Streik im Einzelhandel: »Muss richtig weh tun«

Ver.di weitet Arbeitsniederlegungen im Einzelhandel aus. Unternehmer bestehen auf Kürzung der Zuschläge für Spät- und Wochenendarbeit. Heute Aktionen in Berlin


 

von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 17.10.07

Im laufenden Tarifkonflikt des Einzelhandels erhöht die Gewerkschaft ver.di den Druck. In Berlin und Brandenburg sind heute mehrere hundert Beschäftigte bei REWE, Penny, Reichelt, Extra und Kaiser"s zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Die Gewerkschaft will damit erreichen, daß die Unternehmer von ihrer Forderung nach Streichung bzw. Kürzung der Zuschläge abrücken und ein verhandlungsfähiges Lohnangebot vorlegen.

Ver.di erwartet, daß rund 800 Verkäuferinnen und Verkäufer aus den rund 260 Berliner Lebensmittelfilialen der genannten Unternehmen an der Protestaktion teilnehmen. Ab acht Uhr wollen die Gewerkschafter im Innenhof der ver.di-Bundesverwaltung zusammenkommen und um elf Uhr in einem Demonstrationszug zum Alexanderplatz ziehen. Zum Abschluß wird vor dem dortigen Kaufhof ab zwölf Uhr eine Abschlußkundgebung stattfinden.

Obwohl viele Aktive in Urlaub seien, hoffe man auf rege Beteiligung, so ver.di-Verhandlungsführerin Erika Ritter am Dienstag gegenüber junge Welt. Alle Gewerkschaftsmitglieder seien persönlich angeschrieben worden. »Die Unternehmer werden sicher wieder versuchen, den Betrieb mit Aushilfen und Fremdkräften aufrecht zu erhalten. Wegen der größeren Dimension des Ausstands gehe ich aber davon aus, daß sich der Streik trotz der langfristigen Ankündigung bemerkbar machen wird«, sagte Ritter. REWE sei auch deshalb Ziel des Ausstands, weil das Unternehmen den Verhandlungsführer der Gegenseite stelle. In den kommenden Tagen würden die Aktionen in anderen Teilen des Berliner Einzelhandels fortgesetzt, kündigte die ver.di-Landesfachbereichsleiterin an.

Hintergrund der Verschärfung des Konflikts ist die Haltung der Unternehmerverbände, die als Vorbedingung für weitere Verhandlungen die Streichung der Zuschläge für belastende Arbeitszeiten Abends und an Samstagen sowie die Kürzung der Nachtzuschläge verlangen. »Es kann nicht sein, daß die Beschäftigten zu immer ungünstigeren Zeiten zur Arbeit eingeteilt werden und dafür durch die Streichung der Zuschläge doppelt bestraft werden«, betonte Ritter.

Während die Verhandlungen in Berlin und Brandenburg nach zwei Runden im Juni und Juli festgefahren sind, hatten die Unternehmer im voraussichtlichen Pilotbezirk Nordrhein-Westfalen Anfang September ein »Angebot« vorgelegt. Dieses hätte für die Beschäftigten durch die Reduzierung von Zuschlägen allerdings Lohnverluste von bis zu 180 Euro im Monat bedeutet. Ver.di unterbrach die Gespräche daraufhin und bereitete größere Arbeitsniederlegungen vor. »Ver.di ist jederzeit zu Verhandlungen bereit, aber nur, wenn die Arbeitgeber ihre Vorbedingung einer Streichung oder Kürzung der Zuschläge aufgeben«, erklärte Ritter. Bis jetzt gebe es auf seiten der Einzelhandelsunternehmer keinerlei sichtbare Bewegung. »Sie setzen voll auf Blockade – offenbar müssen wir ihnen erst richtig weh tun«, so die Gewerkschafterin.

Dafür will ver.di auch in anderen Bundesländern sorgen. So sprachen sich die Gewerkschaftsmitglieder in über 50 Stuttgarter Einzelhandelsbetrieben kürzlich mit 96,7 Prozent für Arbeitskampfmaßnahmen aus. Selbst unter den gewerkschaftlich nicht organisierten Beschäftigten votierten mehr als 90 Prozent für Streiks. »Die Arbeitgeber müssen mit einer Streikwelle in bisher nicht dagewesenem Umfang rechnen«, kündigte Bernd Riexinger, ver.di-Geschäftsführer im Bezirk Stuttgart-Ludwigsburg, in einer Pressemitteilung an.