Interview mit einem iranischen Aktivisten
„Solidarität“ sprach mit Bijan Kiarsi von UIJSPA (Unabhängige Iranische Jugend, Studierende und Politische Ak-tivisten) aus Köln. UIJSPA ist eine neu entstandene Gruppe von jungen Exil-IranerInnen, die seit der Präsidentschaftswahl im Iran im Juni eine ganze Reihe von Protestaktionen organisiert hat.
Warum sind die Menschen im Iran im Juni auf die Straße gegangen? Das islamistische Regime existiert schon seit 30 Jahren. Was war diesmal anders?
Bis zu den jüngsten Unruhen waren die Menschen der Ansicht, dass innerhalb des islamistischen Systems im Iran eine demokratische Änderung herbeigeführt werden könnte. Nach dem Wahlbetrug haben die Menschen begriffen, dass das System keine demokratischen Züge besitzt. Die Revoltierenden sind jene, die nach der islamischen Revolution groß geworden sind. Gebildete Personen, studierte Personen, die unzufrieden mit ihrem Leben in jenem System sind, wegen der wirtschaftlichen Lage, weil sie keine Arbeit bekommen und weil das Regime massiv in ihr Privatleben interveniert.
Wie sieht die UIJSPA den oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Hossein Mussawi und die „grüne Welle“ im Iran?
Es ist nicht richtig, Mussawi als „oppositionell“ zu bezeichnen, denn der Begriff beinhaltet, dass man ein Gegenprogramm hinsichtlich einer anderen politischen Denkrichtung vertritt. Mussawi respektiert zutiefst das Islamische in der Republik Irans und demnach hat er nicht vor, ein Gegenpart zum derzeitigen politischen System zu sein. Selbst Mussawi sagt in seinen Reden, dass er kein Oppositioneller ist. Der Begriff des „oppositionellen Präsidentschaftskandidaten“ wird überwiegend im Ausland verwendet.
In den achtziger Jahren war Mussawi Premierminister und hat Massenvernichtungen von oppositionellen Kräften veranlasst. Es gab eine Hinrichtungswelle unter seiner Führung, welche auch das „Achtziger-Massaker“ genannt wird. Eine dogmatisch-fundamentalistische, faschistische Regierungsform toleriert keine oppositionelle Form des Denkens und Handelns.
In den Anfängen der Unruhen motivierte Mussawi die Massen zum Weitermachen. Im Verlauf wurde jedoch immer deutlicher, dass die Masse Mussawi kontrolliert, und er somit Mittel zum Zweck geworden ist. Viele junge Menschen im Iran sind bei der letzten Wahl 2005 aus Unmut und Enttäuschung über Khatami [dem sogenannten „Reform“-Präsidenten vor Mahmud Ahmadinedschad, die Redaktion] nicht wählen gegangen und der Erzkonservative Ahmadinedschad ist gewählt worden. Diesmal jedoch sind sie Wählen gegangen, weil sie einen Wechsel wollten, und demnach haben sie das „kleinere Übel“ gewählt.
Ein Teil der Linken in Deutschland ist gegenüber der Bewegung im Iran skeptisch, einige sind sogar offen gegen die Proteste aufgetreten. Sie sagen, dass die Schwächung des Ahmadinedschad-Regimes den USA und Israel ermöglichen würde, ihre imperialistische Politik in der Region durchzusetzen. Was antwortet ihr auf diese Argumente?
Meines Erachtens sollte das Ziel ein säkularer, sozialistischer Iran sein. Der Zweig der radikal
„antiimperialistischen“ (deutschen) Linken behandelt die Thematik aus einem absolut dogmatischen und inhumanen realitätsfernen Blickwinkel. Sie lassen außer Acht, dass das Mullah-Regime unter Ahmadinedschad bereits unzählige oppositionelle Kräfte ermorden ließ, dass Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden und inhaftierte Kinder und Jugendliche auf ihre Hinrichtung warten. Ich bin der Ansicht, dass hier die imperialistische Politik der USA oder Israels eine Nebenrolle spielt, weil erst die fundamentalen Menschenrechte im Iran eingeführt werden müssen, um dann erst über außenpolitische Begebenheiten diskutieren zu können!
Die Proteste haben nachgelassen. Bekommt das Regime Ahmadinedschad die Lage wieder unter Kontrolle?
Der Iran hat bereits die Erfahrung eines diktatorischen Regimes gemacht und es wurde gestürzt. Als der Schah in den fünfziger Jahren, mit Hilfe der USA und England, Mossadegh entmachtet hat, war er an der Macht, die Bevölkerung positionierte sich jedoch gegen ihn, bis es zur Revolution kam. Heute geht es nicht um die Person Ahmadinedschads, sondern um die islamische Regierung, die jener sogenannte Präsident repräsentiert. Das undemokratische Regime, dem jede Legitimation fehlt, wird nie von den (jungen) Iranern akzeptiert werden, die auf der Straße waren.
Was können die nächsten Schritte für Linke und SozialistInnen im Iran sein? Gibt es Ansätze für eine breitere Organisierung der Arbeiterschaft? Wie sind die Studierenden aufgestellt?
Momentan ist es verkehrt, über die nächsten Schritte für Linke und Sozialisten zu sprechen, weil die Menschen dort in erster Linie für ihre Grundbedürfnisse kämpfen. Erst, wenn diese fundamentalen Schritte wie zum Beispiel Versammlungs-, Meinungs- und Redefreiheit erreicht worden sind, kann man über weitere Schritte nachdenken. Es gibt viele sozialistische und kommunistische Studierende, jedoch müssen sie sich verdeckt halten, weil sie ansonsten vom Unterricht suspendiert oder verhaftet werden würden.
Welche Rolle kann eine in Deutschland angesiedelte Gruppe wie die UIJSPA dabei spielen, wie seht ihr Eure Aufgaben?
Unsere Ziele sind die Aufklärung bezüglich des Irans in Deutschland und die Unterstützung der Bewegung im Iran, die gegen das islamistische Regime ist. Dabei ist es jedoch wichtig zu sehen, welche politischen Ziele und Prinzipien die Bewegung im Iran vertritt, um zu verhindern, dass erneut eine Schah-ähnliche Diktatur entstehen kann.
Ebenfalls ist von Bedeutung, dass eine internationale Vernetzung links-orientierter Gruppierungen mit der unseren stattfindet, so dass neue, internationale Impulse und Denkrichtungen zu einem Fortschritt führen können. Mit unserer Aufklärungsarbeit, unter anderem an Hand von diversen Artikeln, versuchen wir ein Bewusstsein der Exil-Iraner und im Iran selbst zu erschaffen, dass es ermöglicht, eine sozialistische Alternative für erstrebenswert zu halten.
Aktionen der UIJSPA
Direkt nach Beginn der Bewegung im Iran hat die UIJSPA in Köln zu Protesten aufgerufen. Die Demos waren für alle offen, die Gruppe ist für die Einheit in der Aktion eingetreten. Gleichzeitig betont die UIJSPA die Unabhängigkeit und Basisorientierung der Bewegung und wendet sich gegen jede Unterstützung für einen Kandidaten bei den Regime-Wahlen im Iran sowie gegen jede Form von Nationalismus.
Einer ersten Demonstration mit 1.500 Menschen am 19. Juni folgte ein zweitägiger Hungerstreik auf dem belebten Kölner Neumarkt. Rund hundert Leute übernachteten in den Hungerstreik-Zelten und beeindruckten viele PassantInnen durch ihre Entschlossenheit. Mit einer mehrstündigen Blockade des iranischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main unterstrich die UIJSPA ihre Entschlossenheit zur direkten Aktion, trotz einzelner Polizeiübergriffe.
An einer Lichterkette auf der Deutzer Brücke in Köln nahmen 500 Menschen teil. Zu einer bewegenden Gedenkfeier für die ermordeten Regime-Gegner der achtziger Jahre kamen Ende August über 300 Menschen aus Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien.
In der Gruppe findet parallel zu den Aktionen ein Diskussionsprozess über die Lage im Iran und zu den Handlungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik statt.