. Auf der anderen Seite haben die bewaffneten tschetschenischen Gruppen keine klaren Ziele außer der Vertreibung der Russen. Dieses Fehlen von Ideologie, politischen Ideen und Zielen ist das beste Mittel für eine schnelle Degeneration des bewaffneten Widerstands in von Kriegsherren beherrschte Gangsterorganisationen. (Darauf weist Kaldor als ?neues Merkmal? hin, obwohl es in der Tat ein sehr altes Merkmal ist, dass bewaffnete Bewegungen, die keine aktive und dauerhafte Unterstützung durch die Bevölkerung gewinnen können, neue Unterdrücker werden.)
Die Neue Weltordnung hat zur Entstehung von beharrlicher Instabilität und Unsicherheit in vielen Weltregionen geführt. Immer mehr Länder haben Zugang zu Massenvernichtungswaffen, einschließlich Atomwaffen. Eine neue Drehung an der Rüstungsschraube scheint sich anzubahnen. Nicht einmal der US-Imperialismus kann die Verbreitung von Atomwaffen eindämmen, was sich 1998 zeigte, als sowohl Indien als auch Pakistan Atomtests durchführten.
Der Flammpunkt Kaschmir könnten sich in einen neuen und gefährlicheren umfassenden Krieg zwischen Indien und Pakistan entwickeln. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein instabiles, verzweifeltes Regime in einem dieser Staaten angesichts drohender Niederlage versucht wäre, die letzte und zerstörerischste Karte zu spielen. Offensichtlich wäre ein atomarer Schlagabtausch für jedes Regime selbstmörderisch ? politisch und physisch. Jedoch die soziale und politische Krise in Indien und Pakistan bedeutet, dass beide Regime äußerst instabil sind. Es gibt immer die Möglichkeit, dass sie außer Kontrolle geraten könnten, besonders weil es in keinem der Länder eine starke, einheitliche Bourgeoisie gibt, die einen nüchterneren Einfluss ? auf der Grundlage langfristigerer Interessen ? ausüben könnte.
Kaschmir ist nur einer von vielen Problemfällen in Asien. Der IISS-Direktor Gerald Segel kommentierte im August 1999: ?Nordkoreanische Raketen, Säbelrasseln zwischen China und Taiwan, Spannungen zwischen Indien und Pakistan. Diese Konflikte haben hohe Schwellen, teilweise weil sie in Umgebungen mit Atomwaffen stattfinden. Wenn aber die Schwelle des Konflikts tatsächlich erreicht ist, dann könnte alles auf dem Spiel stehen ? Die wirklichen Risiken liegen anderswo, besonders in innenpolitischen Unsicherheiten, die zu irrationalen Berechnungen über den Nutzen des Krieges führen könnten. Dann macht das atomare Risiko alle drei Konflikte so gefährlich. Ein Zusammenbruch in Nordkorea, heftigerer Nationalismus in Peking, unabhängigkeitsgetriebene Heißsporne in Taiwan oder eine zusammenbrechende pakistanische Regierung sind die Art Kräfte, die diese Länder über die hohe Schwelle zum Krieg führen können.? (Meine Hervorhebung ? PO)
Karl von Clausewitz? Erklärung 1832, dass ?Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist?, ist immer noch gültig, wie obiges Zitat zeigt. Kaldor jedoch stimmt nicht zu. Sie argumentiert, dass geopolitische Interessen in den neuen Kriegen keine Rolle spielen, weil sie ?im Zusammenhang der Unterhöhlung der Autonomie des Staats und in manchen extremen Fällen des Zerfalls des Staat entstehen. Sie entstehen besonders im Zusammenhang der Aushöhlung des Monopols auf legitime organisierte Gewalt?. Kurz gesagt führen die herrschenden Klassen nicht länger Kriege mit Hilfe ihrer Staatsmaschinen.
In der Tat hat sich die Lage verändert. Der Zusammenbruch der zweipoligen Ordnung des Kalten Krieges hat zu größerer Instabilität geführt. Neoliberale Politik hat wirtschaftliche und soziale Krisen und die Zersplitterung von Staaten beschleunigt. Seit 1989 wurden Kriege von diesen instabilen Staaten geführt, die nicht länger durch die Bindungen des Kalten Kriegs beschränkt sind. Kriege werden auch von sich bildenden Staaten geführt. Und Eliten kämpfen um diese sich herausbildenden Staaten, bevor eine stabile bürgerliche Klasse gebildet ist. Kriege werden daher von Staaten geführt ? ebenso wie von Kriegsherren, Minderheiten etc. ?, aber in der Neuen Welt-Unordnung: Staaten sind anders als in der unmittelbaren Nachkriegsperiode und der ganze internationale Rahmen hat sich geändert.
Das blutigste Jahrhundert
Die Entwicklung des Monopolkapitalismus ? Imperialismus ? im späten neunzehnten Jahrhundert verstärkte alle dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche und Konflikte. Dies erklärt zusammen mit der Niederlage und Verzögerung der sozialistischen Weltrevolution, warum das zwanzigste Jahrhundert das blutigste in der Geschichte wurde. 200 Millionen Menschen kamen in den bösartigen Kriegen des letzten Jahrhunderts um. Viele weitere litten.
Dies fand trotz der Hoffnung statt, dass die Internationale Friedenskonferenz in Den Haag 1899 den Beginn einer Ära kennzeichnen würde, wo alle Staaten versuchen würden ?die große Idee des allgemeinen Friedens über Konflikt und Zwietracht triumphieren? zu lassen. Dieser Optimismus wurde durch die schnelle Ausdehnung des Weltmarkts und die Offenheit gestützt, die die internationale Wirtschaft 1880-1913 charakterisierten ? eine Periode der Globalisierung.
Jene Phase des Weltkapitalismus milderte jedoch die Spannungen und Rivalitäten zwischen den führenden imperialistischen Mächten nicht für lange. Die wachsenden Widersprüche und Konflikte schufen die Bedingungen für den Ersten Weltkrieg, die Große Depression in den dreißiger Jahren und den Zweiten Weltkrieg. Die Kriege wurden dank der Entwicklung der Produktivkräfte mit immer tödlicheren und zerstörerischeren Waffen geführt. Schätzungsweise 26 Millionen Menschen wurden auf den Mordfeldern des Ersten Weltkriegs abgeschlachtet: in einzelnen Schlachten gab es Verluste, die so groß waren, wie die, die es in früheren Zeitaltern in ganzen Kriegen gegeben hatte.
Der Erste Weltkrieg war ein innerimperialistischer Krieg: ein Kampf zwischen konkurrierenden imperialistischen Mächten um Einflusssphären (Märkte, Geld, strategische Macht, politische Vorherrschaft etc.). Ihm ging der weltweite Kolonialismus ? der größte Diebstahl und Länderraub in der Geschichte ? und verstärkter Wettbewerb auf den Weltmärkten voraus. Die imperialistischen Mächte zogen gegeneinander in den Krieg, um die Interessen des Finanzkapitals zu sichern und koloniale und fremde Länder zu rauben und zu unterdrücken.
Das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 unter dem Einfluss der siegreichen Russischen Revolution im Oktober 1917 und sozialer Gärung auf der ganzen Welt führte zu einem unsicheren und instabilen Frieden. Tragischerweise bereiteten die Niederlage der internationalen sozialistischen Revolution besonders in Deutschland ? und die folgende Isolierung der russischen Revolution den Weg für den Aufstieg des totalitären Regimes unter Josef Stalin und den Machtantritt von Adolf Hitlers Faschisten in Deutschland 1933.
Die Niederlage der deutschen Arbeiterklasse brachte die Welt näher an den Krieg. Leo Trotzki wies schon 1933 darauf hin, dass sich ?der Nationalsozialismus über die deutsche Nation als reinste Verkörperung des Imperialismus [erhebt] ? Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus ? die wahre geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur ? bedeutet die Vorbereitung des Krieges ? Die Zeit, die noch bis zur nächsten europäischen Katastrophe bleibt, ist befristet durch die deutsche Aufrüstung. Das ist keine Frage von Monaten, aber auch keine von Jahrzehnten.? (Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, 10. Juni 1933, in Schriften über Deutschland 2, S. 571-580, hier S. 579f.)
Die Niederlage der deutschen Arbeiterklasse zusammen mit der vom heroischen spanischen Proletariat und Bauernschaft im Bürgerkrieg gegen General Franco erlittenen Niederlage (1936-39) und das Entgleisen der revolutionären Bewegung in Frankreich bereiteten den Weg für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939.
Die Schrecken des Krieges waren auf der ganzen Welt zu spüren. Es war ein allgemeiner Krieg gegen rivalisierende Militärkräfte, ZivilistInnen und Wirtschaft und Infrastruktur von Ländern. Bis zu 60 Millionen Menschen starben. Diese Zahl schließt den Völkermord an sechs Millionen JüdInnen durch die Nazis und ihre Kollaborateure ein. Zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung in der Sowjetunion, Polen und Jugoslawien wurden getötet.
Der Abwurf der Atombomben auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki läutete das Atomzeitalter und den Kalten Krieg ein. Danach wäre ein neuer Weltkrieg nicht mehr ein ?Krieg zur Beendigung aller Kriege? gewesen, wie die Imperialisten über 1914 und den Beginn des Zweiten Weltkriegs gesagt hatten, sondern eher ein Krieg zur Beendigung aller Zivilisation.
Die vom Ergebnis des Zweiten Weltkriegs geschaffenen Weltbeziehungen bedeuteten, dass die USA die vorherrschende Macht in der kapitalistischen Welt wurden und das stalinistische Regime in der Sowjetunion gestärkt wurde durch die Übernahme der Kontrolle über Mittel- und Osteuropa. Die nationalen Befreiungsbewegungen und die Zerschlagung der alten kolonialen Ordnung in Asien und Afrika in den fünfziger und sechziger Jahren gaben auch der Sowjetunion Auftrieb. In der Sowjetunion gab es trotz einer brutalen totalitären Bürokratie bemerkenswerten wirtschaftlichen Fortschritt. Sie stellte, wenn auch in sehr verzerrter Weise, eine Alternative zum kapitalistischen System dar. Die Verzögerung der sozialistischen Revolution im Westen verstärkte diesen Prozess. Mitte der siebziger Jahre waren in einer breiten Palette von Ländern, die 28% der Welt und ein Drittel der Weltbevölkerung ausmachten, stalinistische Regime errichtet oder wurden gerade errichtet.
Die Aufteilung der Welt, bei der die USA und Sowjetunion in einem ständigen Kampf waren, um ihre jeweiligen Einflusssphären zu bewahren und auszudehnen, überschattete den ganzen Erdball zwischen 1945 und 1990. Diese Rivalität führte zu einem zerstörerischen atomaren Rüstungswettlauf ? die größte Aufhäufung von Waffen in der Geschichte. Ein einflussreicher militärisch-industrieller Komplex bildete sich, der der Gesellschaft immer noch eine ungeheure Last auferlegt. Nach 1945 erlebte die Welt kaum einen Tag Frieden. Tatsächlich stieg die Zahl der bewaffneten Konflikte von 12 1950 auf 51 1992 an.
Die letzte Supermacht
Der Zusammenbruch des Stalinismus und das Ende der alten Weltbeziehungen bedeutet, dass sich die folgenden sozialen, politischen und militärischen Konflikte im Rahmen einer neuen internationalen Lage entwickelt haben, die mehr im Fluss ist.
Zwar bekam die Globalisierung [schon vorher] Schwung, aber der stalinistische Block wirkte trotz seinem grotesken Charakter als Gegengewicht zur kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutung ? politisch und sozial und auch militärisch. Der Fall des Stalinismus erlaubte der kapitalistischen herrschenden Klasse international, gegenüber der Arbeiterklasse international und den ärmeren Ländern die Schrauben noch mehr anzuziehen. Der massive militärische Angriff gegen den Irak ? ein Land, das der Imperialismus im iranisch-irakischen Krieg 1980-88 unterstützt hatte, in dem eine Million Menschen starben ? diente als Warnung für alle anderen Länder, die eine eigenständige Politik versuchten.
Der US-Imperialismus führte eine 40-Länder-?Koalition? gegen den Irak, pulverisierte eine der ältesten Zivilisationen der Welt. Hunderttausende Menschen wurden getötet. Der Golfkrieg endete nie wirklich: weitere Bombenangriffe und Sanktionen haben seit 1991 mindestens 1,2 Millionen wehrlose Menschen getötet. Trotz aller Propaganda über Kampf gegen den ?bösen? Saddam Hussein bekam der Diktator freie Hand zur Zerschlagung des Auftands der schiitischen MoslemInnen im Südirak und der KurdInnen im Norden, bald nachdem die ?Koalition? ihren Krieg gegen den Irak beendet hatte.
Der frühere US-Republikanische außenpolitische Berater Samuel Francis gab zu: ?Die Kriege, die wir geführt haben, die Bomben und Raketen, die wir abgeworfen und abgefeuert haben, die Menschen, die wir getötet haben, die Rechte und Prinzipien, die wir schon verletzt oder ignoriert haben, haben weder Frieden noch Stabilität gebracht ? Die Kriege im Persischen Golf haben nichts erreicht.? (Independent on Sunday, 15. November 1998)
Was der Golfkrieg jedoch zeigte, war, dass der US-Imperialismus die einzige auf der Welt übriggebliebene Supermacht war. Die USA erwies sich als anderen Ländern in Militärtechnologie und -kapazität weit voraus, auch wenn die Präzision der ?intelligenten? Waffen, die im Golfkrieg und im Krieg gegen Serbien letztes Jahr verwendet wurden, übertrieben wurde. Der Zusammenbruch des Stalinismus und die Zersplitterung der Sowjetunion bedeuteten eine relative Stärkung der Stellung des US-Imperialismus, die durch den längsten Konjunkturaufschwung in der US-Geschichte gestützt wurde. Aber die Welt ist kaum am Vorabend einer ?Pax Americana?. Das IISS wies in seinem Jahresbericht 1998 darauf hin: ?Globalisierung hat Bedingungen geschaffen, unter denen sich Krise mit wachsender Geschwindigkeit, aber anfangs auch mit ungewissen Folgen entwickelt.?
Das Erbe der Niederlage des US-Imperialismus in Vietnam zusammen mit der gegenwärtigen Instabilität auf der Welt und dem Bestehen vieler möglicher Problemfälle halten die USA unter Kontrolle. Es wurde behauptet, dass das Vietnam-Syndrom im Golfkrieg überwunden worden sei. Aber beim Golfkonflikt gab es ein außerordentliches Zusammentreffen von Umständen. Unmittelbar danach mussten die USA unrühmlich zum Rückzug aus Somalia blasen, um Verluste zu vermeiden. Noch wichtiger war, dass der Balkan/Kosova-Krieg bewies, dass die US-WählerInnen immer noch nicht bereit sind, Opfer zu akzeptieren, wo sie keine entscheidenden und unmittelbaren nationalen Interessen auf dem Spiel sehen.
Bill Clinton & Co wollen wenigstens den Anschein eines multinationalen Herangehens (durch die Vereinten Nationen etc.) bewahren. Aber es gibt innenpolitischen Druck in Richtung einseitiger Außenpolitik: dass US-Interessen entscheidend sind und über die Köpfe der EU- und Nato-Verbündeten hinweg Vorrang haben sollten. Dies hatte eine Wirkung auf Clintons Politik und hat Abneigung durch europäische Mächte erzeugt. Dies verstärkt die Spaltungen im imperialistischen Lager. Neue Widersprüche werden auftreten. Die Ablehnung des Teststoppabkommens durch den US-Senat und Clintons Entschlossenheit, ein neues Anti-Raketen-Programm zu entwickeln ? eine Fortsetzung von Ronald Reagans ?Krieg der Sterne? ? werden einen neuen Rüstungswettlauf auslösen und könnten ?die jetzt in Kraft befindlichen lange gültigen Nichtverbreitungsverträge [für Atomwaffen] untergraben?. (Le Monde Diplomatique, Dezember 1999)
Bosnien ? die neue Weltordnung geht aus dem Leim
Der 50. Geburtstag der Nato letztes Jahr fiel mit ihrem ersten und bisher einzigen Krieg zusammen. Der Krieg der Nato gegen Slobodan Milo?evic? Serbien und seine Folgen zeigen die Grenzen der Militärintervention durch den westlichen Kapitalismus. Es ist eine Sache, mit Cruise Missiles als Weltpolizist zu handeln zu versuchen. Aber was macht man nach dem militärischen Sieg? Der Krieg der Nato bedeutete, dass der westliche Imperialismus keine andere Wahl hatte als eine militärische Präsenz in Kosova auf viele Jahre hinaus beizubehalten ? wie in Bosnien. Er kennzeichnet eine neue Phase im blutigen Zusammenbruch Jugoslawiens.
Kaldor widmet einen großen Teil ihres Buchs dem Fall Jugoslawiens, besonders dem Krieg in Bosnien 1992-95. Der bosnische Konflikt war ein bestimmender Moment in der Geschichte des modernen Europas. Ihm ging der kurze und katastrophale Einmarsch der serbischen Armee (der ?Jugoslawischen Volksarmee?) in Slowenien im Sommer 1991 und der verheerende Krieg in Kroatien 1991-92 voraus. Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens bedeutete zum ersten Mal seit 1945 Krieg in Europa. Der Konflikt im früheren Jugoslawien eskalierte zu internationalen Kriegen.
Die Entstehung einer neuen Form von Nationalismus begleitete den Zerfall Jugoslawiens. Kaldor stellt dies einem früheren ?modernen Nationalismus, der auf Staatsaufbau abzielte? gegenüber. ?? ihm fehlt anders als früherem Nationalismus eine Modernisierungsideologie?.
Diese ?neue Form? des Nationalismus im früheren Jugoslawien war im Versagen des stalinistischen Regimes bei der Überwindung ethnischer und nationaler Spaltungen verwurzelt, außerdem im Fehlen einer unabhängigen sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse. Dieses Phänomen entstand auch in anderen stalinistischen Staaten. Die Bildung von 15 neuen Nationalstaaten in Europa nach 1989 veranschaulicht, dass das Aufbrechen der Struktur der Sowjetunion und des früheren Jugoslawiens von der Arbeiterklasse als schnellster Weg zu Demokratie und Wohlstand gesehen wurde. Dieser Prozess entwickelte sich jedoch im Rahmen einer internationalen kapitalistischen Konterrevolution, nachdem die Arbeiterklasse besiegt und zurückgestoßen war. Dies hieß zum Beispiel, dass der Aufstieg des Nationalismus in Jugoslawien Teil einer reaktionären bürgerlichen und chauvinistischen Gegenbewegung wurde. Die reaktionären Träume eines kapitalistischen ?Großserbien? oder ?Großkroatien? konnten nur auf Kosten schwächerer Nationalitäten verwirklicht werden. Dies war der Weg zu Krieg und Ruin.
Wie Kaldor erklärt, ?war die internationale Reaktion bestenfalls verwirrt und manchmal dumm, schlimmstenfalls schuldhaft am Geschehen beteiligt?, obwohl sie eine vergebliche Hoffnung hegt, dass der westliche Imperialismus vielleicht etwas aus dem Versagen gelernt habe. Der Krieg der Nato gegen Serbien schützte weder die AlbanerInnen in Kosova nach schwächte er Milo?evic? Militärmaschine ernsthaft. Statt dessen destabilisierte er die Region weiter und brachte Kosova auf den Weg, ein ethnisch reiner Staat zu werden, der von Gangstern in und um die Kosova-Befreiungsarmee (UÇK) regiert wird.
Der Aufstieg dieser Art Nationalismus und die Spaltung der Arbeiterklasse war jedoch kein unausweichlicher Prozess. Es war kein Zufall, dass Milo?evic zu einer Zeit anfing, die nationalistische Karte zu spielen, als Serbien von Arbeiterstreiks und Protesten gegen Arbeitslosigkeit und soziale Härten erschüttert wurde. Wie Micha Glenny in seinem Buch ?Der Fall Jugoslawiens? ? immer noch das beste Buch über die schrecklichen Ereignisse, die Ex-Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre erschütterten ? beobachtete: ?Bosnien hätte gerettet werden können, wenn sich eine politische Partei, die die drei Volksgruppen umfasst hätte, als mächtigste Partei nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Macht gebildet hätte?. Abgesehen von der falschen Bezeichnung ?kommunistische Macht? ? wir beschreiben diese Regimes als ?stalinistisch? und nicht ?kommunistisch?, um auf ihren brutalen, totalitären Charakter hinzuweisen ? ist dieses Urteil richtig. Aber solch eine Partei hätte eine echte demokratisch-sozialistische Partei sein müssen ? eine revolutionäre Partei, die auf der Stärke und Solidarität der Arbeiterklasse beruht.
Kaldor sieht diesen wesentlichen Punkt nicht, obwohl sie auf die multiethnischen Widerstandsnester hinweist, die es gab. Leider machte es das Fehlen einer klaren Klassenalternative ? oder der Fähigkeit zur bewaffneten Selbstverteidigung ? im Kontext des schweren Rückschlags für die Arbeiterklasse unmöglich, dass diese Gruppen gegen die Kräfte des rechtsextremen Nationalismus und Sektierertum aufstanden.
Der Krieg in Bosnien wurde von Armeen und paramilitärischen Verbänden geführt. Die Vereinbarung zwischen dem damaligen Präsidenten von Kroatien, Franjo Tudjman, und Milo?evic zur Aufteilung Bosniens auf Kosten der MoslemInnen (die die Mehrheit waren) bedeutete Krieg: der Krieg wurde eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die bosnischen MoslemInnen waren am wenigsten auf Krieg vorbereitet und wurden als erste die Hauptopfer von ?ethnischen Säuberungen? ? der Vertreibung ganzer Bevölkerungen durch den Einsatz von Massenhinrichtungen, systematischer Vergewaltigung und Terror. Der Krieg änderte sich, nachdem der westliche Imperialismus den kroatischen Staat voll anerkannte unter der Bedingung, dass er ein Bündnis mit den bosnischen Moslems schloss. Danach waren es die SerbInnen ? wie in Kosova heute ? die die Hauptopfer von ?ethnischen Säuberungen? sowohl in Kroatien als auch in Bosnien wurden.
In den Worten von Carl Bildt, dem früheren schwedischen Ministerpräsidenten und damaligen Hohen Vertreter des Westens in Bosnien, war das 1995 erreichte Friedensabkommen ?ein Abkommen, das die politischen Führer als Fortsetzung des Krieges, aber mit anderen Mitteln, betrachteten.? Bosnien heute ist ein imperialistisches Protektorat. Kosova ist auf dem Weg, das selbe zu werden.
Was ist die Alternative zu ?neuer Barbarei??
Kaldor skizziert in ihrem Schlusskapitel, was sie als den Weg vorwärts sieht. Das Hauptthema ist, dass ein dauernder Friede eine Grundlage auf einer alternativen Politik haben muss: ?der Politik der Zivilität? und der ?Entwicklung von kosmopolitischen Regierungsformen?. Dies bedeutet, dass die reichen Länder mehr Ressourcen für das bereitstellen müssen, was sie ?Rekonstruktion? nennt und ?ein paar der neoliberalen Annahmen aufgeben müssen?. Warum nur ?ein paar?, wird nie erklärt.
Angesichts des Niedergangs des Kapitalismus und des Ausbeutungs- und Klassencharakters des Imperialismus ist dies ein utopischer Traum. Die der Globalisierung innewohnende Zersplitterung und das An-Den-Rand-Drängen und die Superausbeutung der Massen in den ärmsten Ländern schaffen Spannungen, die die Gesellschaft zerreißen ? nicht nur in weniger entwickelten Ländern, sondern zunehmend auch in der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt.
Obendrein ist Globalisierung weder das letzte Stadium in der Entwicklung des Weltkapitalismus noch hat sie das Niederreißen von Staatsgrenzen möglich gemacht, wie Kaldor zu meinen scheint. Die kapitalistische Welt ist immer noch in rivalisierende Länder geteilt und diese Rivalität wird immer mehr in den Vordergrund treten, je mehr die Produktivkräfte gegen die Schranken des Privateigentums und des Nationalstaats stoßen.
Der einzige Weg zu dauerndem Frieden und ?einer kosmopolitischen Politik im Interesse der Menschheit?, um Kaldor zu zitieren, ist der Aufbau der internationalen Arbeiterbewegung, die die unterdrückten Massen im gemeinsamen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus, gegen die Schrecken von Krieg und Ungleichheit vereint. Der Kampf für Weltsozialismus ist ein Kampf für Frieden und eine Gesellschaft auf der Grundlage menschlicher Solidarität.