Wird das die politische Krise des Landes beenden?
von Khalid Bhatti, Lahore, Socialist Movement Pakistan (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Pakistan)
Am Ende trat General Musharraf zurück. Damit erlebten die pakistanischen Massen am 18. August den Abgang eines weiteren Militärdiktators. Sein Rücktritt stand am Ende monatelanger Spekulationen über seine Zukunft. Als der Rücktritt bekannt wurde, brachen sofort Jubelfeiern auf den Straßen aus. Die Menschen begannen vor Freude zu tanzen, und es wurden tonnenweise Süßigkeiten verteilt – eine Tradition bei Festlichkeiten in Pakistan.
Musharraf war zum Rücktritt gezwungen, um der Demütigung eines Amtsenthebungsverfahrens im Parlament zuvorzukommen. Am 7. August hatte die Koalitionsregierung angekündigt, dass sie ein Amtsenthebungsverfahren einleiten würde, falls er es ablehnen sollte zurückzutreten. Für viele kam diese Entscheidung nicht überraschend; dieser Schritt wurde seit der Bildung der Regierungskoalition nach den Wahlen Anfang dieses Jahres erwartet worden. Der Rücktritt Musharrafs bedeutet das Ende einer Ära, in der Pakistan in eine wirtschaftliche, politische und soziale Krise gestürzt wurde. Musharraf hinterlässt Pakistan als ein zerbrechlicheres und zerbrocheneres Land im Vergleich zum Zeitpunkt seines Amtsantritts 1999.
Sicherer Abgang
Musharraf entschied sich zum Rücktritt, nachdem er von der Armee und der US-Administration die Zusicherung erhalten hatte, dass er nicht angeklagt wird und seine Handlungen straflos bleiben. Anfänglich war er noch gewillt, das Amtsenthebungsverfahren auf sich zu nehmen, und erwog verschiedene Möglichkeiten, um diese schwierige Situation durchzustehen. Um das Amtsenthebungsverfahren zu verhindern, zog er sogar in Betracht, seine verfassungsmäßige Macht auszunutzen und das Parlament aufzulösen. Er versuchte, dabei die Unterstützung der militärischen Befehlshaber zu bekommen. Sie lehnten dies jedoch ab. Als die meisten ihrer Parlmentsabgeordneten öffentlich ankündigten, im Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zu stimmen, war seine politische Partei, die pakistanische Muslimliga (Quaid-e-Azam) beziehungsweise PML-Q, ramponiert.
Laut Nachrichtenmeldungen entschied sich Musharraf erst zum Rücktritt, als Armee-Oberbefehlshaber Kayani ihn deutlich darauf hinwies, dass, wenn er nicht gewillt sei zurückzutreten, nicht nur ein Amtsenthebungs- sondern auch ein Gerichtsverfahren und Strafverfolgung gegen ihn eingeleitet werden würden. Ihm blieb keine andere Wahl als den sicheren Weg des Rücktritts zu gehen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass er nicht im Land bleiben wird. Möglicherweise wird er in die USA übersiedeln. Die Armeegeneräle wollten einen sicheren Abgang für ihn, da sie einen ehemaligen Armeechef nicht von zivilen Politikern demütigen lassen wollen. Bei der Aushandlung des Deals zwischen Regierung und Musharraf spielten die Bush-Administration und die saudische Regierung eine Schlüsselrolle. Dieser Deal wird von drei Seiten garantiert: der Bush-Administration, dem saudischen Regime und der pakistanischen Armee. Damit wird Musharraf einem Gerichtsverfahren und weiterer Strafverfolgung entgehen.
Nawaz Sharifs pakistanische Muslimliga (PML-N), die zweitgrößte Partei der regierenden Koalition, war nicht für einen „sicheren Abgang“ für Musharraf. Doch die Pakistanische Volkspartei (PPP), der größere Koalitionspartner, wollte ihn. Es ist überdeutlich, dass das Militär-Establishment kein Verfahren gegen ihren ehemaligen Chef und Viersternegeneral erlaubt hätte, da dies als „Beleidigung“ der Spitzenränge gesehen worden wäre. Die zivilen Politiker sind bisher noch nicht stark genug, um die militärische Macht zu übernehmen. Als symbolische Geste hat die Armee Musharraf zugestanden, weiterhin in einer Militärunterkunft, der offiziellen Residenz des Armeechefs, zu wohnen.
Der Fall des Pervez Musharraf
Wieder hat ein Militärdiktator abgedankt, nachdem er in jeder Hinsicht eine soziale und politische Krise angerichtet hat. Seine Bemühungen, sich an der Macht zu halten, endeten schließlich nach neun Jahren Tyrannenherrschaft, die 1999 begann. General Musharraf kam an die Macht und regierte wie seine drei Amtsvorgänger als Armeestabschef (COAS) das Land. Seine Uniform war das erste Erste Mittel zur Absicherung seiner Position und die Armee das Instrument der Eigenermächtigung und Kontrolle. Am Tag, als er seine Uniform ablegte, war er nicht länger Herr seiner selbst oder des Schicksals Pakistans.
Der Verlust der institutionellen Macht der Armee war gewissermaßen der Anfang vom Ende. Musharraf trug die Uniform so lang er konnte. Wegen der aufkochenden Missgunst sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Armee gab es keine andere Möglichkeit mehr, als auf das Amt zu verzichten.
Wie die früheren Militärdiktatoren General Ayub Khan und General Zia-ul-haq sorgte auch Musharraf für vier Dinge, um sein politisches Überleben zu sichern. Er stärkte die Macht des Präsidenten durch Verfassungsänderungen (Ayub schrieb eine neue Verfassung). Er versuchte, mit einem zusammengebastelten Referendum für seine Legitimation durch die Öffentlichkeit zu sorgen und durch die Zügelung der Judikative eine legal Deckung seiner illegalen, gegen die Verfassung gerichteten Handlungen zu erreichen. Außerdem gründete er mit der PML-Q eine politische Partei.
Wie wir an den politischen Ereignissen sehen können, die sich nach seinem Rücktritt als COAS entwickelten, wird die künstliche politische Übereinkunft nicht lange halten. Er tat alles Mögliche, um an der Macht zu bleiben, aber im weiteren Verlauf gingen ihm dafür die Optionen aus. Die Absetzung des Präsidenten des obersten Gerichtshofs, Iftikhar Chaudhary, im März 2007 und die Einführung des Kriegsrechts im November 2007 stehen für ein verhängnisvolles Vorgehen. Er sorgte vor ihrer Ermordung sogar für ein Abkommen mit der Führerin der PPP, Benazir Bhutto, um seine Herrschaft fortzusetzen. Das Ergebnis der Wahlen vom 18. Februar, in der seine eigens ins Leben gerufene politische Partei, die PML-Q, schwere Verluste hinnehmen musste, war der Abpfiff für seine Herrschaft. Sein Machtverlust war – nach seiner Entscheidung, die Uniform abzulegen – nur noch eine Frage der Zeit. Musharraf mag die Bühne verlassen haben, doch sein Vermächtnis wird die Menschen in Pakistan weiterhin verfolgen.
Zukunft der Regierungskoalition und politische Stabilität
Beobachter vor Ort und Kommentatoren sagen, dass mit dem Rücktritt General Musharrafs die politische Unsicherheit vorüber ist und eine neue Periode der Stabilität beginnen wird. Doch die Realität der politischen Situation vor Ort zeigt in eine andere Richtung. Innerhalb der Regierungskoalition existieren in vielen Punkten weiterhin entscheidende Differenzen. Der strittigste Punkt zwischen PPP und der PML-N ist der Aspekt der Wiederherstellung der Judikative. Die PML-N will, dass die Judikative durch eine Rechtsverordnung sofort wieder hergestellt wird. Die PPP unterstützt die Wiedereinsetzung der entlassenen Richter allerdings nur als Teil eines verfassungsrechtlichen Gesamtpakets. Über diesen Punkt hat sich die PML-N im Mai bereits aus dem Kabinet zurückgezogen. Die Regierungskoalition kündigte zweimal eine Frist für die Wiedereinsetzung der Richter an, sie scheiterte aber jedes Mal bei der Umsetzung. Jetzt haben sie versprochen, die Wiedereinsetzung der Richter innerhalb 72 Stunden nach Musharrafs Abgang durchzuführen.
Das Thema, das die Koalition spalten kann, ist der „Krieg gegen den Terror“. PML-N und die JUI (Jamiat Ulema-e-Islam; eine der fünf bedeutendsten islamischen Parteien) wollen die Militäroperationen in den Stammesgebieten und in Swat (Teil der Nordwestprovinz; Anmerkung des Übersetzers) beendet wissen. Doch der US-amerikanische Imperialismus übt starken Druck auf die Regierung aus, um nicht nur mit diesen Militäroperationen fortzufahren, sondern diese auch auf andere Gebiete auszuweiten. Die PPP und die Awami National Party (ANP; vertritt einen „paschtunischen Nationalismus“ und steht für „pan-islamischen Sozialismus“; Anmerkung des Übersetzers), zwei der Koalitionspartner, wollen die Bush-Administration nicht brüskieren und mit den Militäroperationen fortsetzen. In anderen Punkten gibt es Differenzen, die zu Schwierigkeiten und noch größeren politischen Unwägbarkeiten in den kommenden Monaten führen können.
Dass die Koalitionsregierung sofort zerbrechen wird, ist unwahrscheinlich. Jedoch kann diese Möglichkeit nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Der „gemeinsame Feind“ ist nun gegangen. Opposition gegenüber Musharraf stellte den größten einigenden Faktor dar, der die alten Kontrahenten in der momentanen Koalition zusammenschweißte. Das herrschende Establishment wird alles versuchen, um Risse und Feindseligkeiten zwischen den größten kapitalistischen Parteien zu erzeugen. Das lange Zeit währende Bündnis und die Zusammenarbeit zwischen PPP und PML-N ist nicht im Interesse der herrschenden Elite. Langfristig kann dieses Bündnis zu einem Gegengewicht gegenüber der politischen Dominanz der herrschenden Elite – vor allem dem Militär-Establishment – werden.
Es gibt viele Herausforderungen, mit denen die Koalitionsregierung konfrontiert ist: die Zunahme religiös-extremistischer Militanz in den Stammesgebieten und einem großen Teil der Nordwestprovinz; die Rationalisierung von Lebensmitteln und eine himmelhohe Inflation; zunehmende Armut und Hunger; eine stagnierende Wirtschaft und fortgesetzte nationalistische Aufstände in Belutschistan (pakistanische Provinz und Name einer im Iran, Afghanistan und Pakistan liegenden Region; Anmerkung des Übersetzers). Sie alle sind entscheidende Aspekte, mit denen sich die Regierung auseinandersetzen muss.
Die erste Rechtfertigung der Regierung dafür, dass diese Probleme nicht gelöst sind, hat keine Grundlage mehr: Sie hieß „Musharraf“. Die Regierungskoalition versagte darin, die rapide steigenden Lebensmittelpreise einzudämmen und den wirtschaftlichen Abschwung zu verhindern. Die arbeitenden Massen stehen weiterhin über Stunden in Warteschlangen an, um Weizen und Mehl zu kaufen. Die Gesundheitsversorgung und der Bildungsbereich sind verkrüppelt. Die wirkliche Testphase für die Regierung hat eben erst begonnen.
Stimmung unter den Massen
Die Koalitionsregierung hat etwas mehr an Zeit und Unterstützung gewonnen nachdem sie Musharraf aus dem Amt zwangen. Trotzdem sind die arbeitenden Massen nicht in der Stimmung, dem herrschenden Bündnis viel Zeit zu lassen. Es gibt bereits eine weit verbreitete Enttäuschung über die bisherigen Leistungen der Regierung. Vor dem Rücktritt Musharrafs zeigten alle Umfragen einen rapiden Einbruch der Unterstützung der PPP. Ganz kurzfristig wird die PPP Unterstützung gewinnen und davon profitieren, dass sie Musharraf von der Macht verdrängte. Wenn das regierende Bündnis damit Erfolg hat, die abgesetzten Richter wieder ins Amt zu bringen, kann dieser Prozess für eine kurze Frist verstärkt werden besonders bei der Mittelklasse und Teilen der Arbeiterklasse. Aber wenn es der regierenden Koalition nicht gelingt, die Richter wieder einzusetzen, dann wird die augenblickliche Unterstützung in Enttäuschung und Wut umschlagen.
Die herrschende Koalition wird auch nicht in der Lage sein, die Hoffnungen der Menschen am Leben zu halten, da die wirtschafltliche Krise ungelöst bleibt und sich verschlimmert.
Immer noch gibt es eine weit verbreitete Unzufriedenheit und Desillusionierung unter breiten Schichten der arbeitenden Massen gegenüber sämtlichen politischen Parteien. Die Menschen haben einfach das Vertrauen und die Zuversicht hinsichtlich der politischen Parteien und ihrer Führungen verloren. Wut und Hass gegen die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wachsen. Die Mehrheit der arbeitenden und armen Menschen hat ihre Hoffnung und ihre Träume von einer besseren Zukunft und einem besseren Leben verloren.
Während es momentan eine Art Pause im Kampf der Bewegung der Arbeiterklasse gibt, haben einige Teile der Arbeiterklasse – wie beispielsweise die Beschäftigten der Telekom- und der Textilbranche – ihre Stärke gezeigt und zurückgeschlagen. Obwohl diese Kämpfe noch verallgemeinert werden müssen, sind sie zukunftsweisend. Die Arbeiterklasse ist politisch vom Zentrum des politischen Geschehens abgetrennt, weil es an einer Partei fehlt, die sie vertritt.
Die Arbeiterklasse braucht dringend ihre eigene Partei, um für ihre Klasseninteressen zu kämpfen. Solch eine Partei kann auf der Basis eines radikalen sozialistischen Programms die Massen gegen die Ausbeutung, Tyrannei, Armut und das verrottete kapitalistische und feudalistische System mobilisieren. Es gibt für die arbeitenden Massen keinen zukunftsweisenden Weg im Kapitalismus. Eine sozialistische Transformation ist der einzige Weg vorwärts.