Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1969
Seit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches im Jahr 1871 standen mit Paragraph 175 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Und immer wieder wurde in der Geschichte des Paragraphen diskutiert, ihn auch auf Frauen auszuweiten.
Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts gründeten sich erste Initiativen und Gruppen, die sich mit dem Thema Homosexualität befassten und für die Entkriminalisierung von Homosexualität eintraten. Einer der bekanntesten Gegner des Gesetzes war der Sexualforscher Magnus Hirschfeld mit seinem 1897 in Berlin gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK). Im frühen 20. Jahrhundert startete er eine Unterschriftenaktion gegen den Paragraphen 175. Er wandte sich mit seinem Anliegen an einflussreiche Wissenschaftler, Juristen und Politiker, unter anderem Albert Einstein und August Bebel (der führender Vertreter der deutschen Sozialdemokratie), die gegen den Paragraphen 175 unterschrieben. 1905 hatte das Komitee über 5000 Unterschriften gesammelt, doch das Parlament ignorierte diesen Ruf nach Reform.
Nach diesem gescheiterten Versuch zogen sich Magnus Hirschfeld und seine Kollegen vorerst aus dem politischen Feld zurück und betrieben stattdessen die Methode, prominente Homosexuelle öffentlich zu outen. Das wurde zu einer regelrechten Hexenjagd und resultierte darin, dass vermögende Homosexuelle ihre finanzielle Unterstützung für das Komitee einstellten, aus Angst, in irgendeiner Weise damit in Verbindung gebracht zu werden. Die nächste Chance für eine Reform des Gesetzestextes bot sich erst nach der deutschen Novemberrevolution von 1918.
Die 20er Jahre
Die Novemberrevolution resultierte nicht wie in Russland in der Abschaffung des Kapitalismus, sondern in einer bürgerlich-parlamentarischen Republik, der Weimarer Republik. Trotzdem hatte sich die allgemeine politische Stimmung stark nach links verschoben und es gab Verbesserungen für Frauen und die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung allgemein, vor allem die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, welche Vorbedingungen der politischen Organisierung und Sichtbarwerdung von Homosexuellen in der Gesellschaft waren.
In den Großstädten entstand eine riesige Subkultur mit einer unglaublichen Vielfalt an Clubs, Cafés, Kneipen, Zeitungen und Zeitschriften sowie Treff- und Diskussionsorten für Schwule und Lesben. Zum Vergleich: Das heute in Berlin existierende Angebot für Lesben umfasst gerade mal zehn Prozent der damaligen Subkultur. Per Abonnement konnten auch Schwule und Lesben auf dem Land, wo die soziale Kontrolle durch die Familie um einiges stärker war, von diesen Errungenschaften profitieren. In Berlin wurde das erste Institut für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld gegründet.
Lesben begannen, sich auch in Frauengruppen zu organisieren. Von reaktionären Kräften wurde die Frauenbewegung oft als lesbisch unterwandert beschrieben, was zum Teil einen Keil zwischen Lesben und Heterosexuelle trieb.
Doch war es nicht so, dass die Weimarer Republik ein homophobiefreies Paradies war. Mit der tiefen Wirtschaftskrise herrschten Massenarbeitslosigkeit und Inflation, der Hintergrund, vor dem die Nazis mit ihren menschenverachtenden Ideen stark werden konnten. Der Paragraph 175 existierte immer noch. Es gab zahlreiche Zeitschriften, die die Ausrottung von Homosexualität propagierten, Gruppen für den Erhalt von Paragraph 175, körperliche Angriffe gegen bekannte Homosexuelle und offizielle Verbote von Veranstaltungen und Zeitschriften. Magnus Hirschfeld wurde dreimal bei Angriffen lebensgefährlich verletzt. 1926 wurde das Gesetz „zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ eingeführt, durch das es möglich war, mehrere Zeitschriften temporär zu verbieten.
Diese Tendenzen blieben von Schwulen und Lesben nicht unbeachtet. Neben dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK), welches immer noch gegen Paragraphen 175 aktiv war, wurde 1923 der Bund für Menschenrechte (BfM) gegründet. Viele lesbische Clubs und Vereine gehörten größeren, gemischten Homosexuellenorganisationen wie dem BfM an. Trotz der Fortschritte blieben Schwule und Lesben in Diskussionszirkeln sowie Clubs und Cafés eher unter sich.
Ihr „Anliegen“ bekam jedoch Unterstützung von den beiden größten Arbeiterparteien der Zeit, der SPD und der KPD. August Bebel teilte zwar offenbar auch Vorurteile seiner Zeit und sah in Homosexualität etwas „Widernatürliches“, dies hinderte ihn und die SPD aber in keiner Weise daran, jede staatliche Unterdrückung von Homosexuellen zu bekämpfen. Schon 1898, mit Bebels Unterzeichnung der Petition des WhKs für die Abschaffung des Paragraphen 175, stellte sich die SPD in die Reihen derer, die ein Ende der Diskriminierung forderten. Auch in der Weimarer Republik forderten SPD und KPD weiterhin die Abschaffung des Paragraphen 175. Im Juni 1924 stellte die KPD-Reichstagsfraktion einen diesbezüglichen Antrag, der auch die Amnestie für alle nach diesem Paragraphen verurteilten mit einbezog.
Für die KommunistInnen war die Homophobie ein Mittel der Aufrechterhaltung einer verlogenen herrschenden Moral und ein Mittel der herrschenden, bürgerlichen Klasse zur Spaltung der Arbeiterklasse. Solange die Massen der Arbeiter und Arbeiterinnen sich nicht zusammen tun und merken, dass sie die Mehrheit sind, ist die Machtposition der herrschenden Klasse nicht gefährdet. Das galt für die kapitalistische Weimarer Republik mit ihrer bürgerlichen Demokratie genauso wie für das Kaiserreich, aber auch noch heute.
Im Oktober 1929 wurde im 21. Reichstagsstrafrechtsausschuss aufgrund des gemeinsamen Vorgehens der KPD- und SPD-Abgeordneten mit 15 gegen 13 Stimmen die Streichung des Paragraphen 175 beschlossen; nur der Sieg des Faschismus verhinderte, dass diese Entscheidung rechtsgültig wurde.
Faschismus
Die Machtergreifung der Faschisten 1933 in Deutschland war nur möglich, da das deutsche Kapital sie massiv förderte. Der Erfolg des Nationalsozialismus war aber auch nur möglich, weil die Führungen von SPD und KPD keinen gemeinsamen Kampf der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus organisierten.
Mit der Machtübernahme der Faschisten waren die Errungenschaften, die es in der Weimarer Republik gegeben hatte, vorbei. Drei Wochen, nachdem Hitler Kanzler wurde, wurden alle Homosexuellenorganisationen verboten. Eine „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ gegründet. Der Paragraph 175 wurde 1935 ausgeweitet, das Strafmaß wurde von 6 Monaten auf bis zu 10 Jahren Gefängnis erhöht und der Tatbestand wurde von Geschlechtsverkehr zwischen Männern auf Küssen, Händchenhalten und Umarmungen ausgeweitet. Schwule wurden massenhaft verhaftet. Mehr als 100.000 Männer wurden auf „Rosa Listen“ erfasst. Ab 1938 wurden schwule Männer nach der Verbüßung ihrer Strafe im Gefängnis ins KZ geschickt. In den Worten von Himmler: „Homosexuelle müssen komplett ausgerottet werden.“ Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden mindestens 10.000 Menschen aufgrund ihrer Homosexualität im KZ ermordet Viele von ihnen wurden vorher mit medizinischen Experimenten gefolfert oder verstümmelt (zum Beispiel durch Zwangskastrationen).
Alle Clubs, Cafés und Kneipen wurden geschlossen oder überwacht. An einen beliebten Berliner Ausgehclub, dem Eldorado, wurde von den Nazis ein großes Schild angebracht, das einen Mann und eine Frau zeigte und „Hier ist“s richtig!“ titelte.
Zeitschriften und Bücher mit homosexuellem Inhalt kamen auf den Index. Insgesamt herrschte ein Klima der Angst unter Schwulen und Lesben, Denunziationen und Razzien waren an der Tagesordnung. Viele Lesben und Schwule gingen heterosexuelle Scheinehen ein, um somit aus der Schusslinie zu kommen. Eine Zeitzeugin beschreibt diese Jahre als den Beginn der Zeit der Maskierung.
Lesben wurden zwar nicht offiziell verfolgt, allerdings waren sie in vielen Fällen von Denunziationen betroffen. Die Ausweitung des Paragraphen 175 auf Frauen wurde auch unter den Nazis diskutiert. Letztlich wurde durch die untergeordnete Stellung der Frau im Faschismus weiblicher Homosexualität nicht die gleiche Bedrohung des öffentlichen Lebens bei bemessen. Es fehlte auch selten an anderen Verhaftungsgründen, die man hinzuziehen konnte, wenn bekannt war, dass eine Frau lesbisch war.
Nachkriegszeit
Nach der Niederlage der Faschisten wurden die Überlebenden aus den KZ befreit. Während JüdInnen, KommunistInnen und andere Inhaftierte die Freiheit wieder erlangten, wurde ein Großteil der Schwulen vom KZ ins Gefängnis transferiert, da die Rechtssprechung der Nazis weiterhin existierte. 1949 wurde bei der Gründung der BRD der Paragraph 175 in der von den Nazis verschärften Version mit ins neue Strafgesetzbuch übernommen und blieb unverändert bis 1969. Dann wurde wieder die alte Fassung der Weimarer Republik eingeführt.
Auch wenn Lesben nach wie vor von offizieller Verfolgung verschont blieben, so war es doch kaum möglich, andere Lebensformen neben der Ehe einzugehen. Die ideologische Grundlage der BRD war die Familie, die Frau als Mutter und Ehefrau Herz dieser Grundlage. Die von den Nazis zerstörte Subkultur aus den 20er Jahren wurde nicht wieder aufgebaut, Schwule und Lesben blieben weitgehend isoliert und unorganisiert.
Stonewall und die Bewegungen der 70er
Der Zustand der Isolation und Individualisierung änderte sich erst nach 1968. Die Unruhen und Aufstände in vielen Ländern der Welt, bei denen StudentInnen und die Arbeiterklasse eine tragende Rolle spielten, ergriffen alle, die die Unterdrückung im Nachkriegskapitalismus fast zwei Jahrzehnte ertragen hatten. So begannen auch Schwarze, Frauen und eben Schwule und Lesben, wieder für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.
Entscheidend für die schwul-lesbische Bewegung ist der Aufstand im Stonewall Inn in der Christopher Street in New York. Am 27. Juni 1969 fand eine der damals alltäglichen Polizeirazzien in der Kneipe Stonewall Inn statt. Bei diesen Razzien wurden öfter Gäste der Kneipe verhaftet, schikaniert, belästigt und massiv eingeschüchtert. Was an diesem Tag anders war als an anderen, ist die Tatsache, dass die Schwulen und Lesben, die die Kneipe besuchten, zum ersten Mal zurück schlugen.
Maßgeblich daran beteiligt waren auch die Drag Queens unter den Gästen des Stonewall Inn. Drag Queens waren oft zur Prostitution gezwungen, um an Geld zu kommen. Sie litten am meisten unter der staatlichen Verfolgung, so dass die Wut auf die Polizei in diesen Schichten mit am größten war. Die rund 400 Polizisten sahen sich einer Menge von 2000 wütenden Schwulen, Lesben und Drag Queens gegenüber, die die Scheiben der Polizeiautos einwarfen, die Polizisten mit Dreck bewarfen und auf den Dächern der Autos tanzten, während sie „Gay Power“ riefen. Nach diesem Abend folgten mehrere Tage Straßenschlachten auf der Christopher Street sowie umliegenden Straßen und Plätzen.
Wendepunkt für die Bewegung
Der 27. Juni 1969 markiert damit einen Wendepunkt in der Geschichte der Homosexuellen, zum einen, weil sich zum ersten Mal (in den USA) gemeinsam gegen die staatliche Unterdrückung gewehrt wurde. Zum anderen, weil Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle bis dahin immer als krankhaft, verwirrt und isoliert gesehen wurden und sich selbst auch so sahen, und jetzt auf einmal die Chance hatten, ihre eigene Kraft zu spüren und ein Selbstbewusstsein aufzubauen, das sich in dem Slogan „Gay Power“ ausdrückte.
In den Wochen nach dem Stonewall Aufstand bildeten sich viele militante Organisationen von Homosexuellen. Die Prominenteste von ihnen war die Gay Liberation Front (GLF), die in den USA und in Großbritannien agierte und in ihrem Programm festhielt, dass völlige Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben nur erreicht werden könne, wenn der kapitalistische Staat und seine Institutionen überwunden werden.
Damit brachen sie die Tradition der (wenigen) existierenden „angepassten“ und vorsichtig agierenden Schwulenorganisationen aus den 50ern und 60ern. In den neu erscheinenden Magazinen wurden Themen diskutiert, die in den vorangegangenen Jahren unvorstellbar gewesen wären. So berichtete zum Bespiel ein schwuler, schwarzer Mann über seine Erfahrungen im Gefängnis und es erschienen Artikel über die Versuche von Prostitution betroffenen Transvestiten, sich selbst zu verteidigen. Allgemein wurden die Ansichten sogenannter „Experten“ nicht mehr angenommen und psychiatrische Konferenzen gestürmt.
Doch auch wenn Organisationen wie die GLF, animiert durch das allgemeine politische Klima der 68er, von Revolution redeten und Verbindungen zu anderen Unterdrückten Gruppen wie den Schwarzen suchten. Eine klare Vorstellung vom Weg zum Sozialismus und ein entsprechendes Programm gab es nicht. Das lag vor allem daran, dass es der gesamten 68er Bewegung an Klarheit fehlte, was den Sozialismus und den Weg dahin angeht. Statt Verbindungen zur Arbeiterklasse zu suchen und gemeinsam den Kampf gegen den Kapitalismus aufzunehmen, wurde oftmals in der praktischen Politik auf individuelle Befreiung gesetzt. Im Manifest der GLF in London zum Beispiel stand: Ihren Anfangspunkt kann unsere Befreiung nur darin haben, dass wir die Unterdrückung aus allen unseren Köpfen verbannen. Befreiung bestand für viele darin, sich vor sich selbst und dem eigenen Umfeld, Familie, Freunde und Kollegen, zu outen.
Es war ein enormer Schritt nach vorne, dass sich viele Schwulen und Lesben jetzt outen konnten und nicht länger hetero leben mussten. Aber bei diesem Schritt wurde es oftmals belassen. Statt kollektiver Aktion um rückständige Gesetze zu bekämpfen, wurde der individuelle Lebensweg als Schlüssel zum erfüllten Leben und als ausreichend für die Befreiung von Homosexuellen gesehen. Doch für viele in der Arbeiterklasse hätte ein Coming Out am Arbeitsplatz verheerende Konsequenzen gehabt; dieser Weg war ihnen somit nicht möglich.
Die 70er in Westdeutschland
Auch in Deutschland gründeten sich viele militante Gruppen von Schwulen und Lesben und Transsexuellen, Magazine wurden wieder veröffentlicht, eine neue Subkultur entstand. Die Lockerung des Paragraphen 175 im Jahr 1969, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten männliche Homosexualität über 21 Jahren straffrei machte, erleichterte es Schwulen, sich zu organisieren, und ermöglichte ihnen Vorurteile in der Gesellschaft öffentlich anzuprangern. Der Film von Rosa von Praunheim „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, wurde nach seiner Uraufführung am 05. Juli 1971 bei den Berliner Filmfestspielen in den Medien kontrovers diskutiert und gilt als Initialzünder der Schwulenbewegung. Als der Film am 15. August im Berliner Kino Arsenal erneut gezeigt wurde, ging daraus die Gruppe „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW) hervor. In dieser anfänglich männerdominierten Gruppe bildete sich jedoch kurze Zeit später die Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin.
Was diese und ähnliche Gruppen von allen vorherigen unterschied, war wie in den USA und Großbritannien ihre Radikalität. Die bestehende Subkultur aus Bars und Kneipen wurde von vielen nicht als Zeichen der Befreiung, sondern als Zeichen der weiterhin bestehenden Unterdrückung gesehen. So titelte ein Comic der HAW Frauengruppe „Schwule aller Länder, vereinigt euch! Raus aus dem Puff? Rein in die HAW!“. Auch der Umgang mit der eigenen Sexualität änderte sich. Anstatt sich beschämt bedeckt zu halten, gingen Schwule und Lesben mit offensiven Slogans auf die Straße und diskutierten auf ihren Treffen alle Facetten ihrer Sexualität. Es entstand ein Gefühl der Verbundenheit und Zugehörigkeit zu der Gruppe der Homosexuellen, der sich in dem Leitspruch der HAW Frauengruppe ausdrückte: „Eine ist keine, gemeinsam sind wir stark.“
Es entwickelten sich gemeinsame Aktionen gegen den Paragraphen 175 und gegen Diffamierungskampagnen der Bildzeitung, schwule und lesbische Wohngemeinschaften, schwule und lesbische Musik und vieles mehr.
Doch sowohl die schwulen als auch die lesbischen Gruppen bestanden überwiegend aus Frauen und Männern aus studentischen Zusammenhängen. Belebt von den allgemeinen Studentenunruhen waren es gerade diese Schichten, die den Kampf gegen die Unterdrückung anführten. Das führte in Deutschland zu demselben Problem wie in den USA und Großbritannien. Das radikale öffentliche Auftreten der AktivistInnen bedeutete für Jeden und Jede ein öffentliches Coming Out. In der revolutionären Atmosphäre der Hochschulen war das kaum noch ein Problem, für viele berufstätige Schwule und Lesben sah das anders aus. Auch in Deutschland führte das dazu, dass sich kaum Lesben und Schwule außerhalb des hochschulpolitischen Lebens aktiv an der Bewegung beteiligten.
Separatismus
Die studentische Zusammensetzung der Schwulen- und Lesbenorganisationen der frühen 70er war ein Grund für den Zerfall der Bewegung. Mit dem Abflauen der allgemeinen studentischen Bewegung gerieten auch viele Organisationen der homosexuellen Bewegung in Schwierigkeiten. Es gab vermehrte Abspaltungen und separate Organisierungen. Trotzdem: Wichtige Veränderungen vor allem im allgemeinen gesellschaftlichen Klima und der öffentlichen Wahrnehmung waren erreicht.
Die erste Einheit, die Aufbrach, war die zwischen Schwulen und Lesben. Die HAW Frauengruppe machte sich von den Männern unabhängig. Lesbische Gruppen im ganzen Land sahen ihre politische Heimat eher in der Nähe der Frauenbewegung als in der Nähe der Schwulenbewegung. Doch auch dort gerieten sie immer wieder in Konflikt mit den Heteras, die sich den lesbenspezifischen Problemen gegenüber teils ignorant verhielten. Manche Lesben sahen es zum Teil nicht ein, warum sie zum Beispiel für mehr Spielplätze eintreten sollten. Auch gab es Befürchtungen innerhalb der Frauenbewegung, dass durch lesbische Teilhabe die Bewegung insgesamt an Ansehen verlieren würde.
Ende der 70er und im Laufe der 80er gründeten sich dann viele separat organisierte Gruppen; schwarze Lesben, behinderte Lesben und Schwule, Tunten, alte Lesben, SadomaschistInnen und andere. Es ist verständlich, dass sich bestimmte Gruppen, wie zum Beispiel schwarze Lesben und Schwule, auch separat von den weiß dominierten Strukturen organisieren wollen um ihre spezifischen Unterdrückungserfahrungen und Probleme in den weißen Industrieländern zu diskutieren.
Dadurch aber, dass sich Gruppen wie diese ausschließlich separat trafen, wurde das Problem, welches sie mit der größeren allgemeinen schwul-lesbischen Bewegung hatten, nur verstärkt. Anstatt die Diskussion in die große Runde reinzutragen und zum Beispiel weiße Schwule und Lesben mit den noch spürbar vorhandenen Vorurteilen in eigenen Reihen zu konfrontieren, gingen diese Gruppen solchen Diskussionen mehrheitlich aus dem Weg.
So konnte und kann keine starke Bewegung aufgebaut werden, die konsequent für gleiche Rechte von Schwulen, Lesben, Schwarzen, Behinderten, Frauen und anderen im Kapitalismus Unterdrückten eintritt.
Die Bedeutung von AIDS für die Bewegung
Das Aufkommen des HI-Virus und der daraus resultierenden Krankheit AIDS hatte weitreichende Konsequenzen für die Schwulenbewegung. Sexuelles Begehren war plötzlich tödlich geworden. Das Virus griff nicht nur die Schwulen selbst, sondern auch ihre freie Sexualmoral der 70er Jahre an, die eine bewusste Abkehr von den heterosexuellen Normen der monogamen Zweierbeziehung darstellte. Gerade ein paar Jahre war es da her, dass Lesben und Schwule, zumindest in größeren Städten, offen auftreten und einen Lebensstil jenseits der heterosexuellen Normen ausprobieren konnten.
Viele führende Aktivisten erlagen dem Virus, die Bewegung und das seit den 70ern aufgebaute schwule Selbstverständnis wurden zutiefst erschüttert. Forschungsgelder zur Bekämpfung von AIDS wurden kaum zur Verfügung gestellt, stattdessen Enthaltsamkeit gepredigt.
Doch unter den Schwulen entwickelte sich Wut auf den Verlust der nächsten Freunde, die Verleugnung dieser Krise durch die Politik und den drohenden Verlust gerade erst gewonnener Freiheiten. Dies führte Teile der Lesben- und Schwulenbewegung zu radikalen Protestformen. Schwule und Lesben bildeten Allianzen mit anderen Gruppen, insbesondere mit Prostituierten, DrogennutzerInnen, MigrantInnen, Gruppen, die besonders schlechten Zugang zur Gesundheitsversorgung hatten. „Queer“ wurde von einem Schimpfwort gegen alles irgendwie Abweichende zu einer stolzen Selbstbeschreibung derer, die ausgegrenzt wurden.
Auch der gefürchtete Verlust der gerade neu erkämpften Freiheiten trat nicht ein. Zwar wollten religiöse Fanatiker und reaktionäre Politiker in den westlichen Industriestaaten AIDS für eine erneute Kriminalisierung von Schwulen nutzen, und in den etablierten Medien fand eine kontroverse Schlacht statt. So wurde mit einem bisher unbekannten Ausmaß über homosexuelle Themen diskutiert, was zu einer weiteren Steigerung der Akzeptanz führte und Mitleid und Solidarität in der heterosexuellen Bevölkerung hervorrief. Besonders das Erkranken Prominenter trug zu öffentlichen Meinungsumschwüngen bei. So hat die Erkrankung und der Tod des US-amerikanischen Filmstars Rock Hudson die Gesellschaft in den USA erschüttert und eine Steigerung der Akzeptanz von Schwulen und AIDS-Kranken bewirkt.
Durch das Aufkommen der AIDS-Hilfen wurde die Institutionalisierung von schwulen Interessen beschleunigt, wodurch in einigen Orten endlich schwul-lesbische Belange in der öffentlichen Verwaltung Gehör finden konnten.
Die Erfolge der Queer-Bewegung hingegen blieben begrenzt. Spielten anfangs ihre Aktionen eine große Rolle dabei, AIDS sichtbar zu machen, so führten die zunehmend verbesserten, aber sehr teuren Methoden der Behandlung von HIV-Infektionen bald dazu, dass es teilweise zu einer Entsolidarisierung kam.
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