Die „Dezembertage“ 2008 in Griechenland

Lehren aus der Jugendrevolte


 

Die Jugendbewegung vom Dezember 2008 war eine erste Warnung für die herrschenden Klassen international. Eine Warnung vor den sozialen Unruhen, mit denen sie in der unmittelbaren Zukunft konfrontiert sein werden, da sich die Krise des Systems vertieft. Für die Jugend und die Arbeitnehmer jedoch müssen die Dezemberereignisse eine „Schule“ sein. Denn die Lehren und die Schlussfolgerungen, die die Bewegung daraus zieht (oder auch nicht zieht), werden den Weg der Bewegung und die Kämpfe, die vor uns liegen, beeinflussen.

von Nikos Kanellis (Übersetzung eines Artikels aus Xekinima, marxistische Zeitschrift der griechischen Schwesterorganisation der SAV, Februar 2009)

Die Ermordung des 16-jährigen Alexis Grigoropoulos war nicht die Ursache, sondern der Auslöser für die Revolte. Das „leicht brennbare Material“ sammelt sich schon seit langem. Es sind der ständige Fall des Lebensstandards, die Hungerlöhne, die ungesicherte Beschäftigung, die Arbeitslosigkeit, die Privatisierung jeglichen sozialen Dienstes, die unsichere Zukunft der Jugend. Und all das neben der provozierenden Anhäufung von Gewinnen und den Skandalen. Tiefere Ursache ist das kapitalistische System selbst, das soziale Sackgassen nicht löst, sondern davon immer nur neue hervorbringt. Dieser Zustand, der sich unter Bedingungen der kapitalistischen „Entwicklung“ gefestigt hat, wird in der Zukunft noch schlimmer werden, da das System in seine größte Krise seit 1929 eintritt… Neue Bewegungen, neue Erhebungen, ja Revolutionen stehen uns bevor. Deshalb müssen alle notwendigen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Die Autonomen und Anarchisten…

Die Dezemberbewegung brach auf spontane und explosive Weise aus. An den ersten Tagen dominierten die anarchistischen und autonomen Kräfte mit der Parole der allgemeinen Konfrontation mit der Polizei und allem, was den Staat repräsentiert. Bedeutende Teile der Bewegung betrachteten die Randale der Anarchisten insbesondere gegen die Polizei und die Banken mit Zustimmung oder sei es auch nur mit Tolerierung. Dies war Ergebnis des Zornes über den Mord, jedoch auch der angestauten Unzufriedenheit, die einen Weg fand, sich auszudrücken. Ein Teil der Jugend übernahm sogar diese Logik und deshalb hatten wir fast im ganzen Land Angriffe gegen die Banken und die polizeilichen Einsatzkräfte.

… und ihre Grenzen

Schnell jedoch wurden die Grenzen der autonomen Kräfte deutlich. Denn die Bewegung stellte schnell zwei ernste Fragen: „Welche Ziele stellen wir uns im Kampf?“ und „Auf welche Weise werden wir sie erreichen?“. Auf diese Fragen hatten die autonomen Kräfte absolut keine Antwort. Im Gegenteil. Die Randale begann schnell, der Regierung und nicht der Bewegung zu helfen. Gestützt auf die Zerstörungen versuchte die Regierung, die Angst von Teilen der Gesellschaft zu verstärken und als ihr Retter zu erscheinen. Desweiteren versuchte sie, die Polizeigewalt zu rechtfertigen und die Aktionen der rechtsradikalen „zornigen“ Bürger zu legitimieren. Während sie wiederum mit dem selben Vorwand heute die Frage des „Universitätsasyls“ stellt. (Seit dem Sturz der Militärdiktatur 1974 ist es der Polizei verboten, in Universitätsgelände einzudringen, Anm. d. Übers.) Zugleich versuchten die Massenmedien, die Diskussion vom Wesentlichen der Bewegung wegzulenken und auf die niedergebrannten Geschäfte und die Molotowcocktails zu beschränken.

Jenseits jedoch von der falschen Methode der „Randale“ schlugen die Anarchisten keinerlei konkretes Ziel vor, für das die Bewegung kämpfen sollte. Für die Bewegung aber muss jeder Kampf den Sieg anstreben, sei dieser klein oder groß. Im anderen Falle hat die „Revolte um der Revolte willen“ keinen Sinn. Die Kräfte der Autonomen hatten aber tatsächlich keinerlei Ziele. In der Praxis zeigte also der Anarchismus, dass er der Bewegung nicht helfen kann – sogar unter Bedingungen, die für ihn günstiger waren denn je.

Die Massenbewegung

Was tatsächlich die Regierung erschütterte und bedrohte, war die Massenbewegung, die Tausende an Schülern und Studenten, die wieder einmal die Schulen und die Universitäten besetzten und auf die Straßen gingen. Diese Tausende stellten auch die Frage nach dem Ziel des Kampfes und sei es auch auf unklare Weise. Sie sagten : „Die Regierung muss stürzen!“ Über diese Parole drückten sie die Ablehnung der Politik aus, die seit Jahren umgesetzt wird und die Suche nach einer alternativen Politik, die ihr tägliches Leben verbessern würde. Diese Parole politisierte den Kampf, indem sie hinter jedem Bullen den wirklichen Feind zeigte. Und es war ein bedeutender Schritt vorwärts im Bewusstsein, was der griechischen herrschenden Klasse kalten Schweiß auf die Stirn trieb.

Gemeinsame Front im Bildungswesen und die Arbeitnehmer

Der Zustand war so, dass dieses hohe Ziel, der Sturz der Regierung, hätte erreicht werden können. Es gab jedoch Vorbedingungen dafür. Prinzipiell war die Koordinierung zwischen Schülern, Studenten und Lehrpersonal notwendig. Das heißt der Aufbau einer starken, das gesamte Bildungswesen umfassenden Front, die Besetzungen, Demonstrationen und Streiks im gesamten Bildungswesen hätte organisieren können. Sowieso kochte es im gesamten Bildungswesen. Desweiteren hätte es die breite und massenhafte Mobilisierung der Arbeitnehmer Der Generalstreiks erfordert. Schließlich war es notwendig, eine konkrete und greifbare Antwort auf die Frage zu finden, wer die Partei Neue Demokratie (ND) in der Regierung ersetzen könnte. Diese Vorbedingungen fehlten jedoch der Bewegung und hier gibt es konkrete Schwächen, denen man sich stellen muss, jedoch auch konkrete Verantwortungen.

Die Gewerkschaftsführungen

Ein weiteres Mal blieben die Gewerkschaftsführungen des Allgemeinen Griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE und der Angestelltengewerkschaft ADEDY hinter den Erfordernissen der Bewegung zurück. Anstatt die Arbeitnehmer zu mobilisieren durch den Aufruf zum Generalstreik blieben sie am Rande stehen und warteten darauf, dass der Kampf abflauen würde. Solange die Gewerkschaften von den Kräften der sozialdemokratischen PASOK kontrolliert werden, wird die Bewegung der Jugend ein gro゚es Hindernis vor sich finden in ihrem Versuch, sich mit der Bewegung der Arbeitnehmer zu vereinigen.

Die Spaltertaktik der KKE

Verantwortung trägt aber auch die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Die KKE ist verantwortlich dafür, dass die Bewegung fast die ganze Dauer des Kampfes gespalten war. Die Koordinierungskomitees der Schulen, die vollständig vom Kommunistischen Jugendverband (KNE) gegängelt wurden, brachten die Schüler auf Demonstrationen getrennt von den Studenten, den Lehrkräften und der übrigen Linken auf die Straßen. An den Universitäten war die einzige Sorge der KNE, ebenfalls die Bewegung zu gängeln, während in der Gesellschaft die KKE das Вündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) zum Feind Nummer Eins erklärt hatte. Die spalterische Haltung der KKE hat objektiv die Bewegung geschwächt und der Regierung geholfen. Es ist kein Zufall, dass die KKE dafür die Glückwünsche der rechtsradikalen Partei LAOS und der populistischen Zeitung Avriani erhielt.

Demokratie in den Koordinationskomitees

Eine andere Schwäche war das Fehlen von Demokratie in der Bewegung, d.h. die undemokratische Funktionsweise der Koordinationskomitees. Die Kampfkoordinationskomitees der Schulen, insbesondere das von Athen, war nichts anderes als eine Ansammlung von Funktionären, Mitgliedern und Einflussnahmen der KNE. Die Beschlüsse wurden nicht demokratisch von den Repräsentanten der Schüler gefasst. Im Gegenteil geschah das, was die KNE-Führung jeweils entschieden hatte. Entsprechend war die Situation in den Koordinationskomitees der Studenten. Dort kam die Gängelung durch die EAAK (Studentenformation der außerparlamentarischen radikalen Linken mit ultralinker Orientierung, Anm. des Übers.). In vielen Fällen konnte die abweichende Meinung sich nicht zu Gehör bringen, während die Beschlüsse von den Führern der drei Komponenten der EAAK, (NAR, ARAN, ARAS) gefasst wurden.

Wieder einmal hat sich erwiesen, dass eine Bewegung nicht ihre folgenden Schritte planen und bis zum Sieg vorankommen kann, wenn sie nicht demokratisch organisiert ist. Das heißt wenn die Basis der Kämpfer der Bewegung keine wesentliche Rolle in der Beschlussfassung spielt. Die einzige Art und Weise, damit dies geschieht, ist ,wie Xekinima wiederholt erklärt hat, dass die Koordinationskomitees aus gewählten, verantwortlichen und abberufbaren Repräsentanten der Vollversammlungen jeder Schule oder Universitätsfakultät bestehen.

SYRIZA

SYRIZA, dasВündnis der Radikalen Linken (in dem auch Xekinima Mitglied ist, Anm. d. Übers.), war die einzige Partei, die die Bewegung unterstützt und offen die Forderung nach dem Sturz der Regierung gestellt hat. Deshalb befand es sich im Fadenkreuz aller Repräsentanten des Systems. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Schwächen aufzuweisen hatte. Die wichtigsten Schwächen kamen aus seinem Innern. Von seinem Еrneuerer, bzw. rechten Flügel, der sich in den kritischsten Momenten auf die Seite der herrschenden Propaganda stellte und behauptete, dass SYRIZA angeblich die Vermummten fördere. Außerdem gab SYRIZA, obwohl es die Frage des Sturzes der Regierung stellte, keine klare Antwort auf die Frage, was diese ersetzen könnte. Schließlich kam wieder einmal die organisatorische Schwäche von SYRIZA zum Vorschein. Das heißt seine Schwäche, organisiert auf der Basis der Bewegung an den Schulen und Universitäten zu agieren und somit zum weiteren Voranschreiten des Kampfes beizutragen.

Wie wir schon zu Beginn erklärt haben, ist die Dezemberbewegung nicht das Ende des Weges. Die Kämpfe werden weitergehen und sie werden stärker werden. Dies garantiert der Kapitalismus. Doch es wird Zeit, dass wir auch Siege erringen. Und damit dies geschieht, müssen wir aus den Schwächen der früheren Köpfe Schlussfolgerungen ziehen und uns politisch auf die kommenden Köpfe vorbereiten.

Übersetzung aus dem Neugriechischen von Hubert Schönthaler