Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich, Belgien, Niederlanden, Frankreich kämpften Bauern in diesen Tagen mit Lieferstopp und Blockaden für einen höheren Milchpreis.
Von den französischen Landwirten ist man radikale Proteste gewohnt. Dass auch die deutschen Bauern Blockaden vor Molkereien durchführten, zeigt wie verzweifelt ihre Lage ist.
Es gibt deshalb viel Verständnis für ihre Forderung nach höheren Preisen für ihre Milch. Gleichzeitig können sich viele Menschen schon jetzt keine Butter mehr leisten. Auch wenn der Boykott wohl vorerst beendet ist, stellt sich die Frage: Wie könnte ein Lösung aussehen, die sowohl die Interessen der Bauern als auch der Konsumenten berücksichtigt?
von Georg Kümmel, Köln
Der Gegensatz zwischen der Lage eines durchschnittlichen Milchbauern und dem Leben der Besitzer der großen Handelskonzerne könnte nicht krasser sein. Die meisten Milchbauern arbeiten als Familienbetriebe. Da die Kühe jeden Tag gefüttert und gemolken werden müssen, gibt es für diese Bauern keinen freien Tag in der Woche und im ganzen Berufsleben keinen Urlaub mit der Familie.
Auf der anderen Seite stehen die großen Handelskonzerne. Eine ganze Reihe ist im Besitz weniger Familien. Diese verfügen über einen Reichtum, der jede Vorstellungskraft übersteigt. Das Vermögen der Aldi-Brüder wird auf über 32 Milliarden Euro geschätzt. Auch die Eigentümer weitere Konzerne, die einen Großteil ihres Geldes mit Lebensmitteln verdienen, zählen zu den reichsten Menschen in Deutschland. Das Vermögen von Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) Familie Haub, (Kaisers, Plus), Otto Beisheim, Franz Haniel und Schmidt-Ruthenbeck (Metro-Real) wird auf jeweils mehrere Milliarden Euro geschätzt.
Die großen Einzelhandelskonzerne vereinigen in ihren Händen eine ungeheure Marktmacht. Dass die Bauern sie überhaupt zu Zugeständnissen zwingen konnten, ist ein beachtlicher Erfolg. Doch egal welche Vereinbarung jetzt getroffen wurde, an der grundlegenden Misere wird sich nichts ändern: weitere Bauern werden ihre Höfe aufgeben müssen und viele Konsumenten werden sich keine Butter leisten können. Derzeit gibt es noch ca. 100.000 Milchbauern in Deutschland. Ihre Zahl ist von 1984 bis 2005 um 70 Prozent gesunken. Übrigens ist auch die Zahl der Milchkühe im selben Zeitraum um 46 Prozent zurück gegangen. Die Milchleistung pro Kuh wurde dagegen gesteigert.
Wenn wir gesunde und bezahlbare Lebensmittel haben wollen, müssen die großen Handelskonzerne in Gemeineigentum überführt werden. Statt mit jedem Kauf noch mehr Geld auf deren Konten zu befördern, könnten sowohl die Interessen der Bauern als auch die der Konsumenten berücksichtigt werden. Allerdings ist Bauer nicht gleich Bauer. Da gibt es den Familienbetrieb, der am Rande des Ruins balanciert und da gibt es auch den Großgrundbesitzer, der die Landwirtschaft im industriellen Maßstab betreibt. Die Agrar-Subventionen werden heute aber nicht nach Bedürftigkeit vergeben, sondern nach Besitz. Wer das Vielfache an Fläche hat, bekommt auch das Vielfache an Subventionen. Und die Lebensmittelindustrie erhält ebenfalls hohe Subventionen aus den EU-Töpfen.
Eine Landwirtschaft die die Interessen von Mensch, Tier und Umwelt berücksichtigt, setzt eine völlige Umwälzung der bestehenden Verhältnisse voraus.
Dabei ist weder ein Zurück zum Kleinbetrieb die Lösung noch eine Kollektivierung der Landwirtschaft nach der bürokratisch-diktatorischen Art, wie sie in der DDR durchgeführt wurde. Stattdessen könnte der freiwillige Zusammenschluss zu einer Form von Genossenschaften staatlich gefördert werden und kostendeckende Preise staatlich garantiert werden. Auf diesem Weg könnte erreicht werden, dass soviel produziert wird, wie tatsächlich gebraucht wird und gleichzeitig bei den Produktionsmethoden in der Landwirtschaft Rücksicht auf Mensch, Tier und Umwelt genommen wird.
In der öffentlichen Debatte um den Milchpreis ist die prekäre Lage vieler Konsumenten kaum Thema. Doch auch die breite Masse der Verbraucher braucht mehr Geld, um sich Milch, Sahne, Butter, Käse und andere Lebensmittel leisten zu können.
Forderungen im Interesse der Mehrzahl der Bauern und der Konsumenten sind:
Sofortige Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel
Automatische Anpassung von Löhnen, Arbeitslosengeld, Azubi-Vergütungen, Renten und Kindergeld an die Inflation
Mindestlohn von 10 Euro als erster Schritt zu einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde
Weg mit Hartz I-IV, Mindesteinkommen von 750 Euro plus Warmmiete
Agrarsubventionen nur noch nach Bedürftigkeit statt nach Besitz
Überführung der Lebensmittelkonzerne in Gemeineigentum
Demokratische Kontrolle und Verwaltung durch Beschäftigte und Verbraucher