Mit aller Kraft den Wahlkampf starten trotz der Listenaufstellung
Die Kandidatur der Linkspartei zur Bundestagswahl soll eine Bündniskandidatur sein. Bündniskandidatur – was für ein Bündnis? Auf ihrem Landesparteitag am 6. und 7. August spielte die PDS ihre Macht aus, watschte die WASG ab und stellte die Weichen dafür, dass aller Voraussicht nach kein einziges Mitglied der Berliner Wahlalternative nach dem 18. September in den Bundestag einzieht (obwohl die WASG auf elf, die PDS auf zwölf Prozent in Berlin kommt, laut Forsa-Umfrage vom Juli). Das war zu befürchten. Schließlich hatte der Berliner PDS-Vorsitzende Stefan Liebich nichts anderes im Vorfeld angekündigt.
Trotzdem tobt seit dem PDS-Parteitag eine heftige Debatte in den Reihen der Berliner WASG über die Ergebnisse vom vergangenen Wochenende. Lag es an der Verhandlungsdelegation? Lag es an den KandidatInnen? Hat die Politik des neuen Landesvorstands geschadet? Sind die WASG-Beschlüsse auf dem jüngsten Landesparteitag schuld?
Der Grund ist ein ganz anderer: Die PDS hat nicht nur in Berlin bei aller gebotenen Rücksichtnahme auf die wahlrechtlichen Vorgaben die Tatsache rigoros ausgenutzt, dass sie am längeren Hebel sitzt – dass ihre Delegierten auf ihren Parteitagen alle KandiatInnen des Bündnissesâ von PDS und WASG küren. In Berlin agierte die PDS besonders dreist, weil sie Teil einer bedingungslos neoliberal handelnden Regierung ist und in der WASG vor Ort derzeit diejenigen in der Mehrheit sind, die bei der Kritik am Kurs der PDS im Land Berlin kein Blatt vor den Mund nehmen.
PDS zog WASG auf dem Parteitag über den Tisch
Abgesehen von ein paar Lippenbekenntnissen für das neue gemeinsame Projektâ war auf dem PDS-Parteitag business as usualâ angesagt. Der Tagesspiegel titelte in der Berichterstattung vom 7. August: Eine glückliche Familie: Die PDS wählte ihre Stars auf die vorderen Listenplätze.â In den Reden und Beiträgen der PDS-Riege nichts als inhaltsleere Phrasen. Vom Energie-Forum am Ostbahnhof ging kein Signal aus, den Kampf gegen die Agenda 2010 von Rot-Grün und die Agenda 2005 von Hundt, Thumann, Merkel und Westerwelle aufzunehmen, den Widerstand innerhalb und außerhalb des Bundestags zu stärken und die sich jetzt eröffnenden Möglichkeiten beim Schopf zu packen, um den Aufbau einer neuen politischen Kraft für Beschäftigte und Erwerbslose in Angriff zu nehmen. Der Ablauf des PDS-Parteitags hat einmal mehr vor Augen geführt, dass es in dem Bündnis auf die WASG und nicht auf die PDS ankommt.
Die Mehrheit des alten WASG-Landesvorstandes hob seit Bekanntgabe der vorgezogenen Neuwahlen darauf ab, dass die landespolitischen Fragen im Bundestagswahlkampf zurückzustellen sind. Wie verhält sich die PDS-Spitze? Sie gab ihrem Parteitag das Motto: Berlin: sozial, gerecht, attraktivâ! Gregor Gysi verteidigte in seinem Referat emphatisch die Senatspolitik. Damit nicht genug, bringt die PDS rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt eine Broschüre als Argumentationshilfe für die Berliner Regierungspolitik heraus.
An keiner Stelle wurden die mehr als 50 WASG-VertreterInnen auf dem Parteitag als Partner, sondern lediglich als lästige Zaungäste behandelt. Das fing mit Stefan Liebichs Eröffnung an, setzte sich bei den Beiträgen zur Kandiatenaufstellung fort und resultierte schließlich darin, der WASG einen aussichtsreichen Listenplatz oder Wahlkreis zu verweigern. Mit Ralf Krämer auf Platz sechs und Wolfgang Albers auf Platz 14 sind nur zwei WASG-Mitglieder auf der Landesliste vertreten.
Kein aussichtsreicher Platz für die WASG
Ist Ralf Krämers sechster Listenplatz als Erfolg für die WASG zu werten? Fakt ist, dass die PDS die vier weitgehend sicheren Listenplätze durchstimmte und auch noch auf Platz fünf nichts anbrennen ließ. Dabei waren die Ansprüche der WASG bescheiden und gefährdeten in keiner Weise das Wahlrecht: mit Renate Herranen auf Platz vier einen sicheren Listenplatz und mit Hakan Doganay als Direktkandidat im Wahlkreis Kreuzberg/Friedrichshain/Prenzlauer Berg Ost immerhin die Chance auf einen gewinnbaren Wahlkreis. Von den mehr als 120 Delegierten erhielt Renate gerade mal elf, Hakan neun Stimmen!
Ralf Krämer, der sich gegen Evrim Baba auf Platz sechs durchsetzte (mit 66 zu 48 Stimmen), benötigt nun schätzungsweise 24 Prozent für die Linkspartei.PDS in Berlin, um ein Bundestagsmandat zu erringen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete diesen Listenplatz als aussichtslos, zumal die Linkspartei.PDS in Berlin anstrebt, vier Direktmandate bei der Bundestagswahl zu erlangenâ (8. August). Bei der Juni-Umfrage von Emnid kam die PDS in Verbindung mit der Wahlalternative in Berlin auf 19 Prozent. Bei Forsa kurz darauf waren es zwar sogar 23 Prozent, seitdem sind die Umfragewerte allerdings rückläufig. Kein Wunder, dass der Tagesspiegel am 7. August berichtete: Parteichef Stefan Liebich trug es mit Gelassenheit, dass die gut 120 Landesvertreter seiner PDS einen Kandidaten jener Partei beförderten, die er vor wenigen Wochen noch als Gurkentruppeâ verspottet hatte. Viel wichtiger als Krämers symbolischer Sieg ist für Liebich, dass die ersten fünf Kandidaten auf der Landesliste seinen Wünschen entsprechen (…).â Darum mutete es schon seltsam an, dass einige WASG-Mitglieder vor Ort diesen Ehrentrefferâ wie ein spätes Ausgleichstorâ bejubelten.
Warum schnitt die WASG am letzten Wochenende so schlecht ab? Warum konnte Ralf Krämer sich im Gegensatz zu anderen KandidatInnen der WASG behaupten?
Der Ausgang des PDS-Landesparteitages hat sehr wenig mit der Verhandlungspolitik der Berliner WASG und sehr viel mit der Haltung des WASG-Bundesvorstandes zu tun. Arrogant fertigte Stefan Liebich in jeder öffentlichen Stellungnahme die Berliner WASG ab. Im taz-Interview vom 21. Juli erklärte er beispielsweise: Ich finde es ja verständlich, dass sich die Berliner WASG Gedanken macht über ihre Personalvorschläge. Aber der Weg, den wir verabredet haben, ist folgender: Sie redet mit ihrer Bundesspitze, die redet mit unserer Bundesspitze.â
Abgesehen davon, dass die Kommunikation zwischen WASG-Bundes- und Landesvorstand gestört ist (da dem WASG-Bundesvorstand die politische Ausrichtung des Berliner Landesverbandes nicht passt), war für die Platzierungen beim PDS-Parteitag auschlaggebend, dass Ralf Krämer im Gegensatz zu Renate Herranen und Hakan Doganay als einziger die ausdrückliche Unterstützung von Axel Troost und Co. genoss.
Die von Linksruck vielfach beschworene lebendige und kritische PDS-Basisâ ist ein Gespenst das Christine Buchholz, Rosemarie Nünning und Luigi Wolf in ihren Träumen heimsucht. Nichts anderes offenbarte der Verlauf des PDS-Parteitages. Durch die Bank gingen alle sicheren Listenplätze an die PDS. Selbst Hakki Keskin, der bekanntermaßen eine unkritische Haltung zum Regime in der Türkei einnimmt und den Genozid an den ArmenierInnen 1915 durch das türkische Militär leugnet, kam bereits im ersten Wahlgang auf knapp 60 Prozent.
Die Parteitagsregie klappte reibungslos, alles war inszeniert bis hin zu den meisten Wortmeldungen und Nachfragen an die KandidatInnen. Erst auf dem wahrscheinlich aussichtslosen sechsten Platz wurde die WASG und das neue Projekt in mehreren Beiträgen plötzlich entdecktâ. Stefan Liebich konnte mit dem Ergebnis für Ralf Krämer gut leben. Schließlich hatte Krämer die Nominierung des PDS-Landesvorstandes (wenn gleich für Platz sieben statt Platz sechs). Außerdem kann der Verlauf als Kampfabstimmungâ verkauft werden, welcher doch diejenigen Lügen straft, die alles für durchgeplant hielten…
Bis heute halten einige innerhalb der Berliner WASG daran fest, dass die WASG mehr erreicht hätte, wenn sie weniger gefordert hätte. Obgleich die Blockadehaltung der PDS-Spitze und die Ignoranz des WASG-Bundesvorstandes entscheidend waren, ist es richtig gewesen, die Flinte nicht von vornherein ins Korn zu werfen, sondern für die Berliner WASG-KandidatInnen zu kämpfen. Allein, um aufzuzeigen, dass es nicht an der Berliner WASG lag. Zu Verhandlungen gehört die Aufstellung von Forderungen und der Versuch, dafür Druck auszuüben. Darum öffentlicher Druck wie im Fall von Keskin, darum die Pressekonferenz vorm Parteitag, darum das Bemühen um überzeugungsarbeit in der PDS-Mitgliedschaft, darum das Werben von UnterstützerInnen wie für Hakans Kandidatur (ob Hans Köbrich, BMW-Betriebsrat, Volker Gernhardt, vivantes-Betriebsrat, oder Hilmi Kaya Turan vom Vorstand des Türkischen Bundes Berlin/Brandenburg).
Aufgaben der WASG Berlin
Während der PDS im Bund laut Umfragen vor Lafontaines Kandidaten-Ankündigung für ein WASG/PDS-Bündnis bei den Anstrengungen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, eine Zitterpartie geblüht hätte, liegt die Linksaprtei heute bei mehr als zehn Prozent. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein zum Jahresanfang hatte sich das PDS-Ergebnis im Vergleich zur vorherigen Wahl noch von 1,4 auf 0,8 Prozent reduziert. Während die PDS nach einer Forsa-Umfrage vom Juli bei Berliner Wahlen auf 13 Prozent kommen würde, neun Prozent weniger als 2001 (in Ostberlin würde die PDS sogar von 49 auf 24 Prozent abstürzen), käme die WASG aus dem Stand auf sechs Prozent, im Osten der Stadt auf zehn Prozent. Während die Mitgliederzahlen der WASG im letzten Vierteljahr um ein Drittel stiegen, legte die PDS nur unwesentlich zu. Die WASG, nicht die PDS ist der dynamische Teil dieses Bündnisses.
In den nächsten sechs Wochen gilt es, alles daran zu setzen, die eingesetzte Politisierung und Radikalisierung bei AktivistInnen, in Betrieben und Gewerkschaften, in den Stadtteilen, unter Erwerbslosen und unter Jugendlichen aufzugreifen. Es gibt die Chance, den Widerstand innerhalb und außerhalb des Bundestags erheblich zu stärken. Widerstand, der angesichts der Unternehmerpläne dringend nötig ist. Ziel muss der Aufbau einer starken politischen Interessenvertretung für Beschäftigte, Erwerbslose und Jugendliche sein, der Aufbau einer Kraft, die konsequent alle Sozialkürzungen, Stellenstreichungen und Privatisierungen ablehnt (darum kommen wir auch an den Diskussionen über die Realpolitik der PDS nicht vorbei).
Was sollte im Bundestagswahlkampf getan werden?
Mitgliedergewinnung, Mitgliedergewinnung, Mitgliedergewinnung
Jede Bezirksgruppe sollte wöchentlich eine öffentliche Veranstaltung anbieten (unser Programm gegen Hartz IV und Arbeitslosigkeit, unser Programm gegen die Demontage von Bildungs- und Gesundheitswesen etc. etc.)
Jede Bezirksgruppe sollte abgesehen von den Sonntagen täglich mindestens einen Infostand durchführen und dort unsere Wahlkampfzeitung, die von der Wahlkampf-Kommission erstellten Themenflugblätter und Einladungsflyer zu unseren Treffen und Veranstaltungen anbieten
Soweit noch nicht geschehen sollte jede Bezirksgruppe einen Plan ausarbeiten, wo sie sich verankern will, wo sie regelmäßig präsent sein will (Arbeitsagenturen, Krankenhäuser, Bezirks- und Postämter, Supermärkte, Schulen und Berufsschulen etc. etc.)
Verdoppelung der Mitgliedschaft als Ziel des Landesverbandes und jeder Bezirksgruppe
Integration neuer Mitglieder durch die sofortige Einbeziehung in Diskussionen, Aktivitäten und Aufgaben
Aufbau neuer Bezirksgruppen (zum Beispiel könnte sich die Bezirksgruppe Pankow zum Ziel setzen, neben Prenzlauer Berg in Weißensee und/oder in Pankow neue Gruppen zu gründen)
Pro Woche und Bezirksgruppe eine Plakatierungsaktion der WASG-Plakate
Soweit noch nicht geschehen muss jede Bezirksgruppe jedes Mitglied auf eine Wahlkampfspende ansprechen und eine Liste von möglichen Umfeldspendern erarbeiten (50 x 50 als Minimum, also im Schnitt 50 Euro von 50 UnterstützerInnen)
Einsatz einer Unterschriftenliste (zum Beispiel Reichtum besteuernâ mit Forderungen wie drastische Erhöhung des Spitzensteuersatzes), bei der auch nach Spenden gefragt wird
Beteiligung an möglichen Protesten gegen Arbeitsplatzabbau, Miet- und Gebührenerhöhungen etc. im Wahlkampf
Initiativen wie GewerkschafterInnen wählen linksâ und Jugendarbeit, um neue Schichten zu erreichen, die sich nicht alle unmittelbar in der WASG organisieren wollen
Teilnahme an gemeinsamen Großveranstaltungen und Kundgebungen mit der Linkspartei.PDS, um diejenigen – mit unseren Ideen anzusprechen, die erstmal generell an dem neuen Projekt interessiert sind
Anträge zum Entwurf des Linkspartei.PDS-Wahlprogramms (wie mit dem Antrag des Landesvorstandes zur Reform von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs statt der Abschaffung)
Innerparteilicher und öffentlicher Protest, wenn SpitzenkandidatInnen unsere beschlossenen Positionen abschwächen oder umkehren wollen (wie im Fall von Oskar Lafontaine, erst mit seinem unsäglichen Fremdarbeiterâ-Ausspruch, jetzt mit seinem Kombi-Lohn-Vorstoß)
Der auf dem Landesparteitag im Juni vorgenommene Beschluss eines eigenständigen Wahlkampfesâ bedeutet nicht, die PDS links beziehungsweise rechts liegen zu lassen, sondern die WASG organisatorisch, aber vor allem politisch offensiv anzubieten. Wenn wir zum Beispiel VertreterInnen der Charite-Beschäftigten, die sich gerade gegen Lohnraub zur Wehr setzen, auf ein Bezirksgruppentreffen einladen, dann diskutieren wir mit ihnen unsere Alternativen zur Gesundheitsâreformâ (Fallpauschalen, Medikamentenzuzahlung etc.), sparen aber unsere Ablehnung an der rot-rotenâ Senatspolitik nicht aus.
Anders als aus der WASG-Pressemitteilung vom 8. August herauszulesen, haben wir unseren eigenständigen Wahlkampf nicht davon abhängig gemacht, wie unsere KandidatInnen auf dem PDS-Landesparteitag abschneiden. Gleiches gilt für den Beschluss der eigenständigen Kandidatur zur Abgeordnetenhauswahl 2006. Natürlich kann in den kommenden Monaten noch viel passieren. Die Berliner SPD/PDS-Regierung könnte vorzeitig beendet werden, nicht wegen Liebich oder Wowereit, sondern weil die Berliner SPD nach einer möglichen Großen Koalition im Bund in Berlin zurückgepfiffen werden könnte. Ernst zu nehmen ist auch der Wunsch seitens des PDS-Wahlkampfleiters Bodo Ramelow, eine schnelle Fusion bis Januar 2006, also vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Berlin über die Bühne zu bringen.
Woran wir festhalten müssen ist unsere prinzipielle Ablehnung von Sozialkürzungen und allen Beteiligungen – direkt oder indirekt (Tolerierungsmodell) – an Regierungen von Sozialräubern. Auf dieser politischen Grundlage geht es jetzt darum, die WASG im beginnenden Wahlkampf erfolgreich aufzubauen.
von Aron Amm, WASG-Pankow und SAV-Mitglied