Raus aus der Defensive!
Die Unternehmer haben ein Problem. Gewinnrekorde und von den Medien geschürte Aufschwungseuphorie haben unter den Beschäftigten das Gefühl wachsen lassen: Jetzt reicht’s mit Lohnverzicht – wir brauchen deutlich mehr Geld.
Auf Grundlage dieser Stimmung bietet sich IG Metall und ver.di die Möglichkeit, in den anlaufenden Tarifkonflikten endlich wieder aus der Defensive zu kommen.
von Daniel Behruzi, Berlin
Die bedeutendste Tarifauseinandersetzung ist die in der Metall- und Elektroindustrie. Was hier erkämpft wird, ist traditionell ein Orientierungspunkt für andere Branchen.
Vorstand und bezirkliche Tarifkommissionen haben die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt aufgestellt. Das ist reichlich bescheiden. Schon der so genannte verteilungsneutrale Spielraum (Steigerung von Preisen und Produktivität) liegt bei diesem Wert. Wenn damit begonnen werden soll, die jahrelange Umverteilung zugunsten des Kapitals umzukehren, müsste die Lohnerhöhung stärker ausfallen. Die 6,5 Prozent sind also schon ein Kompromiss – deshalb gilt es, sie wenigstens voll durchzusetzen. Dabei geht es nicht nur darum, ein „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. Endlich mehr Geld in der Tasche zu haben, ist bittere Notwendigkeit. Wie sollen Preissteigerungen, Mehrwertsteuererhöhung und wachsende Sozialabgaben sonst ausgeglichen werden?
Die Unternehmer würden uns gerne mit hohen Einmalzahlungen – am liebsten noch gewinnabhängig – abspeisen, während die tabellenwirksamen (also dauerhaften) Lohnerhöhungen gering ausfallen. Das darf die IG Metall auf keinen Fall mitmachen!
IG BCE kein Vorbild
Der kürzlich für die Chemieindustrie getroffene Tarifvertrag ist hier ganz und gar kein Vorbild. Aufs Jahr gerechnet liegt die tatsächliche Lohnerhöhung bei unter 3,1 Prozent. Die Einmalzahlung von 0,7 Prozent ist nicht dauerhaft wirksam und kann sogar auf Betriebsebene – von Unternehmern und Betriebsräten, ohne Gewerkschaft – „aus wirtschaftlichen Gründen“ gestrichen werden. So wird die Tarifpolitik weiter an die Betriebsräte delegiert, die viel leichter erpressbar sind und denen das Kampfmittel Streik nicht zur Verfügung steht. Auch die Erfahrungen der IG Metall mit der in der vergangenen Tarifrunde vereinbarten Möglichkeit, von der Einmalzahlung über 310 Euro nach oben oder unten abzuweichen, sind nicht berauschend. Zwar haben sich nur wenige Unternehmen (laut IGM sechs bis neun Prozent) getraut, diese zu kürzen. Mehr gezahlt haben aber ebenfalls wenige (elf bis 14 Prozent). Und diese dürften dafür die sonst womöglich höheren übertariflichen Leistungen verwendet haben. Unterm Strich kommt also für die gut organisierten Belegschaften nichts raus – und die anderen werden abgehängt.
Die Auftragsbücher sind voll, ein Großteil der Unternehmen fährt enorme Profite ein. Vor diesem Hintergrund will die Kapitalseite einen ernsthaften Arbeitskampf möglichst vermeiden. Die IG Metall wird deshalb am meisten rausholen, wenn sie von Beginn an Druck macht. Statt lange hinter den Kulissen zu verhandeln, sollte die Diskussion in den Betrieben forciert und jetzt damit begonnen werden, Warnstreiks und – falls die Unternehmer blockieren – einen Erzwingungsstreik vorzubereiten.
Gemeinsam sind wir stark
Ein Erfolg der IG Metall würde allen Gewerkschaften helfen. Und umgekehrt werden die Metaller gestärkt, wenn sie gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Druckindustrie und des Einzelhandels auf die Straße gehen. Letztere sehen sich mit der unverschämten Forderung nach Streichung der Spät-, Nacht und Wochenendzuschläge konfrontiert und brauchen jede Unterstützung. Gleiches gilt für die von Arbeitsplatzvernichtung betroffenen Belegschaften der Telekom, bei Airbus und in einer Vielzahl anderer Unternehmen. Eine Verbindung dieser Auseinandersetzungen – die über auf Papier gedruckte Resolutionen hinausgeht – käme allen zugute.
Für die IG Metall bietet die Tarifrunde zudem die Chance, den Versuch der Unternehmen abzuwehren, das Entgeltrahmenabkommen (ERA) zu massiven Lohnkürzungen zu missbrauchen. Im Rahmen der Tarifbewegung kann die dringend notwendige Neuverhandlung der „Tarifreform“ durchgesetzt werden, um jegliche Verschlechterungen im Entlohnungssystem – auch für Neueingestellte – zu verhindern.