Koch & Co: Geistige Brandstifter am Werk

Wie kriminell sind Jugendliche und MigrantInnen?


 

Im hessischen Wahlkampf machte Roland Koch (CDU) Stimmung gegen angeblich „zu viele kriminelle Ausländer“. Vor allem bei Jugendlichen sollen Straftaten zunehmen. Und nichtdeutsche Jugendliche würden durch eine immer höhere Gewaltbereitschaft auffallen. Ist dem wirklich so?

von Ronald Luther, Berlin

Grundlage der meisten Untersuchungen ist die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS). Die PKS führt nicht Täter, sondern Tatverdächtige auf. Hier ist zu beachten, dass eine Reihe von Straftaten heute häufiger angezeigt werden als früher.

Die FAZ vom 10. Januar 2008 berichtet über die Untersuchungen Christian Pfeiffers vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen: „Die Kriminalität unter Jugendlichen und Heranwachsenden geht seit 1998 zurück. Erfasste die Polizei 1998 noch 8,2 Prozent der Jugendlichen und 8,9 Prozent der Heranwachsenden als verdächtig, eine Straftat begangen zu haben, sank der Wert bis 2006 auf 7,4 Prozent unter Jugendlichen und auf 8,4 Prozent unter den Heranwachsenden.“ Pfeiffer schätzt, dass MigrantInnen „an allen Gewalttaten Jugendlicher einen Anteil von etwa 27 Prozent haben“ – statt 50 Prozent, wie Koch behauptet. Zu Verurteilungen kommt es bei etwa 20 bis 30 Prozent der Verdächtigten.

Pfeiffer spricht davon, dass Jugendgewalt kein Problem der ethnischen Herkunft, sondern „ein soziales“ sei. Bei jungen Ausländern und bei jungen Deutschen, die in einer ähnlichen familiären und sozialen Situation aufwüchsen, sei die Gewaltrate gleich hoch. „Dort, wo ausländische Jugendliche verbesserte Bildungschancen haben, sinkt ihre Gewaltquote.“ Der Erziehungswissenschaftler Georg Hansen von der Fernuniversität Hagen bestätigte: „Weil es an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen“ fehlt, haben „die Jugendlichen kaum Hoffnungen. Aus dieser Perspektivlosigkeit“, so Hansen, entsteht „ein gesteigertes Gewaltpotenzial“.

Gründe für Straftaten?

Gerade MigrantInnen sind von Arbeits- und Perspektivlosigkeit in besonderem Maße betroffen. 22 Prozent aller nichtdeutschen jungen Männer beenden die Schule heute ohne Abschluss. Während die Erwerbslosigkeit insgesamt bei offiziell acht Prozent liegt, beträgt sie bei MigrantInnen 18 Prozent.

MigrantInnen werden allein schon wegen ihrer Herkunft häufiger kontrolliert und einer Straftat verdächtigt. Hinzu kommt, dass viele der in der PKS auftauchenden Delikte, die MigrantInnen vorgeworfen werden, Verstöße gegen Ausländergesetze sind. Solch ein „Verstoß“ besteht zum Beispiel darin, dass ein Asylbewerber den ihm zugewiesenen Landkreis verlässt, um Freunde zu besuchen.

Dass es keine spezielle kriminelle Veranlagung von Nichtdeutschen gibt, darauf weist auch der Berliner Kriminologe Ohder hin. In der Berliner Zeitung vom 9. Januar heißt es: „Armut und fehlende berufliche Qualifikationen waren Probleme, die auch Auswanderer nach Amerika Anfang des letzten Jahrhunderts hatten. Das, so Ohder, belegen Studien aus den zwanziger Jahren. „Die Iren und die Deutschen galten damals als besonders kriminell.“

Rassistische Kochrezepte

Die Debatte um Kriminalität ist ein einziges Ablenkungsmanöver. Während die Medien über Handy-Diebstähle durch Jugendliche reden, raubt der weltgrößte Handy-Hersteller mehreren Tausend Menschen ihre Existenz. Opel Bochum baut ebenfalls weiter Stellen ab. Den Jugendlichen wird die Zukunftsperspektive genommen. Armut, Ghettoisierung und auch Gewalt werden die Folge sein. Unwillig und unfähig die Ursachen der Misere zu bekämpfen, präsentieren uns Politiker wie Koch Jugendliche und Ausländer als Sündenböcke. Wochenlang diskutiert das ganze Land, ob und wie man Jugendliche härter bestrafen soll. Von den Leuten, die mit ihren Finanzgeschäften bei der IKB, der WestLB oder der Sächsischen Landesbank die Allgemeinheit um Milliardenbeträge geschädigt haben, sitzt noch niemand hinter Gittern.

Um so wichtiger, den Widerstand gegen sinkende Einkommen, Sozialabbau und Entlassungspläne zu verstärken – gemeinsam, unabhängig von der Hautfarbe.