Imperialismus & Krise: „Jetzt ist Krieg“

Weltwirtschaftskrise wird zur Verschärfung zwischenimperialistischer Konflikte führen


 

Als im US-Kongress das Rettungspaket für die Banken debattiert wurde, trat der 50-fache Milliardär Warren Buffet vor die Fernsehkameras. Nachdem er vor laufender Kamera gefragt wurde, ob man die Krise nicht hätte voraussehen und früher reagieren müssen, erwiderte Buffet: „Am Tag nach Pearl Harbor streitet man nicht darüber, was man hätte tun können. Jetzt ist Krieg.“

Die Parallele zu Pearl Harbor war kein Versprecher. Auf diesen Vergleich kam Buffet in den letzten Wochen wieder und wieder zurück. Nach dem Angriff Japans auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor waren die USA 1941 in den Zweiten Weltkrieg eingetreten.

von Aron Amm, Berlin

16. Oktober: Der Bundestag billigt die Aufstockung der Afghanistan-Truppe von 3.500 auf 4.500 Soldaten.

17. Oktober: Der Bundestag segnet das 480-Milliarden-Euro-Programm für die Banken ab.

Es ist kein Zufall, dass diese beiden Beschlüsse an zwei aufeinander folgenden Tagen über die Bühne gingen. Zwar wurde die Grundgesetzänderung zum Bundeswehreinsatz im Inneren vertagt, aber auch zu dieser Frage richtete die Große Koalition in der gleichen Woche eine neue Arbeitsgruppe ein. Überhaupt ist in diesem „schwarzen Herbst“ (DER SPIEGEL) viel von Notverordnungen die Rede. Für die FAZ liegt „ein Hauch von Wilhelm II. in der Luft“. Als das Deutsche Reich 1914 den Ersten Weltkrieg begann, hatte der letzte deutsche Kaiser erklärt, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche.

Aufrüstung

Kapitalismus beruht auf Konkurrenz. Bereits im Inland ist der Sinn der Konkurrenz, den Konkurrenten auszulöschen. Wird die Konkurrenz über Grenzen hinausgetragen, wird sie zum Kampf zwischen Unternehmen, die verschiedenen Nationen angehören. Kriege und Weltkriege trägt der Kapitalismus von Anfang an in sich.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist der US-Imperialismus darauf aus, seine Position als einzige verbliebene Supermacht auszubauen und errichtete weltweit offiziell 700 Militärstützpunkte, inoffiziell sollen es doppelt so viele sein. Deutschland und Japan, jahrzehntelang ökonomische Riesen und militärische Zwerge, stellten die Weichen auf Auslandseinsätze. Eine Macht nach der anderen rüstete auf. Die Rüstungsausgaben erhöhten sich im vergangenen Jahrzehnt um 45 Prozent.

Mit dem Beginn der globalen Rezession wird es nicht nur zu Protektionismus, zu Handelskonflikten und Handelskriegen kommen. Der Kampf um Anlagemöglichkeiten für das Kapital nimmt zu. Das Gerangel um Rohstoffquellen und Märkte gewinnt an Intensität. Neue Waffengänge sind vorprogrammiert.

Gemeinsame Probleme, getrennte Lösungsversuche

Nachdem die international bedeutendsten Aktienindizes innerhalb einer Woche im Schnitt um 20 Prozent eingebrochen waren, setzte eine hektische Reisetätigkeit ein. Am Freitag, den 10. Oktober fanden sich die Finanzminister und Notenbankvorsitzenden der G7 in Washington ein. Zwei Tage später kamen die 15 Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder und Großbritanniens in Paris zusammen. Auf beiden Gipfeln verständigte man sich auf „Werkzeugkästen“ für Reparaturmaßnahmen. Vielfach wurde ein gemeinsames Vorgehen beschworen. Allerdings bleiben Auswahl, Durchführung und Finanzierung der Werkzeuge den einzelnen Regierungen überlassen. Für die Süddeutsche Zeitung zeugen „die panischen Konferenz-Bemühungen“ nur davon, dass die „Finanzkrise sich zu einer Weltordnungskrise wandelt“.

Nicht einmal auf europäischer Ebene kam es zu einem gemeinsamen Handeln. Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy für einen gemeinsamen EU-Fonds zur Rettung strauchelnder Banken warb, wurde ihm von Kanzlerin Angela Merkel nach den Einflüsterungen des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann brüsk eine Abfuhr erteilt. „Die hat gesagt, jeder soll seinen Scheiß selber wegräumen“, so Sarkozy. Innerhalb der Europäischen Union bestehen erhebliche Spannungen zwischen der irischen und britischen Regierung, seit Dublin als erste EU-Regierung für die Einlagen auf allen irischen Konten garantierte – und so eine Flucht britischer Sparer in den scheinbar sicheren Hafen Irland auslöste. Zu Auseinandersetzungen kam es auch zwischen Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, als diese in separaten Aktionen die Pleite der Bank Fortis abwenden wollten. Diese Risse in der EU offenbaren, dass der beschworene Suprastaat Europa auf kapitalistischer Basis nie Realität werden wird. In Krisenzeiten suchen die Unternehmerklassen stärker als sonst den Rückhalt durch ihren eigenen Staat. Die Konflikte zwischen den Nationalstaaten spitzen sich zu. Strukturen wie die EU werden fragiler. Es ist möglich, dass die Einheitswährung Euro die Krise nicht überdauert. Schließlich sehen sich die herrschenden Klassen der einzelnen Euro-Länder ihrer Möglichkeit beraubt, mittels eigenständiger Währungspolitik gegenüber den Kontrahenten Boden gut zu machen. So hatte Italien zum Beispiel immer wieder Zuflucht in die Abwertung der Lira genommen, um ihrem Export unter die Arme zu greifen.

Niedergang des US-Imperialismus

„Amerika ist militärisch geschwächt und geopolitisch ermüdet. Die Welt befindet sich im Übergang vom amerikanischen Hegemon zu einer multipolaren Ordnung“, schrieb die FAZ am 10. Oktober. Nach wie vor stemmen die USA ein Drittel des globalen Sozialproduktes und tätigen fast die Hälfte alle Rüstungsausgaben auf diesem Erdball. Dennoch ist diese Supermacht in der Tat angeschlagen. Und wird herausgefordert – wie das britische Empire erst vom Deutschen Reich herausgefordert und später vom US-Imperialismus ausgebotet wurde. Heute ist keine vergleichbare neue Supermacht in Sicht. Vielmehr lassen mehrere Mächte ihre Waffen blitzen. Dazu gehören Russland, China und die EU-Staaten.

Schon im Irak-Krieg vor fünf Jahren scherten führende EU-Länder wie Deutschland und Frankreich aus und verweigerten Washington den blinden Gehorsam. Die damalige Lagerbildung innerhalb der EU – zwischen den USA besonders nahe stehenden Staaten wie Großbritannien und Polen auf der einen und Frankreich und Deutschland auf der anderen Seite – vollzog sich während des Kaukasus-Krieges erneut. Am Beginn der aktuellen wirtschaftlichen Talfahrt sind es wiederum französische und deutsche Regierungsvertreter, die gegen die USA schießen. So machte Finanzminister Peer Steinbrück die USA für das Ausmaß der Krise verantwortlich und prophezeite, dass Nordamerika seine Position als Supermacht des Weltfinanzsystems einbüßen würde. Sarkozy appellierte mehrfach, die europäische Industrie müsse vor allem gegen die amerikanischen Wettbewerber geschützt werden.

Globale Machtkämpfe

„Das Beben an den Finanzmärkten führt zu einer Verschiebung der politischen Machtverhältnisse der Welt. Darin liegen Risiken, aber auch Chancen für Europa“, frohlockt die FAZ. Steckte man diese wolkigen Sätze in eine Dechiffriermaschine, würde der Apparat ausspucken: „Die EU-Staaten müssen ihre Stellung auf Kosten der USA entscheidend verbessern. Ohne Kriege wird das nicht zu machen sein.“ Es wurde nicht nur eine 60.000 Mann starke Schnelle Eingreiftruppe geschaffen. 20 Einsätze auf drei Kontinenten haben schon stattgefunden. Während sich die EU-Staaten gegen die USA und andere Kontrahenten zusammenschließen, sind die ebenfalls miteinander konkurrierenden europäischen Länder gleichzeitig auf Vorteile gegenüber ihren europäischen „Partnern“ aus.

Mit der Waffenruhe im Kaukasus sind die Konflikte keineswegs beigelegt. Stattdessen werden neue Drohkulissen geschaffen: Mit der Errichtung des US-Raketenabwehrschildes in Polen, mit Russlands Erwägung, NATO-Nachschubwege zu blockieren, mit der Planung neuer Transitwege für Öl und Gas aus Zentralasien nach Westeuropa.

In Afghanistan und im Irak und einzelnen zusätzlichen Regionen tobt weiterhin Krieg. Aber auch die Schauplätze für andere künftige Kriege stehen schon fest: neben dem ölreichen Nahen Osten wird sich der Kampf um den Einfluss über die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion fortsetzen, neue Militäreinsätze zur Plünderung der Rohstoffe Afrikas sind nur eine Frage der Zeit, der Machtkampf zwischen Japan und China im Pazifik wird an Schärfe gewinnen, die Kriegszone des mit Atomwaffen bestückten indischen Subkontinentes wird sich ebenfalls ausweiten…

Neuer Weltkrieg?

Kriege „brechen“ nicht einfach „aus“. Kriege werden geplant, vorbereitet und von kapitalistischen Regierungen angezettelt. Es ist nicht nur deshalb bezeichnend, wenn Warren Buffet heute an Pearl Harbor erinnert, weil er damit eine Verbindung zum letzten Weltkrieg zieht. Sondern auch deshalb, weil die USA seinerzeit den japanischen Angriff provozierten, um einen Vorwand zu bekommen, endlich in den Zweiten Weltkrieg einsteigen zu können.

Im Unterschied zu damals sind die führenden Großmächte heute nuklear bewaffnet. Ein direkter Krieg zwischen diesen Atommächten könnte zur Vernichtung von Milliarden Menschen führen und die Kapitalisten ihrer eigenen Herrschaft berauben. Aus diesem Grund ist ein Dritter Weltkrieg heute keine Perspektive. Trotzdem kann keine Entwarnung gegeben werden. Wir stehen am Beginn einer neuen Spirale von Kriegspropaganda, regionalen Kriegen und Stellvertreterkriegen – solange wir den Kriegstreibern im Kanzleramt, im Elysee-Palast, im Weißen Haus, im Kreml und anderswo nicht das Handwerk legen.

Aron Amm ist Mitglied der SAV-Bundesleitung