Debatte pro & contra

Belegschaftsbeteiligung als Weg zur Gegenmacht?


 

Beteiligung der Beschäftigten – zentrale Forderung der LINKEN-Parteispitze

Auf dem Bundesparteitag der LINKEN zu den Europa-Wahlen sprach Oskar Lafontaine am 28. Februar von der großen Chance, „dass die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen, wenn sie dauerhaft eben Transfers bedeuten, endlich umgewandelt werden in Belegschaftsbeteiligungen. Dieses Modell stand am Anfang der Arbeiterbewegung – lest die alten Schriften nach. Die Belegschaftsbeteiligung ist die eigentliche demokratische Form der Wirtschaft.“

Mitte März hat die Bundestagsfraktion der Linkspartei den Antrag „Sicherheit und Zukunft – Initiative für ein sozial gerechtes Antikrisenprogramm“ formuliert. Im ersten Abschnitt „Belegschaften stärken“ wird eine „echte paritätische Mitbestimmung“ sowie die „Beteiligung der Beschäftigten an Unternehmen“ verlangt. Diese Beteiligung soll bis zu 49 Prozent betragen. In der Begründung heißt es: „Die Beteiligung der Belegschaften an den Unternehmen, die staatliche Hilfen erhalten, ermöglicht den Beschäftigten, ihre Interessen am Schutz von Arbeitsplätzen, Löhnen und guten Arbeitsbedingungen wirksamer als bisher Geltung zu verschaffen.“

pro:

Christoph Spehr, Landessprecher der LINKEN Bremen

Wohin es führt, wenn man die Produktionsmittel privaten Aktionären, Großeigentümern und internationalen Konzernen überlässt, kann man derzeit sehen. Die Krise wird benutzt, um die Allgemeinheit für die Verluste zahlen zu lassen, während die Gewinne zuvor privat ausgezahlt wurden. Die Krise wird benutzt, um zu entlassen, zu rationalisieren und Lohnverzicht durchzudrücken.

Aber die Krise ist auch selbst ein Ergebnis der Kurzsichtigkeit und Beschränktheit des kapitalistischen Privateigentums. Orientiert am schnellen Euro, ist die Umstellung der Produktion auf einen sozial-ökologischen Wandel versäumt worden. Die Krise trifft die Bereiche am Stärksten, die mit dem überholten „fossilen Kapitalismus“, das heißt der energie-, transport- und materialintensiven Wirtschaftsweise, am Engsten verbunden sind: Autoindustrie, Containerhäfen, Stahl, Logistik.

Vernunft, wenigstens teilweise Vernunft, kommt im Kapitalismus nur zustande, wenn sie ihm durch organisierte Gegenmacht von Gewerkschaften, Belegschaften, Bewegungen und Bevölkerung aufgezwungen wird. Es ist ein Ziel sozialistischer Politik, diese Gegenmacht in anhaltende, stabile Formen der Einflussnahme zu überführen. Institutionalisierte Gegenmacht ist der Zwischenschritt zur Vergesellschaftung, ohne die sie nicht funktioniert.

Arbeitnehmerbeteiligung schützt nicht vor kapitalistischer Konkurrenz. Aber sie sichert Standorte und verschafft den Beschäftigten, wenn sie die Mehrheit haben, das Sagen in ihrem Betrieb. Belegschaftsbeteiligung ist kein Allheilmittel, aber das gilt auch für Verstaatlichung. Schulen und Universitäten sind verstaatlicht. Aber sie sind bekanntlich weder gut, noch demokratisch, noch vergesellschaftet.

In Schweden entwickelte die Gewerkschaftsbewegung in den siebziger Jahren das Modell der Arbeitnehmerfonds. Per gesetzlicher Regelung sollte jährlich ein Anteil des betrieblichen Gewinns in Form von Betriebsanteilen an die Beschäftigten verteilt werden. Diese Anteile konnten nur beim Ausscheiden aus dem Betrieb ausgezahlt werden und sollten von der Belegschaft kollektiv verwaltet werden. Im Laufe von gut 30 Jahren hätten so die Beschäftigten die Mehrheit an allen Großunternehmen des Landes übernommen. Die Kapitalseite sah darin die Einführung des Sozialismus und brachte schließlich das Gesetz zu Fall, das von der schwedischen Arbeiterpartei ursprünglich befürwortet wurde. Aber der Weg war richtig, und das Modell gut.

In Deutschland sind sowohl Arbeitnehmervertreter als auch Regierungsvertreter in Aufsichtsräten verpflichtet, sich gemäß „betrieblichen Interessen“ zu verhalten und die Profitinteressen der Aktionäre zu erfüllen. Das gilt auch für Mehrheitsbeteiligungen, nur 100-prozentige staatliche Eigenbetriebe sind davon ausgenommen. Solche Bestimmungen müssen geändert werden, wenn Belegschaftsbeteiligung und staatliche Beteiligung dazu führen sollen, dass Arbeitnehmerinteressen und Gesellschaftsinteressen gegen private Kapitalinteressen gestärkt werden. Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht nicht nur darauf, wem es gehört. Auch sein Charakter muss geändert werden – durch Gesetze, mit denen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums gerichtsfest gemacht wird.

Oskar Lafontaines Vorstoß, die Staatshilfen für Großkonzerne mit Belegschaftsbeteiligungen zu verbinden, ist eine gute Idee, denn sie bewirkt eine teilweise Enteignung der bisherigen Eigentümer und eine teilweise Entwertung von deren Anteilen. Und das brauchen wir. Denn die faulen Kredite, mit denen die Weltökonomie in die Krise gestürzt ist, sind der Ausdruck von faulen Gewinnen. Aktionäre und Manager haben sich Dividenden und Bonuszahlungen ausgezahlt, die auf Mehrwertsteigerungen beruhten, die es gar nicht gab. Jetzt geht es darum, ob Beschäftigte und Allgemeinheit dafür zahlen, das Platzen dieser ungedeckten Schecks zu verhindern – oder ob diese faulen Gewinne nachträglich entwertet werden. Durch die Besteuerung der Vermögen, die damit angehäuft wurden. Durch die Entwertung von Anteilen, die damit gekauft wurden. Wenn der Staat den Banken Kapital gibt, dann muss er dafür vollgültige Anteile erhalten. Wenn die Allgemeinheit den Großunternehmen aus der Krise hilft, dann sollen die Beschäftigten dafür Anteile erhalten. Das ist eine gute Rechnung. Und ein gutes Instrument, Proteste in langfristige Gegenmacht zu überführen.

contra:

C. Flöter, Kassel, Mitglied im hessischen Landesvorstand der LINKEN

Gewinneinbrüche, Stellenabbau, drohende Werksschließungen und Firmenpleiten: An den Beispielen Opel, Schaeffler, Conti werden die Auswirkungen der Wirtschaftskrise deutlich. Klaus Ernst, Fraktionsvize der LINKEN, schlägt nun für Schaeffler vor, Arbeitnehmer und Staat sollten mit insgesamt 25 Prozent beteiligt werden. Die Bundestagsfraktion der LINKEN plädiert jetzt für Mitarbeiterbeteiligungen von „bis zu“ 49 Prozent, beispielsweise bei Opel.

Forderungen nach Mitarbeiterbeteiligung sind in der Linken zu Recht umstritten. Wenn Gewerkschaftsvertreter Belegschaftsbeteiligung als Gegenleistung für Lohnverzicht vorschlagen, zeigt das vor allem eins: deren Ohnmacht angesichts der Krise und ihre Unfähigkeit, Widerstand gegen Lohnverzicht und Stellenabbau zu organisieren. Heute zu verzichten und Arbeitnehmer-Innen mit Beteiligungen abzuspeisen, ist ein Kuhhandel. Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise seit 1929 weiß niemand, ob Unternehmensanteile bald noch einen Wert haben – oder das Unternehmen überhaupt noch existiert. In der Krise ist Belegschaftsbeteiligung deshalb – insbesondere an Pleiteunternehmen – in erster Linie ein Abwälzen der Verluste auf die Beschäftigten.

Auch ohne Wirtschaftskrise sind Formen der Mitarbeiterbeteiligung mehr als zweifelhaft. Durch Mitarbeiterbeteiligung kann die grundlegende Logik des Wirtschaftssystems nicht aufgehalten werden. Und diese Logik bleibt im Kapitalismus Konkurrenz und Profitmaximierung. Sich dem zu entziehen, ist für einzelne Betriebe letztendlich nicht möglich, sei es mit 49- oder 100-prozentiger Belegschaftsbeteiligung, als Genossenschaften oder in welcher Form auch immer.

Belegschaftsbeteiligung auf einen Minderheitsanteil unter 50 Prozent zu beschränken, ist eine zusätzliche Einschränkung, die im Grunde nur einen Zweck erfüllt: den Klassenfrieden im Betrieb und das kapitalistische System als Ganzes nicht in Frage zu stellen.

Aber gerade jetzt muss es Aufgabe von Linken und der Partei DIE LINKE sein, die Eigentumsfrage zu stellen und Alternativen zum Kapitalismus aufzuzeigen. Durch die Wirtschaftskrise drängt sich die Frage doch förmlich auf, wozu die Gesellschaft eigentlich private Unternehmer braucht: Damit die Unternehmer sich auch künftig den erwirtschafteten Mehrwert privat aneignen? Damit die ArbeitnehmerInnen in ihrem Betrieb weiterhin einen Garanten haben, dass konkurrenzorientiertes Gewinnstreben eben doch erhalten bleibt – trotz Mitbestimmung und –beteiligung? Genau darauf können wir verzichten, wenn wir tatsächlich eine Gesellschaft wollen, in der nach den Bedürfnissen der Menschen produziert wird und die Umwelt nicht zugrunde gerichtet wird.

Die großen Betriebe müssen raus aus Unternehmerhand. Verstaatlichung an sich ist kein Heilsweg und staatliche Betriebe sind im Kapitalismus kein Hort des Sozialismus. Die Verstaatlichung des Bankensektors und der großen Unternehmen muss mit der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Belegschaften, Arbeitnehmervertreter (zum Beispiel Gewerkschaften) und gesellschaftliche Vertreter verbunden sein.

Eine Planung der Wirtschaft jenseits der kapitalistischen Profitlogik muss mit demokratischen Entscheidungsstrukturen von Produzenten und Konsumenten verbunden sein. Das ist elementare Voraussetzung für ein effektives und solidarisches Wirtschaftsmodell. Und nicht etwa „doch ein bisschen Konkurrenz“, wie von einigen Linken immer wieder diskutiert wird, weil die falschen Schlüsse aus dem Scheitern der stalinistischen Länder gezogen wurden.

Die Vorstellung, man könne mit Ausdehnung von Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung schrittweise den Kapitalismus abschaffen, ist deshalb falsch, weil sie die Entwicklung zu einer neuen, sozialistischen Gesellschaft nicht zu Ende denkt. Es ist kein „dritter“, sondern nur ein halber Weg (und endet deshalb bei „49 Prozent“). Die Machtfrage wird somit nicht gestellt, die entscheidend damit zusammenhängt, wer in der Gesellschaft die Wirtschaft kontrolliert, auch weil sie ihm gehört. Die Frage nach der Mehrheit des Kuchens wird aber von der gesellschaftlichen Realität sehr wohl aufgeworfen werden: durch Auseinandersetzungen im Betrieb, beispielsweise durch Betriebsbesetzungen bei drohenden Werksschließungen. Dann müssen SozialistInnen nicht nur konkrete Kampfschritte aufzeigen, sondern auch die Grenzen des Kapitalismus.