Konflikt am Standort Untertürkheim eskaliert erneut. Nach Abbruch der Delegiertenwahl im Werksteil Mettingen übernimmt Stuttgarter IG Metall rebellische Belegschaft
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 25.3.08
Zeitweilig sah es so aus, als würden sich die konkurrierenden IG-Metall-Fraktionen im Daimler-Werk Untertürkheim einander annähern. Diesen Eindruck erweckten zumindest Gespräche zwischen der Betriebsratsmehrheit und der Oppositionsgruppe »alternative«, die mit zehn Sitzen die zweitgrößte Gruppe im Betriebsrat stellt, sowie die gemeinsame Kandidatur zur Aufsichtsratswahl (jW berichtete). Doch jetzt eskalierte die Mehrheitsfraktion den Konflikt erneut, indem sie die Wahl zur IG-Metall-Delegiertenversammlung im Werksteil Mettingen abbrechen ließ.
Wenn die mehr als 100 Delegierten der IG Metall in der Verwaltungsstelle Esslingen Anfang April zusammenkommen, wird die größte Belegschaft nicht vertreten sein: die des Autobauers Daimler aus Mettingen. Der Standort gehört zum Werk in Stuttgart-Untertürkheim, liegt selbst allerdings im Einzugsbereich von Esslingen und entsendet üblicherweise 32 Delegierte in die örtliche Versammlung. Doch nicht so dieses Mal. Denn noch während der laufenden Delegiertenwahl – rund zwei Drittel der etwa 4500 Gewerkschaftsmitglieder hatten bereits abgestimmt –war diese in der letzten Märzwoche von der Betriebsratsmehrheit abgebrochen worden. Die Begründung: Die »alternative«, deren Aktivisten allesamt Mitglieder der IG Metall sind, habe einen Wahlaufruf für ihre Kandidaten auf der Gewerkschaftsliste verteilt. Diese »fraktionierende Wahlempfehlung für die Kandidaten der alternative und massive Wahlbeeinflussung war der Auslöser für das Abbrechen der Wahl«, heißt es im Scheibenwischer, der Betriebszeitung der IG-Metall-Mehrheitsfraktion.
Für »ganz und gar inakzeptabel und ungerechtfertigt« hält »alternative«-Betriebsrat Tom Adler den Abbruch des Urnengangs. »Einer Wahlempfehlung kann der Wähler folgen, wenn er sie für richtig hält – oder eben nicht. Das als ›Manipulation‹ zu bezeichnen ist absurd«, so Adler gegenüber junge Welt. Die »alternative«, die bei der Betriebsratswahl im Jahr 2006 im Werksteil Mettingen die meisten Stimmen erhielt, sei weder am Wahlvorstand noch an der Listenaufstellung beteiligt worden. Die Kandidatenreihenfolge habe sich nicht, wie bisher immer, nach dem Alphabet gerichtet, sondern »nach völlig intransparenten politischen Kriterien, die den Metallern im Betrieb nicht mitgeteilt wurden«. »Trotz unserer offen geäußerten Kritik an dem Verfahren hat die Mehrheitsfraktion das einfach durchgezogen und die Reihenfolge der Kandidaten offen als Wahlempfehlung der IG-Metall-Vertrauenskörperleitung bezeichnet«, kritisierte Adler. Den Oppositionellen nun vorzuwerfen, sie hätten sich mit ihrem Flugblatt »öffentlich gegen eine Entscheidung der Vertrauenskörperleitung positioniert«, wie es Uwe Meinhardt, 2. Bevollmächtigter der Stuttgarter IG Metall, in einer jW vorliegenden Mail tut, sei vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
In Gefolge des Wahlabbruchs haben die Ortsvorstände der IG Metall in Esslingen und Stuttgart beschlossen, den Daimler-Standort Mettingen in die größere Stuttgarter Verwaltungsstelle zu transferieren. Daß ein entsprechender Antrag beim Gewerkschaftsvorstand vorliegt, bestätigte dessen Sprecherin Ingrid Gier auf jW-Nachfrage. »Beide Verwaltungsstellen haben sich auf dieses Vorgehen verständigt.« Es sei Teil »eines Prozesses, der schon länger läuft«. Im Gegensatz zu dieser Aussage aus der Frankfurter Zentrale behaupteteten die Stuttgarter IG-Metall-Bevollmächtigten nach jW-Informationen gegenüber Mitgliedern des Stuttgarter Ortsvorstands und des örtlichen Vertrauensleuteausschusses, daß sie kein Interesse an der Überführung der Mettinger nach Stuttgart gehabt hätten. Eben dies bezweifeln die in der »alternative« zusammengeschlossenen linken Aktivisten. »Die handstreichartige Überführung der Mettinger Daimler-Kollegen in die Zuständigkeit der IG Metall Stuttgart erfüllt der Betriebsratsspitze des Untertürkheimer Daimler-Werks eine schon seit mehr als zehn Jahren gestellte Forderung«, heißt es in einer Stellungnahme der Gruppe. »Diese macchiavellistische Machtpolitik offenbart das rein instrumentelle Verhältnis zur Gewerkschaftsbasis, deren demokratische Rechte mit Füßen getreten werden, wenn es opportun erscheint«, kommentierte Adler. Offensichtlich hoffe man, die »Mettinger Rebellen« würden in der größeren Stuttgarter Versammlung ein geringeres Gewicht haben.
Das Vorgehen der IG-Metall-Spitze hat – sollte es vom Vorstand abgesegnet werden – aber noch eine weitere Folge: Die Mettinger Delegierten, deren Wahl erst im Herbst wiederholt werden soll, werden bei der konstituierenden Sitzung Anfang April nicht dabei sein und könnten somit nicht für Gremien kandidieren. »4500 Gewerkschaftern wird damit schlicht das aktive und passive Wahlrecht für die laufenden Organisationswahlen aberkannt«, kritisierte Adler. Mit einer demokratischen Organisationskultur sei ein solch »putschistisches Vorgehen« nicht vereinbar. Weder die betroffenen Verwaltungsstellen noch die baden-württembergische Bezirksleitung oder der Vorstand der IG Metall wollten sich gegenüber jW zu den Vorwürfen äußern.