Interview mit Mustafa Efe, IG-Metall-Betriebsratsmitglied* im Werk Berlin-Marienfelde. Mit ihm sprach Johannes Burczyk
In den letzten Jahren weitete der Daimler-Konzern seine Produktion stetig aus und erzielte jährlich neue Rekordprofite. Jetzt sinken bei Euch im Werk die Stückzahlen. Deshalb wurden schon einige Schichten abgesagt. Weitere sollen folgen. Was bedeutet das für die Beschäftigten?
Das bedeutet einerseits, dass die Existenz vieler Arbeitsplätze in Gefahr gerät. Davon sind dann zuerst die befristet eingestellten Kollegen betroffen, deren Verträge nicht verlängert werden würden. Die ausgelernten Azubis werden nicht hier im Werk eingesetzt, sondern an andere Standorte verliehen.
Andererseits wird die Arbeitshetze für die übrigen Kollegen intensiviert. Das Unternehmen schraubt die Taktzeiten – also die Zeit, in der ein Montagearbeiter sein Produkt herstellen soll – immer weiter runter. Parallel dazu wird die Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten durch Technik und Meister verschärft.
Dabei wäre die Verkürzung der Arbeitszeit für alle und die Anhebung der Taktzeiten die richtige Antwort – auf Kosten der Konzernprofite. Wie ist die Stimmung bei den Kollegen?
Sehr unterschiedlich. Viele haben seit vielen Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich die Arbeitsbedingungen ständig verschlechtern und dass die IG Metall und die betrieblichen Vertreter dem kaum etwas entgegensetzen. Die Anpassung der Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen an die Interessen des Kapitals, erinnert sei nur an das Pforzheimer Abkommen und den Zukunftssicherungsvertrag von 2004, führte zu Enttäuschung und Passivität bei vielen Kollegen. Viele sind aus der IG Metall ausgetreten.
Und die Kollegen, die in den Gewerschaften für einen kämpferischen Kurs einstehen, werden oft mit autoritär-bürokratischen Manövern des Gewerkschafts-Apparates konfrontiert. So wurden im Frühjahr diesen Jahres die Wahlen zur IG-Metall-Delegiertenversammlung in Stuttgart vom Apparat abgebrochen, weil ihnen unangenehme Mehrheiten drohten.
In dieser Situation versuchen viele Kollegen einen individuellen Ausweg für sich zu finden, um der Arbeitshetze und dem Druck durch die Meister zu entgehen.
Manche haben einen Zweitjob, gehen nebenbei zur Schule oder nehmen eine Abfindung an, um sich selbstständig zu machen. Aufgrund des Arbeitsdrucks nimmt der Missbrauch von Alkohol, Drogen, von Spielsucht und so weiter zu.
Alleine schafft man das nicht, diese Probleme wirklich zu lösen. Der individuelle Weg bringt da nichts. Die tiefere Ursache liegt im kapitalistischen System. Dagegen hilft nur der gemeinsame Kampf für unsere Rechte und bessere Arbeitsbedingungen und die Abschaffung des Kapitalimus. Ich setze mich für eine sozialistische Gesellschaft ein, in der alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben, sich gemäß ihren Fähigkeiten an der Gesellschaft zu beteiligen.
Bei euch im Werk wird monatlich die oppositionelle Betriebszeitung Alternative herausgegeben. Welche Strategie wird damit verfolgt?
Der jetzige Kurs der Gewerkschafts- und Betriebsratsführung wird unweigerlich zu weiteren Niederlagen für die Arbeiter führen. Wir brauchen aber Gewerkschaften und Betriebsräte, die konsequent die Interessen der Kollegen vertreten. In der jetzigen Periode muss es darum gehen, kämpferische Kollegen und gewerkschaftliche Aktivisten zu sammeln und in den Betrieben klassenkämpferische Gruppen aufzubauen, um innerhalb der IG Metall eine politische und personelle Alternative zur Linie des Verzichts und der Anpassung zu schaffen. Die Alternative will dazu einen Beitrag leisten. Ziel der Alternative ist es nicht, stellvertretend für die Kollegen zu handeln. Wir wollen mit den Kollegen die Diskussion führen, Entscheidungen fällen und – bei Bedarf – gemeinsam mit Aktionen und Streiks tätig werden. Nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben.