Pro & Contra: Ronald Weckesser, Landtagsabgeordneter der LINKEN Sachsen, und Claus Ludwig, Mitglied im Rat der Stadt Köln, Fraktion DIE LINKE, und im Bundesvorstand der SAV, zum Streit über die Umverteilungspolitik
Am 24. und 25. Mai findet in Cottbus der Bundesparteitag der LINKEN statt. Im Vorfeld dieses Parteitags hatte der Bremer Bundestagsabgeordnete Axel Troost – zusammen mit Ralf Krämer und Michael Schlecht (beide auch für den ver.di-Bundesvorstand im Ressort Wirtschaftspolitik tätig) – einen Antrag für ein öffentliches Investitionsprogramm im Umfang von 50 Milliarden Euro entworfen. Laut der Bundestagsabgeordneten Ulla Lötzer könnten schon bei einem Ausgabevolumen von 40 Milliarden Euro im ersten Jahr 600.000 Arbeitsplätze im Handwerk, im Öffentlichen Dienst sowie im öffentlich geförderten Bereich geschaffen werden.
Troosts Papier hat mehrere ostdeutsche Finanzpolitiker auf den Plan gerufen. In einem offenen Brief, der auszugsweise in der ZEIT veröffentlicht wurde, monieren sie, „dass für zusätzliche Ausgaben (…) schlichtweg keine Finanzmittel zur Verfügung stehen.“ Sie halten das vorgeschlagene Investitionsprogramm für „außerordentlich gefährlich“, weil es „Fehlbeträge im hohen zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich“ schaffe. Zu den UnterzeichnerInnen des Schreibens gehören unter anderem der finanzpolitische Sprecher der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus, Carl Wechselberg, die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Barbara Höll, sowie der sächsische Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser.
Um eine Zuspitzung der Auseinandersetzung in Cottbus zu vermeiden, „entschärfte der Parteivorstand den Konflikt, indem er das Vorhaben Troosts abschwächte und in den Leitantrag für den Parteitag einarbeitete“ (FAZ vom 17. April).
Was ist von dem von Troost und Co. vorgelegten Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) zu halten? Sind die Finanzmittel dafür und für weitere Ausgaben vorhanden beziehungsweise können diese Gelder erkämpft werden? Ist DIE LINKE eine Umverteilungspartei?
PRO
Ronald Weckesser
Landtagsabgeordneter der LINKEN Sachsen
Wenn die gute Gelegenheit, im Rahmen der Strategiediskussion der neuen Partei DIE LINKE, eine längst überfällige Debatte zu einer gleichermaßen visionären, wie machbaren und finanzierbaren linken Politik – jenseits des neoliberalen Mainstreams – in voller Ernsthaftigkeit zu führen, gelegentlich bereits im Ansatz als Machtkampf zwischen „Haushaltssanierern“ und „Keynesianern“ denunziert wird, ist das weder in der Sache hilfreich, noch der Situation angemessen. Doch die Reduktion dieses schwierigen Suchprozesses auf ideologische Grundpositionen, auf den Streit zwischen „Guten“ und „Bösen“ mit seiner klaren Rollenzuweisung, erleichtert ein Obsiegen im Kampf um innerparteiliche Hegemonie – schließlich ist eine solche Verfahrensweise hochgradig „parteitagskompatibel“. Sie ersetzt den Streit um Argumente durch den Kampf um Mehrheiten und um Beschlüsse. Auf die sich im Nachhinein berufen, deren Nichteinhaltung zum Kriterium künftiger Schlachten um Ressourcen gemacht werden kann. Die alte linke Unart.
Übrigens schon in der vorgegebenen Artikelüberschrift praktiziert: Denn im zugrundeliegenden Streit – zwischen Befürwortern eines Parteitagsbeschlusses über ein Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) auf der einen Seite und den Verfassern eines als „Brandbrief“ bezeichneten, vor eben dieser Verfahrensweise warnenden Schreibens auf der anderen Seite (überwiegend Finanzpolitiker ostdeutscher Landtagsfraktionen) – geht es nicht darum, dass „keine Finanzmittel“ vorhanden seien. Eine Behauptung, die auch von niemandem aufgestellt wurde. Selbst in der Höhe veranschlagbarer rund 50 Milliarden Euro sind sich ZIP-Autoren und Kritiker einig. Es geht darum, dass die im ZIP versprochenen Mittel bereits anderweitig versprochen sind! Denn erklärtermaßen eint zumindest eine Erkenntnis die Protagonisten beider Parteien: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.
Es geht folglich um die Frage, ob es der Glaubwürdigkeit einer Partei wie DIE LINKE zuträglich ist, wenn unterschiedliche Akteure zu zwar unterschiedlichen, doch genügend nahe beieinanderliegenden Zeitpunkten für unterschiedliche Projekte das gleiche Geld auszugeben versprechen – wohlwissend, dass es beim rein virtuellen Geldausgeben bleibt.
Das Kernproblem ist eine nicht inhaltlich nachvollziehbar wechselnde Zweckbestimmung. Denn jeder einzelne Vorschlag im Zukunftsinvestitionsprogramm hat durchaus seine eigene Logik, lässt sich inhaltlich begründen, ist wünschenswert und in Übereinstimmung mit programmatischen Beschlüssen. Nur in der Summe, sowie der zeitlichen Abfolge der Umsetzung, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es nicht nur auf Bundesebene Versprechungen einzuhalten gilt, sind sie dann nicht mehr glaubwürdig. Aus diesem Dilemma hilft auch nicht heraus, verbal „Selbstfinanzierungseffekte“ zu beschwören. Aber welcher Parteitag sollte schon einem derartigen, wirtschafts- und finanzpolitischen „Perpetuum mobile“ seine Zustimmung verweigern? Mit seiner emotionalen Eigendynamik ist dort einfach nicht der Ort, derartige Fragen sachkundig zu behandeln und zu entscheiden. Und die Überlegung schließlich, dass auch den bisherigen Vorschlägen, die nun durch aktuellere ersetzt werden sollen eine Selbstfinanzierungskomponente über die erhöhte Massenkaufkraft unterstellt werden könnte, dass folglich mit Mehrheit über die relativ geringe Differenz zweier fiktiver Summen zu entscheiden wäre, beide in nicht mehr anschaulicher, kaum noch vorstellbarer Größenordnung – dieser Gedanke spielt überhaupt keine Rolle. Somit „gewinnt“ auf dem Parteitag die Seite, die ihre Behauptungen mit größerer Vehemenz vorzutragen vermag.
Nun hat eine Partei selbstverständlich das Recht, ihre Ziele zu verändern. Aber dann muss sie das auch tun. Im vorliegenden Beispiel werden solche veränderten Zielbestimmungen unter der Hand vorgenommen, indem Geld, dass bereits verprochen wurde, ohne dass die zurückliegende Beschlusslage neu aufgerufen und verändert worden wäre, in anderem Zusammenhang einfach erneut als Deckung angeboten werden soll.
Und in diesem Kontext feiern – natürlich – auch die alten Streitpunkte fröhliche Urständ: Ist Verschuldung, wenn ein guter Zweck finanziert werden soll, nicht doch verantwortbar? Stehen ihr nicht, als Guthaben, die geschaffenen Werte gegenüber, so dass beides zugleich „vererbt“ wird. Folglich ein Nullsummengeschäft für die Erben?
Und, je nach Standpunkt beantwortet sich dann auch die Frage, ob ein Gedanke an Schuldentilgung nur einfach dumm ist. Oder neoliberal. Oder vielleicht doch links sein darf?
CONTRA
Claus Ludwig
Mitglied im Rat der Stadt Köln, Fraktion DIE LINKE, und im Bundesvorstand der SAV
Die Gegner des als Antrag für den Parteitag vorgeschlagenen Zukunftsinvestitionsprogramms (ZIP) grummeln. Sie fühlen sich als die „bösen“ Haushaltssanierer dargestellt und falsch interpretiert. Sie hätten ja gar nichts gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen, nur sei das Geld schon für andere Dinge verplant.
In einem Punkt haben sie Recht: Es geht in der Debatte gar nicht um die einzelnen Punkte des ZIP. Die Gegner des ZIP stellen sämtliche Forderungen der LINKEN unter einen Finanzierungsvorbehalt. Nicht die Interessen der arbeitenden Menschen sollen ausschlaggebend sein für die Programmatik, sondern die „Bezahlbarkeit“ der Maßnahmen. Ein wirklicher Kassensturz, die Umkehr der Umverteilung, die grundlegende Erhöhung der öffentlichen Einnahmen durch die Heranziehung der Besitzenden, der Banken und Konzerne spielen für sie in der Debatte keine Rolle.
Helmut Holter, Fraktionschef DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern, bringt es auf den Punkt: „Gerade wir müssen nachweisen, dass nur ausgegeben werden kann, was durch die Gesellschaft erwirtschaftet wurde. Sonst bleibt an uns das Etikett der Umverteilungspartei kleben.“
Die einzige Existenzberechtigung für DIE LINKE liegt eben darin, „Umverteilungspartei“ zu sein! Holters Aussage zeigt, dass Teile der Partei schon längst die neoliberale, kapitalistische Logik übernommen haben.
Um „das Erwirtschaftete“, das Mehrprodukt, tobt ein Kampf und in den letzten Jahren haben die Reichen und Besitzenden sich immer größere Teile erobert, für die Masse sind die Realeinkommen gesunken. Die öffentlichen Kassen wurden durch Steuererleichterungen für die Reichen unter Kohl, Schröder und Merkel geplündert. Deren Rücknahme würde bundesweit etwa 120 Milliarden Euro Mehreinnahmen bedeuten.
Die Ebbe in den öffentlichen Kassen ist kein absoluter Wert. Wenn es um die Interessen der herrschenden Klasse geht, können auch die bürgerlichen Politiker enorme Summen öffentlicher Gelder mobilisieren: allein die Sozialisierung der durch die Finanzkrise verursachten Verluste der Banken durch Steuerausfälle und Stützung der öffentlichen Kreditinstitute beläuft sich auf mehrere Dutzend Milliarden Euro.
Das ZIP ist mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Umsetzung würde das Leben für Zehntausende Menschen verbessern und Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen. Aber es wäre nur ein Anfang. Es ist weit davon entfernt, die Macht- und Einkommensverhältnisse in diesem Land auf den Kopf stellen.
Vor allem wird es nicht den Kapitalismus sozial zähmen und eine stabile wirtschaftliche Entwicklung einleiten. In einem Artikel für die junge Welt schreibt die Abgeordnete Ulla Lötzer, das ZIP sei auch deswegen richtig, weil es die Binnennachfrage stärke, Beschäftigung schaffe und für Einnahmen bei der Sozialversicherung sorge.
Doch solch ein keynesianisches Programm ist eben nicht gut für alle, sondern würde die Verwertungsbedingungen des Kapitals verschlechtern. Gegenmaßnahmen wie Investitionsverweigerung, eine Eskalation der Steuerhinterziehung, Abzug von Kapital wären die Folge. Gerade wenn dies von einer Rezession begleitet würde, käme eine Regierung, die solche Schritte in die Wege leitet, sehr schnell in die Situation, die Maßnahmen über Neuverschuldung zu finanzieren.
Dabei verweisen die „Haushaltssanierer“ auf einen Fehler in der Argumentation der Keynesianer: Mit einer Steigerung der öffentlichen Ausgaben, zumal mit Schuldenmachen, wird kein „Perpetuum mobile“ einer sich selbst tragenden und regulierten Marktwirtschaft in Gang gesetzt, zumindest nicht in Zeiten eines kriselnden Kapitalismus. Stattdessen werden die Abhängigkeit von den privaten Banken verstärkt und öffentliche Defizite aufgehäuft. Schuldenmachen ist nicht links. „Haushaltskonsolidierung“ nach kapitalistischen Vorgaben allerdings noch viel weniger!
Der Keynesianismus der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre war das kapitalistische Modell eines langfristig wachsenden Weltmarktes im Nachkriegsaufschwung. Eine Rückkehr zu dieser Politik ist nicht möglich.
Das ZIP kann ein Anfang sein, um die Bevölkerung für einen echten Politikwechsel zu mobilisieren, um zu zeigen, dass Umverteilung und Maßnahmen im Interesse der Mehrheit möglich sind. Wird es aber nicht mit weiteren Schritten zur Vergesellschaftung von Banken und Konzernen ergänzt, belässt man alle Machtmittel beim Kapital, wird sich die herrschende Klasse formieren, um auch die bescheidenen Sofortmaßnahmen des ZIP zurückzudrehen. Wer den Tiger reizt, sollte wissen, dass man bereit sein muss, ihn auch zu erlegen.