Schluss mit der Kriminalisierung von Linken
Der „Heiße Herbst“ der RAF beschert uns mehr als nur Medienrummel. Linke sind immer wieder Repressionen ausgesetzt, die mit Mitteln aus der RAF-Zeit umgesetzt werden.
von Bianca Suttner, Kassel
Als „Lex RAF“ wurde 1976 der § 129 verschärft. Der Abschnitt A wurde eingeführt, der die „Bildung terroristischer Vereinigungen“ unter Strafe stellt.
Aktuell wird mit Hilfe des § 129a gegen Linke ermittelt. Razzien vor dem G8-Gipfel wurden damit begründet.
Mit dem gleichen Paragrafen wird aktuell sieben Personen vorgeworfen, der militanten gruppe anzugehören. Drei Männer wurden verhaftet, als sie versuchten, einen Bundeswehr-LKW anzuzünden. Das wäre wohl eine Straftat – angeklagt werden sie aber wegen der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“. Deshalb sitzen sie seit dem Sommer in Untersuchungshaft.
Weil die Anklage wenig in der Hand hat, konstruiert sie wilde Verbindungen: Dem Berliner Andrej H. wird vorgeworfen, mit seinen wissenschaftlichen Schriften geistiger Verursacher von Anschlägen zu sein. Die Polizei hatte über Google Übereinstimmungen zwischen Bekennerschreiben und seinen Texten gefunden. Nämlich neun auffallende Wörter, darunter „Prekarisierung“, „drakonisch“ und „marxistisch-leninistisch“. Auch er wurde verhaftet. Dank massiver Proteste wurde seine Haft aufgehoben, die Ermittlungen und Anklagen gehen aber gegen alle weiter.
Schnüffelparagraf
Dieser aktuelle Fall macht deutlich: Mit fadenscheinigen Begründungen werden Verhaftungen durchgeführt. Mit der Keule angeblicher „Terrorismus“-Bekämpfung werden weitgehende Überwachungen, Durchsuchungen und das massenhafte Speichern von Daten ermöglicht. Rechststaatliche Standards werden ausgehebelt (zum Beispiel durch isolierte Einzelhaft und eingeschränkten Kontakt zum Anwalt).
Dabei kommt es in weniger als fünf Prozent der Ermittlungsverfahren mit dem § 129a zu Verurteilungen. Das unterstreicht, dass der Paragraf vor allem dem Ausforschen dient.
Gesinnungsparagraf
Dass Personen wie Andrej verhaftet werden ist kein Ausrutscher, sondern eine grundlegende Eigenschaft des § 129a: Bestraft wird nicht nur das Begehen einer Straftat, sondern bereits das „Unterstützen“ und „Werben“ für eine (angebliche) „terroristische Vereinigung“.
Der § 129a ermöglicht so, Personen nicht für ihre Taten, sondern für ihre Gesinnung zu verurteilen.
Seit Monaten diskutiert die Regierung, den Paragrafen weiter zu verschärfen. Die Anwendung des Paragrafen soll auch für Einzeltäter möglich werden. Damit mutiert der Paragraf endgültig zum Gesinnungsparagrafen.
Die aktuellen Fälle machen mal wieder deutlich, dass der § 129a in der Praxis vor allem gegen linke AktivistInnen eingesetzt wird. So kommen auf 98 Verfahren gegen Linke etwa zwei gegen Rechte.
Auch vor der Einführung des Terrorismus-Paragrafen war die staatliche Verfolgung von Linken gang und gäbe. Vor 1976 wurde der ältere § 129 (zu „kriminellen Vereinigungen“) zur Verfolgung von KommunistInnen benutzt, vor allem nach dem KPD-Verbot. Eine politische Partei wurde also zur „kriminellen Vereinigung“ umdefiniert. Deshalb muss nicht nur der Abschnitt A weg, sondern der ganze § 129.