Basisbewegung oder Regierungsberater?

Auf dem Attac-Ratschlag stimmt eine klare Mehrheit gegen die pro-marktwirtschaftlichen Positionen des DGB-VENRO-Papiers

Auf dem Ratschlag des globalisierungskritischen Netzwerks Attac im Januar wurden Kampagnen gegen den Krieg und gegen das Dienstleistungsabkommen GATS beschlossen. Es wurde jedoch auch deutlich, dass dominierende Kräfte im bundesweitenn Koordinierungs-Kreis antikapitalistische Positionen unterbuttern wollen und Richtung rot-grün marschieren.

von Claus Ludwig, Köln


 

Die Diskussionen und Beschlüsse zum Thema Krieg machen deutlich, dass sich bei Attac Einiges bewegt hat. Während des Afghanistan-Krieges meinten noch einige, man solle sich auf die originären Attac-Themen wie Finanzmärkte und Steuerpolitik beschränken und sich aus der Organisierung von Antikriegs-Aktionen heraushalten.

Beim Januar-Ratschlag in Göttingen wurden Aktionen gegen den Krieg geplant. Attac organisiert eine Tour mit SprecherInnen der US-, der britischen und der italienischen Kriegsgegner. Es wurde zu Blockaden vor Luftwaffenstützpunkten und zu den Aktionen gegen die NATO-Konferenz in München aufgerufen. Attac ist keine Expertenorganisation mehr, die sich nur mit Teilaspekten der kapitalistischen Globalisierung beschäftigt, sondern ein wichtiger Bestandteil des Widerstandes gegen Krieg und Sozialabbau.

Im Vergleich zum letzten Ratschlag waren auch mehr junge Leute anwesend, die Stimmung war insgesamt weniger von frustrierten Ex-Grünen oder Sozialdemokraten wie beim Ratschlag 2002 geprägt, mehr von einer neuen Generation von AktivistInnen.

Eine Schwäche des Ratschlags war jedoch die relativ geringe Teilnehmerzahl. Nur 400 Leute waren in Göttingen. Das hängt gewiss nicht mit mangelndem Interesse zusammen, eher mit der kurzfristigen Ansetzung des Termins und des Verzichts auf eine Mobilisierung zu diesem immerhin wichtigsten Gremium von Attac.

Auch die Gefahren, die dem Netzwerk drohen, traten beim Göttinger Ratschlag in scharfer Form zutage.

Mehrheit gegen DGB-VENRO-Papier

Im Dezember hatte der bundesweite Koordinierungs-Kreis (Ko-Kreis) eine gemeinsame Erklärung mit dem DGB-Vorstand und VENRO, einem Bündnis von Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), unterzeichnet. Dies hatte bei vielen Attac-Mitgliedern Protest ausgelöst. Aus Hamburg, Köln und Berlin gingen Anträge ein, die Unterschrift zurückzuziehen beziehungsweise sich von der Erklärung zu distanzieren.

Erstens hatte der Ko-Kreis das Papier ohne jede Rücksprache mit den Basisgruppen unterzeichnet, zweitens stellt es eine deutliche Abkehr vom Attac-Konsens dar. Die bisherige Grundlage der Arbeit war die ?Frankfurter Erklärung? vom Ratschlag im Mai 2002. Dort wurde bewusst offen gehalten, ob die kapitalistischen Institutionen wie IWF oder WTO reformiert werden können oder abgeschafft werden müssen. Auch AntikapitalistInnen konnten sich in der ?Frankfurter Erklärung? wiederfinden.

Im DGB-VENRO-Papier wird die Bundesregierung aufgefordert, ein ?größeres Engagement? für eine ?gerechte Weltordnung mit demokratischem Anlitz? zu zeigen. WTO, GATS und die Marktwirtschaft werden akzeptiert sowie mit bescheidenen Reformforderungen versehen. So sollen nicht alle öffentlichen Dienstleistungen zwangsläufig privatisiert werden müssen, es soll Ausnahmen geben.

Mit keinem Wort wird erwähnt, dass es zentral ist, eine starke internationale Bewegung aufzubauen, um die neoliberale Globalisierung zu stoppen. Stattdessen wird an die Freunde des Sozialabbaus in der rot-grünen Regierung appelliert, die kapitalistische Globalisierung etwas abzumildern.

Die Mehrheit des Ko-Kreises reagierte auf die inhaltliche Kritik aus den Gruppen pikiert. Es war von ?Zwergenaufstand? die Rede. Bei einer Diskussion wurden die Argumente ausgetauscht. Auch hier reagierten einige Ko-Kreis-Mitglieder mit Drohungen ? ?wenn wir die Unterschrift zurückziehen müssen, ist das Projekt Attac tot? ? oder mit Unterstellungen: ?es geht den linken Kritikern doch nur um die Macht?.

Am Ende der Debatte stand eine Abstimmung, ob das DGB-VENRO-Papier inhaltlich unterstützt wird. Nur 25 Prozent stimmten für das Papier, 75 Prozent lehnten es ab.

Zu einem Rückzug der Unterschrift kam es allerdings nicht. Für diese Forderung stimmten auch circa 25 Prozent. Während viele die Kritik am Vorgehen des Ko-Kreises und den Inhalten des Papiers teilten, gab es gleichzeitig Befürchtungen, Attac würde sich beziehungsweise den Ko-Kreis durch den Rückzug der Unterschrift unglaubwürdig machen oder die Einheit von Attac wäre gefährdet.

Stattdessen wurde im Konsens bei nur wenigen Gegenstimmen eine ergänzende Erklärung verabschiedet, in der eine Kritik am DGB-VENRO-Papier festgehalten ist und die zusammen mit diesem Papier verbreitet werden muss. In einer gesonderten Resolution wurde der Ko-Kreis für sein Vorgehen kritisiert.

Wie geht es weiter?

Dies war eine Lösung, mit der alle leben könnten, sollte man meinen. Doch der Umgang der Mehrheit des Ko-Kreises mit diesen Beschlüssen lässt daran zweifeln, ob mit dem Ratschlag von Göttingen die Konflikte tatsächlich gelöst wurden. Die Tatsache, dass eine deutliche Mehrheit das DGB-VENRO-Papier inhaltlich ablehnt, wurde auf der Website und in der auf der Pressekonferenz vorgelegten Erklärung nicht erwähnt. Stattdessen deutete der Ko-Kreis die Diskussion als ?Sieg? für sich um und betonte lediglich, dass die Unterschrift nicht zurückgezogen werden musste. Das deutet nicht darauf hin, dass in neben den gemäßigt-bürgerlichen Positionen, die vor allem von den NGO vertreten werden, auch antikapitalistische Ideen als Bestandteil von Attac dargestellt werden.

Der Ko-Kreis wird politisch von den VertreterInnen der NGOs und Kräften der ?neuen Mitte? dominiert, die der Entwicklung von Attac hin zu einer demokratischen Mitgliederorganisation ablehnend gegenüberstehen und das Netzwerk gerne als neues Kleid für ihre Expertentätigkeit in der Grauzone zwischen Widerstand und Beratungstätigkeit für Regierungen und Instutionen ansiedeln wollen.

Das Potential von Attac ist groß. Doch das Verhalten der Ko-Kreis-Mehrheit und ihrer UnterstützerInnen ist eine Gefahr für Attac. Mit diesen Inhalten und den undemokratischen Methoden wird der Aufbau der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung behindert.

Nötig ist stattdessen die Weiterentwicklung von Attac zu einem demokratischen Netzwerk, das auf aktiven Basismitgliedern aufbaut, die den Widerstand organisieren und Kämpfe von unten initiieren. In vielen Kommunen stehen Privatisierungen oder Sozialkürzungen an. Hier kann Attac eine Rolle spielen, den Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung konkret vor Ort auszufechten.

In den nächsten Wochen ist es entscheidend, dass Attac die Antikriegs-Bewegung nach vorne bringt, mithilft, Schüler- und Studierenden-Streiks ? und wo möglich auch Streikaktionen von ArbeitnehmerInnen ? unterstützt sowie Protest- und Blockade-Aktionen gegen die Kriegsmaschinerie organisiert. Attac kann auch einen wichtigen inhaltlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Anti-Kriegs-Bewegung leisten, in dem die Zusammenhänge zwischen dem Krieg, der Globalisierung und dem sozialen Kahlschlag erklärt werden.

Diskussionen zum DGB-VENRO-Papier und Berichte vom Ratschlag unter www.attac-netzwerk.de

Claus Ludwig ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Köln