Tarifvertr?ge unter Beschuss, den Gewerkschaften laufen die Mitglieder davon ? ist die Zeit der Gewerkschaften vorbei?
Am 3. April ging weit über eine halbe Million Menschen in Berlin, Stuttgart und Köln auf die Straße. Wut und Zorn über Schröders Agenda 2010, den Sozialkahlschlag der Regierungen und die Angriffe der Arbeitgeber auf Arbeitszeiten, Löhne und Arbeitsplätze trieben die Menschen auf die Straße. Möglich war dies nur, da von den Gewerkschaften endlich ? ein Jahr nach der Verkündung der Agenda 2010 ? mobilisiert wurde. Und das nicht mal von allen, nicht mal mit voller Kraft.
Allen Abgesängen auf die Gewerkschaften zum trotz: hier wurde die Stärke der DGB-Gewerkscahften sichtbar ? aber auch ihre Schwächen.
Immer, wenn in den letzten Monaten von den Gewerkschaften ein Angebot gemacht wurde, den Kampf gegen die Angriffe von Regierung und Arbeitgeber aufzunehmen, wurde dies massenhaft aufgegriffen: die Tarifrunde Metall wurde von 500.000 KollegInnen zum Warnstreik genutzt, die Arbeitgeber gingen trotz Anfangsgetöse einem Großkonflikt aus dem Weg ? und nahmen die Geschenke der Gewerkschaftsführung noch mit. Die Proteste im Dezember gegen die Angriffe auf die Tarifautonomie wurde von Hunderttausenden genutzt um gleichzeitig während der Arbeitszeit gegen Schröders Agenda zu protestieren. An den Demonstrationen in Wiesbaden, München und Düsseldorf gegen die Angriffe der Landesregierungen beteiligten sich Zehntausende ? oft ebenfalls während der Arbeitszeit.
Daneben gab es unzählige Proteste von RentnerInnen, die Studierendenbewegung, der Widerstand ausgehend von sozialen Bewegungen. Und ? nicht zu letzt ? entwickelt sich eine harte und für Deutschland neue Kultur der betrieblichen Konflikte: Die Angriffe der Arbeitgeber auf Abwanderungen, Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitszeitverlängerungen und weiterer Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen bleiben nicht ohne Antwort: Ob bei der Post, bei der AOK, bei Bombardier oder Siemens, ob bei Vivantes (Beliner Krankenhäuser), Aventis, Commerzbank, Vat-tenfall, … ? jeweils hunderte und tausende KollegInnen beteiligten sich an Aktionen gegen die Arbeitgeberwillkür.
Das Protestpotenzial, das Potenzial aus Wut und Zorn Widerstand zu entwicklen, ist da. Es wird nur kaum genutzt.
Was für Gewerkschaften?
Zahlenmäßig war der 3. April mehr als beeindruckend. Aber die TeilnehmerInnen der Demonstrationen in Berlin, Stuttgart und Köln wurden nach Hause und zurück in die Betriebe geschickt, ohne dass irgendein nächster Schritt des Widerstands aufgezeigt wurde. Das Wort ?Streik? oder ?Generalstreik? wurde von den gewerkschaftlichen RednerInnen gemieden. Allenfalls die Orientierung auf den 1. Mai, als nächsten Demo-Termin wurde nachgeschoben. Das ist keine Methode, die Proteste zu steigern oder Widerstand aufzubauen.
Dies bestätigte die ganze Entstehungsgeschichte des 3. April: Nachdem Schröders Angriffe auf dem Tisch waren, wurden zunächst halbherzig und halbzustimmend (nach dem Motto ?Reformen sind nötig, aber nicht ohne unsere Beteiligung?) Proteste organisiert ? ohne in wirkliche Opposition zu Schröder zu gehen: Die Gewerkschaftsspitzen waren in der Hartz-Kommission munter mit dabei. Proteste sollte es nur ?fürs Schaufenster? (DGB-Chef Sommer) geben.
Die Proteste waren dementsprechende schwächer. Das wurde sofort vom DGB-Vorsitzenden Sommer und seinen Vorstandskollegen der Einzelgewerkschaften genutzt, um alle weiteren Proteste abzusagen.
Diese Sommer-Pause wurde von unten, durch die massenhafte Moblisierung gewerkschaftlicher AktivistInnen für den von unten gesetzten Termin einer bundesweiten Demonstration gegen Schröders Agenda am 1. November 2003 durchbrochen. Bis zum letzten Tag weigerten sich aber die Gewerkschaftsspitzen, selbst Gewerkschaftstagsbeschlüsse zur Mobilisierung dafür umzusetzen. Die mehr als hunderttausend TeilnehmerInnen waren eine schallende Ohrfeige für die Gewerkschaftsspitzen.
Erst nach diesem Termin, erst bedroht von einer Situation, in der sie die Kontrolle über die Bewegung verlieren könnten, schoben diese Spitzenfunktionäre Proteste nach, zunächst gegen die Angriffe auf die Tarifautonomie, dann wurde ein Termin für ein bundesweite Demonstration gesetzt ? aber von Ende 2003 erst für den April 2004! Und dann tobte zwischen den Gewerkschaften eine heftige Auseinandersetzung, wie den zu mobilisieren sei. Die IG Metall überließ es vor allem anderen aufzurufen.
Solange so vorgegangen wird, solange weder programmatisch noch von Protest- und Widerstandsformen die Bewegung aufgebaut wird, wird es den Herrschenden und Regierenden gelingen, diese Proteste auszusiten. So erklärte der SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering nach dem Protesten am 3. April im ZDF: ?Da machen sich manche noch Illusionen?, weder bei den Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose noch sonstwo werde der eingeschlagene Kurs korrigiert. Dieter Hundt, Arbeitgeberchef, setzte noch drauf, mit ?lauthalsem Protestgeschrei? könne die wirtschaftliche Krise nicht beseitigt werden, ?Stehen Sie auf gegen die Blockade und Verweigerung der Gewerkschaften.? (Junge Welt, 5. April).
Um solche Dreistigkeiten dieser Herren nach einer eindrucksvollen Demonstration der Stärke der Gewerkschaften zu unterbinden, ist es nötig, endlich die Zurückhaltung der Gewerkschaften abzulegen. Dazu muss das Zurückhalten der KollegInnen durch die Gewerkschaftsspitzen durchbrochen werden.
Krise der Gewerkschaften: eine politische Krise
Woher kommt die Zurückhaltung der Gewerkschaftsspitzen? Die heutige Führung ist politisch in der Defensive.
Die Banken, Konzerne und Versicherungen befinden sich in einer strukturellen und einer konjunkturellen Krise. Die Profite sind selbst im Aufschwung nicht hoch genug, um Anreiz für eine deutlich wachsende Wirtschaft zu schaffen. Selbst im Aufschwung werden daher die Probleme, zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, größer oder stagnieren allenfalls. In der Konjunkturkrise ? selbst bei einem milden Verlauf mit Stagnation und dümpelndem Wachstumszwischenspiel ? wachsen sie.
Diese kapitalistische Krise soll nach dem Willen der Unternehmer auf dem Rücken der Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen ausgetragen werden. Ihr Lebensstandard, ihre Gesundheit, ihre Absicherung soll gesenkt werden, damit die Profite wieder steigen. Eine Alternative hat der heutige Kapitalismus nicht zu bieten.
Daher die Angriffe auf soziale Errungenschaften, auf Arbeitsbedingungen, -zeiten und Löhne. Daher aber auch die Angriffe auf jede gewerkschaftliche Interessensvertretung: auf die Gewerkschaften insgesamt, auf die Rechte von Betriebs- und Personalräte und auf AktivistInnen, die mundtot gemacht werden sollen (CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz: ?Wir müssen das Tarifkartell brechen und die Funktionäre entmachten?).
Politisch wird dieses Programm von allen etablierten Parteien umgesetzt. Egal ob CDU, CSU, FDP, Grünen oder SPD ? alle stehen für den gleichen neoliberalen Einheitsbrei. Und auch die PDS beiteiligt sich in Regierungen fleißig an den Angriffen auf den Flächentarifvertrag (siehe Berlin), an Kahlschlag und Kürzungen. Die Banken und Konzerne haben also viele Parteien, ArbeitnehmerInnen und Erwerbslose keine einzige.
Das stellt die Gewerkschaftsspitzen vor ein doppeltes Dilemma: Den Kapitalismus und die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert.
Zum einen haben die Gewerkschaftsspitzen ihren Frieden mit dem Kapitalismus geschlossen. Sie akzeptieren, dass Unternehmer Profite machen müssen, dass sie das über die Ausbeutung ?ihrer? Beschäftigten tun und dass betriebliche Entscheidungen (Arbeitsplätze, Löhne, Investitionen) dem untergeordnet werden. Sie können es sich leisten, dieses System zu akzeptieren, denn sie kassieren Spitzengehältern. Sie sehen ihre Rolle ? ?auf Augenhöhe? mit den Kapitalisten ? als Manager der Gewerkschaften. Für sie sind Gewerkschaften eine Art ADAC für Arbeitnehemer: Rechtsschutz, Lobby, Vertretung. Eine grundlegende Systemkritik und eine Aktivierung der Mitglieder würde ihre Stellung als Arbeitervertreter zwischen den Klassen, zwischen Unternehmern und ArbeiterInnen, in Frage stellen.
Doch diese Stellung basierte darauf, dass sie sich an der Spitze halten konnten durch die Verbesserungen, die sie im Rahmen des Kapitalismus für die Beschäftigten erzielen konnten. Der Kapitalismus des 21. Jahrhundert lässt ihnen dafür keinen Spielraum, im Gegenteil: die Kapitalisten stellen alle Errungenschaften in Frage.
Die Krise des Systems wird daher zur politischen Krise der Gewerkschaftsführung.
Gleichzeitig hat die SPD ihren Charakter grundlegend verändert. Gegründet als sozialistische Arbeiterpartei wurde sie bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts zur Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung: Sie wurde von viele Beschäftigten als ihre Partei angesehen, es gab enge Verbindungen zu den Gewerkschaften, doch die Führung der Partei agierte im Interesse der Banken und Konzerne. Ende des 20. Jahrhundert rückte die Führung nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten in Osteuropa weiter nach rechts. Die Verbindungen zu den Gewerkschaften wurden gelockert. ArbeiterInnen sahen noch auf Wahlebene die SPD als Alternative ? aber eine Partei, in der gewerkschaftliche und betriebliche AktivistInnen aktiv werden, in der sie Austausch, Ideen und Debatten suchen war dies nicht mehr. Dieser Verbürgerlichungsprozess der Sozialdemokratie sorgt dafür, dass Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen heute ohne Partei dastehen, während die Unternehmer die unterschiedlichsten Konstellationen für ihre Regierungen nutzen können.
Die enge Verbindung zwischen Gewerkschaftsfunktionären und Sozialdemokratie wird durch die Verbürgerlichung der SPD zur absoluten Fessel der Interessensvertretung der Beschäftigten; ohne Partei für Beschäftigte und Erwerbslose stehen die Gewerkschaften nackt der Politik gegenüber.
Der Umgang mit diesem doppelten Dilemma markiert die verschiedenen Flügel der Gewerkschaften.
Flügel ohne Auftrieb
Der rechteste Teil der DGB-Gewerkschaften, vertreten durch die Führung der IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) geht am weitesten damit, die neoliberale Ideologie für die Gewerkschaften zu verinnerlichen. Der Unmut in der IG BCE war so groß, dass der 3. April von der IG-BCE-Führung nicht ignoriert werden konnte. Sie versuchten aber für ein ?Modell Deutschland? die Ausrichtung der Proteste so weit zu verwirren, als ob es darum ginge, dass die Gewerkschaften mit dafür sorgen, dass ?Deutschland?, sprich die deutschen Banken und Konzerne, ?Platz 1? in Europa und weltweit einnehmen solle. Ihre Strategie der Anpassung setzt darauf zu hoffen, durch Verzicht die Profite zu sanieren und dann selbst ein paar Brosamen abzubekommen.
Der IG-BCE-Chef Schmoldt ist Kanzlers Liebling unter den Gewerkschaftschefs.
Der Huber-Flügel geht innerhalb der IG Metall am weitesten in diese Richtung. Da diese Strategie der Anpassung an die kapitalistische Krise auf dem Rücken der Beschäftigten statt findet, versucht Berthold Huber, IG-Metall-Vize, dafür durch eine Spaltung der Beschäftigten eine organisatorische Basis hin zu bekommen: Er setzt auf die festangestellten Stammbelegschaften der Großunternehmen. Über die Gruppe der ?Rationalisierungsgewinner?, Facharbeiter und Angestellten schreibt Berthold Huber 2003: ?Diese Gruppe zu gewinnen und bei ihr Bindekraft zu entwickeln, ist die strategisch wichtige Aufgabe der IG Metall.?
Der Peters-Flügel in der IG Metall, benannt nach Jürgen Peters, Vorsitzender der IG Metall, setzt auf einen anderen Kurs: Sie versuchen, mit den Methoden der 70er Jaher, mit begrenzten Streiks und Auseinandersetzungen, Reformen zu erkämpfen. Diese Strategie war damals schon zweifelhaft, denn auch im Nachkriegsaufschwung und den Folgejahren bekamen Beschäftigte nur dann etwas vom gewachsenen Kuchen ab, wenn sie es sich entschlossen erkämpften. Doch angesichts eines kleiner werdenden Kuchens der Kapitalisten sind mit dieser Strategie auch keine Brosamen mehr zu bekommen. Sie mündet in die Frage: ist der Kampf ernst gemeint, wird er gesteigert oder wird er abgebrochen.
Gerade in der Ost-Metall-Tarifrunde um die Einführung der 35-Stunden-Woche 2003 wurde dies sichtbar. Sie scheiterte nicht an der Kampfbereitschaft der KollegInnen im Osten, denn die Streikfront stand und gerade in den Großbetrieben begann der Kampf seine eigene Dynamik zu entfalten. Der Streik begann auch wirtschaftlich zu wirken. Die Frage der Ausdehnung des Kampfes auf west-deutsche Betriebe stellte sich, denn die Auswirkungen des Streiks begannen spürbar zu werden. Doch eine solche Eskalation war nicht gewollt. West-deutsche Betriebsratsfürsten fielen den Streikenden offen in den Rücken. Peters und Düvel, der zuständige Sekretär für den Arbeitskampf im Osten, brachen den Streik ab, um der Eskalation zu entkommen.
Diese beiden Flügel sind nicht bereit, sich mit den Arbeitgebern oder mit der SPD-geführten Regierung ernsthaft anzulegen.
Daneben gibt es noch FunktionärInnen mit linkerem Image, wie Horst Schmitthenner, Detlev Hensche oder Klaus Ernst, die offener sind für eine Zusammenarbeit mit der globalisierungskritischen Bewegung, selbst für begrenzte betriebliche Mobilisierungen stehen und auch gegenüber der Sozialdemokratie mehr Distanz an den Tag legen.
Klaus Ernst, erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, kandidierte auf dem letzten IG-Metall-Gewerkschaftstag für den IG-Metall-Vorstand mit einer kämpferischen Rede gegen die Agenda 2010 und der Forderung, den Schmusekurs gegenüber der SPD zu beenden. Gegen den Vorschlag der IG-Metall-Führung erreichte er über 40 Prozent. Er ist ? neben anderen IG-Metall-Funktionären der mittleren Schicht ? einer der Initiatoren des Aufrufs ?Arbeit und soziale Gerechtigkeit? zur Gründung einer Wahlalternative (siehe Seite 2).
Diese FunktionärInnen orientieren sich politisch eher auf eine keynesianistische Politik, das heißt einer Politik, die davon ausgeht, mit staatlichen Interventionen den Kapitalismus besser zu managen. Sie setzt in den Gewerkschaften nicht auf eine Opposition sondern auf linke Netze oder Seilschaften im Apparat. Zum Teil verstehen sich diese Menschen als Teil des Peters-Flügel.
Gewerkschaftslinke
Ein anderer Teil sieht sich als Teil der Gewerkschaftslinken. Dort kommen auch betriebliche AktivistInnen, linke Betriebs- und Personalräte zusammen, die der Politik der Gewerkschaftsspitze entgegegen treten wollen. Sie stützt sich auf zahlreiche AktivistInnen, mit unterschiedlichsten Betriebszeitungen, oppositionellen Kandidaturen zu Betriebs- und Personalratswahlen und so weiter.
Zum Austausch der AktivistInnen aus Betrieben und Gewerkschaften dient das Labournet (www.labournet. de). Eine Verzahnung wird durch die ?Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken? angestrebt. Ihre Stärke lag bisher vor allem in der IG Metall und geographisch im Mittleren Neckarraum sowie im Ruhrgebiet. In ver.di beginnt sich nach dem Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di (www.netzwerk-verdi.de) auch eine ver.di-Linke zu organisieren (www.labournet.de/diskussion/verdi/verdilinke.html). Im Bereich der IG BCE arbeit der Chemiekreis (www.chemiekreis.de).
Der Kurs der Führung geht Richtung Anpassung an den Kapitalismus in der Krise. Damit wird die Krise des Systems zur Krise der Organisation. Damit muss gebrochen werden. Frustrierte KollegInnen auf dem Absprung aus der Gewerkschaft oder danach sowie junge Beschäftigte, die nicht in der Gewerkschaft sind ? sie alle werden nicht durch interne Kritik mobilisiert. Für sie muss deutlich sichtbar ? in Worten und Taten ? gemacht werden: Es gibt eine Alternative zum Ausverkauf, kämpferische und demokratische Gewerkschaften sind möglich!
Sind die Gewerkschaften noch zu retten?
Aber sind die Gewerkschaften überhaupt noch zu retten? Lohnt sich der Kampf noch innerhalb dieser von oben kontrollierten Apparate?
Es sind nicht mehr nur einfach die Rückständigsten, die der Gewerkschaft den Rücken kehren. Soll eine kämpferische Gewerkschaft aufgebaut werden, muss es gelingen, auch diejenigen einzubeziehen, die sich frustriert von den heutigen Gewerkschaften abgewandt haben.
Doch die immer noch sieben Millionen Mitglieder, die vielen Beschäftigten, die auf die Gewerkschaften schauen, die gewerkschaftlichen Betriebs- und Personalräte und erst recht die Vertrauensleute der DGB-Gewerkschaften ? um sie dreht sich letzt-endlich der Kampf: nur mit ihnen wird eine Gewerkschaft, die diesen Namen wieder voll verdient, aufzubauen sein. Und um sie zu erreichen, ist heute eine kämpferische Interessensvertretung und ein Kampf in den Gewerkschaften für einen radikalen Kurswechsel nötig. Die DGB-Gewerkschaften dienen heute oft genug nicht mehr als Kampfinstrumente für die arbeitende Klasse. Sie sind aber die zur Zeit einzige Massenorganisation in Deutschland, in der ? auch gegen den Willen der Führung ? die Debatte um eine Strateige zur Verteidigung der Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen geführt werden kann.
Das heißt nicht, dass diese Entwicklungen immer in den Gewerkschaften statt finden werden. In anderen Ländern gibt es Beispiele von Abspaltungen und Neugründungen. So formierten sich LehrerInnen in Österreich außerhalb der traditionellen (allerdings von den Konservativen kontrollierten) Lehrergewerkschaft im ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund).
Solche Entwicklungen sind auch in Deutschland nicht ausgeschlossen. Sie werden aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie die vorhandenen AktivistInnen innerhalb des DGB begeistern und nach wie vor auch auf die KollegInnen orientieren, die auf den DGB schauen.
Die Einheitsgewerkschaften waren ein wichtiger Schritt der Arbeiterbewegung in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg: Die gemeinsame Stärke der Arbeiterklasse sollte in den Betrieben durch die Gewerkschaften gemeinsam der Macht der Unternehmer gegenüber gestellt werden. (Ihre sozialistische Ausrichtung wurde von den Besatzungsmächten zunächst verboten.) Dieses Modell der Zusammenarbeit aller ArbeitnehmerInnen, der Klasseneinheit, kann aber nur funktionieren, wenn innerhalb der Gewerkschaften demokratisch über den Kurs und die Ausrichtung gestritten wird.
?Die Aushöhlung der innergewerkschaftlichen Demokratie ist ein weiterer Teil des Selbstzerstörungsprozesses der Gewerkschaft?, so der Stuttgarter DaimlerChrysler-Betriebsrat Tom Adler. Fehlende Demokratie und Transparenz führen zum Absterben gewerkschaftlicher Strukturen und sorgen dafür, dass eine Wiederbelebung der Interessensvertretung für Beschäftigte zum Teil komplizierte Wege innerhalb und außerhalb der heutigen Gewerkschaften gehen muss.
Wie weiter?
Die auf dem 3. April sichtbare Wut und Bereitschaft, gegen die Angriffe von Arbeitgebern und Regierung vor zu gehen, zeigt, welches Potential auch in Deutschland dafür vorhanden wäre, den Widerstand in die Betriebe zu tragen. Das Beispiel Österreich zeigt auch, wie schnell ? trotz verkrusteter Gewerkschaftsstrukturen ? sich so ein Kampf auch mit Massenstreiks Bahn brechen kann.
Soll dies gefördert werden und sicher gestellt werden, dass die Wut nicht in Frustration umschlägt, muss die Gewerkschaftslinke eine Strategie aufzeigen, wie Agenda 2010 und Arbeitgeberwillkür gestoppt werden können. Nötig ist der Kampf um eine Steigerung der Proteste: Demos allein werden nicht reichen, nötig ist ein gemeinsamer Kampf aller DGB-Gewerkschaften. Ein eintägiger Generalstreik würde demonstrieren, welche Macht die Beschäftigten haben. Er würde AktivistInnen und Gewerkschaften in allen anstehenden Auseinandersetzungen in eine wesentlich günstigere Position bringen. Er würde die Gewerkschaften in die Offensive bringen und die Banken und Konzerne (und damit auch ihre Regierungen) da treffen, wo es ihnen weh tut: am Profit.
Mit einem solchen Kampf, der deutlich macht, dass man es ernst meint mit dem Widerstand, sind auch KollegInnen zu begeistern, die bei allen Alibi-Aktionen und Demonstrationen skeptisch sind.
Doch ein solcher Streik fällt nicht vom Himmel. Nötig ist der Kampf in den Gewerkschaften darum. Und der wird nicht auf Sitzungen allein ausgetragen: Nötig sind Aktionen wie die Streiks der Schweinfurter MetallerInnen im April 03 oder die Streiks von 7.000 Beschäftigten am 9. Dezember in Kassel gegen die Agenda 2010. Dort, wo Gewerkschaftslinke solche Aktionen durchsetzen können, kann aufgezeigt werden, was möglich ist und können andere KollegInnen ermutigt werden, aktiv zu werden.
Ansatzpunkte für gemeinsame Aktionen ? örtlich, regional, landes- und bundesweit ?gibt es genug: Der Angriff auf die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft, Arbeitsplatzvernichtung, Werksschließungen und so weiter.
Die DGB-Spitzen haben es verstanden, den Impuls vom 3. April nicht zu nutzen und die KollegInnen ohne Vorstellung der nächsten Schritte zurück in die Betriebe zu schicken. Doch der Rückenwind vom 3. April ist noch da. Es ist die Aufgabe der AktivistInnen in Betrieben und Gewerkschaften, diesen Rückenwind in den anstehenden Auseinandersetzungen zu nutzen.
von Stephan Kimmerle, Berlin (Redakteur der Solidarität und Mitglied im Sprecherrat des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di)