[Dies ist die ausf?hrliche Fassung eines Artikels der Solidarit?t Nr. 11]
?Schurkenstaat? Nordkorea: die Bev?lkerung halb verhungert, der Diktator mit der Hand am Ausl?ser-Knopf f?r Atomwaffen – ein isoliertes, unbekanntes Land, das sich gut als Feindbild im Rahmen der neuen US-Strategie Richtung Asien eignet.
Wenn man die g?ngige Katastrophenberichterstattung in den Medien verfolgt, m?sste das Regime l?ngst zusammengebrochen sein. Doch die fr?here relative Stabilit?t ist anscheinend bis heute noch nicht ganz verspielt und wirkt nach, so dass das Regime noch davon zehren kann.
von Angela Bankert, K?ln
Das Ausbleiben einer Implosion wird vor allem mit Propaganda-Gehirnw?sche ab dem Krippenalter und dem jahrzehntelangen F?hrerkult um den ?geliebten F?hrer? Kim Il Sung und seinen Sohn und Nachfolger Kim Jong Il erkl?rt. Doch es hilft eher, wenn man sich den Charakter des Regimes und die spezifische Situation auf der koreanischen Halbinsel im Zeitalter des Imperialismus ansieht.
Geschichte
Immerhin war das Land von 1910 bis 1945 japanische Kolonie. Der erfolgreiche Kampf und die Befreiung von der brutalen Kolonialherrschaft durch die Bewegung, aus der das Regime hervorgegangen ist, begr?ndete nach 1945 auch den Mythos des ?geliebten F?hrers? Kim Il Sung, dessen politische Str?mung sich nach erheblichen Fl?gelk?mpfen verschiedener stalinistischer Str?mungen durchsetzte.
Bis heute wirkt das Trauma des Korea-Kriegs von 1950-53, als die Luftangriffe derartige Verw?stungen anrichteten, dass die US-Armee zeitweilig keine lohnenden Ziele mehr fand. Wichtige Produktionsanlagen wurden damals in unterirdische Bunker verlegt, in denen die Menschen arbeiteten. Das Land ist bis heute geteilt, es gibt keinen Friedensvertrag, und auf der S?dseite des 38. Breitengrades stehen 1 Million s?dkoreanische und rund 37.000 US-Soldaten. Immer wieder gab es kleinere milit?rische Zusammenst??e und Gepl?nkel an der Grenze und in den Gew?ssern um die koreanische Halbinsel. S?dkorea, das bis weit in die 80er Jahre hinein selbst diktatorisch regiert wurde, wird im Norden als Marionettenregime der USA portraitiert, das jederzeit einen gemeinsamen Angriff auf den Norden starten k?nne.
Das nordkoreanische Regime konnte also fast durchweg ein ? durchaus glaubhaftes ? Bedrohungsszenario von au?en darstellen und die Furcht vor einer erneuten imperialistischen Besetzung wach halten.
Weiterhin waren in der ersten Phase der Planwirtschaft soziale Fortschritte zu verzeichnen, nicht wegen, sondern trotz des diktatorischen Regimes. Die Kims predigen die selbstgestrickte sogenannte ?Juche?-Ideologie, eine widerw?rtige Mischung aus Stalinismus und Konfuzianismus, die vor allem nationale Unabh?ngigkeit und Autarkie, einen eigenen Weg zum Sozialismus und die stalinistische Etappentheorie propagiert und dies mit konfuzianischen Elementen von Respekt und Gehorsam gegen?ber dem F?hrer als nationaler Vaterfigur verbindet.
Trotz Misswirtschaft und Fehlplanungen erm?glichte allein schon die Abschaffung von Kapitalismus und Gro?grundbesitz den Aufbau einer Grundversorgung, ein Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesens.
Zwar brachte die Kollektivierung der Landwirtschaft in den 50er Jahren wieder R?ckschritte in der landwirtschaftlichen Produktivit?t, da Genossenschaften nur Sinn machen bei entsprechendem Maschinenpark, Betriebsstoffen und Inventar, und nicht auf der Basis von Holzpflug und Handarbeit.
Dennoch verzeichnete das Land bis in die 70er Jahre hinein zweistellige Wachstumsraten und lag gemessen am Pro-Kopf-Einkommen lange Zeit vor S?dkorea, das erst 1976 gleichzog.
Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Seit Mitte 80er ist das Sozialprodukt r?ckl?ufig. Mitte der 90er Jahre war das Pro-Kopf-Einkommen in S?dkorea 20 mal h?her als im Norden.
Nahrungsmittelknappheit
Wegen des rauhen Klimas und der schlechten Bodenqualit?t ist nur rund ein F?nftel der Fl?che Nordkoreas landwirtschaftlich nutzbar. Um die Juche-Autarkie zu gew?hrleisten, wurden ?hnlich wie in China einseitige Kampagnen mit unerw?nschten Nebenwirkungen durchgezogen. Eine Politik des forcierten Getreideanbaus, der Vernachl?ssigung von Forstwirtschaft und Viehzucht, das Abholzen von Baumbest?nden schaffte Monokulturen, schwemmte den Boden ab und ist mit ein Grund f?r gro?e ?berschwemmungskatastrophen in den 90ern, denen D?rren folgten.
Nach Angaben internationaler Organisationen betr?gt das Ern?hrungsminimum eines Erwachsenen 450 Gramm Getreide pro Tag, das entspr?che bei 24 Millionen Einwohnern inklusive Kindern 3,9 Million Tonnen Getreide (ohne Futtermittel- und Industriebedarf). Das Regime gab aber 1996 erstmalig zu, nur 2,44 Millionen Tonnen zu produzieren.
F?r den Bedarf an Nahrungsmitteln und technischen G?tern, einschlie?lich Maschinen, Brennstoffen, Transportmitteln und Ersatzteilen kamen bis 1989 auch Lieferungen aus der Sowjetunion und China. (Lange Zeit konnte Nordkorea zwischen beiden Staaten lavieren und f?r sich Nutzen daraus ziehen, wenn es auch mehr zu China neigte. )
Seit den 90ern verlangen die Hauptlieferanten Russland und China Bezahlung gegen Devisen, was die ?konomische Lage weiter versch?rfte. Der Au?enhandel ging in den 90er Jahren um die H?lfte zur?ck.
Krise und marktwirtschaftliche ?ffnung
Vor allem durch die Energieknappheit mangels ?limporten l?uft die Industrieproduktion nur noch zu einem Drittel bis Viertel ihrer Kapazit?t. Von daher auch das Bestreben, auf die Atomenergie als autarke Quelle zur?ckzugreifen. Die Juche-Autarkie gebot auch, aufwendig eine eigene Schwerindustrie aufzubauen.
Nach dem Korea-Krieg wurde die Armee auf eine Millionen Soldaten vergr??ert, weiter wichtige Produktionsanlagen unter die Erde verlegt und ein G?rtel von Raketenabwehrstellungen aufgebaut. Sch?tzungen zufolge verschlingt der R?stungshaushalt rund 25 Prozent des Sozialprodukts.
Man steckte erhebliche Mittel in die Entwicklung des Raketenprogramms, inklusive Mittel- und Langstreckensysteme, die auch ein gewisser Exportschlager geworden sind, zum Beispiel an Staaten des Mittleren Ostens gegen ?l. (Ein nordkoreanisches Schiff mit Raketenlieferungen an den Jemen wurde k?rzlich von den USA aufgebracht)
Unter dem Druck der Krise wurde Mitte der 90er Jahre eine st?rkere ?ffnung hin zu kapitalistischen Elementen vollzogen, bei Beibehaltung oder Versch?rfung der Repression, wiederum analog zu China. 1998 wurde sogar die Verfassung ge?ndert und Begriffe wie ?Wirtschaftlichkeit?, ?Selbstkosten?, ?Preiskalkulation?, ?Rentabilit?t? eingef?hrt.
Mitglieder der landwirtschaftlichen Kollektive d?rfen ?ber Produkte frei verf?gen, die ?ber das Plansoll hinausgehen. Private Bauernm?rkte enstanden, offizielle und inoffizielle, auch mit Schmuggelware. Nachdem vorher begrenzte Experimente mit Joint Ventures und die Rajin-Sonbong Freihandelszone an der Grenze zu China und Ru?land nur wenige Investoren anlockten, wurden ab 1997 die Bestimmungen gelockert und eine weitere Sonderzone gestartet sowie sogenannte ?Exportf?rderzonen? in zwei Hafenst?dten geplant. Staatsunternehmen k?nnen darin unabh?ngig von Vorgaben agieren, Privatunternehmen und M?rkte k?nnen gegr?ndet werden, Privatpersonen d?rfen Handel treiben, erzielte Verm?gen d?rfen vererbt werden. Auch KorenaerInnen aus China haben freien Zugang, die Au?enhandelskontrolle wurde gelockert. Man bietet Investitionsschutzabkommen und freien Gewinntransfer an; ausl?ndische Investoren k?nnen 70 Prozent der Firmenanteile halten. Man zielt vor allem auf koreanische Investoren aus dem S?den und aus China.
Eine Begrenzung bestand darin, dass in Nordkorea hergestellte Waren kein Zugang zum US-Markt haben. Auch das ist ein Grund f?r die zeitweilige Ann?hrung an die USA w?hrend der Clinton-Administration.
Der extreme Mangel l?sst Schwarzm?rkte, Korruption und Schiebereien bl?hen. Die privat bebauten landwirtschaftlichen Parzellen dehnten sich aus, illegale Felder werden angelegt, zunehmend kommt es zu Diebstahl an (staatlichem) Saatgut, D?ngemitteln und Ackerger?ten, wogegen die offizielle Parteipresse wettert. Mehrere Anti-Korruptions-Kampagnen der Partei haben nicht verhindert, dass sich private Netzwerke bilden, die mit Hilfe der Bestechung von Funktion?ren alles m?gliche organisieren k?nnen: Warenschmuggel, Hilfspakete, Treffen mit s?dkoreanischen Familienmitgliedern in China, Fluchthelferdienste.
All das f?rdert auch die soziale Differenzierung und Unzufriedenheit. Fl?chtlinge berichten, dass es schon reich gewordene Bauern gebe. Innerhalb der Armee bleiben die (h?heren) Lebensmittelzuteilungen oft bei den Offizieren h?ngen.
Das System der rationierten Lebensmittelzuteilungen und die dar?ber ausge?bte Kontrolle funktioniert nicht mehr. Untere Funktion?re raten, sich irgendwie selbst zu versorgen, was Wanderungsbewegungen ausl?st. Das fr?here Verbot, sich ohne beh?rdliche Genehmigung vom Wohnort weg zu bewegen, ist faktisch aufgehoben. Die Flucht ?ber die Grenze nach China, zu Verwandten der koreanischen Minderheit, oder in den S?den nimmt zu; unter den Fl?chtlingen gibt es so prominente Ex-Mitglieder des Regimes wie die fr?here Ehefrau Kim Jong Ils, der Schwiegersohn des Ministerpr?sidenten und der Generalsekret?r der Staatspartei – all das deutliche Zeichen f?r die Ausam? der Krise.
Prek?res Arrangement
Doch eine Destabilisierung oder Implosion des Regimes lag inzwischen nicht mehr im Interesse weder von S?dkorea noch der USA, denn das w?rde unter Umst?nden die ganze Region destabilisieren. Nach dem Studium der deutsch-deutschen Wiedervereinigung wurde S?dkorea sehr vorsichtig und hat kein Interesse an der Einverleibung und Finanzierung eine maroden Staatsgebietes.
Vielmehr setzt die Regierung in Seoul auf vorsichtige Ann?herung und Abkommen sowie stabilisierende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Wirtschaftskrise 1997 / 98 in S?dostasien gab dieser sogenannten ?Sonnenscheinpolitik? noch einmal einen Impuls.
Ein Bericht des ehemaligen US-Verteidigungsminsters William Perry geht ebenfalls davon aus, dass das Regime nicht so schnell zusammenbricht und unterst?tzt die Entspannungspolitik S?dkoreas. Da auch das Regime in Pj?njang daran interessiert war, bildete sich ab 1994 ein zeitweiliges prek?res Arrangement heraus:
Nordkorea stimmte dem Umbau des Atomprogramms, Inspektionen und R?stungskontrollvereinbarungen gegen Nahrungsmittel-, ?l- und Hilfslieferungen zu. Von der Normalisierung der Beziehungen zu den USA versprach sich das Regime auch besseren Anschlu? an die Weltwirtschaft und damit Stabilisierung im Innern. H?hepunkt dieser Diplomatie war der Besuch der damaligen US-Au?enministerin Madelaine Albreight im Oktober 2000 in Pj?njang.
Mit der Bush-Administration ist ein geh?riges Ma? Dummheit und Unberechenbarkeit in die US-Politik eingezogen und Nordkorea in die ?Achse des B?sen? eingereiht worden. Gegen die erkl?rte Politik S?dkoreas versch?rfte Bush die Gangart. Dennoch ist erkennbar, dass er im Fall Nordkorea gem??igter vorgeht als gegen Irak, auch wenn man hier Massenvernichtungswaffen nicht erst suchen muss.
Die Reaktionen aus Nordkorea kamen prompt, zumal es auch innere Spannungen im Regime gibt. Die Milit?rs unterst?tzen eher scharfe Reaktionen und die Betonung der Autarkie; die Au?enwirtschaftler eher die Fortsetzung der ?ffnung und die Entspannungspolitik. Doch auch hier ist erkennbar, dass das Regime direkt mit den USA verhandeln und den vorherigen Status wieder aufnehmen m?chte. Trotz aller Irritationen ist das mittelfristig die wahrscheinlichere Variante, da alle unmittelbar Beteiligten kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben ? was nicht ausschlie?t, dass Entwicklungen zu Selbstl?ufern werden und au?er Kontrolle geraten.
Die weiteren Entwicklungen sind schwer einzusch?tzen, denn es ist mangels Informationen unklar, welche politische und ?konomische Potenz das Regime noch aufbringen kann, um den chinesischen Weg zu gehen: den Prozess der Umwandlung von einem repressiven stalinistischen in einen repressiven kapitalistischen Staat, unter Beibehaltung der Herrschaft der alten Elite. Da sowohl Norden als auch S?den das Ziel der nationalen Vereinigung zumindest propagandistisch immer hochgehalten haben, stellt sich dann aber die Frage nach der Legitimation eines zweiten, kapitalistischen Korea.