Frankreich: Soziales Fieber steigt – Nagelprobe für die NPA
Vor knapp einem Jahr fand auf Initiative der Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR) der Gründungskongress der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) statt. Ihr Sprecher Olivier Besancenot, als „kämpferischer Postbote“ einer der bekanntesten linken Oppositionsfiguren in Frankreich, hatte im Juni 2007 dazu aufgerufen.
von Tinette Schnatterer, Bordeaux
Nach einer aktuellen Umfrage der Zeitung Paris Match haben 57 Prozent der Franzosen eine „sehr gute Meinung“ von Olivier Besancenot. Welche Rolle spielt die NPA selber nun, zwölf Monate nach ihrer Gründung, beim Widerstand gegen die Regierung Nicolas Sarkozy?
Jobabbau, Angst und Wut
In Frankreich droht derzeit die Privatisierung der Post, dazu kommt die Anhebung der Eigenbeteiligung bei Medikamenten und Krankenhauskosten, „Reformen“ an Universitäten und Schulen in Richtung Elitebildung sowie Massenentlassungen. Die Regierung versucht mit einer groß angelegten Debatte über die „nationale Identität der Franzosen“ von all diesen Fragen abzulenken.
Solange jeder Beschäftigte allein dem steigenden Arbeitsdruck und der Angst vor Arbeitslosigkeit ausgesetzt ist, sind Depressionen und Verzweiflung die Folge. 32 Selbstmorde von Beschäftigten der France Telecom, von denen viele in Abschiedsbriefen direkt das Management für ihren Schritt verantwortlich machten, sind der traurige Beweis.
Momentan gibt es zwar keine verallgemeinerte Bewegung in Frankreich – nicht zuletzt wegen der Weigerung der Gewerkschaftsführung, ernsthafte Gegenwehr zu organisieren –, überall aber bringen Beschäftigte ihre Wut zum Ausdruck. In den letzten Wochen gab es unter anderem Streiks und Demonstrationen bei Post und Bahn, im Bildungsbereich und in den Museen.
NPA 2009
Von den etablierten Oppositionsparteien, wie der sozialdemokratischen PS und den Grünen, ist wenig zu hören; klar ist, dass sie ebenfalls für Sozialabbau stehen. Aus diesem Grund ist der Aufbau einer kämpferischen Partei für Jugendliche und Beschäftigte auch in Frankreich heute eine der dringlichsten Aufgaben.
Leider war die NPA ziemlich überhastet gegründet worden. In vielen Fällen blieb die Unterstützung für kämpfende Belegschaften sehr allgemein, ohne konkrete Vorschläge für inhaltliche Forderungen oder die nächsten Kampfschritte zu machen.
Zwar erreichte die NPA bei der Europawahl knapp fünf Prozent. Damit blieb sie jedoch weit hinter den ihr noch im Januar 2009 in Umfragen attestierten neun Prozent Zustimmung. Viele Mitglieder enttäuschte das Abschneiden maßlos – was auch dem Umstand geschuldet war, zu einseitig auf die Wahlebene fokussiert gewesen zu sein.
A, B oder C: Debatte um Regionalwahlen
In den letzten Wochen drehten sich die Diskussionen innerhalb der NPA vor allem um die Frage, wie sich diese bei den Regionalwahlen im März verhalten soll. A, B und C stehen dabei für die drei Positionen, über die die Mitglieder der NPA Anfang Dezember abstimmten.
Seit Juni hatten Diskussionen zwischen der NPA und dem Wahlbündnis Front de Gauche (Linksfront), das aus der PCF (Kommunistische Partei) und der Parti de Gauche (Linkspartei) besteht, über eine gemeinsame Kandidatur stattgefunden.
Die Mitglieder von Gauche Révolutionnaire, der französischen Schwesterorganisation der SAV, gehörten zu den Mitverfassern der Position B. Sie erklärten, dass eine gemeinsame Kandidatur keine Stärkung, sondern eine Schwächung beim Aufbau antikapitalistischen Widerstands bedeuten würde.
Eine Schlüsselfrage dabei ist das Verhältnis zu PS und den Grünen. Die Front de Gauche ist bereit, Regierungen mit der PS und den Grünen zu bilden, die aktuell in den 16 Regionen, in denen sie mitregieren, für Kürzungshaushalte eintreten.
Die fatalen Auswirkungen eines solchen Wahlbündnisses wurden bereits im Verlauf der Diskussionen mit der Front de Gauche deutlich. Die NPA hätte entscheidende Abstriche bei ihrem Programm machen müssen. So waren im Laufe der Verhandlungen Forderungen nach demokratischer Kontrolle des Bankensektors durch die arbeitende Bevölkerung und einem Mindestlohn von 1.500 Euro netto fallen gelassen worden.
Deshalb ist es ein Erfolg, dass die Mitglieder der NPA gegen ein solches Wahlbündnis stimmten, auch wenn die politisch weniger klare Position A (ihr Tenor: „Schuld hat die Front de Gauche, wenn kein Wahlbündnis zustande kommt, auch wenn wir es bedauern“) knapp gegenüber der Position B gewann.
„Unsere Jobs, nicht Eure Profite“
Anstatt Forderungen aufzuweichen, muss die NPA in den kommenden Monaten beweisen, dass sie sich nicht nur antikapitalistisch nennt – in dem sie ihre Forderungen, wie für einen Mindestlohn und für Arbeitszeitverkürzung, mit der Forderung nach einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft verbindet.
Zudem darf die Frage des Wahlantritts nicht abgekoppelt von den Protesten diskutiert werden. Deshalb lautete einer der Kernpunkte der Position B auch, die geplante, aber bisher nicht umgesetzte Kampagne „Nos emplois, pas leurs profits“ („Unsere Jobs, nicht Eure Profite“) ins Zentrum des Wahlkampfes zu stellen.
Es wäre ein großer Fehler, wenn die NPA sich jetzt einfach auf den Regionalwahlkampf konzentrieren würde. Stattdessen muss sie den Wahlkampf nutzen, um ihre Forderungen unverwässert zu verbreiten und einen Beitrag zur Stärkung der Proteste zu leisten.