Sieben Wochen nach dem Aufstand der StudentInnen, der in der ersten Maiwoche begann, sind weiterhin 415 der 456 griechischen Hochschulen besetzt.
von Andros Payiatsos, Xekinima (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland), Athen
Wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel fing die Massenbewegung der Studierenden an. Die Regierung hatte so etwas absolut nicht erwartet und war daher mehr als überrascht von dem Ausmaß der Proteste.
Doch viel wichtiger als dies, hat die neue Studi-Bewegung auch die Arbeiterbewegung aufgerüttelt und Solidaritätsstreiks hervorgerufen. Für letzten Donnerstag, den 22. Juni, hatte die Gewerkschaft der öffentlich Beschäftigten (ADEDY) zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen, um die Studierenden zu unterstützen. Sie forderte dazu auf, an diesem Tag an der stattfindenden Studi-Demo teilzunehmen. Ebenfalls für den 22. Juni organisierte die Gewerkschaft GSEE, in der Beschäftigte des privaten und öffentlichen Versorgungssektors organisiert sind, eine 3-stündige Arbeitsniederlegung in Solidarität mit den kämpfenden StudentInnen.
Der Funke, der überspringt
Anlass für die StudentInnen auf die Straße zu gehen war, dass die rechts-konservative und neoliberale Regierung der Partei Neue Demokratie (ND) ein Gesetz einführen wollte, dass die HochschülerInnen u.a. dazu zwingen sollte, für Lehrbücher zu zahlen (bisher gab es pro Fach ein Grundlagenwerk umsonst). Weitere Einschnitte bei der Bezuschussung des Mensaessens und die Zwangsexmatrikulation von sogenannten LangzeitstudentInnen, die länger als zwei Jahre über die jeweilige „Regelstudienzeit“ studieren, waren andere Eckpunkte des Vorhabens.
Die geplanten Maßnahmen bedeuten einen erneuten massiven Angriff besonders auf die Studierenden aus Arbeiter-Familien. In Griechenland erhalten StudentInnen keinerlei Unterstützung wie BAFöG und nicht einmal günstige Kredite. Die Familien müssen die vollen Kosten des Studiums im sogenannten kostenlosen höheren Bildungssektor (Uni oder Fachhochschule) tragen. Studentenwohnheime existieren faktisch nicht (wenn, dann sind sie in einem grauenhaften Zustand und zahlenmäßig nicht relevant), so dass Studis, die nicht am Ort ihres Elternhauses die Universität besuchen, private Unterkünfte anmieten müssen. Das führt dazu, dass ein hoher Anteil an StudentInnen gezwungen ist, neben dem Studium einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Dies macht es unmöglich, innerhalb der Regelstudienzeit einen Abschluss zu schaffen (auch zwei Jahre mehr reichen in vielen Fällen nicht aus).
Tiefere Ursachen
Dennoch gibt es auch tiefer liegende Ursachen für die starke Zunahme an Verärgerung. In den letzten 10, 15 Jahren ist das Bildungssystem durch ein Bildungs- und Studierenden-feindliches Gesetz nach dem anderen immer repressiver geworden.
In vergangener Zeit versuchten die StudentInnen noch Unterkünfte nach der Logik zu akzeptieren, dass, wer Entbehrungen hinnimmt, am Ende schon mit einem besseren Lebensstandard belohnt wird. Ein Ergebnis der heruntergewirtschaften Politik der linken griechischen Parteien KKE (kommunistische Partei) und Synaspismos (in Teilen vergleichbar mit der L.PDS).
Und schließlich mussten die Studierenden erkennen, dass sie sich auch nach dem Vordiplom und selbst mit dem Hochulabschluss in der Tasche nicht vor den Fängen des Kapitalismus retten konnten. Nach Beendigung des Studiums sehen sie sich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert und ihre Abschlussnoten sind dann nur noch wenig oder gar nichts mehr wert. Und selbst wenn sie einen Job finden, ist dieser meist befristet, wird nur mit dem Mindestlohn vergütet, verlangt einen 10-Stunden-Tag oder mehr ohne Zahlung von Überstunden bei 600,- bis 700,- € monatlich.
Wie so oft hat sich die herrschende Klasse aber wieder einmal verrechnet. Man dachte, dass die HochschülerInnen konservativ geworden sind und dies auch geblieben wären. Diese Fehleinschätzung ließ sie nun mit ihren Angriffen über die Stränge schlagen. Als die Besetzungsaktionen begannen, verbrachte die Studentenorganisation der ND, die über Jahre die Mehrheit in den studentischen Gremien gestellt hatte, noch ihre ausgedehnten Osterferien auf der Insel Mykonos…
ArbeiterInnen unterstützen die Studierenden
Der wichtigste Punkt in der Entwicklung der Auseinandersetzungen der letzten Wochen ist, dass einerseits Verbindungen zwischen Studi-Bewegung und Arbeiterorganisationen geknüpft werden und andererseits, dass sich die Regierung an zwei Fronten zurückziehen musste.
Von Anfang an ist Xekinima für die Unterstützung durch die Arbeiterbewegung eingetreten. In der Tat schlugen wir nicht nur ein festes Datum vor, um einen 24-stündigen Generalstreik vorzubereiten, sondern auch, dass GSEE und ADEDY diese Forderung übernehmen sollten. Unsere Vorschläge wurden zunächst von einigen AktivistInnen übernommen, dann von Teilen der besetzten Hochschulen in Resolutionen aufgenommen und schließlich vom Koordinations-Komitee in Athen aufgegriffen.
Am Ende kam es dann zu Streiks am 22. Juni 06, die, wie oben beschrieben, von beiden Gewerkschaftsverbänden getragen wurden – wenn auch suboptimal organisiert (komplett unorganisiert wäre eine treffendere Beschreibung).
Regierung auf dem Rückzug
Die bisherige Entwicklung bereitet der Regierung die Sorge, dass der Funke der Studi-Bewegung auf die Arbeiterbewegung überspringen könnte. Offen zugegeben wurde dies bereits von einer der bürgerlichsten Tageszeitungen des Landes.
Genau aus diesem Grund kündigte die Regierung Mitte Juni an, dass die Gesetzesnovelle nicht wie geplant vor der Sommerpause umgesetzt werden würde. Das war der erste Rückzieher. Dennoch wurden damit weder die Massenkundgebungen noch die weiter steigende Zahl der Besetzungen beendet. Daher machte man nur eine Woche später, am Mittwoch, den 21. Juni, weitere Zugeständnisse: Die Versorgung mit Lehrbüchern soll demnach unangetastet bleiben und die Bestimmungen zu Zwangsexmatrikulationen werden nicht so stringent wie ursprünglich angekündigt.
Auf dieser Grundlage lud die Regierung auch StudierendenvertreterInnen zu Gesprächen ein. Wie dem auch sei soll das Gesetz weiter durch das Parlament bugsiert werden. Eines der zentralen Angebote ist, dass an jeder Hochschule Verantwortliche eingesetzt werden, die sich dann speziell um die Finanzierung der Unis kümmern. Hierbei handelt es sich um einen weiteren Versuch der Regierung, Bildung unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu sehen: Das Ziel ist eine von mulinationalen Konzernen finanzierte Forschung und gesponsorte StudentInnen, die dem Markt genehm sind.
Doch die Studi-Bewegung reagierte ablehnend auf die Einladungen und machte klar, dass mensch an solch einer Debatte nicht interessiert ist und das Gesetz als Ganzes bekämpft.
Wendepunkt
Die bisherigen Rückzieher der Regierung sind wichtige Teilerfolge für die Studierenden, doch der Kampf ist noch längst nicht vorbei. Wenn diese Teilsiege korrekt genutzt werden, dann ist aber auch der große Erfolg in greifbarer Nähe. Von größter Bedeutung ist, dass die Bewegung Zeit gewinnt. Wenn diese Zeit allerdings nicht taktisch genutzt wird, schafft das wiederum Vorteile für die Gegenseite. Und in der Tat ist es das, was die Regierung vorhat.
Wir müssen die bevorstehenden Semesterferien im Auge behalten. Im Gegensatz zu anderen Stimmen in der Studi-Bewegung, hat Xekinima dagegen argumentiert, die Besetzungen über die zwei Monate dauernden Sommer-Semesterferien fortzusetzen. In dieser Zeit werden die meisten Studierenden zu ihren Eltern oder zum Arbeiten auf die Ferieninseln fahren, weil sie sich die Unterkünfte am Studienort ansonsten nicht leisten können. Außerdem werden die großen Städte sowieso menschenleer sein, weil das ganze Land sich in den Ferien befindet.
Gewonnene Zeit muss jetzt genutzt werden
Xekinima tritt dafür ein, einen gut durchdachten Plan für die Wiederaufnahme der Kämpfe im Herbst zu erstellen. Die Studierenden müssen gut vorbereitet zurück an die Unis kommen, sich sofort zu Vollversammlungen in den Aulen einfinden und die Hochschulen erneut besetzen.
Wenn Versuche unternommen werden sollten, die Besetzungen den ganzen Sommer hindurch fortzusetzen, würde dies zur Isolierung der Kämpfe führen und dazu, dass die Bewegung ausgelaugt wird und bis zum Herbst entscheidend an Kampfbereitschaft verliert.
Darüber hinaus muss die Möglichkeit gegeben werden, im September an den Prüfungen teilzunehmen, weil ansonsten ein Gutteil der Studierenden gegen eine Fortsetzung der Kämpfe stimmen könnte. Danach muss dann mit den Besetzungsaktionen fortgefahren werden.
Politische Gegenoffensive von Nöten
Von entscheidender Wichtigkeit ist ebenfalls, dass die Zeit bis dahin genutzt wird, um sich politisch für die nächste Runde vorzubereiten. D.h. dass die Bewegung sich Punkt um Punkt mit der Gesetzesvorlage der Regierung auseinandersetzen und der griechischen Arbeiterbewegung wie der ganzen Gesellschaft erklären muss, wo und weshalb mensch nicht einverstanden mit der Regierungsvorlage ist. Der Grund dafür ist, dass seitdem die Regierung den Studierenden Angebote unterbreitet, Verwirrung entstanden ist. So wird die bürgerliche Presse nicht müde, die Situation so darzustellen, dass „die Regierung den Studenten den Dialog anbietet, diese das ablehnen und statt dessen die Hochschulen besetzen – folglich sind sie faul“.
Gleichzeitig muss die Studi-Bewegung ihre Vorschläge darüber erklären, warum die Gesellschaft ein anderes Bildungssystem braucht. ArbeiterInnen und ihre Familien müssen dazu eingeladen werden, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen und es muss einen Appell an die Arbeiterbewegung geben, diese Vorschläge zu unterstützen.
Xekinima beabsichtigt die Novelle des Bildungsgesetzes aufzugreifen, daran zu verdeutlichen, wo die Reise hingehen soll und gleichzeitig konkrete Vorschläge zur Verbesserung statt Verschlechterung der Lage für Studierende und ArbeiterInnen (ihre Eltern, die enorme Kosten für die Ausbildung ihrer Kinder auf sich nehmen) zu machen. Wir haben vor, die Einzelheiten in öffentlichen Studi-Versammlungen und auf den Treffen der Koordinations-Komitees vorzutragen. Auf diese Weise soll ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Bewegung geleistet werden.
Gemeinsame Bildungs-Front
Wir gehen davon aus, dass es auf Basis dieser konkreten Vorschläge möglich sein wird, die Kämpfe im September wieder aufzunehmen und dann sogar die SchülerInnen und LehrerInnen mit einzubinden.
Es handelt sich hierbei nicht um abstrakte Ideen, weil das Bildungssystem als Ganzes angegriffen wird und SchülerInnen wie LehrerInnen auch schon angedeutet haben, die Studi-Bewegung aktiv zu unterstützen. LehrerInnen der Grund- und weiterführenden Schulen reden bereits jetzt offen über die Aufnahme von Streiks , sobald das neue Schuljahr im September beginnt.
Es ist möglich, dass kommenden Herbst eine wahre Bildungs-Bewegung entsteht. Und falls das erreicht wird, dann würde das eine sehr wichtige Entwicklung ausdrücken, die zweifellos die Führung der Gewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY dazu bringen, den Generalstreik auszurufen. In dem Fall wäre der Gesamtsieg in greifbarer Nähe. Xekinima wird schwer für diese Möglichkeit arbeiten, weil uns klar ist, dass sich so etwas nicht von selbst entwickelt, sondern ernsthafter Vorbereitung bedarf. Würde die Bewegung wie beschrieben fortschreiten, dann wäre das ein echter Durchbruch für die Jugendlichen und die ArbeiterInnen in Griechenland.