Wir veröffentlichen hier die deutsche Übersetzung einer Analyse des Russland-Georgien-Konflikts von Rob Jones aus Moskau. Er ist Mitglied von Sotsialisticheskoye Soprotivlemiye, der Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Russland. Der Text wurde in englischer Sprache am 23. August 2008 auf www.socialistworld.net veröffentlicht.
Als der Konflikt zwischen Russland und der Kaukasusrepublik Georgien über die kleine, abtrünnige Region Südossetien plötzlich eskalierte und sich zu einem albtraumhaften militärischen Konflikt ausweitete, wendete die Weltpresse ihren Blick von den glamourösen Olympischen Spielen in China ab.
Nach wochenlang zunehmenden Spannungen in Südossetiens Hauptstadt Zchinvali entsendete Georgiens Präsident Michail Saakaschwili Truppen, um die Region unter Kontrolle zu bringen. In der Nacht vom 6. auf den 7. August griffen georgische Verbände Zchinvali und fünf weitere Ortschaften mit automatischen Waffen und Artillerie an. Zu Beginn der Kämpfe gab es unterschiedliche Angaben über die Zahl der Getöteten.
Ein russischer Journalist sagte, dass die südossetische Hauptstadtt schwer beschädigt worden ist. „Der Ort wurde zerstört. Es gibt hohe Verluste, viele sind verwundet", so Said Zarnajew gegenüber Reuters aus Zchinvali. „Gestern war ich im Krankenhaus, wo ich viele verwundete ZivilistInnen sah. Später ist dieses Krankenhaus von georgischen Kampfflugzeugen zerstört worden. Ob die Verwundeten zu dem Zeitpunkt noch dort waren, weiß ich nicht". Sowohl der südossetische Präsident Eduard Kokoity als auch der russische Außenminster Sergej Lawrow behaupteten, dass während der Angriffe über 1500 Menschen – in erster Linie friedliche Einwohner – getötet worden sind. Mindestens 15 russische Soldaten der in Zchinvali stationierten „Friedenstruppe" wurden getötet.
Georgische Einheiten hatten anfangs die Stadt eingenommen. Angeblich um die Menschen in der Region zu verteidigen, überquerten dann von einer großen Kolonne schwerer Panzer angeführte russische Truppen von Russland aus die Bergpässe nach Südossetien. Es brachen erneut Kämpfe in Zchinvali aus und tagelang behaupteten sowohl russische wie auch georgische Militärsprecher, die Kontrolle über die Stadt zu haben. Beide Seiten setzten die Luftwaffe ein.
Zunehmende Zerstörung
Russische Truppen bewegten sich dann aus Südossetien fort, besetzten die Stadt Gori und griffen militärische und wirtschaftliche Ziele im übrigen Georgien an. Danach war Gori so zerstört wie Zchinvali. Bei diesen Angriffen sind viele getötet bzw. verwundet worden. Die GeorgierInnen behaupten auch, dass russische Flugzeuge Schiffe in georgischen Schwarzmeerhäfen bombardiert und dass die Öl- und Gaspipelines, die durch das Land führen, angegriffen wurden.
Saakaschwili erklärte, dass Georgien sich im Kriegszustand befinde, kündigte die Mobilmachung der Reservisten und den unmittelbaren Abzug der Truppenkontingente aus dem Irak an. Dort hat Georgien 2.000 Soldaten stationiert, das drittgrößte Kontingent nach den USA und Großbritannien. Auf beide Seiten wurde großer diplomatischer Druck ausgeübt, um den Konflikt beizulegen. Mit einer Condoleeza Rice, die während des Konflikts praktisch Saakaschwilis Händchen hielt, traten die USA Russland offen feindlich gegenüber. Die EU versuchte mit Merkel und Sarkozy, die zwischen den beiden Hauptstädten hin und her reisten und einen Kompromiss zu finden versuchten, unparteiischer aufzutreten. Iran, der an die Kaukasusregion grenzt, bot an, in der Auseinandersetzung als Schlichter aufzutreten und China rief zu einem Waffenstillstand auf, „was die traditionelle Verhaltensweise während der Olympischen Spiele ist"!
Jetzt, obgleich viele russische Soldaten in Georgien bleiben, scheint die kriegerische Auseinandersetzung vorüber zu sein. Doch die Welt hat sich dramatisch verändert.
Regionale Spannungen eskalieren
Nach 2006 eskalierten – parallel zu den zunehmenden Spannungen zwischen den USA und Russland auf internationaler Ebene – die lange anhaltenden Spannungen in der Region rund um Georgien beträchtlich. Was die russische Regierung als „kalten Konflikt" bezeichnete, heizte sich aufgrund mehrerer Faktoren auf. Militärmanöver nahe Tiflis im Juli diesen Jahres, an denen auch über 1000 US-Marines teilnahmen, Georgiens wiederholte Versuche, in die NATO aufgenommen zu werden (wenngleich der letzte Versuch in dieser Richtung Anfang dieses Jahres auch zurückgewiesen wurde) und Georgiens offene Unterstützung für das in Osteuropa stationierte US-amerikanische Raketenabwehrsystem haben eine Rolle dabei gespielt, den Konflikt näher zu bringen.
Nicht zufällig wurde seitens der russischen Behörden gegen Ende 2006 eine widerliche, rassistische Kampagne gegen in Russland lebende GeorgierInnen gefahren, vorgeblich nachdem die Georgier vier russische Agenten festgenommen hatten. Die Regierung verhängte einen Wirtschaftsboykott über georgische Waren, in erster Linie Wein und Branntwein. Das Ergebnis war, dass viele Cafés und Kneipen „trocken fielen". Zur selben Zeit nahmen Schikanierungen von in Moskau lebenden GeorgierInnen dramatisch zu – Ausweise und Arbeitspapiere wurden fortwährend kontrolliert. Das russische Fernsehen zeigte hunderte GeorgierInnen, die angeblich „illegal" waren und in Flugzeuge des Sicherheitsministeriums verfrachtet und abgeschoben wurden. Viele Hundert weitere wurden in Zügen abtransportiert.
Die „NATO-Frage" polarisierte die Meinungen auf beiden Seiten. Saakaschwili hat den Beitritt Georgiens zur NATO zu einer Schlüsselaufgabe seiner Amtszeit gemacht. Deshalb war er auch bitter enttäuscht, dass dieses Ersuchen (zusammen mit dem der Ukraine) bei der Bukarester Konferenz dieses Jahr negativ beschieden wurde. Einige Analysten haben spekuliert, dass er deshalb entschied Südossetien anzugreifen, weil er versuchen wollte, die NATO zu unterstützenden Maßnahmen an der Seite Georgiens zu bewegen. Dies ist eine unwahrscheinliche Erklärung. Saakaschwilis Regierung stößt auf zunehmende wirtschaftliche Probleme. Für die Mehrheit der Bevölkerung haben sich die Versprechungen und Hoffnungen der Rosen-Revolution zerschlagen, wonach Georgien dem Westen mit dem dortigen hohen Lebensstandard und Freiheiten irgendwie näher kommen würde.
Wachsende Opposition
Als der Widerstand gegen seine Herrschaft zunahm, begannen Oppositionelle damit, auf die Straße zu gehen. Saakaschwili setzte Anfang November 2007 Polizei und Soldaten ein, um die DemonstrantInnen in Tiflis anzugreifen und erklärte den Ausnahmezustand. Dann kündigte Saakaschwili, als Versuch die anwachsende Opposition zu durchkreuzen, vorgezogene Präsidentschaftswahlen und ein Referendum über den Zeitpunkt von Parlamentswahlen im Januar diesen Jahres an. Als er wiedergewählt wurde, beschuldigte die Opposition Saakaschwili, die Januarwahlen „subtil manipuliert" zu haben. Diese Ereignisse brachten zumindest einige europäische Kräfte dazu, den Versuch zu beginnen sich von Saakaschwili zu distanzieren. Es ist daher eher wahrscheinlich, dass Saakaschwili in der Tat verzweifelt versuchte, einen Ausweg aus der Ecke zu finden, in die er gezwungen wurde, statt einem ausgeklügelten strategischen Plan zu folgen.
Ein wichtiger Wendepunkt für die russische Regierung war die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo im Februar diesen Jahres. Das war ein Schlag gegen die russischen Interessen auf dem Balkan, weil damit einer offen pro-amerikanischen, kosovarischen Regierung (entgegen den Bestrebungen Serbiens, dem historischen Verbündeten Russlands) die Anerkennung zugesichert wurde. Russlands herrschende Elite reagierte giftig und mit gefletschten Zähnen. Der damals amtierende russische Präsident Putin erklärte: „Der Kosovo ist ein schrecklicher Präzedenzfall, der das ganze System internationaler Beziehungen, das nicht in einem Jahrzehnt, sondern über Jahrhunderte entwickelt wurde, de facto hinwegfegen wird. Sie haben die Folgen ihres Handelns nicht bedacht. Am Ende haben wir es mit einem zweischneidigen Schwert zu tun, dessen eine Seite ihr Gesicht treffen wird."
Russlands NATO-Botschafter, der nationalistische Politiker und langjährige Kreml-Insider Dmitri Rogosin wurde da schon konkreter. Diese Entscheidung, so sagte er, bedeutet, dass „wir dann ebenfalls von der Warte her vorgehen müssen, dass wir – um respektiert zu werden -, brachiale Kräfte, mit anderen Worten bewaffnete Kräfte einsetzen müssen." Dieser Kommentar folgte früheren Statements bezüglich der NATO-Erweiterung, als Rogosin feststellte: „Sobald Georgien die Zusage aus Washington zur Aufnahme in die NATO erhält, wird am nächsten Tag der wirkliche Prozess zur Separierung dieser beiden Regionen von Georgien beginnen."
Direkt nach der Anerkennung des Kosovo, hob Russland seine bis dato immer noch bestehenden Wirtschaftsbeschränkungen gegenüber Abchasien und Südossetien auf und unternahm Versuche zur verstärkten Unterstützung in den Republiken. In den sechs Monaten von Februar bis August dieses Jahres nahm die Zahl beiderseits provozierter Vorfälle einschließlich Flügen in die Flugverbotszone und Schusswechseln zu. In den Wochen vor Saakaschwilis Angriff auf Zchinvali entsendete Russland eine große Zahl „Bahn-Brigaden" nach Südossetien, angeblich um die Bahnverbindung nach Moskau auszubauen. Von Tiflis wurde dies als feindseliger Akt auf souveränes Territorium interpretiert und tatsächlich hilft dies zu erklären, wie die russische Armee so schnell Panzer und Truppenverbände nach Zchinvali bringen konnte.
Heuchelei als erstes Anzeichen für Krieg
Wie die russische Führung darlegt, sind die USA unglaublich scheinheilig, wenn sie Russland aufgrund des Einmarsches in Georgien attackieren. Schließlich ist der Krieg im Irak illegal und ebenso brutal. Aber der Ausbruch offener Kriegshandlungen in der zweiten Augustwoche brachte nur noch mehr unfassbare Heuchelei und Propaganda auf beiden Seiten.
Die USA sind plötzlich gegen Selbstbestimmung, obwohl sie die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützen. Russland unterstützt Unabhängigkeit, obwohl man zwei brutale Kriege gegen die Unabhängigkeit Tschetscheniens führte. Die westliche, Georgien positiv gesonnene Presse vertritt nahezu ausschließlich eine Pro-Saakaschwili-Haltung. Dem den Krieg auslösenden Angriff georgischer Truppen auf Zchinvali wurde fast gar keine Beachtung geschenkt. Der Ort kam unter heftiges Artilleriefeuer und große Teile der dort lebenden Zivilbevölkerung wurden tot zurück gelassen. Das Ergebnis war auch, dass 15 russische Soldaten der „friedenssichernden" Einheiten getötet wurden. Nachdem die Russen Panzer nach Georgien schickten, dominierten in der Presse Berichte über eine russische Besetzung. Kurz nach Beendigung des Fünf-Tage-Krieges tauchten dann Artikel wie z.B. im Guardian, einer britischen Tageszeitung, auf, in denen einseitig vermutet wurde, dass die USA für den Konflikt verantwortlich zeichnen.
Die russischen Medien standen wie ein Mann hinter dem Kreml. In Zeitungsartikeln wurde über die leidende Bevölkerung Zchinvalis aber mit keinem Wort über die nach Georgien einmarschierten russischen Truppen oder die offensichtlichen Angriffe auf Gori berichtet. Übertriebene Darstellungen und Gerüchte wurden ohne unabhängige Prüfung wiedergegeben. Die Behauptungen von Kokoity und dem russischen Außenminister Lawrow, wonach beim georgischen Angriff zwischen 1.600 und 2.000 ZivilistInnen getötet wurden, wurden ungeprüft übernommen. Human Rights Watch spricht nach der Überprüfung der Hospitäler von weniger als einhundert Getöteten.
Russland genügte das jedoch, um Truppen zu entsenden. Während dieser fünf Tage wurden überall in Georgien russische Panzereinheiten gesichtet. Gleichzeitig bezeugten pro-russische Augenzeugen blind, dass sie NATO-Einheiten in ganz Georgien gesehen hätten. Auf beiden Seiten wurden ReporterInnen, die „objektiv" zu berichten versuchten, schikaniert. Ein Reporter von Russlands Agentur „Russia today" versuchte, Berichte aus Tiflis zu senden, die von russischen Angriffen handelten. Doch er wurde zur Kündigung gezwungen. ReporterInnen westlicher Zeitungen, die versuchten, von Russland aus nach Südossetien zu gelangen, wurde damit gedroht, ihre Akkreditierung entzogen zu bekommen. Mit verschiedenen Begrifflichkeiten wie etwa der „faschistische" Saakaschwili, der „Genozid" an der ossetischen Bevölkerung, „Aggressoren" oder der „stalinistische" Kreml wurde auf beiden Seiten um sich geworfen und so mit Emotionen gespielt, versucht, die wahren Hintergründe zu vertuschen und von der humanitären Katastrophe, die sich abspielte, abzulenken.
Was sagen SozialistInnen dazu?
SozialistInnen handeln ausgehend von dem Standpunkt, was gut bzw. schlecht für die Arbeiterklasse und die armen Menschen ist. Wir lehnen Versuche ab, nach denen eine bestimmte Situation rein empirisch betrachtet wird. Das hieße zu fragen: „Wer hat zuerst geschossen?". Wir gehen auch nicht von dem Standpunkt aus, Fragen zu stellen, die dazu dienen, nationale Interessen zu verschleiern. Es gibt einige, die einfach die Frage aufwerfen, „wer für und wer gegen den US-Imperialismus" ist. Während andere umgekehrt fragen, „wer pro- bzw. anti-russisch" agiert. Die Fragestellungen lassen aber völlig außer Acht, dass der wirkliche Grund für die jetzigen Auseinandersetzungen in den widerstrebenden imperialistischen Interessenlagen der herrschenden Klassen sowohl Washingtons wie auch Moskaus liegt. Deshalb muss die Arbeiterbewegung unabhängig von beiden bleiben.
Viele Linke (besonders die mit stalinistischer Tradition) haben sich dafür entschieden, den russischen Kapitalismus kritisch zu unterstützen. Sie meinen, dass Russland und seine Verbündeten in der heutigen Welt die beste Verteidigung bieten gegen einen ungezügelten US-Imperialismus. Diese Haltung basiert auf der pessimistischen Einschätzung, dass die internationale Arbeiterklasse unfähig ist, sich zu vereinen und zu kämpfen, um den Kapitalismus abzuschaffen. Damit wird weiterhin davon ausgegangen, das „kleinere Übel" zu unterstützen.
Linke mit reformistischer Neigung und andere sprechen von der Notwendigkeit einer „neutralen" Kraft, die die Überwachung des Friedens in den umstrittenen Regionen übernehmen müsse. In diesem Fall wird der Ruf nach der UNO oder der OSZE laut, die Truppen entsenden müssten. Allerdings zeigen die Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda, dass diese Institutionen auch nur die Politik ihrer eigenen Führung verteidigen und nicht in der Lage sind, Frieden zu gewährleisten. Im Gegenteil fand das grausamste Massaker im Balkan-Konflikt in Srebrenica unter den Augen von UN-Friedenstruppen statt!
Die Lage für revolutionäre MarxistInnen ist in Russland besonders schwer. In der russischen Gesellschaft herrscht ein unglaublicher Druck zur Unterstützung des russischen Vorgehens. Alle möglichen Fragen werden an uns gerichtet: „Wie sonst sollen wir die Rechte derer schützen, die einen russischen Pass besitzen?", „Warum sollte Russland nicht etwas gegen den US-Imperialismus und seine georgische Marionette Saakaschwili tun?", „Sollten die Menschen in Südossetien nicht das Recht haben, sich mit Nordossetien zu vereinigen, wenn sie dies wünschen?" „Sind russische Truppen nicht nur deshalb in Georgien, um sicherzustellen, dass die georgische Armee entwaffnet wird und uns nicht länger angreifen kann?", „Sozialismus ist abstrakt, es muss aber doch gehandelt werden?". Diese Fragen müssen beantwortet werden. Wir verstehen aber auch, dass SozialistInnen manchmal die langfristige Perspektive und eine strikte Haltung im Sinne der Interessen der Arbeiterklasse einnehmen müssen.
Wer muss verteidigt werden?
Die ganze Tragik um den Zusammenbruch der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus liegt darin, dass es keine unabhängige Organisation der Arbeiterklasse gab, die in der Lage gewesen wäre, ein Programm zur Beendigung des Horrors von Stalinismus und Kapitalismus anzubieten. Das Ergebnis ist, dass die Arbeiterklasse gespalten wurde; sozialer Niedergang und ethnische Spannungen sind Normalität geworden. Das ist keine Überraschung. Es liegt in der Natur des Kapitalismus. Selbst so „moderne und zivilisierte" Staaten wie Belgien, Großbritannien und Spanien haben die nationale Frage nicht erfolgreich gelöst. In der ehemaligen Sowjetunion haben die neu entstandenen kapitalistischen Eliten allerdings keine Hemmungen gehabt, ethnische Konflikte ganz bewusst zur Vollendung ihrer eigenen Interessen auszunutzen.
SozialistInnen müssen nicht nur im Interesse einer Angriffen ausgesetzten ethnischen Gruppe, sondern zur Verteidigung der Rechte der Arbeiterklassen sämtlicher ethnischer Gruppen gegenüber ihren Unterdrückern das Wort erheben. Das bedeutet ungeachtet der aggressiven Politik der Regierung Saakaschwili, dass wir der Regierung Kokoiky in Südossetien keine Unterstützung zukommen lassen sollten, die aus Vertretern des KGB und der Armee besteht und sich selbst mit Unterstützung ihres russischen Geldgebers über Schmuggel und den Schwarzmarkt finanziert. Wie Saakaschwili ein pro-amerikanischer Handlanger ist, so ist die Regierung Kokoity eine Mafia-Regierung, die mit der Unterstützung des russischen Imperialismus die Interessen der Mafia vertritt. Wir rufen daher zur Einheit der ossetischen, russischen und georgischen Arbeiterklasse im Sinne der Verteidigung ihrer gemeinsamen Interessen auf.
Was bedeutet das Selbstbestimmungsrecht?
Wie am Beispiel Südossetiens (und Kosovas) zu sehen, wird die Frage des Selbstbestimmungsrechts von beiden Seiten auf heuchlerische Art und Weise benutzt. So genannte Führer meinen damit nicht die Selbstbestimmung für die Arbeiterklasse und die Armen, sondern derjenigen, die Armeen und mächtige Freunde haben. Als wirkliche SozialistInnen verteidigen wir das Recht auf Selbstbestimmung und kämpfen gegen alle Formen von nationaler Diskriminierung und Unterdrückung durch die Organisierung von internationaler Solidarität aus der Arbeiterklasse. Wie Kosovo und Südossetien zeigen, besteht für eine Nation im Kapitalismus nicht die Möglichkeit, wirklich unabhängig zu sein. Es ist keine Lösung, die Unterstützung der einen oder anderen imperialistischen Macht zu suchen. Die Bildung einer unabhängigen Kraft der Arbeiterklasse, die in der Lage ist, den Kapitalismus – auf nationaler wie internationaler Ebene – herauszufordern und ihn zu überwinden ist der einzige Weg, der das Recht auf Selbstbestimmung garantiert. Auf der anderen Seite sprechen SozialistInnen sich auch nicht immer für Separation und Abspaltung aus. Auch wenn wir daran arbeiten, Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse zu organisieren und für Einheit aller Nationalitäten im Kampf einzutreten.
Im Falle Südossetiens müssen wir fragen, welches Südossetien das Recht auf Selbstbestimmung haben soll? Soll Südossetien sich mit Nordossetien innerhalb der Russischen Föderation vereinen oder als unabhängige Einheit existieren? Sollte ein Teil Südossetiens (entlang ethnischer Grenzen) von dem anderen Teil losgelöst werden, wobei der georgische Teil zu Georgien und der ossetische Teil zu Russland gehören würde? Oder sollten die Menschen, die in Südossetien leben, in den alten „status quo" zurückgezwungen werden? In allen beschriebenen Fällen können wir klar sagen, dass die fundamentalen ökonomischen und sozialen Probleme in der Region nicht gelöst werden, solange der Kapitalismus nicht überwunden ist. Solange der Kapitalismus Bestand hat, solange wird die Region weiterhin Objekt des fortwährenden Konflikts zwischen den imperialistischen Weltmächten über die Kontrolle um Öl- und Gaspipelines sein, so dass repressive und nationalistische Regierungen versuchen werden, die Menschen im Interesse der Reichen und Mächtigen entlang ethnischer Linien zu spalten.
Wir unterstützen ein wahrhaftes Recht auf Selbstbestimmung, das auf den Rechten der Arbeiterklasse und der Armen in der Gesellschaft gründet und nach dem sie selbst bestimmen können, wo sie zu leben wünschen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Arbeiterklasse und die Armen ihre eigenen Organisationen bilden, die dazu fähig sind, ihre Interessen zu verteidigen. Gleichzeitig darf das Selbstbestimmungsrecht einer Gruppe nicht auf Kosten einer anderen Gruppe gehen. Wir unterstützen daher das Recht auf Autonomie oder Unabhängigkeit jeglicher Gruppen innerhalb einer föderalen oder konföderalen Struktur – wenn dies jeweils gewünscht ist. Da die maximale Einheit der Arbeiterklasse im Kampf für Sozialismus (im ursprünglichen und nicht im stalinistischen Sinne des Wortes) unser Ziel ist, gehen wir sensibel mit nationalen Gefühlen um. Wenn Südossetien sich also zum Beispiel für die Unabhängigkeit entscheidet, sollte die georgische Bevölkerung in Südossetien das Recht auf Autonomie oder Unabhängigkeit haben, so sie es denn wünschen.
Wer kann die Rechte der ArbeiterInnen verteidigen?
Momentan argumentieren viele, dass nur die russische Armee die Rechte Südossetiens verteidigen wird. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat die Armee (sowohl in regulären wie auch paramilitärischen Einheiten) gezeigt, dass sie in der Region im Sinne der einen oder anderen Schicht der russischen Elite und gegen die Interessen der einfachen Menschen aller Nationalitäten eingreift. Hinsichtlich Abchasiens nahm sie aus keinem anderen Grund am Massaker an GeorgierInnen teil, als dass diese am falschen Ort wohnten. Es wurde kein Versuch unternommen, den jüngsten Verlautbarungen Kokoitys entgegenzuwirken, wonach GeorgierInnen, die in Ossetien leben, nicht zurückkehren dürfen. Der russischen Armee kann keinesfalls nachgesagt werden, sie hätte mit zwei brutalen Kriegen die Rechte der TschetschenInnen verteidigt. Auch war sie nicht in der Lage, den Frieden in Inguschetien oder Nordossetien zu sichern. In Wirklichkeit war es die Stümperei der Armeeoberen, die die Katastrophe von Beslan ausarten ließ.
Während des aktuellen Konflikts hat die russische Armee bei der Besetzung von Gori und den Angriffen auf Schiffe in georgischen Häfen gezeigt, dass sie die Öl- und Gas-Interessen der kapitalistischen russischen Oligarchen verteidigt.
Es ist möglich, dass die Armee sich für eine bestimmte Zeit, und um Stabilität vorzugeben, zur Verteidigung der örtlichen Bevölkerung einsetzt (wenigstens für die, die nicht daran gehindert werden, zurückzukehren). Doch schon bald wird sie wieder ihre übliche Rolle einnehmen und die Interessen der russischen herrschenden Klasse verteidigen.
In anderen, ähnlich gelagerten Konflikten haben wir die Notwendigkeit der Bildung von Arbeiter-Verteidigungs-Einheiten aufgeworfen. Unter den gegebenen Bedingungen sollten diese aber nicht einfach „narodnii opolchentsi" (Volksverteidiger) sein und gebildet werden, um BewohnerInnen eines bestimmten Gebietes zu schützen. Auf diese Weise würden sie schlicht zu Milizen mit ethnischem Bezug. Wir müssen dafür eintreten, dass Arbeiter-Verteidigungs-Einheiten multi-ethnisch sein und gebildet werden müssen, um ArbeiterInnen und Arme vor Angriffen zu schützen – unabhängig von ihrer Nationalität und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse.
Gibt es eine Lösung im Kapitalismus?
Es wäre zu plump zu sagen, dass die nationalen und ethnischen Konflikte im Kaukasus das alleinige Ergebnis des Kapitalismus sind. Das Vermächtnis des Stalinismus und seiner bürokratischen Herangehensweise an die Frage von Nationalitäten hat seinen Stempel ganz deutlich in der Region hinterlassen. Dennoch ist es die Restauration des Kapitalismus, die die Region unter der Kontrolle sich im Kampf um die Vorherrschaft über die Gas- und Öl-Routen bekriegender Fraktionen, und in Abhängigkeit des nicht enden wollenden Konfliktes der imperialistischen Mächte, so erbärmlich arm hat werden lassen. Wenn für alle, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit, anständige Wohnungen und Arbeitsplätze, eine gesundheitliche und schulische Grundversorgung sowie Renten sichergestellt werden sollen, dann muss der Kampf um Selbstbestimmung verbunden werden mit dem Kampf gegen den Kapitalismus. Wenn die ArbeiterInnen ausreichend organisiert wären, um in einer einzigen Republik der Region die politische Macht zu übernehmen, dann würde die Landkarte der Nationen grundlegend neu gezeichnet werden. Die Verbesserung des Lebensstandards und die Möglichkeit echter Selbstbestimmung würde dann bedeuten, dass ethnische Gruppen in der Lage wären zusammenzuarbeiten und nicht miteinander in Konflikt zu geraten.
Ist das realistisch?
Einige werden sagen: „Ja, das hört sich nett an. Aber wir müssen jetzt etwas tun!" Das Problem ist, dass es keine realistische Lösung gibt, solange die Region von den Wünschen eines Saakaschwili, Kokoity oder Kadyrew und ihren imperialistischen Stützen in Washington und Mokau dominiert wird. Natürlich werden wir jede kurzfristige Entspannung des Problems begrüßen. Wir müssen aber darauf hinweisen, dass – um eine echte Lösung herbeizuführen – der Kapitalismus aus der Region verbannt werden muss.
Zur Erreichung dieser Ziele gründet sich das Programm der SozialistInnen auf:
– dem Aufruf an alle ArbeiterInnen und linken AktivistInnen in Russland, Georgien und Südossetien und natürlich in anderen Ländern, zu fordern, dass die Militäroperationen sofort beendet werden müssen. Die ArbeiterInnen können sich auf die unkontrollierten Aktionen ihrer Regierungen, Diplomaten oder das Eingreifen von Kräften von außerhalb nicht verlassen, um den Konflikt beizulegen. Sie können sich nur auf ihre eigenen Kräfte verlassen.
– dem Abzug aller russischen und georgischen Truppen aus Südossetien und dem Widerstand gegen die Belieferung von Truppen durch andere kapitalistische Staaten. Wir rufen zur Formierung trans-ethnischer Arbeiter-Verteidigungs-Einheiten zur Verteidigung der ArbeiterInnen und Armen gegen Angriffe unabhängig ihrer Nationalität und unter demokratischer Kontrolle durch die Arbeiterklasse statt durch so genannte Friedenstruppen auf.
– dem Recht Südossetiens und den anderen nicht anerkannten Republiken auf Selbstbestimmung ohne militärische Intervention.
– gemeinsamem Handeln der arbeitenden Massen Georgiens, Russlands und Südossetiens, um den Imperialismus aus der Region zu vertreiben und die Regierungen zu stürzen, die Krieg gegen einfache Menschen zu führen.
– der Verstaatlichung unter demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung der Öl-, Gas- und andere Naturreserven in der Region und der Pipelines, mit denen diese transportiert werden und für den Gebrauch der Einnahmen zur Beseitigung der Armut in der Region.
– einem Sofortprogramm für Infrastruktur und Arbeitsplätze unter der Kontrolle demokratisch gewählter Komitees, um Wohnraum bereit- und Löhne für alle Flüchtlinge sämtlicher Nationalitäten in der Region sicherzustellen.
– der Bildung von Regierungen, die die Interessen der ArbeiterInnen verteidigen, die Armut überwinden und Frieden sichern.
– auf einer demokratischen, sozialistischen Föderation des Kaukasus – ohne dies kann es keine langfristige Lösung für den Konflikt um Land und Ressourcen geben.
Welche Zukunft steht der Region bevor?
Was immer auch das Ergebnis des aktuellen militärischen Vorgehens sein wird, es wird nichts gelöst werden. Georgien wird weiterhin von einer Clique beherrscht werden, die weiterhin versuchen wird, Abchasien und Südossetien gegen ihren Willen zurück nach Georgien einzuverleiben. So, wie er es angestellt hat, hat Saakaschwili mit dem Angriff auf Südossetien einen schwerwiegenden Fehler begangen. Viele westliche Führer haben jetzt realisiert, dass er ein unzuverlässiger Verbündeter ist. Die USA schaffen es nicht, die NATO dazu zu bringen, ihn vorbehaltlos zu unterstützen und, sollte Obama die Präsidentschaftswahlen gewinnen, könnte die US-Außenpolitik ihre Taktik ändern. Saakaschwili wird sich schwächer werdendem Rückhalt bei sich in Georgien gegenüber sehen und von den Weltmächten auf Distanz gehalten werden. Einige Oppositionsführer in Georgien haben die Frage von Neuwahlen aufgeworfen, um Saakaschwili zu ersetzen. Diese werden jedoch zwecklos bleiben, wenn Saakaschwili lediglich durch einen anderen neoliberalen Politker ersetzt wird. In Georgien ist dringende Notwendigkeit geboten, eine wirklich linke Alternative zu Saakaschwili aufzubauen.
In Russland hat das Tandem „Medwedew-Putin" einen Pyrrhussieg eingefahren. Das wird keine Wiederholung des Erfolges von Putins Präsidentschaft nachdem er den zweiten Tschetschenien-Krieg führte. Auf der einen Seite wird die komplette Kaukasus-Region als Ergebnis dieser Ereignisse instabiler werden und noch mehr Ressourcen zur „Kontrolle" über die Gegend erfordern. Doch die Bedingungen für weitere zehn Jahre ökonomischen Wachstums sind auch nicht länger gegeben. Die USA, die EU und Japan erleben jetzt einen Abschwung bzw. eine Rezession. Ein weiterer Fall der Ölpreise würde die russische Wirtschaft schwer treffen. Schon bevor die letzten Entwicklungen einsetzten gab es bereits einen scharfen Rückgang ausländischer Investitionen in Russland.
Finanzminister Kudrin sagt, dass in Folge des Krieges 16 Mrd. US-Dollar an ausländischen Investitionen aus dem Land abgezogen wurden. Wenn es auch auf bestimmte Zeit eine kurzfristige Stärkung des Regimes geben mag, so wird diese wahrscheinlich nicht von Dauer sein. Wenn sich die ökonomischen Bedingungen verschlechtern, könnte man in ein paar Jahren zurückblicken und feststellen, dass der Krieg um Südossetien ein Wendepunkt war. Die einzige Frage ist, ob rechtzeitig eine ernstzunehmende linke Alternative entsteht, die fähig ist, Massenunterstützung zu erhalten.
Die Situation im ganzen Kaukasus ist schrecklich. Der Kampf der imperialistischen Mächte um die Vorherrschaft wird nur noch erbitterter geführt werden. Der Bau der Gaspipeline steht zur Disposition, da Investoren aufgrund der instabilen Lage nicht glücklich sind. Der scheinbare Erfolg Russlands, Saakaschwili zur Rechenschaft gezogen zu haben, kann das Azeri-Regime ermutigen, Berg-Karabach wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Bedingungen sind jetzt im ganzen Kaukasus geschaffen, um einen Krieg wie auf dem Balkan zum Ausbruch zu bringen, der nicht nur regionale Mächte, sondern auch die großen imperialistischen mit einschließen könnte.
Internationale Auswirkungen
Global betrachtet befinden sich die imperialistischen Mächte in einer weit schwierigeren Lage. Über zwei Jahrzehnte hat der Imperialismus schrittweise versucht, Beziehungen zu Russland aufzubauen und dabei die Übermacht zu behalten. Jetzt sieht man sich einem selbst kreierten Monstrum gegenüber, das nur schwer zu kontrollieren ist. Die NATO ist über die Frage der Handlungsweise gespalten. Auf der einen Seite stehen Polen, die Ukraine und die baltischen Staaten, die zur Verteidigung Georgiens herbeieilten. Das US-Raketenabwehrsystem wird jetzt in Polen und der Ukraine vorangebracht.
Die Reaktion Weißrusslands und Russlands ist die Ankündigung, dass sie ihre eigenen Systeme in Gegnerschaft dazu aufbauen werden. Innerhalb der G8 gibt es wieder Rufer, die ein Zurück zu G7 fordern. In der Frage, wie man mit Russland umgehen soll, finden sich die USA in Opposition zu einigen europäischen Kapitalisten wieder. Und bei den Vereinten Nationen werden die USA es wesentlich schwerer haben, ihre Position zu vertreten, da Russland geneigter sein wird, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Solange die internationalen Organisationen wie UNO und OSZE wiederwillig sind, was die Entsendung ihrer Friedendstruppen in den Kaukasus angeht, würde eine Ablehnung Russland weiterhin die Kontrolle überlassen. Die imperialistischen Mächte sind in das Pulverfass Kaukasus einbezogen.
Doch die globalen Bedingungen sind nicht dieselben wie zu Beginn der 1990er Jahre als die Balkan-Kriege anfingen. Damals war die UdSSR gerade erst zusammen gebrochen, der Kapitalismus schien den ideologischen Krieg für sich entschieden zu haben, die Weltwirtschaft wuchs stetig und die Arbeiterbewegung war orientierungs- und führungslos. Jetzt beginnen die Menschen den Kapitalismus mehr und mehr in Frage zu stellen, die Weltwirtschaft ist in jämmerlichem Zustand, die Arbeiterbewegung beginnt international ihre Muskeln spielen zu lassen. Die Lehre aus dieser albtraumartigen Situation im Kaukasus muss gezogen und der Weg für neue Generationen muss geebnet werden, um eine sozialistische Zusammenarbeit auf höherer Ebene zu erreichen.
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