„No easy way to freedom“

Vom 3. bis zum 29. Januar dieses Jahres besuchten zwei Kölner Genossen die Schwesterorganisation der SAV in Südafrika, den Democratic Socialist Movement – DSM. Ein erster Reisebericht.
 
Unser fast vierwöchiger Südafrika-Trip teilte sich auf in 16 Tage Aufenthalt in Johannesburg, 4 Tage Durban, drei Tage Bizana und am Ende wiederum drei Tage Johannesburg. Johannesburg ist die Finanz- und – sinniger Weise – auch die südafrikanische „Hauptstadt der Kriminalität“. Das am Indischen Ozean gelegene Durban (ca. 750.000 EinwohnerInnen) hat den größten Industriehafen Südafrikas inklusive der dazugehörigen weiterverarbeitenden Industrie und Bizana ist eine Kleinstadt im äußersten Südosten des Landes, Teil einer der ärmsten Provinzen überhaupt. Die Reise war also gekennzeichnet von Gegensätzlichkeiten zwischen Welt- und Industriestadt sowie strukturschwachem ländlichen Raum.

Tiefer und schmaler Graben zwischen den Klassen

Neben diesen regionalen Unterschieden, die uns logischer Weise erst im Laufe des gesamten Monats bewusst wurden, war die soziale Spaltung der Bevölkerung schon am ersten Tag und nach zwei Stunden seit der Landung in Jo´burg offensichtlich: Der Flughafen Johannesburg International liegt im Nordosten der Stadt und hieß bis vor ein paar Jahren immer noch „Jan Smuts Airport“, benannt nach dem „Erfinder“ des rassistischen Apartheid-Systems. Unsere Unterkunft in Jo´burg lag in Soweto (South Western Township), am anderen Ende der Stadt. Folglich mussten wir mit dem Auto einmal quer durch die Millionen-Metropole. Schnell wurde dabei klar, dass das Land auf einem grundlegenden Gegensatz förmlich aufgebaut ist. Gemeint ist ein immens tiefer Schnitt zwischen der Oberschicht und der Bevölkerungsmehrheit. Und dieser Graben ist nicht nur verdammt tief, sondern auch äußerst schmal. Das heisst, dass immer wieder Wellblech-Siedlungen (squatter camps) hinter einer nächsten Kurve auftauchen, dann aber gleichzeitig, manchmal direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite Wohnviertel der Mittel- und Oberschichten liegen, die wissen, was „Luxus“ ist und wie mensch ihn mit 3 Meter hohen Mauern und „razor wire“ (=Rasierklingen- statt einfach nur Stacheldraht) umgibt.

Land der Gegensätze, Land des Rassismus

Während in Südafrika die erste Herztransplantation weltweit durchgeführt wurde, fünf Automobilfabriken nach europäischem Standard (und für den europäischen Markt europäische Marken!) produzieren und der südafrikanische Milliardär Mark Shuttleworth am 25.April 2002 für 20 Mio. Euro den ersten privaten Ausflug ins Weltall unternahm, liegt die offizielle Arbeitslosenquote bei 20%. Tatsächlich leben mindestens 40% ohne Erwerbsarbeit, Sozialleistungen gibt es nicht und wenn ein Mitglied einer Durchschnittsfamilie krank wird, dann ruiniert das gewöhnlich die gesamte Verwandtschaft. Nur wenige, hauptsächlich Staatsbedienstete, sind im Besitz einer Krankenversicherung. Und das in einem 42 Mio. EinwohnerInnen zählenden Land, in dem auch die Regierung zugestehen muss, dass die Quote der HIV/AIDS-Infizierten bei mindestens 20 Prozent liegt!

Billiglohnland Südafrika

Die Marktfrauen von Durban zahlen für ihre tägliche Fahrt vom Land in die Innenstadt und zurück 12 Rand (ca. 1,50 €). Am Ende eines durchschnittlichen Markttages haben sie gut 40 Rand (ca. 5,- €) eingenommen, von denen sie Fahrt und Familie finanzieren müssen. Die KollegInnen, die in der Automobilindustrie beschäftigt sind, haben zwar ein höheres Einkommen, es ist jedoch auch ihnen unmöglich, die im Land produzierten Autos zu kaufen. Ein VW Golf kostet in einem südafrikanischen Autohaus mehr, als derselbe Wagen in Europa kosten würde. Und das nicht im Verhältnis zu den Einkommen, sondern im absoluten Preis! Es wird in Südafrika ausschließlich aus einem Grund von US- und europäischen Firmen produziert: „cheap labour“, was soviel meint wie „billige Arbeitskraft“. Zur Zeit, als Osteuropa noch verbotenes Terrain für das westliche Kapital war, war Südafrika ein willkommenes Investitionsfeld, um billig und mit hohen Gewinnmargen arbeiten zu lassen. Dass die Gesellschaft ganz nebenbei auf Folter und Rassismus übelster Sorte basierte, sollte die Geschäftsführer dabei wenig stören. Im Gegenteil nutzen sie die Situation für ihre Zwecke und profitierten ungeniert am Unterdrückungs- und Folterstaat Südafrika.

Alles besser durch Mandela?

Ende der 1980er Jahre begann der damalige Präsident Botha Geheimverhandlungen mit der Führung des African National Congress (ANC). Der ANC wurde 1912 gegen die zunehmende rassistische Unterdrückung gegründet und ist nach offizieller Einführung der Apartheid 1948 zum Sammelbecken der illegalisierten Widerstandsbewegungen geworden. Es wurde immer schwieriger für das Regime, angesichts zunehmenden Widerstands und Organisationsgrads der ArbeiterInnen und Ghettoisierten, das Unterdrückungssystem aufrecht zu erhalten. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wurde für Regierung und Kapital stetig schlechter und 1990 mussten sie die charismatische Figur des dunkelhäutigen Widerstands in Südafrika, Nelson Mandela, nach 27 Jahren Haft aus dem Staatsgefängnis Robben Island entlassen.
Vier Jahre lang fand dann die Zeit der offiziellen Verhandlungen zwischen ANC-Führung und südafrikanischer Regierung statt. Am Ende standen freie Wahlen für alle SüdafrikanerInnen und die Präsidentschaft des Idols des Freiheitskampfes, Mandela.
Doch was ist seither geschehen? Neue „squatter camps“ entstanden, die nun zynischer Weise von den Verwaltungsstellen nach FreiheitskämpferInnen benannt wurden, die Energieversorgung wurde privatisiert und die Lebenshaltungskosten stiegen insgesamt auf ein Niveau, das mit dem deutschen vergleichbar ist. Südafrika ist das einzige ex-koloniale Land, in dem nach der Unabhängigkeit, die ja erst 1994 wirklich erreicht wurde, keine Alphabetisierungskampagne stattgefunden hat. Einerseits technisch und infrastrukturell auf europäischem Niveau und andererseits mit einem der schlechtesten Bildungssysteme des gesamten afrikanischen Kontinents ausgestattet – das ist Südafrika!
Seit nunmehr 11 Jahren versucht die Koalitionsregierung aus ANC und stalinistischer SACP (südafrikanische Kommunistische Partei) mit Slogans wie: „nation building“ („wir bilden eine neue Nation“), „rainbow nation“ („Regenbogen-Gesellschaft“) oder „be proud to be South African“ („sei stolz, Südafrikaner zu sein“) die Gräben zwischen arm und reich, hell- und dunkelhäutig zuzuschütten. Auf ziemlich perverse wie auch erfolglose Weise wird den Menschen einzureden versucht, dass sie sich die Stromgebühren leisten könnten, wenn sie nur stolz auf ihr Land seien.

„They had the bible, we had the land. Now we have the bible and they own our land“

In den 1970er Jahren, als die Phase der blutigen Unruhen begann, war ein auf die südafrikanische Historie bezogener Ausspruch: „Sie hatten die Bibel und wir das Land. Jetzt haben wir die Bibel und sie besitzen unser Land“. Auf heute bezogen, ist das Verhältnis immer noch dasselbe. 80% der SüdafrikanerInnen sind dunkel-, 12% hellhäutig. Umgekehrt sind die Zahlen, die über das Landeigentum Aufschluss geben. Gut ein Zehntel der Bevölkerung besitzt 80% des Bodens. Und dieses eine Zehntel besteht aus Europa-stämmigen SüdafrikanerInnen!
Als wir auf dem Weg von Jo´burg nach Durban waren, konnten wir im Autoradio hören, dass gerade ein hellhäutiger Farmer einen dunkelhäutigen Tagelöhner hinter sein Auto gekettet und zu Tode geschleift hatte. Prinzipiell hat sich an der gesellschaftlichen Situation in Südafrika in den letzten 10 Jahren relativ wenig geändert. Ein Genosse in Bizana beschrieb die Situation so: „1994 brachte eigentlich nur das Wahlrecht. Seitdem kannst du also wählen, von wem du unterdrückt werden willst.“
Auch gibt es seit dem Ende des Apartheid-Regimes 1994 offiziell keinen Rassismus mehr. Interessanter Weise musste die Regierung vor ein paar Jahren jedoch ein Arbeitsgesetz einführen, wonach eine bestimmte Anzahl von ArbeiterInnen eines Betriebs dunkelhäutig zu sein haben. Kein Rassismus?
ANC und SACP beziehen sich weiterhin auf den „liberation movement“, die Freiheitsbewegung, und nennen die Zeit seit ihrer, von den Massen herbeigeführten Machtübernahme „10 years of freedom“. Der DSM teilt diese Interpretation natürlich nicht: Im Büro der Bizana-GenossInnen hängt ein Spruch an der Wand, der die momentane Situation eindringlich und ganz anders beschreibt: „no easy way to freedom“ – es ist kein leichter Weg zur Freiheit.
Tatsächlich ist die Regierung zu einer elitären Clique verkommen, die die Interessen des Kapitals gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung vertritt. Die 2-Raum-„Häuser“, die der ANC meist kurz vor Wahlen an Stelle von „squatter camps“ bauen lässt, sind kleiner und von schlechterer Qualität, als die „Häuser“, die vor 1994 vom Regime gebaut wurden. Mbeki, der Nachfolger Mandelas als Präsident und Vorsitzendem des ANC, bringt es bis heute fertig auf dem Standpunkt zu stehen, wonach HIV nicht zwangsläufig zu AIDS führen würde. Mit allen Mitteln wird versucht, von tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen und Ungerechtigkeiten abzulenken, um das Prinzip des in die eigene Tasche Wirtschaftens aufrecht zu erhalten.

Fighting on…

Doch die ehedem uneingeschränkte Macht und Autorität des ANC bröckelt. Bei der Beerdigung des Vaters von Präsident Thabo Mbeki kam es vor wenigen Monaten zu Tumulten, als Mbeki ans Mikrofon schritt. Sein verstorbener Vater war langjähriger Vorsitzender der SACP und zusammen mit Mandela im Gefängnis gewesen. Die Menge skandierte für den toten Vater und gegen die Politik des Sohnes und seiner momentanen Regierung.
Auch brachte es die Regierungskoaliton 2002 nicht fertig, eine Demonstration anlässlich eines internationalen Sozialforums in Johannesburg zu Stande zu bekommen. Die statt dessen von progressiven Kräften organisierte Demo, die stattfand, war bezeichnender Weise die erste in der südafrikanischen Geschichte, auf der keine einzige ANC-Fahne zu sehen war. – Der ANC verliert eindeutig an Rückhalt. Bisher existieren zwar noch keine stärkeren alternativen Ansätze mit breiterer Unterstützung, allerdings ist ein erster Schritt nachzuvollziehen, der der Wahlenthaltung nämlich.
In diesen Zusammenhang passt auch, dass ein häufig von uns in privaten Küchen, aber auch in einem Schulleiter-Büro gesehener Spruch lautete: „Ich wünsche meinen Feinden ein langes Leben, damit sie meinen Erfolg sehen können!“.
In nächster Zukunft gilt es, die bestehende Allianz zwischen südafrikanischem Gewerkschaftsbund, ANC und SACP aufzukündigen und für neue Strukturen auf Partei- wie auch auf Gewerkschaftsebene zu kämpfen. Dann hat die südafrikanische Arbeiterklasse und die Gesamtbevölkerung eine Chance den langen und schwierigen Weg zur Freiheit tatsächlich zu vollenden.

Demnächst wird ein Bericht darüber folgen, wie und wo die GenossInnen des DSM ansetzen, welche Rolle sie im ANC spielten und was es mit „unserer“ Gewerkschaft heute auf sich hat.

Während unseres Südafrika-Besuchs ist die Idee einer Partnerschaft zwischen dem Kölner SAV-Stadtverband und der Bizana-Ortsgruppe des DSM entstanden. Wer diese Idee unterstützen möchte wende sich bitte an die Kölner SAV! Weitere Infos und Bilder auf www.sozialistischealternative.info/koeln

von Jan und Gerd, Köln