Tarifinfo Nr. 2/Januar 2003
des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di
Auch wenn Politiker aller etablierten Parteien was anderes behaupten. Der Tarifabschluss ist ein Billigabschluss. Er kostet gerade mal 1,9 Milliarden in diesem Jahr. Zum Vergleich: die ab Jan. 2003 geltende Zinsabschlagssteuer für die Geldvermögenden kostet die Staatskassen nach Angaben der Arbeitnehmerkammer Bremen jährlich 4,5 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen. Lohnverzicht zugunsten von Gloria von Thurn und Taxis. Arbeitszeitverlängerung statt notwendiger Arbeitszeitverkürzung. Das ist das Ergebnis des Tarifabschlusses.
Ergebnis deutlich unter 2%…
Gefordert wurden von ver.di deutlich über 3% bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Abgeschlossen wurden 4,4% auf 27 Monate. Das ergibt rein rechnerisch eine jährliche Tarifsteigerung von 1,95%. Zieht man/frau die 0,4% ab, die uns der Wegfall des letzten AZV-Tags kostet, sind wir bei 1,55%. Das Weihnachstgeld bleibt eingefroren. Der Altersaufstieg wird verschlechtert. Das reduziert die jährliche Erhöhung weiter. Die Angleichung Ost erfolgt nicht wie von ver.di gefordert bis 2007, sondern erst in 2008 bzw. 2009. Konkret wurden aber nur die ersten Angleichungstufen vereinbart: ab 1.1. 2003 91% und ab 1.1.2004 92,5%. Diese Angleichung müssen die Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland ebenfalls z.T. selbst finanzieren durch eine Eigenbeteiligung bei der Zusatzversorgung von 0,5% in 2003 und 0.5% in 2004. Diese Eigenbeteiligung kann bis auf 2% steigen.
… und auch noch selbst finanziert
Der Tarifabschluss ist ein Taschenspielertrick. Denn was uns mit der einen Hand gegeben wird, wird uns mit der anderen wieder weggenommen. Verschiedene Berechnungen kommen auf eine nominale jährliche Erhöhung von 0,7% bis um die 1%. Und diese nominale Erhöhung wird mehr als aufgefressen durch steigende Renten- und Krankenkassenbeiträge sowie Preiserhöhungen beim Benzin, Strom, Fahrpreisen… Real zahlen wir also wieder mal drauf. Der Wegfall des letzten noch verbliebenen AZV-Tags ist in Zeiten von steigender Massenarbeitslosigkeit und notwendiger Arbeitszeitverkürzung ein politischer Skandal. Ab Dez. 2003 können die Löhne und Gehälter erst am Ende statt Mitte des Monats ausbezahlt werden. Das ist ein kostenloser Kredit von einem halben Monatslohn an Bund, Länder und Gemeinden. Für Dispokredite bei den Banken, die wir dann verstärkt in Anspruch nehmen müssen, bezahlen wir zusätzlich horrende Zinsen.
Wulff Matthies, Herbert Mai, Frank Bsirske wo ist der Unterschied?
Dieser erste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst seit es ver.di gibt, steht voll und ganz in der schlechten Tradition der Tarifrunden der ÖTV seit 1992. Wieder wurden die Mitglieder von Anfang an verarscht. Das alte Schlichtungsabkommen wurde gekündigt, weil es aufgrund mehrerer Anträge beim ÖTV-Kongress 2000 so beschlossen wurde. Aber was macht die ver.di-Führung? Kurz vor der Tarifrunde 2002 hat sie gegen den Willen der Basis ein neues Schlichtungsabkommen vereinbart. Die Formel 3 plus x diente nicht dazu Rituale sondern die Forderungen aus den Bezirken von 6 bis 6,5% und die Erwartungen der Basis zu brechen. Die Provokationen der Arbeitgeber wurden dadurch regelrecht herausgefordert. Bsirskes vorübergehenden markigen Sprüche gegen Lohnverzicht zugunsten von Steuergeschenken für die Reichen waren nur dazu gedacht, Dampf abzulassen und der Basis vorzugaukeln, wir meinen es diesmal ernst. Hinter den Kulissen, am Verhandlungstisch, wurde gleichzeitig ein erneuter Ausverkauf betrieben. Allein die Tatsache, dass ein Abschluss gemacht wurde, der Berlin isoliert hängen lässt ist ein Verbrechen gegen der Grundsatz gewerkschaftlicher Solidarität.
Mit Streik hätten wir was erreicht
Ein bundesweiter Vollstreik im öffentlichen Dienst wäre richtig und notwendig gewesen. Die Kampfbereitschaft dafür war vorhanden. Das haben die Warnstreiks im Dezember gezeigt.
Die von ver.di aufgestellten Tarifforderungen hätten mit Streik durchgesetzt werden können. Der Schröder-Regierung, den Landesregierungen und Kommunen hätte deutlich gemacht werden können, dass wir Lohnverzicht zugunsten von Steuergeschenken für die Reichen nicht länger dulden. Das Ohnmachtsgefühl in den Reihen der Gewerkschaften wäre überwunden worden. Die Kollegen hätten Selbstvertrauen und Vertrauen in die gewerkschaftliche Kampfkraft geschöpft. Ein Streik im öffentlichen Dienst hätte ein gewerkschaftliche Offensive einleiten können gegen Lohnraub, Umverteilung von unten nach oben, Privatisierung, Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau. Wir hätten damit endlich Anschluss finden können an die Streikbewegungen in europäischen Nachbarländer.
Tarifrunde geht weiter
Eines unterscheidet den diesjährigen Tarifabschluss von den Abschlüssen in den letzten Jahren. Diesmal geht die Tarifrunde weiter nicht nur in Berlin. Weitere Länder und Kommunen drohen mit dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes. Weiter droht, dass die Angriffe gegen die Beamten umgesetzt werden und ihre Bezüge noch weniger erhöht werden. Die Arbeitgeber wollen durch weitere Stellenstreichungen eine volle Kompensation oder sogar Überkompensation des Tarifabschlusses durchsetzen. In öffentlichen Nahverkehrsbetrieben steht die Lohnabsenkung per Spartentarifvertrag auf der Tagesordnung.
Zerschlagung des BAT geplant
Im Tarifabschluss wurde vereinbart, dass ver.di mit den Arbeitgebern bis Jan. 2005 Vereinbarungen abschließt über die Neugestaltung des Tarifrechts im öffentlichen Dienst. Für Krankenhäuser, Verwaltungen, Sparkassen und Entsorgungsbetriebe und Flughäfen soll es tarifliche Sonderregelungen geben. Im Klartext heißt das, ver.di ist bereit über den Wegfall von Sozial- und Überstundenzuschläge, Urlaubsgeld weitere Arbeitszeitflexibilisierung und andere Arbeitgeberwünsche zu verhandeln. Erkämpfte Standards des BAT sollen durch Leistungslohn sprich Willkürlohn ersetzt werden. Hier geht es nicht nur um ein paar Prozente, sondern hier geht es um das Eingemachte. Anstatt Privatisierung zu bekämpfen soll der öffentliche Dienst der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen und erkämpfte Rechte zugunsten miserabler Bedingungen in privatisierten Bereichen geopfert werden. Mit den geplanten tariflichen Sonderregelungen kommt es zur Spaltung des öffentlichen Dienstes und damit auch zur massiven Einschränkung der Kampfkraft. Damit wir nicht auf die Idee kommen uns dagegen zur Wehr zu setzen, wurde für diese Tarifverhandlungen Friedenspflicht vereinbart. Solche Verhandlungen widersprechen grundsätzlich der bisher in ver.di geführten Diskussion. Ein Vorstoß der ver.di-Führung im letzten Jahr (100-Punkte-Papier) musste auf Druck der Basis zurückgezogen werden. Die geplanten Verhandlungen müssen durch Widerstand von unten gestoppt werden.
Wir fordern Konsequenzen
Die selbstzerstörerische Politik der Gewerkschaftsführung muss gestoppt werden. Das gilt nicht nur für die Tarifpolitik sondern auch in Sachen Privatisierung, Arbeitsplatzvernichtung, Sozialabbau, Krieg….
Wir fordern breite innergewerkschaftliche Diskussion über die Lehren der Tarifrunde und Konsequenzen daraus. Auf allen Ebenen müssen Funktionärs- bzw. Delegiertenkonferenzen stattfinden, auf denen der ver.di-Bundesvorstand und die Mitglieder der Tarifkommission Rechenschaft ablegen müssen.
Konsequenzen aus der Tarifrunde müssen u.a. sein:
* Diskussion über einen möglichen Fahrplan für eine Nachschlagsforderung und Durchsetzung per Kampfmaßnahmen
* Sofortige ersatzlose Kündigung des Schlichtungsabkommens
*Gläserne Tarifverhandlungen. Demokratische Diskussionen und Entscheidungen.
* Keine Unterschrift mehr unter einen Tarifvertrag ohne vorherige mehrheitliche Zustimmung der Mitglieder durch Urabstimmung
* Wahl der Tarifkommissionsmitglieder direkt vor der Tarifrunde und auf der Grundlage der in den Bezirken beschlossenen Forderungen. Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit.
* Stop aller Verhandlungen über Spartentarifverträge, Haus- oder Branchentarifverträge die den Flächentarifvertrag des öffentlichen Dienst unterlaufen.
* Organisierung eines berlinweiten Streiks und bundesweite Solidaritätsstreiks mit dem Ziel, dass es in Berlin keinen Abschluss gibt unterhalb des bundesweiten Abschlusses bzw. unterhalb des bundesweiten Flächentarifvertrags und mit Ziel die 42-Stunden-Woche für Beamte und alle anderen Angriffe auf Beamte in Berlin und bundesweit zurückzunehmen. Einbeziehung von Beamten in Streiks.
Schluss mit Stellenabbau, Tarifflucht, Ausgründungen, Privatisierung, Angriffe auf Beamte, Budgetierungen in Krankenhäusern und alle anderen Bereichen. Ver.di muss bundesweiten Kampf dagegen organisieren.
Der BAT/BMT-G/MTArb muss in allen Bereichen als Mindesstandard offensiv verteidigt werden.
Ver.di-weiter und gewerkschaftsübergreifender entschlossener Kampf (bis hin zu Generalstreik) gegen die geplanten Verschlechterungen im Renten- und Gesundheitswesen, bei der Änderung des Ladenschlussgesetzes und gegen weitere Umverteilung von unten nach oben und gegen einen Krieg gegen den Irak.
Innergewerkschaftliche Opposition aufbauen
Die heutigen Gewerkschaftsführer und offensichtlich auch die Mehrheit der Mitglieder der Bundestarifkommission sind völlig abgehoben von der Basis. Sie haben ihre eigene Karriere im Kopf und stehen den Arbeitgebern näher als uns. Deshalb wollen wir, Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits 1996 in der ÖTV zu einer innergewerkschaftlichen Opposition zusammengeschlossen haben, eine starke politische und personelle Alternative zur gegenwärtigen Führung aufbauen. Austreten ist der falsche Weg. Wir müssen auftreten gegen die Co-Manager unter den ver.di-Funktionären und die Gewerkschaften zu Kampforganisationen machen. Denn starke Gewerkschaften sind dringend denn je nötig. Deshalb müssen wir die Blockade und Sabotage der Führung von unten brechen und die vorhandene Kampfkraft endlich zum Einsatz bringen . Wir brauchen Gewerkschaftsfunktionäre die demokratischen Entscheidungen der Basis vertreten und nicht mehr verdienen als einen Durchschnittslohn. Wir fordern alle kritischen und kämpferischen KollegInnen auf, mit uns für eine solche Veränderung in ver.di zu kämpfen. Gemeinsam sind wir stark!!!
Infos und Kontakte:
Angela Münch, Tel. 0221/6909723, angelamuench@gmx.de
Alois Skrbina, Tel. 0201/27 99 210, AloisSkrina@aol.com
Dieter Janßen, Tel. 0172/9988405
Weitere Materialien des ver.di-Netzwerks zur Tarifrunde:
* Offener Brief an die Mitglieder der Bundestarifkommission vom 18.10.92
* Tarifinfo 1/2002: Jetzt reichts ver.di in die Offensive gegen Lohnraub
* Resolution Kein Tarifabschluss auf der Grundlage des Schlichterspruchs Urabstimmung und Streik
* Gegen die Modernisierung des BAT/BMT-G/MTArb Weg mit den 100 Punkten
* Nein zur Lohnabsenkung durch Spartentarifverträge
Alle Materialien können gedruckt bei o.g. KollegInnen angefordert oder von unserer oder der homepage des labour net runtergeladen werden: www.netzwerk-verdi.de oder www.labournet.de
Ein Kollege hat anhand eines Gehaltsbeispiels eine tatsächliche Lohnerhöhung von 0,7% errechnet. Die Rechnung kann abgerufen werden unter: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarif02/berechnung.pdf