Krise, Entlassungen und Gegenwehr – in Frankreich, Deutschland und europaweit
Millionen Arbeitsplätze stehen in Folge der globalen Wirtschaftskrise auf dem Spiel. Neben Verunsicherung und Angst wächst auch die Wut auf die Jobvernichter – und die Bereitschaft, sich zu wehren. Das soziale Fieber steigt. Gerade die Kämpfe in Frankreich können Beschäftigte in der Bundesrepublik anspornen.
von Pablo Alderete, Stuttgart
Die Negativmeldungen der letzten Monate schockieren viele Beschäftigte. Es gab vor dem Einsetzen der Krise Proteste, und es gibt sie auch jetzt, zu Beginn der wirtschaftlichen Talfahrt, in Form von Widerstand gegen die Abwälzung der Folgen der Krise auf dem Rücken der Arbeiterklasse. In Griechenland, Frankreich und zuletzt im Baskenland kam es zu Generalstreiks. In Irland, Finnland und Ungarn war ein solcher in der Diskussion. Island und Lettland werden von nie gesehenen Massenunruhen erschüttert, die jeweiligen Regierungen mussten abtreten. In Tschechien stürzte die Regierung, in Ungarn gab es einen Regierungswechsel.
In Südengland und in Nordirland wurden mehrere Wochen drei Visteon-Werke besetzt. Die entschlossene Haltung der Belegschaften konnte zumindest die Abfindungen stark in die Höhe treiben. Im schottischen Dundee kam es in der Verpackungsfirma Prisme ebenfalls zu einer Besetzung.
Continental
Der Reifenhersteller Continental will in Frankreich und Deutschland massiv Stellen streichen. Die Werke in Clairoix, Nordfrankreich, und Hannover-Stöcken sollen geschlossen werden. Am 6. Mai wollten 500 Beschäftigte aus Clairoix ursprünglich in einem Autokorso zum Continental-Werk nach Aachen fahren. Dort warteten 200 Polizisten mit Wasserwerfern, Pferdestaffeln und Polizeihunden auf sie. Kurzfristig bogen die KollegInnen jedoch nach Südosten ab. In Sarreguemines besetzten sie das dortige Continental-Werk, um den Druck auf die Geschäftsleitung zu erhöhen. „Sie knackten die Schlösser des Eingangstors und stürmten unter Rufen wie „Continental-Solidarität“ oder „Wir sind hier zu Hause“ auf das Gelände“, berichteten die „Aachener Nachrichten Online“. „Der Aachener Conti-Betriebsratsvorsitzende Bruno Hickert (…) hätte die Kollegen auch in Aachen empfangen, wenn sie tatsächlich nach Rothe Erde gekommen wären. Nach seinem Eintreffen in Sarreguemines sagte BR-Chef Hickert, dass die Situation sehr angespannt sei und er in dieser Situation keine Gespräche mit den Besetzern führen wolle: „So etwas sind wir nicht gewohnt.“
Am 23. April war schon eine gemeinsame Kundgebung der Continental-Beschäftigten aus Frankreich und Deutschland in Hannover auf die Beine gestellt worden. Dort hatte Xavier Mathieu, der Sprecher der Belegschaft von Clairoix, den deutschen KollegInnen zugerufen: „Sie wollten uns das Rückgrat brechen und wie die Schafe zur Schlachtbank führen. Aber nein, sie haben es mit kämpfenden Werktätigen zu tun, die ihrem Schicksal die Stirn bieten.“
Federal Mogul
Die ArbeiterInnen beim Autozulieferbetrieb Federal Mogul in Wiesbaden blockierten drei Tage die Werkstore. 436 von 1.600 Arbeitern sollen entlassen werden. Seit Dezember 2008 fahren sie bereits Kurzarbeit. Da der Wiesbadener Betrieb hochwertige Gleitlager und Buchsen für Pkw-Motoren produziert, drohte dem Vernehmen nach im Opel-Motorenwerk in Kaiserslautern wie auch in anderen Standorten deutscher Autokonzerne ein totaler Stillstand aufgrund mangelnden Nachschubs. Wohl deshalb sollen Einkaufsleiter der Autoindustrie das Federal-Mogul-Management „bis zum Schluss mit Anrufen bombardiert“ und zum Einlenken aufgefordert haben, so Betriebsratschef Alfred Matejka.
Die taz beschrieb am 11. Mai einen Streiktag: „Wir beleidigen niemand und schlagen niemand und spucken auch niemand an“, belehrt der Streikführer von einer erhöhten Blumenrabatte aus Beton eine neue Streikschicht.“ Eine Arbeiterin, die schon beim Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche 1984 dabei war, sagte: „Und falls wir auf den Hintern fallen, haben wir wenigstens gekämpft.” Immer mehr KollegInnen sehen in der Radikalität französischer KollegInnen ein Vorbild. Den Unternehmern bei Federal Mogul konnte auch erstmal kontra gegeben werden. Allerdings wollen Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitze dafür weitreichende Zugeständnisse machen.
ArcelorMittal
Bei der Hauptversammlung des weltgrößten Stahlkonzerns ArcelorMittal in Luxemburg protestierten Hunderte Beschäftigte, darunter viele aus dem belgischen Lüttich, gegen den geplanten Jobabbau. Drinnen tagten rund 200 Aktionäre – draußen kochte es. Der Konzern streicht 6.000 Stellen in Europa. Deutschland ist mit 750 Arbeitsplätzen, Frankreich mit 1.400 und Belgien mit 800 Stellen betroffen. ArcelorMittal zahlt bei einem Gewinn von 9,4 Milliarden Dollar im Jahr 2008 1,1 Milliarden Dividende. Die aufgebrachte Menge versuchte die Eingangstür des Gebäudes aufzubrechen, das von Bereitschaftspolizisten geschützt wurde. Ein belgischer Stahlarbeiter warf eine Rauchbombe durch ein Fenster, woraufhin sich ein nebeliger Gestank bis zu den Aktionären ausbreitete. „Wenn Stahlarbeiter zu Berserkern werden“, titelte die Financial Times Deutschland am 12. Mai.
Manager-Geiselnahmen
Die Stimmung unter den Beschäftigten schwankt vielerorts zwischen Entsetzen, Angst und Wut. Zumeist geht der Kampf bislang darum, „die eigene Haut möglichst teuer zu verkaufen“ und vorteilhaftere Sozialpläne rauszuschlagen. In Frankreich geraten die Bosse derzeit wiederholt in die Defensive, da sich Geiselnahmen von Managern („Bossnapping“) bei Sony, Continental und anderswo mehren und dabei auf großes Verständnis in der Bevölkerung stoßen. Die Kapitalisten verzichten größtenteils auf Strafanzeigen. Allerdings schlagen sie, sobald sie das für möglich halten, zurück. Das zeigt das Beispiel Caterpillar in Frankreich. Am 31. März kam es zu einer „Festsetzung“ von vier Managern und zu einem massiv befolgten Streik. Die Konzernspitze trat in neuen Verhandlungen. Mittlerweile hat sie aber Disziplinarmaßnahmen gegen 22 Beschäftigte angestrengt, die Justiz ermittelt gegen 19 Streikteilnehmer. Die Entlassungspläne sollen aufrechterhalten werden.
International – gegen das Kapital
Eine wichtige Rolle muss die Solidarität und die Vernetzung zwischen kämpfenden Belegschaften spielen. Ebenso sind politische Alternativen zum Chaossystem Kapitalismus, in dem immer wieder gewaltige Überkapazitäten aufgebaut – und dann auf Kosten der Arbeiterklasse vernichtet – werden, notwendig. In den siebziger Jahren entwickelte sich bei Betriebsbesetzungen oft die Idee, die Schalthebel der Macht den Bossen wegzunehmen, und Betriebe und Gesellschaft selber von unten zu betreiben. Heute eröffnet die kapitalistische Krise eine neue Periode von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit. ν