ver.di-Streikleitung würgte den Motor ab. Kampfkraft ungebrochen. Ratlosigkeit angesichts der harten Haltung des SPD-LINKE-Senats zwingt zu politischer Streikstrategie.
von Viktor Frohmiller, Azubi* bei der BVG
Zwölf Tage legten die Bus- und Bahnfahrer den Berliner Verkehr lahm. Die Streikmoral war bis zum Aussetzen des Streiks ungebrochen. Doch der Arbeitgeber, der SPD-LINKE-Senat, tat alles, um ver.di vorzuführen.
Die in den letzten Jahren genutzten Fremdfirmen – rund zehn Prozent – wurden als Streikbrecher eingesetzt. Selbst als ver.di ein Kapitulationsangebot vorlegte, lehnte der Senat ab: ver.di bot an, den Streik auszusetzen, wenn ein „Korridor" für Verhandlungen vereinbart würde. Statt der geforderten bis zu 12 Prozent sollte nur noch über mindestens 3 und höchstens 9 Prozent Lohnerhöhungen aber nicht mehr in 12 sondern in bis zu 30 Monaten verhandelt werde. Von einer Mindestlohnerhöhung von 250 Euro wollte ver.di ganz abrücken.
Doch selbst dieses Angebot von Reallohnverlusten ging dem Finanzsenator Sarrazin der SPD-LINKE-Regierung nicht weit genug. Mehr als 20 Millionen Euro für zwei Jahre (deutlich weniger als 3 Prozent) sei nicht drin.
Das wirft einige Fragen auf: Kann der SPD-LINKE-Senat einen solchen Streik einfach aussitzen? Wie kann erfolgreich gekämpft werden?
Noch drängendere Fragen ergeben sich aus dem ver.di-Verhalten. Nachdem SPD und LINKE auch noch das Betteln um einen „Korridor" ablehnten, setzte die ver.di-Streikleitung den Streik trotzdem zunächst beim Fahrpersonal und dann auch in den Werkstätten komplett aus. Wie kann es nun weiter gehen?
Hier kommen Vorschläge auf Fragen von KollegInnen.
„Die GDL hat flexibel gestreikt, am Ende hat die Androhung von Streiks schon Schrecken bei den Herrschenden verbreitet. Zeigt das nicht, dass Vollstreik eine falsche Taktik ist?"
Der entscheidende Vorteil der GDL war keineswegs der flexible Streik, sondern die wirtschaftliche Macht, die am Güterverkehr hängt, und die politische Kraft, wenn Deutschland in allen Bereichen des Verkehrs der Bahn zum Stillstand gebracht wird.
Auch die Bundesregierung versuchte, die Streiks beim Regional- und Fernverkehr auszusitzen. Hunderttausende hatten Mobilitätsprobleme, doch die Bundesregierung bewegte sich überhaupt nicht und das Management minimal.
Als jedoch der Güterverkehr bestreikt wurde und Produktionsausfälle in der Industrie zu verzeichnen waren, fühlte sich der Bundesverkehrsminister Tiefensee gezwungen, sich über die vielbeschworene Tarifautonomie der DB AG hinwegzusetzen.
Die Drohung, unbefristet das ganze Land lahm zu legen, und die Sympathie für die Lokführer in weiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung zwangen die Arbeitgeber zum einlenken.
Das hat nichts mit dem flexiblen Streik der Lokführer zu tun. Tatsächlich wäre ein unbefristeter Vollstreik sehr viel wirkungsvoller gewesen, da die Herrschenden nicht erst innerhalb von 6 Monaten, sondern sofort zum Einlenken gezwungen gewesen wären.
Die Tatsache, dass ein zwölf Tage Vollstreik nicht reicht, darf auch bei der BVG nicht dazu verleiten, die Kampfmittel abzumildern. Die Schlussfolgerung muss sein, dass der Vollstreik allein noch nicht ausreichte: Während des Streiks ist eine Konfrontation mit den Verantwortlichen nötig: Der SPD-LINKE-Senat muss als Arbeitgeber ins Visier genommen werden. Wir KollegInnen müssen mit gutem Material, zum Beispiel einer ver.di-Massenzeitung über unsere Arbeitsbedingungen und Forderungen und gegen die Behauptungen aus den bürgerlichen Zeitungen, raus in die Zentren der Stadt. Dafür brauchen wir Zeit und geballte Kraft. Dafür ist ein aktiver Vollstreik nötig.
„Wir haben fast zwei Wochen unbefristet gestreikt und doch kein substantiell neues Angebot vorliegen. Sind wir machtlos?"
Es ist tatsächlich schwer zu glauben, dass der SPD-Linke-Senat fast zwei Wochen Streik im öffentlichen Personennahverkehr aussitzen konnte. Allerdings ist dies auf zwei Faktoren zurückzuführen:
1. Während der Senat zahlreiche schmutzigen Methoden (Medienhetze gegen angeblich zu hohe Gehälter bei BVGlern, Drohungen mit Fahrpreiserhöhrungen, Einsatz von Fremdfirmen zum Streikbruch) benutzt hat, blieb ver.di sehr passiv. Tagein, tagaus standen die KollegInnen vor dem Werkstor, erst am achten Streiktag wurde eine Demonstration organisiert – zu der allerdings bei weitem nicht alle Bereiche aufgerufen wurden. Öffentlichkeitsarbeit gab es nur vereinzelt. Stattdessen wäre es nötig gewesen die Verantwortlichen direkt anzugehen und zum Beispiel vor die Parteizentralen von SPD und LINKEN und das Rote Rathaus zu ziehen. Es wäre nötig gewesen, den in den Massenmedien verbreiteten Lügen entgegen zu treten und eine eigene Massenpublikation zu verteilen.
2. Der Senat sieht den Abschluss der BVG zu recht als eine Art Prototyp für die bundesweiten Abschlüsse im öffentlichen Dienst. Entsprechend sollen die Zugeständnisse klein gehalten werden, um das Lohnniveau insgesamt niedrig zu halten. Wenn der Senat die Gemeinsamkeit der Auseinandersetzung sieht, dann ist es erst recht die Aufgabe von ver.di die Gemeinsamkeit der Auseinandersetzung sichtbar zu machen, in dem mit den anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst gemeinsame Aktionen organisiert werden. Wo blieben die gemeinsamen Streiks mit den Landesbeschäftigten und dem Einzelhandel? Wo blieb die gemeinsame kraftvolle Kundgebung?
„Die ver.di-Oberen machen doch sowieso, was sie wollen. Wir sind machtlos."
Tatsächlich? Es ist absolut richtig den Kurs der ver.di-Führung zu kritisieren. Genauso richtig ist es aber auch, dass eine Gewerkschaft vor allem von der Aktivität der Mitgliedschaft lebt. Wenn es gelingt den Unmut, den viele Kolleginnen und Kollegen berechtigterweise haben, in Protest zu kanalisieren, ist es möglich den Kurs selbst mitzubestimmen, langfristig sogar eine kämpferische Führung aufzubauen. Ein kleines Beispiel davon gaben die Kolleginnen und Kollegen in der Müllerstraße, die ohne Aufruf der ver.di-Oberen eine eigene Demonstration starteten, weil sie nicht weiter vor dem Werkstor rumstehen wollten. Noch beeindruckender ist das Beispiel von kritischen KollegInnen in der HAVAG (Hallesche Verkehrsbetriebe) – durch ein unermüdliches Engagement gelang es die Einführung des TV-N SA (der ähnliche Verschlechterungen mitgebracht hätte, wie der TV-N in Berlin) vorerst auszusetzen.
Aktuell macht das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di eine Unterschriftensammlung für einen erneuten Vollstreik bei der BVG. Nähere Infos unter www.netzwerk-verdi.de
„Wenn wir alle aus ver.di austreten, dann merken die da oben, dass etwas nicht stimmt."
Wenn wir alle aus ver.di austreten, freut sich vor allem der Arbeitgeber.
Momentan gibt es leider keine kämpferische Gewerkschaft, die bei der BVG die Tarifauseinandersetzung führt. Entsprechend würden Massenaustritte vor allem dazu führen, dass die Arbeitgeber freie Hand haben massive Verschlechterungen durchzuführen.
Momentan gibt es Bestrebungen der GDL, das Fahrpersonal bei der BVG zu organisieren. Neben den positiven Effekten, die das kämpferische Auftreten der GDL bei den Lokführern zweifelsohne auch auf den Arbeitskampf bei der BVG hat, ist aber zu bedenken, dass die GDL momentan den Anspruch hat nur das Fahrpersonal zu organisieren und in diesem Bereich Tarifführerschaft zu erreichen. Dies kann für künftige Auseinandersetzungen bedeuten, dass Technik / Verwaltung und Fahrpersonal nicht mehr gemeinsam im Kampf stehen, sondern jeder für sich alleine. Das ist keine erfolgreiche Strategie. Wir wollen einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bundesweit.
Es gibt keinen Weg daran vorbei, selbst aktiv zu werden und sich einzumischen.
„Die zwei Wochen Lohnausfall kriege ich auch durch die 12 Prozent nicht mehr rein. Macht Streiken überhaupt einen Sinn?"
Eindeutig ja! Wenn unsere Vorfahren sich nicht gewehrt hätten, wären wir noch bei Arbeitsbedingungen des frühindustriellen Zeitalters. Wenn wir heute gute Abschlüsse herausholen, dann sind das verbesserte Bedingungen für mehr als die vereinbarte Laufzeit – das ist nicht zu vergleichen mit dem Lohnausfall, den man hat.
Und wenn wir erfolgreich für höhere Löhne kämpfen, dann ist jedem – auch dem Arbeitgeber – klar, dass wir diese Kraft auch gegen Privatisierungen, Ausgründungen und andere Verschlechterungen unserer Arbeitsbedingungen einsetzen können.
Dass diese Kraft dann auch genutzt wird, dafür müssen wir in ver.di sorgen.
„Wie können wir den Kampf erfolgreich führen?"
Zuallererst ist es notwendig, dass der Streik entschlossen geführt wird und in den Händen der Betroffenen liegt: in den Händen der KollegInnen.
Dazu gehören:
1) Streikversammlungen in den einzelnen Betriebshöfen und Werkstätten auf regelmäßiger Basis, am Besten jeden Tag. Dort müssen alle Streikenden über die Verhandlungen und nächsten Aktionen informiert werden. Dort muss darüber abgestimmt werden, wie es weiter gehen soll. Delegierte von diesen örtlichen Streikversammlungen müssen täglich zusammen kommen, um über alles weitere zu entscheiden.
Erst einmal sollten wir feststellen, dass letztendlich wir zu den verhandelten Bedingungen arbeiten werden – entsprechend sollten wir Vertreterinnen und Vertreter wählen und abwählen können, die sich in den Verhandlungen einbringen und die Streikstrategie umsetzen. Das heißt, dass die Belegschaft insgesamt über Streiktaktik, Angebote und eventuelles Aussetzen des Streiks entscheiden muss – nach einer gründlichen Information und Diskussion.
2) Eine Streikzeitung auf täglicher Basis, in der über den Verlauf informiert wird. Am besten, diese Zeitung wird auch von den Delegierten der örtlichen Streikversammlungen kontrolliert und herausgegeben.
3) Regelmäßige Aktionen über das „vor dem Werkstor Streikposten stehen" hinaus. Dazu muss geeignetes Material in ausreichender Menge bereit gestllt werden, dafür müssen Verteilung organisiert und öffentliche Kundgebungen angeleiert werden. Dafür haben wir eine Gewerkschaft!
Diese Maßnahmen müssen beim nächsten Anlauf im BVG-Streik von unten durchgesetzt werden! Auch deshalb brauchen wir einen Vollstreik, um von unten nach oben zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen.
"Bringt ein weiterer Streik und erst recht ein unbefristeter Vollstreik nicht die Bevölkerung gegen uns auf?"
Zur Streiktaktik muss gesagt werden, dass Vollstreik an sich richtig ist, da es keinen Sinn macht einzelne Bereiche an verschiedenen Tagen rauszuholen oder „Stop-and-Go"-Streiks zu machen. Solche Taktiken machen den Nahverkehr für die Bevölkerung unberechenbar und sorgen somit für eine Entsolidarisierung.
Weiterhin verhindern diese Taktiken ein aktives Einbringen der Gewerkschaftsbasis, was die Voraussetzung für eine Dynamik ist. Es ist auch wichtig festzustellen, dass die Auseinandersetzung eine politische Auseinandersetzung ist und entsprechend politisch zugespitzt werden muss.
Das heisst, wir müssen den Druck auf die politisch Verantwortlichen durch Demonstrationen und verteilen von Massenzeitungen massiv erhöhen – Wir müssen den Schulterschluss zu anderen Opfern des Sparsenats suchen und die Auseinandersetzung verallgemeinern.
Dann ist es möglich den SPD-LINKE-Senat zum Einknicken zu bewegen und ein kämpferisches Beispiel für alle KollegInnen in Tarifauseinandersetzungen zu geben.