Vorläufiges Patt zwischen „Modernisierern“ und „Traditionalisten“ – beide bieten keinen Ausweg aus der Krise der Gewerkschaften
von Daniel Behruzi
Die offene und öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung in der IG-Metall-Spitze hat ein vorläufiges Ende gefunden. Der Gewerkschaftstag folgte am Sonntag (31.8.03) dem zwischen Jürgen Peters und Berthold Huber ausgehandelten Kompromiss: der von den bürgerlichen Medien als „Traditionalist“ titulierte Peters wurde erster, der baden-württembergische Bezirksleiter und angebliche „Modernisierer“ Huber zweiter Vorsitzender der mit 2,6 Millionen Mitgliedern weltweit größten Industriegewerkschaft. Allerdings verpassten die knapp 600 Delegierten ihren Spitzenfunktionären, die beide ohne Gegenkandidat antraten, einen Denkzettel: Sie erhielten mit 66 bzw. 67 Prozent äußerst niedrige Stimmenergebnisse. Das könnte auch ein Zeichen für die unter den Funktionären fortbestehende Spaltung sein.
Das Wahlergebnis ist keineswegs ein Sieg für den vermeintlich kämpferischeren „Traditionalisten“ um Peters. Der Kompromiss beinhaltete die Zusage des bisherigen Vize, das Zepter nach einer Wahlperiode von vier Jahren an Huber zu übergeben. Auch hatten sich die Beiden auf ein „Personalpaket“ geeinigt, bei dem die „Modernisierer“ eine deutliche Mehrheit im geschäftsführenden Hauptvorstand innehaben. Der keynesianistisch orientierten Peters-Flügel will im Grunde die Rolle, die die Gewerkschaftsbürokratie seit dem Weltkrieg innehatte, weiterspielen: Gegen allzu große Sauereien ab und zu die Beschäftigten auf die Straße holen, damit das Kapital sie weiterhin an den Verhandlungs- oder „Bündnis“-Tisch bittet. Die „Modernisierer“ haben aus der neoliberalen Offensive des Kapitals hingegen den Schluss gezogen, die neoliberale Agenda offen zu übernehmen und selbst zu propagieren. Sie sehen ihre Rolle als offene Co-Manager der Unternehmer, die sich auf Tarif- und Betriebspolitik konzentrieren und sich aus der „Politik“ heraushalten.
Fehlende demokratische Kultur
Die „Abmachungen“ zwischen den Spitzenfunktionären der beiden Flügel zeigen deutlich, wie es um die Demokratie in der IG Metall bestellt ist: Die gewählten Delegierten des Gewerkschaftstags sollen die hinter den Kulissen entwickelten Vorgaben möglichst nur noch abnicken.
Dagegen verstoßen hat Klaus Ernst, 1.Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt. Er kandidierte als Alternative zu den vom ausgehenden Vorstand „vorgeschlagenen“ Vorständlern. Ernst war mit einer kämpferischen Rede für Aktionen gegen die „Agenda 2010“ angetreten. Er selbst hatte im Mai in Schweinfurt die mit 4500 beteiligten Metallern bislang einzige größere Arbeitsniederlegung gegen die „Agenda 2010“ organisiert. Sein gutes Ergebnis von 245 Stimmen zeigt die Unzufriedenheit eines Teils der Funktionäre mit der Inaktivität der Gewerkschaftsspitze in Bezug auf den Sozialkahlschlag
Aktionen gegen Sozialkahlschlag gefordert
Dieser war denn auch eines der zentralen Themen auf dem Gewerkschaftstag. „Agenda 2010“ und die anderen „Reformen“ der Regierung wurden von der großen Mehrheit der anwesenden Funktionäre eindeutig und kategorisch abgelehnt. Die Teile des Apparats, die wie Huber argumentieren, es gebe wegen chronischer Haushaltsdefizite, mangelnder Effizienz und aufgrund der demographischen Entwicklung „Veränderungsnotwendigkeiten“ der Sozialsysteme, waren auf dem Gewerkschaftstag auffallend zurückhaltend.
Eine ganze Reihe von Delegierten forderte den Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie. Kritik an der SPD kam generell sehr gut an. Einige sozialdemokratische Funktionäre versuchten, in die Offensive zu gehen und forderten, die SPD nicht aufzugeben. Die meisten Beiträge liefen aber darauf hinaus, die Gewerkschaften zu außerparlamentarischem Protest zu bewegen. Die Idee, eine neue politische Interessenvertretung aufzubauen, wurde noch nicht formuliert. Leider wurde diese Idee auch von den anwesenden linken Delegierten nicht aufgeworfen.
Mehrere RednerInnen forderten Protestaktionen gegen den von der Bundesregierung betriebenen Sozialkahlschlag. Auch die Frage einer bundesweiten Demonstration und des politischen Streiks wurden angesprochen, und Peters musste dies in seinem Schlusswort aufgreifen, ohne jedoch Stellung zu beziehen. Allerdings wurde auch von den linken Delegierten versäumt, die Frage des Widerstands mit Verweis auf die geplante Demonstration am 1.November in Berlin zu konkretisieren. Eine gute Möglichkeit, hier den Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie zu erhöhen, wurde leider vergeben.
Ohnehin hat der Gewerkschaftstag die Schwäche und mangelnde Organisierung der Linken in der IG Metall verdeutlicht. Es gab kein koordiniertes Eingreifen und auf einem Randtreffen der Gewerkschaftslinken waren nur eine handvoll Delegierter. Hier stehen wir trotz großer Möglichkeiten noch am Anfang.
Gescheiterter Ost-Metaller-Streik kontrovers bilanziert
Zentraler Punkt der Rechenschaftsdebatte war die Bilanz der Streikniederlage um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Der Abbruch des Streiks durch die Streikleitung, ohne Diskussion in der Tarifkommission und im Vorstand, wurde heftig kritisiert. Der Kontrollausschuß konnte sich nicht darüber einig werden, ob dieses Vorgehen der Satzung entspreche und verwies auf widersprüchliche Formulierungen in der Gewerkschaftssatzung. Er rügte das Vorgehen dennoch ausdrücklich. Vor allem der zurückgetretene Vorsitzende Klaus Zwickel, der sich das ganze Wochenende über nicht zu Wort meldete, wurde dafür attackiert, dass er den Arbeitskampf nur zwei Stunden nach Verhandlungsabbruch als „historische Niederlage“ bezeichnet hatte. Das habe zumindest das Erreichen weiterer Haustarifverträge zur Einführung der 35-Stunden-Woche unmöglich gemacht.
Peters und Streikleiter Hasso Düvel verwiesen auf die schlechten Rahmenbedingungen der Tarifbewegung:
– niedrigerer Organisationsgrad und geringere Tarifbindung als im Westen, viele Abweichungen von den Tarifstandards
– die ökonomische Krise habe sich während der Tarifbewegung verschärft
– die Unternehmerverbände seien aus politischen Gründen hart geblieben
– Medien und Politiker hätten sich unerwartet heftig gegen den Streik gewendet
Auch eigene Fehler wurden eingeräumt:
– Man habe die wirtschaftliche Situation eingeplanter Kampfbetriebe falsch eingeschätzt
– Der Streikaufruf bei Federal Mogul, bei dem die KollegInnen unter großer Angst vor Standortverlagerung und Arbeitsplatzverlust litten, sei ein taktischer Fehler gewesen
– Die Gewerkschaft habe es nicht geschafft, der veröffentlichten Meinung gegen den Streik entgegenzuwirken
Ost-West-Spaltung?
Zum Teil heftige Auseinandersetzungen gab es zum Vorwurf mangelnder Solidarität durch einige westdeutsche Konzernbetriebsräte. Diese waren während des Streiks, teils öffentlich, für dessen Beendigung eingetreten. Offensichtlich hatte die Streikleitung die Betriebsräte der Autokonzerne zu Aktionen im Westen aufgerufen, die diese anscheinend verweigert haben. Im Osten war nur der Bezirk Berlin/Brandenburg-Sachsen als „Streikfähig“ eingeschätzt worden. Eine Ausweitung sei nicht möglich gewesen, deshalb habe der Arbeitskampf beendet werden müssen.
Offenbar haben einige der West-Funktionäre den Arbeitskampf der Ost-Metaller instrumentalisiert um den ihnen nicht genehmen Vorsitzenden Peters zu verhindern. Es ist auch deutlich geworden, welche Macht die Konzernbetriebsräte, die im allgemeinen Standortlogik und Sozialpartnerschaft noch stärker verinnerlicht haben, als Teile des hauptamtlichen Apparats, innerhalb der IG Metall haben.
Allerdings sollte man Peters/Düvel deswegen nicht von ihrer Verantwortung für den verlorenen Arbeitskampf freisprechen. Sie hatten offenbar keine Eskalationsstrategie und bereiteten die West- Metaller nicht frühzeitig auf die notwendige Solidarität vor. Große Teile der Gewerkschaft gingen die längste Zeit davon aus, man werde den „lokal eingegrenzten“ Konflikt schon im Osten allein schaukeln können. Eine Rolle spielte hierbei wohl die positive Arbeitskampferfahrung in Ostdeutschland während des letztjährigen Tarifstreiks.
Fazit
Die Stimmung unter den Delegierten war nicht so frustriert, wie man es nach den Auseinandersetzungen der letzten Wochen erwartet hätte. Eine ganze Reihe war stinksauer auf die Spitzenfunktionäre und deren Personalquerelen. Viele inhaltlichen Beiträge waren recht kämpferisch. Der in Gefolge der Streikniederlage im Osten zu befürchtende Durchmarsch der „Modernisierer“ hat sich so nicht materialisiert. Die Kräfte, die aus der IG Metall eine Versicherungsanstalt für Beschäftigte á la IGBCE machen wollen, sind jedoch unverkennbar vorhanden und tendenziell auf dem Vormarsch. Insgesamt hat der Gewerkschaftstag verdeutlicht, dass das Potenzial und die dringende Notwendigkeit für den Aufbau einer unabhängig von den beiden Flügeln des Apparats organisierten, linken Opposition innerhalb der IG Metall besteht.