Interview mit Marco Veruggio, Mitglied im Vorstand der Partito della Rifondazione Comunista (Prc) und der marxistischen Strömung Controcorrente – Sinistra Prc, 5. August 08
Das Interview führte Conny Dahmen.
Am vorletzten Wochenende hat der nationale Kongress der Rifondazione Communista (=Kommunistische Neugründung) stattgefunden, auf dessen Ergebnis die bürgerlichen Medien in Italien und international mit Entsetzen reagiert hatten: die PRC sei um Jahrzehnte zurück gefallen und Altkommunisten hätten eine leninistische Rückorientierung umgesetzt. Was ist seit dem verheerenden Wahlergebnis in der PRC geschehen?
Aus dem PRC-Kongress haben sich unerwartet ganz neue Möglichkeiten ergeben, obwohl praktisch alle, auch wir, damit gerechnet hatten, dass mit dem Kongress die Partei beerdigt würde. Viele hatten uns zuvor gefragt, was wir denn nach dem Ende der PRC machen werden.
Dass Berlusconi zum dritten Mal an die Macht kommen konnte, hatte ja zwei Gründe:
Zum einen die große Wut in der Arbeiterklasse auf die zweite Prodi-Regierung. Die Menschen hatten eine Politik erwartet, die es ihnen einfacher macht, ihren Lebensstandard zu verbessern, z.B. höhere Löhne, Renten, besseren öffentlichen Dienst. Aber das Gegenteil war der Fall.
Die Regierung führte eine schlimmere Rentenreform durch als vorher die Berlusconi-Regierung, die Löhne fielen, die Privatisierung, besonders des Öffentlichen Dienstes, wurde fortgesetzt. Italien hat zwar seine Truppen aus dem Irak zurückgezogen, aber Prodi hat das Abkommen Berlusconis mit den USA über den Militärstützpunkt in Vincenza bestätigt.
Aber der zweite Faktor war das extrem schwache Auftreten der Linken. Die Menschen hatten das Gefühl, verlassen worden zu sein. Die Arbeiterklasse hat eine klare Botschaft übermittelt: wir sind enttäuscht! Nach der Wahl ist die Linke zum ersten Mal seit dem Faschismus nicht im Parlament vertreten, so dass es keine andere parlamentarische Opposition außer der DP (Demokratische Partei) gibt. Diese stellt aber keine wirkliche Alternative dar, man kann von einer regelrechten Großen Koalition sprechen. Berlusconi und Vetroni betonen immer wieder, zusammenarbeiten zu müssen.
Wie konnte die „Beerdigung“ der PRC denn verhindert werden?
Beim Kongress standen mehrere Positionspapiere zur Abstimmung, da die PRC nach der Wahlniederlage sehr gespalten war. Das erste, das 47% der Stimmen erhielt, war die Position Bertinottis und seiner AnhängerInnen. Sie wollten den eingeschlagenen Weg weitergehen und sich in der breiten Sinistra Arcobaleno (Regenbogenlinke) aufzulösen. Diese orientiert sich nicht mehr ausschließlich an der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften, und tritt für ein neues Mitte-Links-Bündnis ein.
Die zweite Position war die Paulo Ferreros (ehem. Solidaritätsminister in der Prodi-Regierung), was 40% Zustimmung bekam. Dieses Positionspapier kritisierte die Sinistra Arcobaleno und Bertinottis Politik seit dem venezianischen Kongress 2005, war aber auch sehr schwach und voller Zweifel. Im Prinzip sagte es aus, die PRC zu erhalten, aber weiterhin über das Regebogen-Projekt nachzudenken. Außerdem gab es noch zwei Positionspapiere linker Strömungen in der PRC.
Zuerst dachten alle, es würde ein Kompromiss zwischen den beiden Hauptlagern zustande kommen. Aber während dem Kongress fand plötzlich eine Radikalisierung der Basis statt: als die Mitglieder an der Basis mitbekamen, dass sich auf dem Kongress ein Kompromiss zwischen Ferrero und Bertinotti abzeichnete, nahm die Revolution ihren Lauf. Die Basisortsgruppen kontaktierten ihre Delegierten über Handy und bauten einen solchen Druck auf, dass Ferrero sich letztendlich mit den linken Strömungen verbündete. Eine gemeinsame Resolution wurde unterzeichnet, in der es hieß, dass das Thema Regenbogenlinke ein für allemal vom Tisch ist und wir die PRC wieder als Oppositionspartei aufbauen müssen – nicht nur auf nationalem sondern auch lokalen Ebene, und als Alternative zur DP.
Welche Auswirkungen hat dieses Ergebnis auf die Arbeiterklasse?
Mein Eindruck ist, dass die bürgerliche Pressekampagne nach dem Kongress, die das Ergebnis als sehr negativ darstellte, enorme Erwartungen in der Arbeiterklasse geweckt hat. Die Beschäftigten ziehen aus der Propaganda die Schlussfolgerung, dass ein schlechtes Ergebnis für die Bürgerlichen ein gutes Ergebnis für sie selbst sein muss.
Dieser große Sieg der linken Basis war nicht nur für die Mitglieder, sondern auch AktivistInnen außerhalb der Partei überraschend. Wir erhielten tausende von Telefonanrufen, nicht nur von PRC-Mitgliedern, sondern auch COBAS-Leuten und anderen AktivistInnen, die uns sagten: “Bravo! Ihr habt die PRC gerettet, das ist auch für uns ein großer Erfolg!“
Die neuen Regierungsparteien starten mit ihrem neuen Sicherheitspaket zurzeit eine Reihe scharfer Angriffe gegen MigrantInnen und schüren massiv Rassismus, besonders gegen die Roma- Minderheit. Was sind die nächsten Schritte der PRC gegen Berlusconis Politik?
Berlusconi hat in den letzten Monaten vor allem das Thema Migration und die Sicherheitsfrage propagandistisch benutzt, um einen neuen Krieg unter den Armen zu provozieren. Er setzt jetzt die Armee in verschiedenen Städten Italiens ein, um einige Probleme zu lösen, zum Beispiel in Neapel gegen die Anti-Müll-Bewegung. Gleichzeitig will er sich selbst vor der Justiz schützen: so gibt es ein neues Gesetz, das den höchsten Politikern für die Dauer ihres Amtes Immunität verleiht, egal, welches Vergehens sie verübt haben. Viele weitere Gerichtsverfahren könnten lange verzögert werden, unter anderem die laufenden Verhandlungen wegen der Polizeibrutalität bei den Protesten in Genua 2001. Die Regierung hat auch eine Kampagne gegen die Staatsangestellten (die sogenannten „fannulloni“= Arbeiter,die nichts machen!) gestartet.
Als ersten Schritt hat der PRC- Kongress beschlossen, zusammen mit anderen linken Kräften eine große Anti-Berlusconi-Demo im November zu organisieren. Die Zusammenarbeit mit diesen linken Gruppen, wie Sinistra Critica und die Kommunistische Arbeiterpartei, welche die PRC während der Regierungsperiode verlassen haben, und auch linken Gewerkschaftsströmungen, ist eine Kernforderung der radikalisierten Basis. Sie fordern, dass sich alle für den Aufbau einer neuen antikapitalistischen Linken zusammenzuschließen.
Welche Perspektiven siehst Du für einen Wiederaufbau der Linken in Italien und wo sieht controcorrente ihre Rolle dabei?
Die zentrale Frage ist: welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise und die Klassenkämpfe, welche sie hervorrufen wird, auf die Spannungen in der PRC haben werden. Die Radikalisierung ist einerseits eine Reaktion auf Bertinottis Politik der letzten Jahre und seine ideologischen Vorstellungen für die PRC, wie die Ablehnung des Marxismus und so weiter. Aber sie hat auch objektive Gründe: unsere Mitglieder leiden auch unter den ganzen Verschlechterungen wie Sozialkürzungen, Privatisierung und Inflation, und werden sich daher am Klassenkampf orientieren.
Diejenigen, die über die Wende bei der PRC am meisten besorgt sind, sind die Gewerkschaftsspitzen. Denn die PRC ist die einzige Kraft, die einen Zusammenschluss der linken Strömungen in den Gewerkschaften zum CGIL-Kongress 2010 unterstützen kann.
Bertinotti wird eine sozial-progressive Fraktion in der PRC aufbauen, aber wahrscheinlich wird der Druck der Ereignisse ihn hinausdrängen. Doch die Lage ist kompliziert: Ferrero ist mit einer knappen Mehrheit von nur sieben Stimmen Vorsitzender geworden, was die tiefen Widersprüche innerhalb der PRC verdeutlicht. Die radikale Basis kann ihn weiter nach links drücken. Währenddessen drängt ihn sein bürokratisches Umfeld wiederum nach rechts.
Sollte das erste Szenario eintreten, kann die PRC wieder zu einem Bezugspunkt für die Arbeiterklasse werden. Wir sehen heute unsere Aufgabe darin, alle Kräfte zu sammeln, um eine neue linke Partei aufzubauen, falls er doch einknickt. Wir müssen vorsichtig sein, aber das Ergebnis des Kongresses ist auf jeden Fall sehr gut.