„Vereinbarung zur Tolerierung“: Wird die LINKE in Hessen zum Juniorpartner für SPD und Grüne – nur ohne Ministerposten?

Einzelfallentscheidungen statt Blankoscheck!

Stellungnahme der SAV


 

[Bericht vom Landesparteitag der LINKEN Hessen 29.-31. August 2008]

Für den Aufbau der LINKEN in Hessen als einer konsequenten, sozialistischen Kraft

SPD und Grüne versuchen, die LINKE in Hessen unter Druck zu setzen und „verbindliche Vereinbarungen“ über die Unterstützung der LINKEN für ihre Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode zu erzielen. Doch die LINKE hat bereits verbindliche Ankündigungen getroffen: Ihren WählerInnen und UnterstützerInnen gegenüber. Der Maßstab für alle Entscheidungen im Landtag kann nur sein: Nutzt das konkrete Vorhaben den Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen? Ja oder Nein.

Gesamtpakete (egal ob sie Tolerierungsvertrag genannt werden oder als „Absprachen bezüglich der Tolerierung“ deklariert werden) lehnen wir ab. Wer anfängt, für Vereinbarungen mit den Parteien der Schröder-Agenda Kröten zu schlucken, endet wie SPD und Grüne selbst. Oder wie die PRC in Italien mit ihrem Wahldesaster nach ihren Prodi-Unterstützungen. Oder wie die PDS in Berlin, die sich zwar durch die bundesweiten Entwicklungen gerade bei Umfragen erholt, aber für ihre Regierungspolitik 180.000 Stimmen verlor (die Hälfte ihrer Wahlunterstützung).

Die hessische LINKE steht vor wichtigen Fragen: Wird der Kurs gegen eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der SPD bei der erstbesten Gelegenheit aufgegeben? Oder wird die Opposition gegen alle Parteien, die für Sozialabbau und Privatisierungen stehen, fortgesetzt? Folgt nun der erste West-Landesverband der Berliner Tragödie? (Jüngstes Beispiel, Berliner Tarifflucht à la Koch: Der SPD-LINKE-Senat erklärte nach 5 Jahren ohne Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst die Verhandlungen einseitig für beendet und will die KollegInnen mit einer Einmalzahlung abspeisen!)

Der Landesparteitag der LINKEN in Hessen am 29. bis 31. August hat mit seiner Entscheidung für eine dauerhafte Tolerierung und entsprechenden Absprachen mit Rot-Grün eine für die LINKE und für die arbeitende Bevölkerung gefährliche und falsche Entscheidung getroffen.

Koch muss weg!

Die Wut über Koch – unter anderem nach Tarifflucht, Studiengebühren und rassistischem Wahlkampf – ist riesig. Es ist richtig, gegen Koch und – unter den gegebenen schlechten parlamentarischen Verhältnissen – für Ypsilanti und ihre Regierung zu stimmen. Doch für eine grundlegend andere Politik braucht es mehr. Die Politik aller SPD-geführten Regierungen der letzten Jahre zeigt, für welche Interessen diese Partei Politik macht.

Wir wollen uns in Zukunft nicht mehr zwischen den beiden Übeln Koch und Ypsilanti entscheiden, sondern durch eine starke LINKE, durch kräftige Opposition in Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ganz andere Spielräume erkämpfen. Dem muss die parlamentarische Tätigkeit der LINKEN untergeordnet werden. Ein einmalige Wahl für Ypsilanti und ihre Regierung ringt uns ab, das „kleinere Übel“ zu wählen. Würde das an der LINKEN scheitern, wäre das für viele unserer UnterstützerInnen unverständlich, da wir bei dieser Abstimmung keine ernsthafte Alternative haben und viele Hoffnungen da sind, dass alles besser sei als eine Fortsetzung der Koch-Regierung. Doch beim Haushalt und anderen Gesetzesvorhaben stellen sich die Fragen grundlegend anders. Jede weitere Abstimmung wird zur inhaltlichen Frage: Nutzt sie der Masse der Bevölkerung? Dienst sie dem Aufbau des Widerstands gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Tarifflucht?

Denn auf den Widerstand und Mobilisierung in Betrieben und Gewerkschaften sowie von sozialen Bewegungen kommt es an. Das Beispiel Studiengebühren belegt: So kann eine andere Politik erkämpft werden. Entscheidend ist außerdem, dass die LINKE solche Kämpfe aufgreift, unterstützt und immer wieder auch selbst initiiert. Gemeinsam können wir die LINKE aufbauen, um endlich eine Kraft zu haben, die konsequent die Interessen der Masse der Bevölkerung vertritt und nicht – wie alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien – die des Kapitals.

Das schließt einen Tolerierungsvertrag oder andere sinngleiche Vereinbarungen aus, die die LINKE an Kompromisse und Kröten binden sollen.

„Tolerierung ist doch keine Koalition“?

Gerade im hessischen Landesverband der LINKEN gab es starke Opposition zu Koalitionen mit der SPD. Nach all den Erfahrungen ist das auch absolut nötig. Doch ein Tolerierungsvertrag oder „Verabredungen zur Tolerierung“ – also eine Vereinbarung über gemeinsame Politik für den Rest der Amtszeit des Landtags – ist nichts anderes als ein Koaltionsvertrag ohne Minister.

1994 stimmte die PDS in Sachsen-Anhalt einem solchen Modell zu, da sie sich erhoffte, damit ihre „Regierungsfähigkeit“ unter Beweis stellen zu können und für die SPD „koalitionsfähig“ zu werden. Diese Anpassung ging so weit, dass die Sozialabbau-Koaltionen in Mecklenburg-Vorpommern (Vernichtung von Zehntausenden von Landesstellen) und Berlin (Lohnabsenkung, Privatisierung von über 100.000 Wohnungen, Kürzungen im Jugendbereich, …) folgten.

Das war ein Beitrag zum Niedergang der PDS, der erst durch die Zusammenarbeit mit der WASG gestoppt wurde. Die LINKE ist zu wichtig für ArbeitnehmerInnen als dass sie diesen Weg gehen dürfte!

Prinzipien statt Verbesserungen für die Menschen?

Das ist nicht gleichbedeutend mit politischer Enthaltsamkeit. Wir wollen nicht nur Opposition bleiben. Doch warum sollte die LINKE die Verantwortung für eine Regierung mit einer Partei übernehmen, die bundesweit dafür sorgt, dass die Reichen reicher werden und die öffentlichen Haushalte geleert? Wird die LINKE in Hessen dann per Tolerierungsvereinbarung zustimmen, unter solchen Bedingungen die Politik „mitzugestalten“, das heißt die Sachzwänge umzusetzen?

Bleibt die LINKE ihrer Basis, den abhängig Beschäftigten und ihren Familien, treu, dann prallen ihre Ziele zusammen mit der von SPD und Grünen verfolgten Unterordnung der Politik unter die Logik der kapitalistischen Sachzwänge. Daher ist eine Vereinbarung über gemeinsame Politik über Einzelfragen hinaus mit ihnen weder kommunal, noch landes- oder bundesweit möglich, ohne dass die LINKE ihrerseits anfangen würde, ihre UnterstützerInnen zu enttäuschen.

Diese prinzipielle Ablehnung solcher Regierungsbeteiligungen steht konkreten Verbesserungen für die Bevölkerung nicht im Weg: Jede Gesetzesinitiative von Rot-Grün zugunsten von Jugendlichen, Beschäftigten, Erwerbslosen oder RentnerInnen könnte sicherlich sofort auf eine Mehrheit im Parlament bauen – wenn denn SPD und Grüne geschlossen dafür wären!

Diese Prinzipien können aber verhindern, dass die LINKE die nächste Partei mit sozialistischem Anspruch wird, die trotz hehrer Ziele in Regierungsbeteiligungen mit Sozialabbau-Parteien landet.

Eine andere Landesregierung ist möglich

Eine andere Landesregierung ist möglich: Die Landesregierung könnte genutzt werden im Widerstand gegen die Bundesregierung. Sie könnte um jeden Cent für die Masse der Bevölkerung zulasten der Superreichen kämpfen. Sie könnte Maßnahmen zum Arbeitsplatzerhalt und zur Verteidigung gegen die kapitalistische Krise durch Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien ergreifen (nach Landesverfassung, §39, muss keine Entschädigung bei „monopolistischer Machtzusammenballung“ gezahlt werden). Wenn Ypsilanti das tun wollte – wunderbar. Dann wird ihr eine konsequente Unterstützung in jedem Einzelfall helfen. Davon ist allerdings nicht auszugehen.

Es ist offensichtlich: Eine solche Regierungspolitik scheitert an SPD und Grünen. Ziel muss es aber sein, dafür Unterstützung zu gewinnen. Die LINKE wird den Kapitalismus nicht besser managen als CDU und SPD oder ihnen durch Tolerierung dabei den richtigen Weg weisen. Sie kann aber eine Alternative dazu aufzeigen und darüber eine starke Kraft werden, die in der Lage ist, die Gesellschaft zu verändern.