Mit Konjunkturprogrammen die Krise lösen?

Führende Vertreter der LINKEN zeigen nach China, Japan und die USA und fordern von Bundeskanzlerin Merkel ebenfalls ein umfangreiches Konjunkturprogramm. Ist das der richtige Ansatz?


 

Dokumentiert:

Michael Schlecht: Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro notwendig

Nachdem die Bundesregierung ankündigte, bis 2012 knapp zwölf Milliarden Euro in die Konjunkturförderung zu investieren, erklärte Michael Schlecht, Bundesvorstandsmitglied und gewerkschaftspolitischer Sprecher der LINKEN, am 11. November:

„Der von der Regierung versprochene Schutzschirm für Arbeitsplätze ist mit gerade einmal zwölf Milliarden Euro viel zu klein, denn unser Land ist bereits in der Rezession. Es reicht nicht aus, dass Frau Merkel Chinas Konjunkturprogramm zum Ausbau der Infrastruktur und der Sozialleistungen begrüßt. Deutschland hätte auch Bedarf. DIE LINKE fordert ein Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro. Anstatt auf Bildungsgipfeln nur heiße Luft zu produzieren, müssen Ausbaupläne für Erziehungs- und Bildungseinrichtungen sofort umgesetzt werden. Auch in den öffentlichen Krankenhäusern besteht ein massiver Investitionsbedarf. Außerdem wäre es möglich, viele ökologisch sinnvolle Infrastrukturprojekte, zum Beispiel Reparatur der maroden Kanalisation, aufzulegen. Die Ursache des konjunkturellen Abschwungs ist die viel zu schwache konsumtive Binnennachfrage. Sie ist während des gesamten Zyklus seit 2004 nie aus dem Keller gekommen. Die Ursache hierfür ist der politisch gewollte Niedriglohnsektor. Die Agenda 2010 ist nicht nur ein sozialer Skandal, sie hat auch den Aufschwung vorzeitigt abgewürgt. Die Finanzmarktkrise verstärkt diesen Abschwung durch die wegbrechende Exportnachtfrage und die Finanzklemme. Ein Konjunkturprogramm muss der viel zu schwachen Binnennachfrage auf die Beine helfen.“

Nicht nur Symptome, sondern Ursachen der kapitalistischen Misere bekämpfen

International überschlagen sich Wirtschaftsinstitute, Parteien und Politiker derzeit mit Vorschlägen und Maßnahmen, der Wirtschaftskrise mit umfangreichen Konjunkturprogrammen zu begegnen. Auch in Deutschland hat sich längst eine wilde Diskussion entzündet – obgleich Angela Merkel dafür plädierte, erstmal abzuwarten und Tee zu trinken.

von Angela Berger, Köln

Im Gespräch ist viel: Konsumgutscheine, Investitionen in Bildung, Gesundheit, erneuerbare Energien, Ausbau der Infrastruktur, Steuersenkungen.

Nun ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, nach Jahren von Rückschritt und Verfall soziale Verbesserungen und gesellschaftlich nützliche Investitionen zu finanzieren (wobei das auf viele bürgerliche Vorschläge nicht zutrifft). Nur, und das sei der Parteiführung der LINKEN ins Stammbuch geschrieben: Die Krise des Kapitalismus werden solche keynesianischen Maßnahmen der Konjunkturbelebung nicht beheben. Weil es nicht an den Ursachen ansetzt, sondern nur die Symptome bekämpft.

Ursache kapitalistischer Krisen

Die Ursache für das Aufblähen der Finanzmärkte und die heutige Weltwirtschaftskrise liegt in den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Realwirtschaft. Diese systemimmanenten Widersprüche ergeben sich aus dem Profit- und Konkurrenzmechanismus, der wiederum Folge des Privateigentums an den Produktionsmitteln ist. Im Kapitalismus geht es allein um die höchstmögliche Verwertung des eingesetzten Privatkapitals in Konkurrenz zu anderen Unternehmen. Die Konkurrenz zwingt zu immer weiterer Steigerung der Produktivität durch Einführung neuer Technologien und Rationalisierung. Dadurch wird menschliche Arbeitskraft – die allein neue Werte schafft – eingespart, die Investitionskosten für die Anlagen werden immer höher.

Die Profite geraten von zwei Seiten unter Druck: steigende Investitionskosten bei geringerer Wertschöpfung einerseits, schlechtere Absatzaussichten andererseits, denn die kaufkräftige Nachfrage (und nur um diese geht es im Kapitalismus) kann mit dem wachsenden Güterausstoß nicht mithalten. Längerfristig sinken dadurch die Profitraten tendenziell, das heißt die „Verzinsung“ des in der Warenproduktion eingesetzten Kapitals. Wenn zukünftige Investitionen nicht mehr so lohnend sind wie vorherige, wenn ohnehin schon Überkapazitäten bestehen, dann wird weniger oder gar nicht mehr investiert. Übrigens egal, wie niedrig die Zinsen sind – wie sich in Japan in den neunziger Jahren zeigte und wie sich heute international erneut zeigen wird.

Eine Abwärtsspirale setzt ein. Kapital wird auf vielfältige Weise entwertet: durch Vernichtung oder Brachliegen von Produktionskapazitäten, Konkurse, Entlassungen, Entwertung (Verbilligung) von Produkten, Vernichtung von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien. Erst wenn genügend Kapital vernichtet wurde und künftige Investitionen wieder bessere Profitraten versprechen, geht ein neuer Zyklus los.

Überkapazitäten

Die weltweite Überproduktion und dadurch überschüssiges Kapital auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten sind im Kern das treibende Element hinter dem Abheben der Finanzmärkte, hinter der neoliberalen Wirtschaftspolitik mit Deregulierung, Privatisierung, Umverteilung zugunsten der Kapitaleigner, hinter der Absenkung der Reallöhne.

Dass vor diesem Hintergrund Konsumgutscheine und Kaufanreize schnell verpuffen würden, ist relativ offensichtlich. Wo schon Überkapazitäten bestehen, löst zusätzliche Nachfrage – falls es angesichts von privater Verschuldung und der Sorge um den Arbeitsplatz überhaupt dazu kommen sollte – keinerlei Investitionsimpuls aus. Falls zum Beispiel durch Steuernachlass die Nachfrage nach Autos stiege (was sehr fraglich ist), könnten diese spielend aus den massiven Überkapazitäten der Autoindustrie bedient werden. Theoretisch könnte heute die europäische Autoproduktion still gelegt werden; der derzeitige Weltbedarf ließe sich mit den verbleibenden Unternehmen abdecken.

Investitionsprogramme

In der Linken, nicht nur in der Partei DIE LINKE, auch in den Gewerkschaften beispielsweise, werden staatliche Investitionsprogramme und höhere Transferleistungen diskutiert – finanziert durch eine stärkere Besteuerung der Reichen (Stichwort „Millionärssteuer“) und eine erhöhte Kreditaufnahme.

Staatliche Investitionsnachfrage kann tatsächlich eine konjunkturankurbelnde Wirkung entfalten. Allerdings nur für eine gewisse Zeit. Das Problem dabei ist: Woher nimmt der Staat das Geld?

Eine Erweiterung der Geldmenge bietet bekanntlich keinen Ausweg, weil dies inflationär wirkt. Genau das ist in den siebziger Jahren passiert, als auch Industrienationen mit teils zweistelligen Inflationsraten geschlagen waren. Diese Erfahrungen führten seinerzeit unter anderem zur Abkehr vom Keynesianismus und zur Hinwendung zum „Neo“-Liberalismus.

Nimmt der Staat es von den ArbeitnehmerInnen, beschneidet er den Massenkonsum. Nimmt er es von den Kapitaleignern, wie Linke es vorschlagen, erhöht man ihre Steuern und macht die Politik der letzten 20 Jahre rückgängig, wird man die Krisenmechanismen des Kapitalismus weiter verschärfen, weil man ihre Profite beschneidet und sie dann noch weniger in die „Realwirtschaft“ investieren.

Bleibt noch die Finanzierung durch Erhöhung der staatlichen Kreditaufnahme. Abgesehen davon, dass die staatliche Schuldenbedienung wiederum die Finanzmärkte befeuert und eine Umverteilung zugunsten der vermögenden Kreditgeber bedeutet, stellt die Bedienung der Schulden erneut dasselbe Problem: aus wessen Taschen? Siehe oben. Nur, dass das Dilemma dann um eine Zeitperiode verschoben wurde.

Das Beispiel Japan

Keynesianische Konjunktur-Maßnahmen bewirken auf kapitalistischer Grundlage vor allem eins: eine Abmilderung und ein Herausschieben der Krisenfolgen. Dies konnte man in Japan in der neunzigern Jahren verfolgen, nachdem dort Anfang der Neunziger die Finanzmärkte und Realwirtschaft einen ähnlich dramatischen Kollaps erlebten.

Zehn Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von 1.300 Milliarden Euro – also weit mehr, als selbst die kühnsten Forderungen in Deutschland heute – bewirkten lediglich, dass statt einer tiefen Krise mit massiver Kapitalvernichtung 15 Jahre Stagnation mit etappenweiser Kapitalvernichtung herauskamen. Übrig geblieben ist ein immenser Berg an Staatsschulden, der 180 Prozent des Sozialprodukts ausmacht und nur durch langjährige, konstant hohe Wachstumsraten abzutragen wäre. Die sind im Kapitalismus, schon gar nicht im niedergehenden, nicht in Sicht.

Privateigentum

Das kapitalistische Profit- und Konkurrenzprinzip macht die Marktwirtschaft chaotisch und führt immer wieder zu grundlegenden Krisen, die durch keine bürgerliche Wirtschaftspolitik zu verhindern sind.

Statt Forderungen zu erheben, die das kapitalistische System vor Verwerfungen schützen sollen, was ohnehin nicht geht, sind solche Forderungen dringender denn je, die einen Weg zum Übergang in ein demokratisch-sozialistisches Wirtschaftssystem aufzeigen. Nur wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die kapitalistischen Profitprinzipien aufgehoben werden, können Gesellschaft und Politik die Instrumente in die Hand bekommen, um den von der arbeitenden Bevölkerung erwirtschafteten Reichtum sinnvoll einzusetzen. Aufgabe der Linkspartei in der Wirtschaftskrise wäre es, intelligente Übergangsforderungen aufzustellen, die uns diesem Ziel näher bringen.

Verteilungskampf

In diesem Kontext ist die Forderung nach öffentlichen Investitionsprogrammen, für die die Reichen zur Kasse gebeten werden, wichtig und notwendig. Darum fordert die SAV heute auch ein staatliches Investitionsprogramm von 100 Milliarden Euro jährlich in den Bereichen Bildung, Umwelt, Gesundheit und Soziales. Solche Investitionsprogramme sind dann aber keine Maßnahmen, die den Kapitalismus wieder ins Lot bringen. Vielmehr führen sie dazu, dass die privaten Investoren ihre Investitionen zurückschrauben wollen, weil sich ihre Profitsituation durch Maßnahmen wie eine Millionärssteuer oder eine stark progressive Besteuerung weiter verschlechtert. Um das aufzufangen, müssten im nächsten Schritt die öffentlichen Investitionen noch mehr steigen – wieder auf Kosten der Reichen und Kapitalisten. Da die sich mit allen Mitteln dagegen wehren werden, scheibchenweise enteignet zu werden, werden wir auf diesem Weg schnell vor der Notwendigkeit stehen, sie vollständig zu entmachten, und vom Kapitalismus zum Sozialismus überzugehen.