Erfahrungsbericht vom Arbeitsplatz Schule
Donnerstag, 15. Januar: Soeben ist die 6. Stunde zu Ende und, wenn sie nicht in die Aufsicht müssen, trudeln die ersten KollegInnen langsam zur Mittagspause im Lehrerzimmer ein. Mein Plan für die nächsten 45 Minuten ist es, gemeinsam mit der Kollegin, mit der ich zusammen eine Klasse leite, über einen Elternbrief zu sprechen. Doch es soll anders kommen.
von Max Höhe, Köln
In dem Elternbrief wird uns mitgeteilt, dass eine Schülerin von uns wohl deshalb in ihren schulischen Leistungen nachgelassen hat, weil auch ihre Mutter und ihr Vater im Schulalter schon mit Dyskalkulie (Matheschwäche) und Konzentrationsproblemen zu kämpfen hatten. Die Eltern öffnen sich uns und bitten um Unterstützung. Wir wollen also beraten, welche Fördermaßnahmen wir bereitzustellen in der Lage sind. Doch dann werde ich von einer anderen Kollegin gebeten, mit ihr zu kommen: „Kollegin XY ist total fertig!“
Zeitmangel buchstäblich unerträglich
Die Kollegin sitzt völlig aufgelöst an ihrem Platz und weint. Am Vortag war ihr der Antrag der Eltern einer ihrer SchülerInnen auf Wechsel in eine andere Klasse vorgelegt worden. Und vor wenigen Minuten kam von einer anderen Kollegin die Bemerkung, dass unser Schulsozialarbeiter besagte Eltern dahingehend auch beraten hätte. Das Gefühl von Versagen und Schuld lässt sie beinahe zusammenbrechen. Nur weil die Kollegin, die mich hinzugebeten hatte, sich an diesem Tag außer der Reihe frei machen kann, eine dritte Kollegin ihren freien Nachmittag opfert, der Schulsozialarbeiter einen Beratungstermin platzen lässt und ich eine Referendarin bitten kann, statt mir den Nachmittagsunterricht zu übernehmen – aufgrund solidarischen Verhaltens aller Beteiligten also –, ist es möglich, dass die Situation besprochen werden kann. Heraus kommt, dass keiner irgendwen hintergehen oder gar kränken wollte. Zu dieser unwürdigen Situation war es nur gekommen, weil es einfach keine Zeit gab, diesen konkreten Fall zu einem adäquaten Zeitpunkt zu kommunizieren. Und über die Schülerin, um die es dabei ja eigentlich geht, konnte (wieder) noch gar nicht gesprochen werden!
Welche Hoffnung in die Tarifrunde setzen?
Dieses Beispiel wiederholt sich so oder ähnlich permanent. Es herrscht fortwährender Mangel an Zeit, weil jede Schule mit Unterbesetzung zu kämpfen hat (bei uns sind zur Zeit 4,5 Stellen á 25,5 Unterrichtsstunden nicht besetzt!) und die Klassen zu groß sind (wie viel Zeit bleibt für individuelle Förderung bei 45 Minuten Unterricht und mindestens 30 SchülerInnen?).
Im November 2006, als der TV-L eingeführt und der BAT abgeschafft wurde, verschärfte sich die Lage noch einmal. Den verbeamteten KollegInnen wurde das Urlaubsgeld gestrichen, das Weihnachtsgeld gekürzt, die Stundenzahl erhöht. Ledige Lehramtsanwärter (27 Jahre) erhielten 2001 in Nordrhein-Westfalen statt 60,89 (1981) nur noch 38,76 Prozent des Lehrereinstiegsgehaltes. 2008 erhielt ein Referendar gut 980 Euro netto. Das Land Sachsen unterbietet diesen Betrag noch um rund 200 Euro!
Die Gewerkschaften fordern jetzt acht Prozent mehr Lohn für die Landesbeschäftigten. Wenn das nicht durchgesetzt wird und für die Angestellten in der Eingruppierungsrunde nicht wenigstens die Gleichstellung mit den verbeamteten KollegInnen erkämpft wird (es geht um gut 30 Prozent Differenz!), dann wird es knallen. Die Schmerzgrenze ist erreicht, es brodelt.
Die Basis formiert sich!
Ein Gefühl davon, was an Gegenwehr noch kommen mag, gibt beispielsweise die „Initiative gegen die massiven Verschlechterungen für neu eingestellte LehrerInnen in NRW“: Von ReferendarInnen und der Kölner jungeGEW zwei Monate vor Inkrafttreten des TV-L gegründet, bringt sie landesweit die KollegInnen an der Basis zusammen. Das Bewusstsein für die gemeinsamen Belange wächst. In der Tarifrunde müssen wir dafür sorgen, dass alle zusammen kämpfen: BeamtInnen, Angestellte, Öffentlicher Dienst und die KollegInnen in der Privatwirtschaft!