Rezension zu Alan Greespan: Vom Schlemmern, Golfen und Orakeln

Über Alan Greenspans Autobiografie „Mein Leben für die Wirtschaft“


 

Alan Grenspan war Unternehmens- und Regierungsberater, saß in 18 Aufsichtsräten von Konzernen und stand von 1987 bis 2006 der US-Notenbank vor. 1926 geboren, bewegt sich Greenspan seit über vierzig Jahren in den herrschenden Kreisen der Vereinigten Staaten. In seinen Memoiren schildert er sein Arbeitsleben als permanentes Dinnieren mit den Reichsten und Mächtigsten in den exquisitesten Etablisments der Ostküste. Wenn er sich mit den CEOs, Präsidenten und Medienmoguls nicht in Fünf-Sterne-Restaurants traf, dann sinnierte er mit ihnen auf dem Golfplatz über Steuergesetze, Handelspolitik und Arbeitsmarkt-Flexibilisierung. Im Übrigen sieht Greenspan ein untrügliches Zeichen dafür, dass China auf dem Weg der kapitalistischen Restauration inzwischen weit voran geschritten ist, gerade in der Veranstaltung hochkarätiger Golfturniere „in Shanghai mit Preisgeldern von mehreren Millionen Dollar. Überall in China schossen Golfplätze wie Pilze aus dem Boden“.

von Aron Amm, Berlin

Kaum war Alan Greenspan 1987 als Vorsitzender der Federal Reserve Bank, der US-Notenbank, ins Amt eingeführt worden, erlebte er noch im Oktober des gleichen Jahres den Schwarzen Montag. An jenem Tag wurden 22,5 Prozent der Börsenwerte an der Wall Street ausgelöscht. Unter den oberen Zehntausend der USA gern als „Magier“ bezeichnet, sieht Greenspan das Tun eines Zentralbank-Chefs nüchterner. Viele Handlungsmöglichkeiten stehen ihm seiner Ansicht nach nicht offen. Greenspan beschreibt in seinem Buch, wie er in dieser und anderen Krisensituationen vor allem die wöchentlichen Arbeitsmarktdaten verfolgte und abwägte, ob er Liquiditätsspritzen ermöglichen beziehungsweise an der Zinsschraube drehen sollte oder nicht. Greenspan verweist in seinem Buch auf die Börsensprünge zehn Jahre später. Damals wollte er mittels Zinserhöhungen eine Überhitzung der Wirtschaft vereiteln. Das ging seinerzeit in die Hose. Wie begrenzt die Mittel des Zentralbank-Chefs sind, gesteht er im Kontext von 1997 selber ein: „Niemand weiß, wann ein Markt überbewertet ist, und niemand kann etwas gegen die Kräfte des Marktes ausrichten.“

Angefangen hatte Greenspan als Wirtschaftsforscher. Auch das in seinen Augen ein schwieriges Unterfangen. Er schreibt, dass er – weil er die Überkapazitäten in der Stahlbranche feststellte – die Wirtschaftsflaute 1958 richtig prognostizieren konnte. Um flugs einzugestehen, dass ihm dies kein zweites Mal gelingen wollte. Und nicht nur ihm. „Eine Rezession ist schwer vorherzusagen, da sie zum Teil von irrationalen Verhaltensweisen angetrieben wird.“ Will man eine Vorhersage über den Verlauf von Aktienpreisen treffen, so Greenspan, hilft zwar das Studium ihrer Vergangenheit – allerdings auch „nicht mehr als ein Münzwurf“. Das Ausmaß einer Rezession lässt sich ebenfalls kaum voraussagen. „Rezessionen sind wie Hurrikane, sie können einen normalen Verlauf nehmen oder katastrophale Schäden anrichten.“ Zuzustimmen ist Greenspan, wenn er darauf abhebt, dass Prognosen heute noch komplizierter geworden sind, da „komplexe derivative Finanzinstrumente“ entstanden sind, „die das Risiko auf jede nur erdenkliche Weise auf Produkte, Orte und Zeit verteilen können“.

Alan Greenspans Buch umfasst zwei Teile. Die erste Hälfte handelt davon, wie der Neoliberalismus in den siebziger Jahren den Keynesianismus als dominierende bürgerliche Wirtschaftspolitik ablöste. Daran war Alan Greenspan als Berater der US-Präsidenten Richard Noxon und Gerald Ford sowie von 1987 an als Notenbank-Chef maßgeblich beteiligt. Die zweite Hälfte der 550 Seiten widmet Greenspan seiner Sicht der wirtschaftlichen Entwicklungen in den verschiedenen Regionen auf dem Globus und die für ihn als Erzkonservativen in den kommenden Jahrzehnten anstehenden ökonomischen und politischen Entscheidungen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer jubelte das Wall Street Journal: „Wir haben gewonnen.“ In diesem Geist ist auch „Mein Leben für die Wirtschaft“ verfasst. Schon in der Einleitung heißt es: „Wenn die Geschichte des letzten Vierteljahrhunderts einen roten Faden hat, dann ist es die Wiederentdeckung der Marktwirtschaft. Nachdem sie sich infolge der Krise der dreißiger und des Erstarkens der Intervention bis Ende der sechziger Jahre auf dem Rückzug befand, entwickelte sich die Marktwirtschaft in den siebziger Jahren allmählich wieder zu einer ernst zu nehmenden Kraft und hat heute mehr oder weniger die gesamte Welt erfasst.“ Allerdings sorgt sich Greenspan um Krisenpotenziale in der kapitalistischen Weltwirtschaft, darunter der Renaissance einer kräftigen Inflation, einer sich, so Greenspan, möglicherweise akut anbahnenden US-Rezession und protektionistischen Tendenzen.

Die Welt des Alan Greenspan

Mit dem Scheitern der Sowjetunion und der Ostblock-Staaten hat sich für Alan Greenspan die Überlegenheit der „freien Marktwirtschaft“ ein für alle Mal bewiesen. Man hätte sich, so Greenspan, „kein besseres Laborexperiment ausdenken können als Ost- und Westdeutschland. Beide Länder hatten dieselbe Ausgangsposition“. Mitnichten! Im Osten Deutschlands waren vor dem Zweiten Weltkrieg nur 1,3 Prozent des Roheisens, zwei Prozent der Steinkohle und sieben Prozent des Stahls produziert worden. Ökonomisch hatte die DDR weitaus schlechtere Startbedingungen als die kapitalistische Bundesrepublik. Ihre wirtschaftliche Entwicklung zeigte – aufgrund der bürokratischen Fesseln lediglich in Ansätzen – das Potenzial einer geplanten Wirtschaft.

Nur auf der Basis von Staateigentum, Planung und staatlichem Außenhandelsmonopol war es Russland möglich gewesen, von einem der rückständigsten Länder auf dem Planeten zu einer führenden Industrienation aufzusteigen. Die gleichen Ursachen verhalfen China dazu, Indien, das – in diesem Fall wirklich – ganz ähnliche Voraussetzungen hatte, nach 1945 hinter sich zu lassen. Aber in all diesen Fällen handelte es sich nicht, wie Greenspan behauptet, um sozialistische, sondern um stalinistische Staaten. Den bürokratischen Apparaten war es möglich, Schwerindustrien aufzubauen. Aber ohne Arbeiterdemokratie mussten sie bei dem Versuch scheitern, technologisch hoch entwickelte Volkswirtschaften weiterzubringen. Die Bürokratie wurde, in der DDR und den anderen Ostblock-Ländern Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, von einer relativen zu einer absoluten Fessel für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte.

Greenspan schwört auf Adam Smith, den bürgerlichen Ökonomen des 18. Jahrhunderts, und seinen Ideen von Gewinnmaximierung, Freihandel und der „unsichtbaren Hand des Marktes“. Inspiriert sieht sich Greenspan auch von dem Wirtschaftwissenschaftler Joseph Schumpeter, der 1942 zum ersten Mal den technologischen Wandel als „kreative Zerstörung“ beschrieb. Für Greenspan sind seitdem Massenentlassungen von Bergarbeitern oder Stahlkochern und der Verfall von ganzen Regionen und Arbeiterstadtteilen nichts weiter als Prozesse der „kreativen Zerstörung“.

Milton Friedman bezeichnet Greenspan als einen Mann, der sich so gut wie nie geirrt haben soll. Friedman gehörte in den siebziger Jahren zu den Architekten des Neoliberalismus, die soziale Rechte fast vollständig beseitigen wollten. International war Lateinamerika für die Neoliberalen, auch Monetaristen genannt, das erste Experimentierfeld. Angefangen mit Chile nach dem Sturz der Regierung des Sozialisten Salvador Allende 1973 durch den Pinochet-Putsch.

Viel Lob hat Greenspan für den US-Präsidenten Ronald Reagan, den er in Wirtschaftsfragen beriet, und für die britische Premierministerin Margaret Thatcher übrig. Reagan und Thatcher waren diejenigen, die in den achtziger Jahren an der Spitze der neoliberalen Offensive standen. In beiden Fällen legten sie es bewusst darauf an, die Arbeiterklasse entscheidend zu schwächen, um ihre Programme von Privatisierung, Deregulierung, Sozialkahlschlag und Steuergeschenken für Unternehmer durchzusetzen. Reagan attackierte die Fluglotsen, die sich 1981 in den USA im Streik befanden. Margaret Thatcher nahm die Bergarbeiter ins Visier. „Nach der Wahl im Jahr 1979 packte sie die Probleme der britischen Wirtschaft bei den Hörnern. Die Entscheidungsschlacht war der Bergarbeiterstreik, der im März 1984 begann“.

In der Welt des Alan Greenspan sind demokratische Rechte höchstens als „Sicherheitsventil“ erwägenswert, um sozialen Explosionen (die er gegenwärtig vor allem in China befürchtet) vorzubeugen. Er schimpft über den „Populismus“ von Hugo Chavez und anderen in Lateinamerika. Sozialausgaben betrachtet er in aller Regel als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung. Die immer weiter auseinander klaffende Schwere zwischen Arm und Reich betrachtet er lediglich als Nebenerscheinung beim Vormarsch des Kapitalismus (unter anderem nennt er die Zahl, dass in den größten US-Konzernen die CEO-Gehälter zwischen 1993 und 2006 um jährlich zehn Prozent stiegen, die Gehälter von Fabrikarbeitern nur um 3,1 Prozent pro Jahr). Greenspan schreibt ganz offen, dass aus seiner Sicht der Irak-Krieg als Krieg für Öl eine Notwendigkeit war. „Es ist bedauerlich, dass man aus politischen Gründen besser nicht aussprechen sollte, was jeder weiß: Im Irak-Krieg geht es im Wesentlichen um das Öl der Region.“

Alan Greenspan und mit ihm sicherlich große Teile der Herrschenden verkennen die nach wie vor potenziell vorhandene Kraft der Arbeiterklasse; trotz aller Rückschläge und Niederlagen in den letzten zwanzig Jahren. In seinem Buch nehmen die jüngsten inflationären Tendenzen viel Raum ein, ebenso die Agenda 2010 und die aktuellen Kürzungs- und Umverteilungspläne europäischer Regierungen. Die Zunahme an Protesten, gerade aufgrund dieser Fragen, in Europa im zweiten Halbjahr 2007 – nach Drucklegung des Buches! – geben eine kleine Ahnung von der Kampfbereitschaft der arbeitenden Bevölkerung. Nicht nur in Deutschland ist angesichts von stagnierenden Reallöhnen und steigenden Preisen viel Druck im Kessel, in Brüssel kam es am 15. Dezember zu einer Demonstration von offiziell 20.000 TeilnehmerInnen für mehr Kaufkraft. In Griechenland fand vor Weihnachten ein eindrucksvoll befolgter Generalstreik gegen Rentenkürzungen nach dem „deutschen Modell“ statt. Und in Frankreich hat die Arbeiterklasse die, von Alan Greenspan in seinem Buch ausgefeierte, Kampfansage Nicolas Sarkozys" angenommen.

Einer der Macher des Neoliberalismus

„Die Deregulierung war vielleicht die größte Leistung der Ford-Regierung“. Gerald Ford beerbte Richard Nixon Mitte der siebziger Jahre als US-Präsident. Alan Greenspan war einer von Fords Wirtschaftsberatern. Der Neoliberalismus beziehungsweise „die Deregulierung war der Auftakt zu einer massiven Welle kreativer Zerstörung in den achtziger Jahren“. Parallel dazu beschloss Paul Volcker, damaliger US-Notenbank-Chef Ende der siebziger Jahre die für Greenspan „vermutlich wichtigste wirtschaftspolitische Wende der vergangenen fünfzig Jahre“, nämlich „den Drachen Inflation zu töten“, indem die Geldmenge reduziert wurde.

Der Neoliberalismus löste den Keynesianismus der fünfziger und sechziger Jahre als führende bürgerliche Wirtschaftsdoktrin ab. Hintergrund war das Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwungs mit der internationalen Rezession 1974. In seinem Buch streift Greenspan mehrfach die Frage, was die Faktoren für den Boom und was die Gründe für das Ende dieser Ära waren. Entscheidende Ursachen für den Aufschwung waren aus Sicht von Greenspan der Abbau der Zollbarrieren, Handelsliberalisierungen und die verstärkte internationale Arbeitsteilung. Abgewürgt wurde der Aufschwung laut Greenspan schließlich durch den Ausbau des „Sozialstaates“. Neben Zahlen für Westeuropa gibt Greenspan an, dass die Staatsquote in den USA von 3,4 Prozent 1947 auf 8,1 Prozent im Jahr 1975 anstieg.

Seine Bewertung des Nachkriegsaufschwungs greift jedoch zu kurz. Politisch war dieser das Nebenprodukt einer weit verbreiteten antikapitalistischen Stimmung (in Osteuropa und China wurde der Kapitalismus gestürzt, in der Kolonialen Welt tobten Aufstände, in Westeuropa hatten sozialistische Ideen Massenanhang). Wirtschaftlich war der Nachkriegsaufschwung ein großer internationaler Zyklus auf Basis der Vernichtungsorgie des Zweiten Weltkrieges. Die US-Kapitalisten konnten dank ihres Vorsprungs in Technologie und Produktivität hohe Renditen einstreichen. In Westeuropa und Japan konnte die Produktion angesichts der vorhandenen Industrieanlagen (vom Krieg zerstört waren vor allem Transportwesen und Wohnungsbestände) für die Bürgerlichen bei Hungerlöhnen mit einem relativ geringen Kapitalvorschuss wieder profitabel in Gang gesetzt werden. Je mehr sich die „Technologie-Lücke“ zwischen den USA und ihrer Konkurrenten schloss, um so geringer wurden die Extra-Profite des US-Kapitals. In Japan und Westeuropa ließen sich für die Unternehmer niedrige Löhne und extrem lange Arbeitszeiten nicht mehr aufrecht erhalten. Mit ihrer „Aufholjagd“ stieg die Kapitalintensität pro Arbeitskraft, die Profitraten sanken. Die Profitbedingungen verschlechterten sich also für die USA und für ihre Konkurrenten, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. (Karl Marx" Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate fand Bestätigung.) Damit war das Ende des Nachkriegsbooms und die erste internationale Rezession 1974 eingeleitet. „Im Jahr 1974 war erstmals die Rede von der „zweistelligen Inflation“, als die Rate auf schockierende elf Prozent stieg. Die Arbeitslosenquote lag nach wie vor bei 5,6 Prozent, der Aktienmarkt befand sich auf Talfahrt, die Wirtschaft stand vor der schlimmsten Rezession seit den dreißiger Jahren und der Watergate-Skandal lag wie ein Leichentuch über dem Land.“

In den meisten führenden kapitalistischen Staaten wurde bis in die siebziger Jahre hinein eine Politik verfolgt, die auf den Ideen des bürgerlichen Ökonomen John Maynard Keynes beruhte: staatliche Interventionen (Subventionen von Unternehmen und Branchen), öffentliche Investitionsprogramme und – allerdings nur auf massiven Druck von unten – erhöhte Sozialausgaben. Zudem galten feste Wechselkurse im Rahmen des Bretton-Woods-Abkommen (was sich auf die Dominanz der US-Wirtschaft und des Dollar stützte). 1965 titelte das Time-Magazin: „Jetzt sind wir alle Keynesianer.“

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Abschwächung und einer galoppierenden Inflation beerdigte man Anfang der siebziger Jahre das Bretton-Woods-System. Die Wechselkurse wurden freigegeben. Gleichzeitig kam es zu einer Liberalisierung des Welthandels. In der Folge wendeten sich immer mehr bürgerliche Politiker vom Keynesianismus ab. Die Kapitaleigner versuchten, ihre Profitkrise auf Kosten der Arbeiterklasse zu überwinden. Sie setzten auf Privatisierung, Deregulierung, Lohnsenkungen und Einschnitten in das „soziale Netz“. Sie setzten auf Liberalismus, Neo-Liberalismus. Das war keine, an einem Tag getroffene kollektive Entscheidung der Bürgerlichen, sondern eine Position, die sich nach und nach immer stärker durchsetzte. Und Alan Greenspan hatte regen Anteil daran.

Diese Politik führte zu einer erneuten Steigerung der Profite. Von 1994 bis 2003 stieg der Umsatz der 500 größten Konzerne um 45 Prozent, die Profite verdreifachten sich laut US-Wirtschaftsblatt Fortune sogar. Damit ist die Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate keineswegs widerlegt. Denn auch bei diesen Unternehmen sank die Profitrate in den achtziger Jahren und in der Rezession zu Beginn der Neunziger; nach einem kurzen Anstieg Mitte der neunziger Jahre trat ab 1997 wiederum ein scharfer Rückgang ein. (Zwischen 1950 und Mitte der Siebziger war die Profitrate in den USA von 22 auf etwa zwölf Prozent gefallen; seitdem hat sie nur ungefähr ein Drittel ihres vorangegegangen Verlustes wettgemacht, und das obgleich die Reallöhne um etwa zehn Prozent zurück gingen.)

Der Neoliberalismus führte nicht nur zu massenhafter Verarmung, sondern auch zu einem Abbau und einer Vernachlässigung von Industrien, anhaltenden Schuldenproblemen und zu spekulativen Blasen.

Die Agenda eines Montetaristen

In der US-amerikanischen Originalausgabe lautet der Buchtitel „The Age of Turbulence“. Obgleich Alan Greenspan einige Gefahren für die Weltwirtschaft ausmacht, erwartet er doch, dass sich die Wogen bald schon wieder glätten werden. Er geht davon aus, dass sich der Kapitalismus global behaupten wird und wirft im zweiten Teil seines Buches die Frage auf, welche Politik eingeschlagen werden sollte, um 2030 in den USA und weltweit gut da zu stehen. Als Schüler des Monetaristen Milton Friedmans sind Greenspans Vorschläge nicht all zu überraschend.

Um den „demografischen Wandel“ zu meistern, soll die Lebensarbeitszeit verlängert, die Rentenleistungen gekürzt und die Rentenversicherung (teil-)privatisiert werden.

Die Sozialsysteme sollen weiter zerschlagen werden. Viel erhoffte sich Greenspan von dem Programm „Europa 2010“, das auf dem EU-Gipfel in Lissabon beschlossen worden war, und nach US-Vorbild Privatisierungen und Deregulierungen forcieren sollte. „Aus 2010 wurde 201X, und seitdem liegt das Programm auf Eis“, äußert sich ein enttäuschter Greenspan (und erkennt einmal mehr nicht, dass es der Druck der Arbeiterbewegung ist, der den europäischen Regierungschefs das Leben schwer macht).

Im Bildungswesen plädiert Greenspan für mehr Wettbewerb, Eliteförderung und eine noch stärkere Einmischung von Privaten. „Die „Unternehmens-Universität“ ist eine neue Errungenschaft“, frohlockt er. „General Motors verfügt über ein ausgedehntes „Universitäts“-System mit 16 fachspezifischen Colleges. McDonald"s bildet mehr als 5.000 Mitarbeiter jährlich in einer Einrichtung mit dem treffenden Namen Hamburger University aus.“ Greenspan macht sich aber Sorgen über das „marode Schulsystem“. Seine Warnungen erinnern an die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Deutschland (INSM). Wie die INSM sieht er Nachteile für die Kapitaleigner, wenn die Schulausbildung der großen Mehrheit weiter unter die Räder kommen sollte. Gleichzeitig fürchtet er die gesamtgesellschaftlichen Folgen beziehungsweise Kosten von Armut, Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit – schließlich dreht sich bei Greenspan alles um Kosten-Faktoren. Hier haben es die Herrschenden mit einem Dilemma zu tun. Auf der einen Seite erkennen sie die Notwendigkeit, die breite Masse im Schulwesen nicht völlig vernachlässigen zu dürfen. Auf der anderen Seite fehlt es ihren Politikern – als Folge der neoliberalen Ära – an den finanziellen Mitteln, um gegensteuern zu können.

Krisenwolken an Greenspans Wirtschaftshimmel

Ausgiebig schildert Alan Greenspan in „Mein Leben für die Wirtschaft“ die Südostasien-Krise 1997, sowie die Einstellung der Kreditzahlung seitens Russlands und die Pleite von Long Term Capital Management 1998 (als „die Topmanager der 16 wichtigsten Banken und Investmentfirmen der Welt in einem Raum“ zusammenkamen und eine Finanzspritze von 3,5 Milliarden Dollar locker machten). „Die Bedrohung einer weltweiten Rezession erschien mir immer realer. Und ich war überzeugt, dass die Notenbank nicht in der Lage war, mit dieser Frage allein umzugehen. Die finanziellen Gefahren hatten globale Dimensionen erreicht, also musste auch der Versuch, ihnen zu begegnen, global sein. Robert Rubin [damaliger US-Finanzminister] teilte diese Einschätzung. Hinter den Kulissen setzten wir uns mit den Finanzministern und Zentralbankern der G7-Staaten in Verbindung, um unsere Reaktionen zu koordinieren. Wir sprachen uns ruhig, aber eindringlich für eine Erhöhung der Liquidität und eine Senkung der Zinsen in der gesamten entwickelten Welt aus.“

Mit dem Platzen der Dotcom-Blase trat die US-Wirtschaft 2000/2001 in die Rezession ein. Um die Krise einzudämmen und um nach dem 11. September 2001 einen „Zusammenbruch des Finanzsystems“ zu verhindern, wurde nochmal massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt und die US-Leitzinsen bis 2004 von sechs auf ein Prozent gesenkt. Verbunden mit weiteren spekulativen Maßnahmen und der Einführung neuer Finanzinstrumente wurden – wie Greenspan korrekt aufzeigt – Probleme der kapitalistischen Wirtschaft vertagt, verlagert, aber nicht gelöst. Hervorgerufen durch die US-Immobilien- und Bankenkrise werden diese Probleme nun mit voller Wucht spürbar. Auch heute versuchen Zentralbanker, Investment-Chefs und Regierungen in großem Stil Liquidität in die Wirtschaft zu spritzen. Dabei ist Liquidität im Überfluss vorhanden! Es handelt sich aktuell nicht um eine Liquiditäts-, sondern um eine Vertrauenskrise.

Greenspan hebt in seinen Buch auch auf die Effekte des Immobilienbooms ab. „Die Milde der Rezession [im Jahr 2001] schien eine Folge globaler wirtschaftlicher Kräfte, die die Zinsen auf langfristige Anleihen immer weiter gedrückt und in vielen Teilen der Welt einen kräftigen Anstieg der Preise für Wohneigentum bewirkt hatten. In den USA waren Eigenheime derart im Wert gestiegen, dass die Privathaushalte sich in einem Rausch zu befinden schienen und immer mehr Geld ausgaben.“ Und weiter: „Die Preise für bestehende Wohnhäuser und Eigentumswohnungen stiegen in den Jahren 2000, 2001 und 2002 um jeweils 7,5 Prozent pro Jahr und damit doppelt so schnell wie nur wenige Jahre zuvor. […] Einige Analysten schätzten, dass drei bis fünf Prozent des Wertanstiegs von Wohneigentum sich in der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen aller Art, von Autos und Kühlschränken bis hin zu Urlaubsreisen und Unterhaltung, niederschlug.“ Auf den Aktienboom folgte die „Immobilienorgie“, so Newsweek. Laut Economist ist der Marktwert des Wohnungseigentums in zwanzig führenden Industriestaaten zwischen 2000 und 2005 von 40 auf 70 Billionen US-Dollar gestiegen, am meisten in den USA.

Greenspan macht eine „besorgniserregende Spreizung der Einkommenskala“ aus, die ihn an „Entwicklungsländer“ erinnert. „Seit den zwanziger Jahren hat es in den USA keine derartigen Einkommensunterschiede mehr gegeben. […] Von den Hypotheken im Wert von drei Billionen US-Dollar, die im Jahr 2006 neu vergeben wurden, galt ein Fünftel als eingeschränkt kreditwürdig und ein weiteres Fünftel als belastet. […] Die Ausfälle bei diesen zwei Fünfteln haben dazu geführt, dass Banken die Neuvergabe von Krediten einschränken, was einen Rückgang der Hauskäufe in diesem Segment des Hypothekenmarktes ausgelöst hat.“ Und es sind Arbeiterfamilien, die vor allem betroffen sind. 650.000 von ihnen konnten allein im dritten Quartal ihre Zahlungen für das Haus nicht mehr tätigen. Zur Subprime- kommt nun auch eine Krditkarten-Krise. Da die kaufkräftige Nachfrage in den letzten Jahren zwei Drittel der US-Wirtschaft ausgemacht hat, bricht nun der stärkste Stützpfeiler für die Weltwirtschaft weg. China, die zweite Lokomotive des globalen Aufschwungs, hat ebenfalls Krisenpotenziale angehäuft. Davon abgesehen beläuft sich das US-Sozialprodukt weiterhin auf das Sechsfache von China. Allein deshalb wird China die negativen Folgen einer US-Rezession gar nicht auffangen können.

Greenspan registriert auch den Sinkflug des US-Dollar (der seit 2002 um 40 Prozent gefallen ist), die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft (allen voran das gigantische US-Leistungsbilanzdefizit) und einen Ölpreis, der laut Greenspan inflationsbereinigt fast auf dem Allzeithoch von 1980 angekommen ist. Besonderes Augenmerk legt er allerdings auf die neuerlichen Inflationsgefahren. Die vergangenen 25 Jahre mit einer sehr niedrigen Inflation waren für Greenspan eine historische Ausnahme, die er an folgendem Prozess festmacht: „Bald strömten mehr als eine Milliarde Arbeitskräfte, viele gut ausgebildet, alle schlecht bezahlt, aus den lange vom globalen Wettbewerb isolierten Planwirtschaften auf den internationalen Markt. Dieser Zustrom von Arbeitskräften sorgte weltweit für einen Rückgang von Löhnen, Inflation, Inflationserwartung und Zinsen“. Dieser Sondereffekt war für Greenspan einmalig, gilt nicht länger und macht die heutigen Preissteigerungen aus seiner Sicht noch alarmierender.

Drohende US-Rezession

Im Gegensatz zu anderen bürgerlichen Ökonomen besteht für Alan Greenspan der zyklische Verlauf weiter, auf einen Aufschwung folgt früher oder später eine Krise. Vor Weihnachten erklärte Greenspan öffentlich, dass er die Rezessionsgefahr der US-Wirtschaft mittlerweile auf mehr als 50 Prozent einstuft. Die durchschnittliche private Verschuldung eines US-Haushalts beträgt heute 129 Prozent des verfügbaren Einkommens. Das kann nicht dauerhaft gut gehen. Der Einbruch im Immobiliensektor markiert den Anfang vom Ende des auf Pump finanzierten Aufschwungs.

Greenspan gibt in seinem Buch ein paar weitere interessante Hinweise auf den Zustand der US-Wirtschaft. So schreibt er: „Nachdem der Produktivitätszuwachs in den Jahren 2002 und 2003 bei vier Prozent und darüber gelegen hatte, ging er Anfang 2007 auf ein Prozent zurück. Gewinnträchtige Möglichkeiten für weitere Steigerungen scheinen für den Moment ausgeschöpft“. Zudem macht Greenspan eine „Verlangsamung der Innovation“ aus. Immer mehr Unternehmen streichen ihre Gewinne ein und verwenden das Geld vermehrt zum Rückkauf von Aktien statt zu Investitionszwecken.

Dazu kommt eine Abschwächung der Profite. 19 aufeinander folgende Quartale waren die Profite der Dow-Jones-Konzerne ununterbrochen zweistellig gewesen, demgegenüber gingen sie im zweiten Halbjahr 2007 deutlich zurück.

Es wird ungemütlicher

Alan Greenspan ist nicht blind gegenüber dem Abschwung der US-Ökonomie und den existierenden Problemen in der kapitalistischen Weltwirtschaft. Allerdings baut er darauf, dass es sich nur um eine relativ kleine, konjunktuelle Krise handelt. In seinen Augen wird sich der Siegeszug der „freien Marktwirtschaft“ weiter fortsetzen. Greenspan unterschätzt damit nicht nur das mögliche Ausmaß der bevorstehenden Rezession, sondern vor allem die potenzielle Stärke der Arbeiterklasse als Gegenmacht.

Alan Greenspan schreibt in seiner Autobiografie, dass sich das globale Sozialprodukt seit 1950 versiebenfacht hat. Es beunruhigt ihn aber nicht weiter, dass trotz des geschaffenen Reichtums und der Fortschritte in Wissenschaft und Technik Armut und Arbeitslosigkeit Massenphänomene geblieben sind und die Kluft zwischen Arm und Reich, wie er selber eingesteht, auch in den führenden Industriestaaten immer größer wird. Über eine halbe Million Arbeiterfamilien haben in den letzten Monaten im reichsten Land der Welt ihr Haus verloren (viele von ihnen leben heute in Zeltdörfern de facto auf der Straße), über 40 Millionen stehen seit Jahren ohne Krankenversicherung da.

Wenn man sich auf den Golfplätzen von Palm Springs bewegt oder ein Fünf-Gänge-Menü im New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel einnimmt, kann man die realen Geschehnisse auf der Welt schon mal vergessen. Aber die Krise des Systems, das Greenspan für die „beste aller denkbaren Welten“ hält, und der Drang der Lohnabhängigen und Erwerbslosen nach Veränderung werden dazu führen, dass sich die von Greenspan totgesagte Arbeiterklasse in den USA und international wieder erheben wird, um für eine grundlegende Alternative zum Kapitalismus zu kämpfen.