Nächster »Zukunftsvertrag« bei Opel-Bochum: Lohnsenkung, Schlechterstellung von Leiharbeitern und Arbeitsintensivierung sollen Investitionen sichern
von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt, 12.9.08
Bei Opel-Bochum wird die nächste Kürzungsrunde eingeläutet. Mit dem »Zukunftsvertrag 2016«, der demnächst unterzeichnet werden soll, würden die Lohnkosten gesenkt und die Produktion rationalisiert. Damit setzt Carl-Peter Forster, Europachef des Mutterkonzerns General Motors (GM), seine Strategie, bei jedem Modellwechsel Zugeständnisse der Belegschaften zu verlangen, fort.
Bei den Gegenleistungen bleibt die General-Motors-Spitze vage. So wird in dem jW vorliegenden Entwurf für eine Betriebsvereinbarung versichert, das Management sage zu, »daß neben dem neuen Zafira mindestens ein weiteres Modell der Delta-II-Kompaktwagenklasse« in Bochum gebaut werde und daß durch Investitionen eine Produktion von 55 Fahrzeugen pro Stunde im Drei-Schicht-Betrieb garantiert werde. Zuletzt wurde die Fertigung in der Ruhrgebietsstadt von 53 auf 49 Autos pro Stunde reduziert. Deshalb werden den Stammbeschäftigten unbezahlte Freischichten verordnet – allein in diesem Jahr sollen es 48 werden –und Leiharbeiter gekündigt.
Gemeint ist mit der versprochenen Investition der neuen Astra (Delta II), der außer an den GM-Standorten Ellesmere Port (Großbritannien) und Gliwice (Polen) auch in Bochum vom Band laufen soll. Allerdings ist der Produktionsbeginn hier erst Mitte 2011 –ein Jahr später als in den beiden anderen Werken – geplant. »Sonst war Bochum bei neuen Modellen immer von Anfang an dabei, jetzt soll das aus Kostengründen nicht der Fall sein«, erläutert Andreas Felder, Betriebsrat der Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) im jW-Gespräch. Vor diesem Hintergrund sei zu befürchten, daß das neue Modell – dem Verzicht der Beschäftigten zum Trotz – letztlich doch nicht nach Bochum kommen werde. Denn der in einer tiefen Krise steckende US-Konzern hat in Europa Überkapazitäten, die etwa anderthalb Werken entsprechen sollen. Neben dem belgischen Antwerpen könnte Bochum mittelfristig auf der Abschußliste stehen. Dieser Angst gibt eine im Entwurf der Betriebsvereinbarung enthaltene Revisionsklausel Nahrung. »Sollten sich die wirtschaftlichen Grundannahmen (…) wesentlich verändern und hieraus z.B. unvorhergesehene Personalüberhänge entstehen, werden die Geschäftsleitung und Betriebsrat durch eine neue Vereinbarung versuchen, der geänderten Situation Rechnung zu tragen«, heißt es am Ende des Papiers.
Im Gegensatz zu den Versprechungen des Managements sind die Zugeständnisse, die der Belegschaft abverlangt werden, konkret und verbindlich. So soll in den Jahren 2011 und 2016 jeweils ein Prozent der im Flächentarif vereinbarten Lohnerhöhungen auf übertarifliche Entgeltbestandteile angerechnet werden. Traditionell wird das Tarifgehalt in den Großkonzernen aufgestockt. Allerdings wurde bereits bei Opel ein Großteil dieser Beträge abgebaut, so daß viele Lohngruppen schon jetzt auf Flächentarifniveau liegen, wie Felder erläutert. Mit dem neuen »Zukunftsvertrag« sollen die noch verbliebenen übertariflichen Zahlungen jetzt vollends gestrichen werden. Zudem soll die Differenz zwischen tariflichem und betrieblichem Weihnachtsgeld – ersteres liegt bei 55, letzteres bei 70 Prozent des Monatseinkommens – per »Bonussystem« nicht mehr gleichmäßig an alle, sondern nach »Leistung« ausbezahlt werden. Weitere geforderte Zugeständnisse sind die Reduzierung der Zahl der Ausbildungsplätze von aktuell 75 auf 40 pro Jahr sowie die weitere »Flexibilisierung« von Arbeitseinsätzen entsprechend der »betrieblichen Belange«.
Deutlich schlechter gestellt würden mit der Vereinbarung insbesondere die Leiharbeiter im Bochumer Werk. Bislang werden diese entsprechend der untersten Opel-Lohngruppe mit 13,79 Euro pro Stunde bezahlt. Künftig sollen sie mehr als 2,50 Euro pro Stunde weniger verdienen: 11,20 Euro. Ein weiteres zentrales Element des »Zukunftsvertrags« ist die Reduzierung der Fertigungszeit auf 15 Stunden pro Fahrzeug. Bis Ende 2007 hatten die Bochumer Opelaner eine Zielvorgabe von 27 Stunden. Erreicht werden soll die weitere drastische Verkürzung zum einen durch die »Optimierung« der Bewegungsabläufe. »Da müssen die Leute bald rennen, um ihre Arbeit noch zu schaffen«, kommentiert Betriebsrat Felder. Zum anderen soll die Zeitverkürzung durch eine geringere Fertigungstiefe erreicht werden. Das heißt, daß noch mehr Aufgaben – bis hin zur Just-in-time-Anlieferung ans Band – an Fremdfirmen übertragen werden.
Laut Felder ist der »Zukunftsvertrag 2016« Teil einer Strategie von GM, seine Kosten in Europa um rund 500 Millionen Dollar (ca. 354 Millionen Euro) zu senken. »Wir haben mehr als genug verzichtet: Die Einkommen werden immer weiter gekürzt, Personal abgebaut und die Standorte gegeneinander ausgespielt. Es wird Zeit, daß Betriebsrat und IG Metall dagegen endlich Widerstand organisieren, statt das alles mitzutragen.«