Was wirklich hinter dem Einsatz der Bundesmarine zur „Piratenbekämpfung“ steckt
Der Bundestag gab am 19. Dezember grünes Licht, die vor dem Horn von Afrika stationierte deutsche Marine in den Kampfeinsatz zu schicken. Sie soll gegen vor den somalischen Gewässern aktive Piraten vorgehen. Die meisten Menschen, die Piraten nur von Hollywood-Filmen her kennen, reiben sich verdutzt die Augen. Aber gefragt werden die ja ohnehin nicht.
von Marcus Hesse, Aachen
Seeräuberei ist an den Küsten vor Somalia zu einem einträglichen Geschäft geworden. Dem voraus ging jedoch die systematische Zerstörung der traditionellen Fischereiwirtschaft durch westliche Konzerne.
Piraten = ruinierte Fischer
In Somalia leben die Küstenbewohner seit Jahrhunderten vom Seefischfang. Doch seit europäische und US-amerikanische Fangflotten dort zur groß angelegten Ausbeutung der Fischbestände übergegangen sind (Fisch im Wert von 300 Millionen Dollar wird jährlich exportiert), sind zahlreiche Fischerfamilien völlig verarmt und zur Piraterie übergewechselt.
An der Spitze dieser Banden stehen aber nicht die verarmten und verzweifelten ehemaligen Fischer, sondern rivalisierende Clanführer und Warlords, die auch sonst ganz gut von Gewalt und Bürgerkrieg profitieren. Welch gewaltiges Geschäft die Piraterie ist, zeigt die jüngste Entführung des Öltankers Sirius Star, der zwei Millionen Barrel Rohöl transportierte. Das illegale Verbrechen wird zum gefährlichen Konkurrenten für die legalen Verbrecher aus den imperialistischen Ländern. Es geht um Fischbestände, Transportwege für Öl und Ölvorkommen in der Region.
Somalia – vom Weltkapitalismus zerstörtes Land
Nach dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 war Somalia ein „gescheiterter Staat“, ohne zentrale Regierung, in dem rivalisierende Warlords um die Macht kämpften. Dieser Zusammenbruch war eine direkte Folge der Vernichtung der traditionellen nomadischen Viehwirtschaft und der Landwirtschaft durch „Strukturanpassungsprogramme“ unter dem Diktat von IWF und Weltbank. Programme, die im Interesse westlicher Konzerne durchgezogen wurden. Massenarmut und Hungersnöte waren das bittere Ergebnis.
Eine militärische Intervention der Vereinten Nationen, unter Führung der USA, endete in einem Desaster. 1995 mussten die Truppen abziehen. Die US-Soldaten wurden von der Bevölkerung in Somalia zu Recht als Unterdrücker und Besatzer empfunden.
Im Chaos des ständigen Bürgerkriegs – der Schätzungen zufolge 300.000 Menschen das Leben kostete und 1,5 Millionen Menschen zur Flucht in die Nachbarländer zwang – konnten sich islamisch-fundamentalistische Kräfte als scheinbar einziger Ordnungsfaktor präsentieren und Massenunterstützung gewinnen. Allen voran die „Union islamischer Gerichte“, die 2006 die Macht übernahm.
Das rief erneut den US-Imperialismus auf den Plan, der eine verhasste und korrupte Gegenregierung einsetzte. Im Bündnis mit den USA griff das Nachbarland Äthiopien militärisch zu Gunsten der US-Kräfte in Somalia ein, um sich ebenfalls ein Stück vom Kuchen zu sichern.
Zerrieben zwischen Großmächten
Nicht nur die Bundeswehr will – als Teil der EU-Mission „Atalanta“ – vor Ort mitmischen. Die USA haben kürzlich ein eigenes Afrika-Kommando eingerichtet. Russland überlegt, Streitkräfte nach Somalia zu verlegen. Japan diskutiert, Kampfeinsätze zu ermöglichen. Indien hat ein Kriegsschiff dorthin geschickt. Unter dem ideologischen Deckmantel des „Krieges gegen den Terror“ betreiben die Großmächte und angrenzende Staaten eine aggressive Politik auf dem Rücken der geschundenen somalischen Bevölkerung.
Welche Lösung?
Auf kapitalistischer Grundlage wird der Alptraum für die Menschen in Somalia andauern. Wie die Geschichte – nicht zuletzt Afrikas – zeigt, hat sich die Einmischung der Imperialisten immer als verheerend erwiesen. Die Bundesmarine und alle anderen fremden Truppen müssen aus Somalia abziehen. Anstatt gegen durch westliche Konzerne verarmte Fischer vorzugehen, muss man die sozialen Ursachen der Piraterie bekämpfen. Anstatt Rohstoffvorkommen zu plündern, müssen die Bodenschätze der Bevölkerung zu Gute kommen. Doch das kann man nicht von denen erwarten, die Fischern ihre Grundlage genommen haben und die Seeräuberei als Vorwand nehmen, um im 21. Jahrhundert weiterhin Raub- und Kreuzzüge durchzuführen. Das geht nur gegen sie.