Es stimmt, dass die US-Bevölkerung nach dem 11. September von einer patriotischen Propagandawelle überflutet wurde. Wer Kritik am Regierungskurs übt, setzt sich automatisch dem Verdacht aus, ein Komplize des „internationalen Terrorismus“ zu sein. Um so bemerkenswerter ist das Ausmaß des Widerstandes gegen den Kriegskurs.
von Georg Kümmel, Köln
Es gab bereits eine ganze Reihe von Protesten und Demonstrationen gegen die Angriffspläne der Regierung: Im September protestierten 10.000 in Washington gegen den IWF, die Weltbank und gegen Bushs Irak-Krieg. Am 6. Oktober kamen in New York zwischen 10.000 und 20.000 zu einer Anti-Kriegs-Demo. Am 26. Oktober, dem internationalen Aktionstag der Anti-Kriegs-Bewegung, kamen in Washington DC 100.000 Menschen um gegen den Krieg zu protestieren, 50.000 demonstrierten in San Francisco. Das waren die größten Anti-Kriegs-Demonstrationen in den USA seit dem Vietnam-Krieg.
Es gab auch viele kleinere regionale Proteste, von denen hierzulan-de kaum berichtet wird: In Minneapolis versammelten sich am 8. Oktober über 1000 DemonstrantInnen. Ein Mitglied der Grünen im Stadtrat von Minneapolis sagte in seiner Rede: „Es geht nicht um Öl sondern um Profit. Öl ist nur das Mittel mit dem die Reichen ihre Profite machen.“
In Cincinnati demonstrierten am selben Tag ebenfalls über 1.000 KriegsgegnerInnen vor dem Gebäude in dem Bush seine Rede an die Nation hielt. Anschließend blockierten sie zeitweise den Verkehr.
Vor dem Abgeordnetenbüro von Hillary Clinton, veranstalteten StudentInnen ein „sit-in“, nachdem bekannt geworden war, dass sie im Senat für die Irak-Krieg-Resolution gestimmt hatte.
In einer Meinungsumfrage Ende September sprachen sich 36 Prozent der US-Amerikaner gegen einen Krieg aus.
Diese ablehnende Haltung eines großen Teils der Bevölkerung widerspiegelt sich sogar in dem Abstimmungsverhalten der Kongress-Abgeordneten. Unmittelbar nach dem 11. September ermächtigte der Kongress Präsident Busch „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen. Damals gab es nur eine einzige Gegenstimme. Bei der jüngsten Abstimmung im Senat votierten 77 Abgeordnete für, aber 23 gegen eine Resolution, die Bush freie Hand für einen Angriff auf den Irak gibt.
Diese Abgeordneten sind natürlich keine Kraft, auf die die Anti-Kriegsbewegung bauen könnte. Und sie haben nicht nur aus Rücksicht auf die Kriegsgegner unter ihren WählerInnen gegen die Resolution gestimmt. Die Wortführer in Politik und Wirtschaft in den USA sind sich durchaus nicht einig, ob Bushs Kriegkurs richtig ist. Ein Teil fürchtet sich vor den unkalkulierbaren politischen und wirtschaftlichen Folgen. Der Pro-Kriegs-Flügel hat sich zwar klar durchgesetzt, aber die Mächtigen in den USA sind nicht allmächtig.
Kampf der HafenarbeiterInnen
Es gibt eine Kraft, die einen Krieg vereiteln könnte. Das zeigte sich in dem Arbeitskampf der HafenarbeiterInnen an der Westküste der USA. Obwohl nur 10.500 HafenarbeiterInnen direkt beteiligt waren, kam ein großer Teil des Warenverkehrs in und aus den USA zum Erliegen. Bush sah darin eine große Bedrohung: „Diese Häfen beladen die Schiffe, die den Nachschub für unsere Frauen und Männer in Uniform bringen.“ Er ließ den Arbeitskampf per Gerichtsentscheid beenden und drohte bei Zuwiderhandlungen den Einsatz der Armee als Streikbrecher an.
Dieser Kampf zwischen HafenarbeiterInnen auf der einen Seite und Bossen und Regierung auf der anderen, ist gleich in mehrfacher Hinsicht lehrreich: Ob Bomben auf Bagdad oder höherer Arbeitsdruck für Hafenarbeiter: In beiden Fällen geht es um Profitmaximierung, in beiden Fällen gehen die Konzerne über Leichen.
Bush sagte, der Arbeitskampf gefährde die Nationale Sicherheit. Am Ende wurden aber nicht die Bosse per Gericht gezwungen auf ihre Pläne, den Arbeitsdruck zu erhöhen, zu verzichten, sondern den ArbeiterInnen wurde verboten, für ihre Interessen zu kämpfen. Man darf sich also merken, dass „Nationale Sicherheit“, oder das „Nationale Interesse“ immer die Sicherheit und das Interesse der Konzerne ist, das gilt übrigens auch wenn vom „Interesse Deutschlands“ die Rede ist.
Dieser Arbeitskampf zeigt aber auch die potenzielle Macht der arbeitenden Bevölkerung. Wenn 10.500 ArbeiterInnen die wichtigsten Häfen an der Westküste der USA lahm legen können und damit den Präsidenten Bush auf den Plan rufen, was könnten dann der Kampf von Millionen bewirken? Sie könnten nicht nur die Maschinen an ihrem Arbeitsplatz anhalten, sie könnten auch die riesige Kriegsmaschine stoppen.
Voraussetzung ist aber die Erkenntnis, dass der Kampf um den Arbeitsplatz und für die Sicherheit am Arbeitsplatz, dass also der Kampf gegen die Konzerne und der Kampf gegen den Krieg ein und derselbe Kampf sind. Das gilt in den USA und das gilt in Deutschland. Die Anti-Kriegs-Bewegung muss deshalb die Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung suchen – politisch und praktisch.