Pro & Contra: Soll ver.di Abstriche bei der Lohnforderung machen?

Zu den Tarifforderungen im Öffentlichen Dienst


 

Kurz vor Weihnachten stellte ver.di für die Beschäftigten in Bund und Kommunen die Forderungen für die Tarifrunde 2008 auf: acht Prozent mehr Lohn, mindestens 200 Euro, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten sowie 120 Euro mehr für die Auszubildenden. An der Basis gab es den Wunsch nach noch höheren Lohnforderungen. Vielerorts votierten Gliederungen der Gewerkschaft für eine Tariferhöhung im zweistelligen Bereich.

Vor einigen Wochen meldete sich Peter Grottian öffentlich zu Wort und plädierte dafür, einen Teil des geforderten Geldes nicht für Lohnsteigerungen, sondern für den Ausbau des Öffentlichen Dienstes zu verwenden.

Pro: Peter Grottian

emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, war in der Initiative Berliner Bankenskandal aktiv und engagiert sich heute im Berliner Sozialforum

Die Große Koalition als öffentlicher Arbeitgeber ist zu keiner qualitativen Debatte über die Zukunft des Öffentlichen Dienstes bereit. Doch Tarifpolitik und die gesellschaftspolitische Bedeutung öffentlicher Dienstleistungen müssen zusammengedacht werden. Der Schlüssel liegt deshalb bei den Gewerkschaften.

Zunächst einmal geht die acht prozentige Lohnforderung nach langen Jahren der Zurückhaltung pauschal in Ordnung. Alle Erfahrung zeigt schließlich, dass man am Ende der Verhandlungen bei 3,7 bis 4,3 Prozent landen wird. Doch diese Forderung ist zu eindimensional. Acht Prozent mehr Geld in die Taschen der Bediensteten, das klingt nach einem donnernden Aufstampfen. Doch ohne positive Struktureffekte ist das weder zukunftsweisend noch strategisch klug.

Wer den gesellschaftspolitischen Konflikt will, der muss seine Tarifforderungen anders ausrichten: Er muss vernünftige Gehaltserhöhungen fordern – und etwas für gute öffentliche Dienstleistungen tun! In was für einem positiven Licht stünden die Gewerkschaften da, wenn sie sagten: Wir haben zwar eine recht hohe Tarifforderung. Aber wir denken dabei nicht nur an uns. Stattdessen wollen wir von den acht Prozent bis zu 1,5 Prozent in Kitas, Schulen, Förderprogramme für Migrantenkinder, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen investieren. Wir, die Gewerkschaften, sind für eine Ausweitung qualitativ notwendiger öffentlicher Dienstleistungen und eine Tarifrunde für mehr Beschäftigung. Aber, so könnten die Gewerkschaften mahnend fortfahren: Wir unterzeichnen einen solchen neuen Typ von Tarifvertrag nur, wenn wir sicher sein können, dass diese Dienstleistungen tatsächlich eingerichtet werden.

Machbar wäre das. Wenn öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften das Finanzvolumen und die inhaltlichen Schwerpunkte für die Bildungsinvestitionen festlegten, könnten sie es dem Bundestag und den einzelnen Kommunen überlassen, wo die sinnvollsten Projekte finanziert werden. Und wenn die öffentlichen Arbeitgeber sich weigerten, dann würden die reservierten 1,5 Prozent nachträglich ausbezahlt – oder der Tarifvertrag gekündigt.

Wer will jemanden kritisieren, der rechtmäßige Forderungen mit der Förderung zukunftsfähiger Dienstleistungen kombiniert? Würden von den acht Prozent Lohnforderungen nur 1,5 Prozent für Bildung und Arbeitsplätze abgezweigt, würde dies einen Schub von 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro bedeuten. Die Beamtenanpassungen sind dabei noch nicht einmal eingerechnet.

Wenn die Gewerkschaften dann noch einbringen, dass der höhere Dienst mit acht Prozent nicht unbedingt an die Erhöhung der Bundestagsabgeordneten von 9,4 Prozent heranreichen müsste, dann könnte durch eine maßvolle Abschöpfung noch ein zusätzlicher Beitrag für Bildungsinvestitionen erreicht werden. Als Gegenleistung könnte die 39-Stunden-Woche als vorläufige Etappe vereinbart werden. Mit diesem Konzept könnte ver.di die öffentlichen Arbeitgeber von SPD und CDU herausfordern und eine breitere Öffentlichkeit überzeugen.

Will ver.di seine streikgeschwächte Kommunalbasis durch andere Kommunalbedienstete ersetzen und junge Mitglieder motivieren, bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als wieder zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurückzufinden. Die Basis wird nur bei einem starken Auftritt der Gewerkschaftsspitze zu mobilisieren sein.

In der Öffentlichkeit werden die Gewerkschaften an Boden gewinnen, wenn sie sich mit den Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und den Sozialprotest-Initiativen verbinden. Dieser wohl verstandene gesellschaftspolitische Streit ist überfällig. n

Contra: Carsten Becker

Personalrat* und ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender an der Berliner Charité

Die Zeichen stehen auf Streik. Das Lohnniveau ist ungefähr da, wo es Mitte der Neunziger stand, aber die Preise und Unterhaltskosten sind davon galoppiert. Und das merkt jede und jeder Beschäftigte schmerzhaft spätestens am Monatsende. 30 Prozent mehr ist die Forderung, die jeder spontan aus dem Bauch heraus fordert und acht Prozent, mindestens 200 Euro, ist hier nur eine bescheidene Mindestforderung für die Verluste der letzten Jahre.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsplatzvernichtung im Öffentlichen Dienst zu enormer Arbeitsverdichtung in allen Bereichen geführt hat. Arbeitsstress und zu wenig Geld in der Tasche sind die Motivation für die mehr als streikbereiten KollegInnen in dieser Tarifrunde.

Beides zusammen – Stillstand, ja Rückschritt beim Einkommen, bei gleichzeitiger Arbeitsplatzvernichtung – lassen doch nur einen Schluss zu:

Die von Peter Grottian vorgeschlagenen 1,5 Prozent „Sanierungspauschale“ sind lächerlich im Vergleich zu dem, wie wir in den letzten Jahren ausgequetscht wurden! Wir haben genug gespart! Gleichzeitig läuft die Vernichtungsmaschinerie öffentlicher Daseinsvorsorge auf vollen Touren. Und beides ist Teil der gewollten neoliberalen Umverteilung von unten nach oben – von öffentlich nach privat. Dagegen konsequent anzugehen, muss zentraler Bestandteil der Politik von ver.di sein. Hier muss ver.di den „gesellschaftspolitischen Konflikt“ suchen.

Aber nicht mit „vernünftigen Gehaltsforderungen“, wie es Peter Grottian fordert und ver.di zu unserem Leid auch in der Vergangenheit praktizierte. Sondern mit Gehaltssteigerungen, insbesondere bei den unteren Lohngruppen, deutlich über der Teuerungsrate. Die Unterstützung für die Lokführer zeigte, dass immer mehr verstehen: Die Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen sind nicht nur gerechtfertigt, sondern im Interesse der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich wäre zudem der richtige Weg gegen Arbeitslosigkeit. Natürlich brauchen wir einen Ausbau des Öffentlichen Dienstes. Der Tarifkampf bietet einen guten Ausgangspunkt dafür, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu erhöhen, dass der Kampf für mehr Kitas oder eine bessere Krankenversorgung gemeinsam geführt werden muss. Das Geld dafür kann und muss jedoch von unterschlagenen Steuern aus Liechtenstein und den anderen illegalen und legalen Privilegien der Unternehmer geholt werden.

Und Vorsicht, Peter Grottian, ein Zielkorridor von 3,7 bis 4,3 Prozent reflektiert wahrscheinlich ziemlich gut die Denke bei Einigen in den ver.di-Chefetagen und der Bundestarifkommission. Die haben noch nicht mitbekommen, dass diese Tarifrunde nicht einfach nur eine Lohnrunde ist. ver.di steht auf dem Prüfstand – in der Wahrung der Mitgliederinteressen. Zu lange wurden zu viele Zugeständnisse gemacht. Noch eine Runde nach dem Motto „Brüllen wie ein Tiger, springen wie eine Katze“ kann sich ver.di nicht leisten. Jedem ist klar, die Mitglieder sind mehr als bereit, auch in einen harten Arbeitskampf zu gehen. Für ver.di wäre jeder Kompromiss, alles unter 200 Euro mehr als schädlich.

Jetzt gilt es, alle laufenden Tarifkonflikte zusammenzufassen und von Anfang an die volle Kampfkraft zu zeigen. Jetzt Stärke demonstrieren und mit voller Macht die Forderungen durchsetzen. Das gibt uns dann auch die Kraft, den Kampf dafür zu führen, die öffentliche Daseinsvorsorge zu erhalten, auszubauen und im Interesse von Beschäftigten und Bevölkerung zu gestalten.

Also, Kollege Grottian, lass uns jetzt beide die Streikweste anziehen, raus auf die Straße und mit den KollegInnen gemeinsam kämpfen.

* Angabe zur Funktion dient nur der Kenntlichmachung der Person