Wie weiter in Venezuela?

Bürokratisierung und Gefahr einer Konterrevolution


 

Der Machtantritt von Hugo Chávez 1998 stellte eine wichtige Änderung in der Weltlage dar. Dies war die erste Regierung, die an die Macht kam und sich nicht den rücksichtslosen Ideen des Neoliberalismus verschrieb, die in den 1980ern und 1990ern jede Regierung und herrschende Elite dominierten. Der Machtantritt von Chávez stellte daher eine bedeutsame positive Entwicklung dar. Das Chávez-Regierung führte eine Reihe von populären Reformen durch, besonders bei Gesundheit und Bildung, die das CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale – internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist, A.d.Ü.) und ArbeiterInnen in Venezuela und international begeistert unterstützten.

von Alejandro Rojas, CWI (18. November 2009)

Die radikale populistische Politik, die Chávez umsetzte, erweckte schnell den Zorn des US-Imperialismus und der venezolanischen herrschenden Klasse. Diese versuchten, ihn zu stürzen. Der Kampf in Venezuela hat verschiedene Phasen und Wendungen durchlaufen. Jetzt ist er in eine neue und kritische Phase eingetreten. Anfänglich sprach Chávez nur von einer „Bolivarianischen Revolution“. Eine Reihe wichtiger Reformprogramme wurde eingeleitet. Die „Misiones” in Gesundheitswesen (Barrio Adentro) und Bildung (Mision Robinson) waren besonders populär. Eine Million Menschen wurden vom Analphabetismus befreit und Millionen erhielten zum ersten Mal Zugang zu einem Arzt. Drei Millionen bekamen Zugang zu primärer und weiterführender Schulbildung. Über zwei Millionen Hektar Land wurden an Bauerngenossenschaften verteilt, seit Chávez 1998 an die Macht kam. Diese Reformen und andere Aspekte seines Programms brachten sein Regime schnell in offenen Konflikt mit den Oligarchen, die vorher an der Macht gewesen waren, und riefen den Zorn des US-Imperialismus hervor.

Auf den Putschversuch 2002 und dann die „Aussperrung“ durch die Bosse 2002/3 folgten eine Reihe von Sabotageakten, die Versorgungsengpässe hervorriefen, und Herausforderungen auf bei Wahlen. Alle diese Versuche der Konterrevolution wurden besiegt. Sie wurden durch eine massive, unabhängige, spontane Massenbewegung von unten gestoppt. Die Niederlagen dieser Versuche einer Konterrevolution stellten wichtige Siege dar.

2005 ging Chávez, angetrieben durch diese Ereignisse und den Druck der Masse der Armen und ArbeiterInnen, weiter und erklärte zum ersten Mal, die Ziele der bolivarianischen Revolution seien jetzt der Aufbau des „Sozialismus im 21. Jahrhundert”. Dies stellte zum ersten Mal seit dem Fall der Berliner Mauer erneut die Frage des Sozialismus auf die politische Tagesordnung und war eine positive Entwicklung.

Aber es ist eines, vom Sozialismus zu reden, und etwas anderes, zu verstehen, welches Programm und welche Methoden notwendig sind, ihn zu erreichen. MarxistInnen haben auch die Verantwortung, auf Schwächen hinzuweisen und sie zu diskutieren, die in jeder Bewegung vorhanden sind und als eine Barriere beim Sieg über den Kapitalismus wirken können. Es ist notwendig, ArbeiterInnen und SozialistInnen zu helfen, den richtigen Weg zu finden, um den Kampf vorwärts zu führen und die sozialistische Revolution durchzuführen. Wirklicher Sozialismus kann durch die Errichtung eines tatsächlichen Systems von Arbeiterdemokratie und durch das Lernen aus den internationalen und historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung aufgebaut werden. MarxistInnen versuchen, SozialistInnen in Venezuela zu helfen, aus der internationalen Erfahrung der ArbeiterInnen in anderen Kämpfen zu lernen als Mittel zur Förderung des Kampfs für eine sozialistische Revolution. Wir begrüßen auch Kommentare und Kritik von ArbeiterInnen in Venezuela zu den Kämpfen der ArbeiterInnen in anderen Ländern.

Das CWI hat die positiven Schritte begrüßt, die in Venezuela ergriffen wurden. Aber wir haben auch vor den Gefahren gewarnt, vor denen die Bewegung durch Konterrevolution und Reaktion wegen der Schwächen beim Programm, den Methoden und der Organisation der Arbeiterklasse steht. Anders als manche auf der Linken haben wir es vermieden, in die Falle zu tappen entweder opportunistisch zu sein – indem man als Cheerleader und Berater von Chávez handelt – oder andererseits Chávez auf persönliche und sektiererische Weise anzugreifen.

Die Gefahr der Konterrevolution bleibt, weil der Kapitalismus leider nicht besiegt und durch einen demokratisch-sozialistischen Produktionsplan auf der Grundlage der Errichtung eines Systems von ArbeiterInnen- und Bauerndemokratie ersetzt wurde. Jetzt hat eine neue und kritische Phase in Venezuela begonnen, die neue Gefahren für den Kampf für den Sozialismus bringt.

Dass der Kapitalismus nicht besiegt wurde, führt jetzt zu einer Reihe von Angriffen auf die Reformprogramme und die Arbeiterklasse. Die neureiche Elite, die sich auf dem Rücken der Bewegung entwickelt hat und ein sich immer mehr ausdehnender bürokratischer Apparat, der von Korruption durchlöchert wird, kommen zunehmend in Konflikt mit der Arbeiterklasse und dem Kampf, die Revolution vorwärts zu bringen. Die Bürokratie und die sich herausbildende neue Elite verwenden „sozialistische Rhetorik” und wenden zunehmend Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse und die, die mit dem Regime in Konflikt kommen oder es kritisieren, an.

Das CWI hat bei vielen Gelegenheiten erklärt, dass eines der größten Probleme der Lage in Venezuela das Fehlen einer bewussten, unabhängigen Organisation der Arbeiterklasse ist, die sich selbst an die Spitze des Kampfes für eine sozialistische Revolution stellt. Die Bolivarianische Bewegung wurde von oben nach unten geleitet, ohne bewusste Kontrolle durch die Arbeiterklasse. Als Ergebnis wurden bürokratische, administrative und jetzt leider zunehmend repressive Methoden gegen die Arbeiterklasse und diejenigen angewandt, die das Regime von links in Frage stellen oder herausfordern.

Diese zwei Elemente – die Vorherrschaft des Kapitalismus und bürokratische repressive Methoden – wurden während der jüngsten Periode verstärkt. Der revolutionäre Prozess, der sich besonders nach dem Putschversuch und der Aussperrung 2002/3 entwickelte, hat sich gegenwärtig festgefahren. Wenn ein revolutionärer Prozess nicht voranschreitet und vorwärts geht, kann er letztlich beginnen zu zerfallen und sogar zu verfaulen.

Leider beginnt sich diese Gefahr in Venezuela zu entwickeln. Als Folge davon wird die Unterstützung für Chávez ernsthaft untergraben und unterhöhlt. Selbst die Idee des Sozialismus fängt an, bei einer Schicht diskreditiert zu sein, weil es nicht gelingt, die Revolution weiterzubringen. Eine qualitative Veränderung bahnt sich an, die das Gespenst der Konterrevolution erscheinen lässt. Aber eine Konterrevolution, die teilweise von innerhalb der Chavistischen Bewegung selbst angetrieben wird.

Die „Boli-Bourgeoisie“

Dazu gehören Teile der alten Elite, die zu Chávez übergelaufen sind, die sich jetzt bereichern und aus der ganzen Entwicklung massive Profite einstreichen. Dazu muss man die „Neureichen“ hinzufügen, die sich herausgebildet haben. Heute ist der Ausdruck „Boli-burguesia“ (Boli-Bourgeoisie) im modernen Venezuela gängig. Es gibt ein starkes Element des Prozesses, der sich in Südafrika entwickelte, wo sich ein Teil des ANC (Afrikanischer Nationalkongress, ehemals linke Befreiungsbewegung die nach dem Ende der Apartheid unter Nelson Mandela die erste frei gewählte Regierung stellte, A.d.Ü.) nach dem Fall des Apartheidregimes bereicherte. Aus ihm entwickelte sich eine neue obere Mittelschicht und sogar ein Teil der Kapitalistenklasse. Dieser Prozess ist im Namen des „Sozialismus” in Venezuela heute weit fortgeschritten. Es gibt sogar eine Organisation, die aus „Sozialistischen Unternehmen“ besteht – Unternehmen, die sich selbst sozialistisch nennen, aber wie kapitalistische Unternehmen tätig sind – und auch eine landesweit organisierte Gruppe, die sich die „Mittelklassesozialisten” nennt.

Zu dieser Schicht gehören Leute wie Ricardo Fernandez Barruesco, der in der Nahrungsmittelindustrie begann, aber sich jetzt verändert hat und dem jetzt die Banco Canarias, Bolivar Banco und viele andere gehören. Es gibt auch Mitglieder der neuen herrschenden Elite wie Wilmer Ruperti. Vor einem Jahrzehnt war er einfach ein „Geschäftsmann“ unter vielen. Heute ist er ein Schifffahrtsmagnat und ein Milliardär. Tatsächlich ist er der reichste Mann Venezuelas. Er machte sein Vermögen während der „Aussperrung“ der Bosse und nutzte seine Tanker, um den „Streik“ zu brechen und Öl für die Regierung zu verschiffen. Seitdem wurde er reich belohnt, mit lukrativen Verträgen mit der staatlichen Ölfirma PDVSA. Auch wenn diese Schicht versucht hat, sich mit Chávez zu versöhnen, gibt es aber eindeutig eine weitere Sektion der alten Elite und anderer rechter Kräfte, die entschlossen bleibt, ihn zu besiegen.

Das Wachstum der „Boli-burguesia“ ist ein Phänomen, das sich wahrscheinlich in der kommenden Periode fortsetzen wird. Chávez ist mit einer schrumpfenden Wirtschaft konfrontiert. Angesichts einer Industrieproduktion, die im dritten Quartal dieses Jahr wahrscheinlich um 10,25 Prozent gefallen ist, hat er seine Appelle an den Privatsektor gesteigert, beim Anschub der strauchelnden Wirtschaft zu helfen. Er identifizierte 54 Themen, die angegangen werden müssen, um die Wirtschaft anzuschieben und appellierte an die Privatbanken – die zu den reichsten in Lateinamerika gehören – bei der Stimulierung der Wirtschaft durch Vergrößerung des Kredits an die kommerziellen Sektoren zu helfen. (Ultimas Noticias 22. 9. 09).

Manche der von der Regierung durchgeführten „Verstaatlichungen“ haben viel internationale Publizität erhalten, aber tatsächlich endeten die meisten als Joint Ventures, die „empresas mixtas” (gemischte Unternehmen) genannt werden. Der ganze Tenor der Wirtschaftspolitik der Chávez-Regierung war, die Staatsintervention auszudehnen, aber eine kapitalistische Mischwirtschaft zu erhalten – und das „Sozialismus” zu nennen.

Auswirkung der Krise

Am Beginn der Weltwirtschaftskrise, leugnete Chávez, dass Venezuela durch sie betroffen sein werde.

Aber dieses Argument ist jetzt unhaltbar, da die Auswirkungen der fallenden Ölpreise begonnen haben, die Wirtschaft zu treffen. Unglaublicherweise steigerte die nationale staatseigene Ölgesellschaft ihre Verschuldung um atemberaubende 146 Prozent im Verlauf des Jahres 2008! Es wird geschätzt, dass PDVSA Vertragspartnern die enorme Summe von zwölf Milliarden US-Dollar schuldet. Dies hat jetzt eine direkte Auswirkung auf die Fähigkeit der Regierung, ihre anfänglich populären Reformpakete aufrecht zu erhalten.

Die meisten Reformen und Sozialprogramme wurden von der PDVSA finanziert. Die wachsende Verschuldung der PDVSA zwingt jetzt die Regierung zu Kürzungen bei ihren Sozialreformprogrammen. Die Ausgaben für Sozialprogramme wurden 2008 um 58 Prozent im Vergleich zu 2007 gekürzt. Weitere Kürzungen sind auch in den Staatsausgaben für 2009 geplant. Wenn die Inflation, die bei 30 Prozent liegt – die höchste in Lateinamerika – berücksichtigt wird, schätzen Ökonomen, dass der wirkliche Wert des für 2009 angekündigten Budgets 30 Prozent niedriger als 2007 sein wird!

Bürokratisches Missmanagement und Ineffizienz

Zu diesen Kürzungen muss man auch die verheerenden Folgen der bürokratischen Methoden, Korruption und Ineffizienz hinzufügen, die in den letzten Jahren selbst die populärsten “Misiones”-Reformprogramme untergraben haben. Dazu gehören die populärsten Programme, wie Barrio Adentro (Gesundheit) und Mision Robinson (die Kampagne zur Beseitigung des Analphabetismus) und den staatlichen Supermarkt – Mercal – und die Preiskontrollen, die die Regierung für Waren des Grundbedarfs einführte.

Von Barrio Adentro betriebene Kliniken, die mit weit verbreitetem Beifall in den „barrios“ geöffnet wurden, sind jetzt häufiger geschlossen als offen und arbeiten nicht. Beschwerden von kubanischen ÄrztInnen, die zurück nach Havanna geschickt wurden, über die Krise, die es im Gesundheitswesen gibt, veranlassten Fidel Castro, an Chávez zu schreiben und ihn zu warnen, dass das Gesundheitssystem nicht funktioniert. Chávez gab bekannt, dass er einen Brief von Castro erhalten hatte, der sich über die Probleme in Barrio Adentro beklagte und dass etwas getan werden müsse. Als ob Chávez selbst mit dem Problem nichts zu tun habe. Aber warum war ein Brief von Castro notwendig, um die venezolanische Regierung auf eine Krise in ihrem eigenen Gesundheitswesen aufmerksam zu machen!

Die populären Gesundheitsreformen verstrickten sich wie viele der anderen Reformprogramme in einem Geflecht von Bürokratie, Korruption und – selbst in nur einem Bereich – Mangel an allgemeiner Planung. Die Einführung vereinheitlichter Planung im Gesundheitswesen, die durch ein System von demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung betrieben würde, könnte ein Beispiel sein, was im Rest der Wirtschaft nötig ist.

Leider stürzt das Gesundheitswesen in eine immer tiefere Krise. Die Gründung neuer Kliniken, die den ärmsten Teilen der Bevölkerung Zugang zu einem Arzt gaben, war von Stagnation und Kürzungen im bestehenden staatlichen Gesundheitswesen begleitet. Außerhalb von Barrio-Adentro-Klinken bedeutet der Besuch des örtlichen Arztes eine Rechnung für den Arztbesuch! Die Krise im Gesundheitswesen erreicht jetzt explosive Ausmaße.

Einrichtungen der Grundversorgung wie Krankenhausküchen und -wäschereien wurden in einem der größten Krankenhäuser von Caracas, El Agodonal, geschlossen oder arbeiten seit Jahren nicht richtig und verursachen Infektionen und Seuchen. Bei einem Rundgang durch dieses Krankenhaus, das einmal von Che Guevara besucht wurde, sieht man Reparaturprojekte unvollendet, bei denen es seit mehr als einem Jahr keinen Fortschritt gab. Zwischen 2007 und 2009 bewilligte die Regierung mehr als zwei Milliarden Bolivar für Krankenhausreparaturen und -infrastruktur. Aber kein einziges Projekt ist nach zwei Jahren zu mehr als 30 Prozent fertig gestellt. Dies hat eine direkte Wirkung auf das Funktionieren der Krankenhäuser. El Agodonal funktioniert nur zu 30 Prozent seiner Kapazität.

Trotz der Zahl an kubanischen Ärzten, die in das Land geschickt werden, gibt es landesweit immer noch einen Ärztemangel von 30 Prozent.

Das Fehlen eines Systems wirklicher demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung führt zum Krebsgeschwür der Korruption und Bürokratie, die die Wirksamkeit der Reformprogramme anfressen und untergraben. Unter Chávez gab es ein explosionsartiges Anwachsen der Staatsbürokratie. Die jüngste Regierungsreorganisation bedeutet, dass Chávez sechs Vizepräsidenten hat! Der Staat beschäftigt jetzt über zwei Millionen Menschen von zwölf Millionen Erwerbspersonen. Die Zahl der Staatsverwalter hat sich stark ausgedehnt. Die Zahl der Verwalter, die für die staatliche Ölgesellschaft PDVSA arbeiten, hat sich seit 2002 um 266 Prozent vergrößert. Die verstaatlichte Elektrizitätsgesellschaft beschäftigt schätzungsweise 42.000 ArbeiterInnen, aber sie sind in über 200 getrennte Verwaltungsabteilungen aufgeteilt!

Infrastrukturprojekte, die die Regierung häufig begann, bleiben unvollendet – oft als ein Ergebnis von bürokratischem Missmanagement und Korruption. Im Zentrum von Caracas ist eine neue Busspur, die entfernt von überfüllten Straßen gebaut wurde, und angeblich dazu dienen sollte, dass Busse schneller durch die Stadt fahren können, unvollendet und voller Autos und Motorräder – ein Opfer der Korruption und des Umstandes, dass die russische Firma, die den Bauauftrag hatte, das Geld einsteckte und sich aus dem Staub machte. Zu dieser traurigen Liste muss man Kürzungen bei der Strom- und Wasserversorgung hinzufügen, die gegenwärtig stattfinden. Das liegt teilweise am Mangel an Investitionen in die Infrastruktur und teilweise an bürokratischem Missmanagement und auch an klimatischen Veränderungen und den Auswirkungen von El Niño.

Dies ist ein Land, das wegen seiner großen Flüsse und seinem riesigen Wasserzugang potenzielle Kapazität von mehr als ausreichender Wasserkraft hat. Chávez behauptet, diese Ausfälle seien die Folge sich verändernder Wetterverhältnisse. In Wirklichkeit sind diese Strom- und Wasserausfälle ein Zeugnis für den Mangel an ernsthaften Investitionen in die Infrastruktur in dem Jahrzehnt, seitdem Chávez an die Macht kam und jahrzehntelang, bevor er an die Macht kam. Chávez’ Lösung – nur drei Minuten lang duschen. Eine Minute nass machen, eine weitere Minute einseifen und eine dritte Minute abspülen! Dabei wird vorausgesetzt, dass man Zugang zu einer Dusche mit funktionierender Wasserversorgung hat.

Selbst das begrenzte Agrarreformprogramm wurde von der Zunahme der Bürokratie behindert. Auswirkungen hatte auch der Mangel an Investitionen in günstige Maschinen, die die LandarbeiterInnen und BäuerInnen bezahlen können. Seit 1999 hat der Staat annähernd 2,5 Millionen Hektar Land übernommen. 1999 betrug die Menge an monatlich produziertem Fleisch 17,4 Kilogramm pro Person. Dies war genug, fast den gesamten Binnenmarkt zu befriedigen. Es wird erwartet, dass die Produktion 2009 auf nur 7,8 Kilogramm pro Monat fällt– annähernd 38 Prozent der heimischen Nachfrage. Dies hat den Staat gezwungen, mehr als 50 Prozent des in Venezuela verbrauchten Fleischs zu importieren.

Die Arbeiterklasse wäre zweifellos bereit, für eine vorübergehende Zeitperiode Opfer und sogar eine Verringerung des Lebensstandards zu akzeptieren, wenn das unter gewissen Umständen notwendig wäre. Ein Beispiel ist die Lage nach der Russischen Revolution 1917, als die Revolution isoliert und bedroht war, als einundzwanzig Armeen des Imperialismus intervenierten, um die Revolution zu zerschlagen. Aber damit die Arbeiterklasse solche Härten akzeptiert, muss sie überzeugt sein, dass sie notwendig sind, um die sozialistische Revolution zu verteidigen und das Gefühl haben, dass die FührerInnen und AktivistInnen auch bereit sind, solche Opfer zu bringen. Wenn es wachsende Ungleichheit, Korruption und die Bereicherung eines Teils der Bevölkerung gibt, werden die ArbeiterInnen Angriffe und Kürzungen im Lebensstandard nicht akzeptieren. Die weiter bestehende Massenarmut, die es in Caracas gibt, die Korruption und das Fehlen eines klaren Wegs vorwärts, spiegeln sich im Ausmaß von Verbrechen und Gewalt wider, das zu den höchsten in Lateinamerika gehört.

Das CWI begrüßte die Reformprogramme, als sie eingeführt wurden, als einen positiven Schritt vorwärts. Aber wir warnten auch, dass sie nicht aufrecht erhalten und weiter entwickelt werden könnten, wenn nicht der Kapitalismus gestürzt und ein wirkliches System der ArbeiterInnen- und Bauerndemokratie eingeführt würde. Jetzt werden sie unter dem Eindruck der sich vertiefenden Wirtschaftskrise zurückgedreht.

Die Preiskontrollen, die Chávez einführte, bleiben zwar oft formell bestehen, haben aber keine Beziehung zu den tatsächlichen Preisen, zu denen Waren wegen Engpässen, Spekulation und Schiebergeschäften auf den Straßen verkauft werden. Selbst die populären Mercal-Supermärkte haben ihre Preise für viele Waren des Grundbedarfs erhöht. Der Reispreis wurde um 29 Prozent, Milch um 68 Prozent und Nudeln um 78 Prozent erhöht. Diese Staatssupermärkte verlangen immer noch viel billigere Preise, trotzdem wirken sich diese Erhöhungen direkt auf die ärmsten Teile der Bevölkerung aus. Ironischerweise machen die Engpässe, leeren Regale und großen Schlangen zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer einen Besuch in einem Mercal-Supermarkt zu einer Erinnerung an die früheren stalinistischen Regimes in Osteuropa und der früheren Sowjetunion. Es ist nicht unüblich, dass man vier oder fünf Läden abklappern muss, nur um Milch zu finden. An einem Sonntag ist sie unmöglich zu kriegen. Ohne die demokratische Planung der Wirtschaft sind solche Engpässe unvermeidlich.

Teilweise sind die Engpässe ein Ergebnis der Wirtschaftssabotage durch Teile der beteiligten rechten kapitalistischen Firmen. Aber teilweise sind sie auch eine Folge von Bürokratie, schlechter Verwaltung und Korruption.

Während der Regierung von Salvador Allende in Chile zwischen 1970 und 1973 entwickelten sich Engpässe bei manchen Waren als Folge von Sabotage und Boykotten durch die Arbeitgeber, die den Boden für den Militärputsch gegen die Regierung bereiteten. In Chile wurden die Folgen dieser Engpässe teilweise überwunden durch die demokratischen ArbeiterInnen- und Volksorganisationen, die es damals gab. Die Fabrikkomitees, Cordones – und die JAPs (Juntas de Abastecimientos y Precios – Rationierungsbehörd zu Zeiten der Allende-Regierung, A.d.Ü.), die in den Slums gebildet wurden – organisierten Nahrungsverteilung auf der Grundlage von Bedürfnis und Verfügbarkeit. Preisspekulation wurde von den JAPs für eine begrenzte Zeitperiode kontrolliert, während der sie Grundpreise für Nahrungsmittel schufen. Leider gibt es diese Arten Organisationen nicht in Venezuela. Solche Organisationen sind notwendig, um mit Nahrungsengpässen fertig zu werden, die sowohl von Arbeitgebern als auch durch die Korruption und die Ineffizienz der Bürokratie erzeugt werden.

Die Lehren der Geschichte – die Arbeiterklasse muss die Führung übernehmen

Die Chávez-Regierung stößt auf den unversöhnlichen Widerspruch, der sich aus dem Versuch ergibt, Reformen einzuführen und aufrechtzuerhalten, aber dabei nicht den Kapitalismus zu stürzen und eine demokratische, sozialistische Planwirtschaft einzuführen. MarxistInnen begrüßen alle Reformen, die der Arbeiterklasse und den Armen nützen. Aber unter dem Kapitalismus werden alle erreichten Reformen und Zugeständnisse bedroht sein und können beseitigt werden. Das kapitalistische System kann sich ein ständig weitergehendes Programm anhaltender Reformen nicht leisten und wird es nicht erlauben. Dies zeigte sich während der massiven revolutionären Bewegungen, die Mexiko 1910 bis 1920 und Bolivien 1952 erschütterten. In beiden Fällen führte das Scheitern, Kapitalismus und Großgrundbesitz zu stürzen, zum Zurückdrehen und Zerstören der enormen Errungenschaften und Reformen, die während beider Revolution erreicht worden waren. Derselbe Prozess findet gegenwärtig in Venezuela statt.

Dieser Widerspruch wurde in Venezuela durch die Methoden, die seit Beginn dieser „Revolution” angewendet wurden weiter verschärft. Sie wurde von oben nach unten „geführt“ unter Verwendung von administrativen, bürokratischen Methoden ohne die bewusste, unabhängige Organisation der Arbeiterklasse und der Massen und ohne Kontrolle von unten.

Diese Methoden wurden von Chávez von Anfang an angewandt und spiegeln seinen militärischen Hintergrund und das Fehlen einer organisierten, unabhängigen und bewussten Bewegung der Arbeiterklasse und der Armen wider. Die besten Traditionen der Arbeiterklasse in jedem Land müssen in eine kühne revolutionäre Bewegung mit dem für einen Sieg über den Kapitalismus notwendigen Programm und Methoden integriert werden. Gleichzeitig ist es notwendig, alle bestehenden Schwächen und Mängel zu überwinden. Eine sozialistische Revolution kann nicht erfolgreich durchgeführt werden, indem man die bestehenden Probleme und Hindernisse wegwischt und ignoriert.

In der Geschichte Venezuelas war die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse auf betrieblicher und politischer Ebene, anders als in Chile, Bolivien oder Brasilien, sehr schwach. Der erste wirkliche venezolanische Gewerkschaftsdachverband, CTV, wurde erst 1936 gebildet und begann erst in den 1950ern seine reale Tätigkeit. Die Kommunistische Partei wurde erst 1931 gebildet – unter Untergrundbedingungen und von Anfang an als stalinistische Partei. Es gibt keine herausragenden historischen ArbeiterführerInnen wie Luis Recabarren in Chile, der eine zentrale Rolle im Aufbau einer unabhängigen Arbeiterbewegung spielte, zahlreiche Arbeiterzeitungen gründete und beim Aufbau der Gewerkschaften und der Kommunistischen Partei half und der nach Russland zu den Kongressen der Komintern reiste und Lenin und Trotzki traf.

Diese Schwäche war einer der Faktoren, die ermöglichten, dass Chávez und seine UnterstützerInnen die Führung der Bewegung übernahmen und ihren Charakter seit den frühen 1990ern prägten. Dieser Punkt wurde veranschaulicht von dem historischen linken venezolanischen Guerillaführer, Douglas Bravo, der mit Chávez und anderen zusammenarbeitete. Der britische Schriftsteller Richard Gott zitiert in seinem Buch „In the shadow of the Liberator” [Im Schatten des Befreiers] Douglas Bravo, der an ein Treffen mit Chávez erinnerte. Sie diskutierten die Frage eines Generalstreiks und der Initiierung eines Aufstands gegen das alte Regime. Gott kommentiert: „Das war genau, was Chávez nicht wollte. Absolut nicht. Chávez wollte nicht, dass ZivilistInnen als eine konkrete Kraft teilnehmen”. Bravo erinnerte sich, dass sich eine heiße Diskussion entwickelte, während der Chávez dazwischenrief und sagte dass, „Zivilisten nur im Weg stehen”. (‘Shadow of the Liberator’, Seite 64/65).

In Diskussion in Caracas mit dem Verfasser dieser Zeilen, die kürzlich stattgefunden haben, ging Bravo weiter und veranschaulichte, wie Chávez alles Mögliche machte, um die aktive Beteiligung der Massen zu vermeiden. 1992 begann Chávez eine radikale populistische Militärrebellion, die besiegt wurde. Nach Bravo nahmen an dem von Gott erwähnten Treffen verschiedene Studierenden-, zivile und andere Organisationen und auch niederrangige Offiziere der Armee wie Chávez teil. Ein bestimmtes Datum im Februar für einen gemeinsamen zivilen und militärischen Aufstand wurde vereinbart. Aber um die Beteiligung der „Zivil”bevölkerung zu vermeiden, machte Chávez einen Frühstart und organisierte seinen gescheiterten populistischen Putsch ein paar Tage früher.

Leider haben Bravos Guerillaerfahrungen und nationale wie auch internationale Entwicklungen ihn dazu gebracht, sich vom „Marxismus-Leninismus” loszusagen und „linken Humanismus” als Alternative zum Chávez-Regime zu vertreten.

Diese militaristische "top-down" Herangehensweise der Bolivarianischen Bewegung war eines ihrer Merkmale, seit Chávez an die Macht kam. Das CWI warnte in vielen Artikeln und Dokumenten vor den Folgen dieser Gefahr. Zum Beispiel warnten wir: „… ohne demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse können jene Teile des Militärs, die sich in einer führenden Stellung wieder finden unausweichlich administrative oder bürokratische Tendenzen zum Herumkommandieren entwickeln. Ohne ein klares Verständnis der Rolle der Arbeiterklasse in der Revolution und ohne demokratischen Kontrollen unterworfen zu sein, können selbst Offiziere mit den besten Ansichten solche Tendenzen entwickeln und versuchen, ihren Willen von oben der Arbeiterklasse aufzuzwingen.” („Revolutionäre SozialistInnen und die venezolanische Revolution“ – 2004).

Heute hat der repressive Staats- und Parteiapparat begonnen, dies direkt gegen Teile der ArbeiterInnen zu nutzen, die in den Kampf getreten sind, um ihre Löhne, Arbeitsbedingungen und demokratische Rechte zu verteidigen.

Repression und „stalinismusähnliche“ Methoden

Leider hat die von Chávez geführte Staatsmaschine sowohl auf der betrieblich-gewerkschaftlichen als auch der politischen Ebene begonnen, „stalinismusähnliche“ Formen der Repression gegen die Arbeiterklasse und diejenigen anzuwenden, die die Regierung von links kritisieren. Unter dem Vorwand der Verteidigung der „sozialistischen Revolution” werden KritikerInnen auf der Linken als „konterrevolutionär” oder „Agenten des Imperialismus, von CIA und MI5” angeprangert. Innerhalb der PSUV ist es ein häufiger Angriff von Teilen der Bürokratie gegen die, die die Frage wirklicher Arbeiterkontrolle aufwerfen, gegen Korruption reden oder Trotzki erwähnen. In einem Fall wurde einem Unterstützer des CWI von einem PSUV-Funktionär gesagt, es sei nur zulässig, von „Chávez, Fidel, Che, Mao, aber nicht von dem Konterrevolutionär Trotzki” zu reden. Dabei hat Chávez Trotzki in einer früheren Rede unterstützt. Einfache Mitglieder der PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei von Venezuela), die sich gegen Korruption ausgesprochen haben, wurden einfach als „Konterrevolutionäre” angegriffen.

Dies sind quasi-stalinistische Methoden, die an die der Führer der Kommunistischen Partei im spanischen Bürgerkrieg erinnern. In Spanien erhob sich die Arbeiterklasse gegen die faschistische Franco-Rebellion und brachte die Revolution vorwärts – und kontrollierte schließlich vier Fünftel des Landes. Der alte bürgerliche Staat lag in Trümmern, während die Arbeiterklasse die Revolution voranbrachte. Aber die Arbeiterklasse schaffte es nicht, ihren eigenen Staat zu errichten und die Macht völlig in ihre eigenen Hände zu nehmen. Die Politik der Stalinisten bestand darin, die sozialistische Revolution zurückzuhalten und ein Abkommen mit einem Teil der „fortschrittlichen“ Kapitalistenklasse zu treffen. Als eine Folge dieser Politik wurde der bürgerliche Staat wiederhergestellt und die Revolution besiegt und Francos Faschisten übernahmen die Macht. Diejenigen, die die Politik der Kommunistischen Partei ablehnten wurden als „Konterrevolutionäre“ angeprangert und in vielen Fällen hingerichtet.

Dies ist nicht die Lage im heutigen Venezuela, aber die quasi-stalinistischen Methoden sind ein Schatten von Methoden, die während des spanischen Bürgerkriegs angewandt wurden, wo sowohl der Kapitalismus als auch der bürgerliche Staat intakt blieben.

Unterdrückungsmethoden werden jetzt auch zunehmend direkt gegen die Arbeiterklasse angewandt, wenn Teile von ihr den Kampf zur Verteidigung ihrer Rechte führen. In diesem Jahr ist die Zahl von ArbeiterInnen, die in den Streik wegen Löhnen, Arbeitsbedingungen und zur Verteidigung ihrer Rechte getreten sind, beträchtlich gestiegen. Nach manchen Schätzungen gab es in den zwölf Monaten bis August 2009 mehr als 400 Arbeitskämpfe. Die TeilnehmerInnen kamen aus der Stahl-, Elektrizitäts-, Eisenerz-, Aluminium-, Transport-, Gesundheits- und anderen Branchen. Als Reaktion hat der Staat Unterdrückungsmethoden gegen sie eingesetzt.

Als sich U-Bahn-ArbeiterInnen in Caracas auf einen Streik vorbereiteten, um ihren Tarifvertrag zu verteidigen, drohte Chávez, sie unter Militärrecht zu stellen und ihnen das Streikrecht zu nehmen. Unter Verwendung der Gesetze zur „nationalen Sicherheit” wurden strategisch wichtige Gebiete wie die U-Bahn oder Krankenhäuser zu „zonas de emergencia” (Notstandsgebieten, A.d.Ü.) erklärt, in denen Proteste und Streiks verboten sind.

Im Bundesstaat Zulia, wo ErdölarbeiterInnen streikten, um zu fordern, dass der Tarifvertrag auf sie ausgedehnt werde, griffen vierzig Mitglieder der Nationalgarde die ArbeiterInnen an und nahmen die Gewerkschaftsführer fest, die siebzehn Stunden festgehalten wurden.

Die Weltmedien schenkten dem Start des neuen „sozialistischen” Handys, Viagra, viel Aufmerksamkeit, dessen Produktion am 1. Mai 2008 begann. Es gab wenig Berichterstattung zu den haarsträubenden Arbeitsbedingungen und der Unterdrückung der ArbeiterInnen in der Firma, wo es hergestellt wird – Vtelca. Ohne Verpflichtung, die ArbeiterInnen zu bezahlen, nutzt das Management jede ihr zur Verfügung stehende Unterdrückungsmethode gegen die Beschäftigten, die versuchten einen Arbeiterrat zu bilden und Delegierte wählten, um Gesundheits- und Sicherheitsfragen anzugehen. In einer Situation wurde die Nationalgarde gegen die Beschäftigten eingesetzt und entgegen aller Arbeitsgesetze wurden schließlich sechzig ArbeiterInnen entlassen wegen „Mangel an Engagement und Arbeitseifer”.

Teile der Arbeiterklasse wurden zu verzweifelten Aktionen getrieben, um auf ihre Beschwerden aufmerksam zu machen. Darunter waren die 27 ArbeiterInnen von 1.400, die an einem Arbeitskampf gegen die PDVSA teilnahmen. Die ArbeiterInnen forderten, dass der Tarifvertrag auf sie ausgedehnt wird und sie nicht in einer „Holding“ ohne Tarifvertrag verbleiben.

Diese ArbeiterInnen hatten kein Vertrauen, dass die GewerkschaftsführerInnen für ihre Sache kämpfen würden und traten in einen Hungerstreik. Sie nähten ihre Lippen mit Nadel und Faden zusammen, um sich selbst am Essen zu hindern!

Zu der Zeit, als diese Bewegung stattfand, gingen Teile der von Rechten geführten Universitätsstudierenden auf die Straße, um gegen die im neuen Bildungsgesetz der Regierung enthaltenen milden Verbesserungen zu protestieren. Manche von ihnen traten auch in einen Hungerstreik. Chávez und die Regierung warfen einfach den ArbeiterInnen vor, von den rechten konterrevolutionären Universitätsstudierenden manipuliert zu sein!

Diese Angriffe auf Angehörige der Arbeiterklasse, die zur Verteidigung ihrer Rechte aktiv geworden sind und die Reaktion der Regierung hat die Tür für eine weitere Gefahr durch rechte, reaktionäre Kräfte geöffnet, die versucht haben, Chávez zu stürzen. Während ArbeiterInnen im Kampf als „Konterrevolutionäre” angeprangert wurden, konnten sich die Rechten als die „Freunde“ der Arbeiterklasse darstellten.

Während ein Teil der alten Elite versucht hat, sich mit dem Chavismus zu versöhnen, hat ein Teil der alten rechten Gewerkschaften dasselbe gemacht. Kürzlich wurden wichtige Wahlen für die Führung der FUTPV – der nationalen Ölarbeitergewerkschaft – abgehalten. An der Spitze der erfolgreichen Kandidatenliste stand Wills Rangel. Er wurde von der Regierung und der PSUV unterstützt. Rangel ist ein früheres Mitglied des Gewerkschaftsbüros der sozialdemokratischen Partei Acion Democratica, einer der Hauptparteien, die das politische Establishment in der Zeit vor Chávez bildeten. Rangel brach erst 2003 mit der AD.

In Venezuela entwickelt sich eine Lage, in der Teile der ArbeiterInnen im Namen des Sozialismus als „Konterrevolutionäre” angeprangert werden, während Kräften des reaktionären Kapitalismus ermöglicht wird, sich als Verteidiger der demokratischen Rechte der ArbeiterInnen und „Freunde” der Arbeiterklasse darzustellen.

Bei einem Zulieferer der verstaatlichten SIDOR-Firma wurden hunderte ArbeiterInnen von Tarifverträgen ausgeschlossen und traten in den Streik und waren mit Polizeirepression und Festnahmen konfrontiert. Ein Gewerkschaftsführer – der kritisch gegenüber der Regierung ist – erklärte: „Sozialismus im 21. Jahrhundert bedeutet ArbeiterInnen in Handschellen”.

Diese Entwicklungen haben die Unterstützung für Chávez und die Spitzen des Regimes untergraben. Aber unausweichlich ziehen verschiedene Schichten der ArbeiterInnen und der Armen verschiedene Schlussfolgerungen aus diesem Prozess. Während eine wachsende Zahl von ArbeiterInnen sich vom Regime distanziert, fiebert eine Schicht der am meisten Geknechteten und Unterdrücktesten vor Unterstützung für Chávez. Teile von ihnen wurden in manchen Gebieten in die neu gebildeten „sozialistischen Patrouillen” aufgenommen, die als örtliche Stadtteilgruppen der PSUV gebildet wurden.

Es gibt zwar klar verschiedene Schichten der chavistischen Bewegung, aber manche Teile dieser Stadtteil“wach“gruppen wurden gelegentlich mobilisiert und in die U-Bahn und manche Krankenhäuser gesandt, um zu verhindern, dass Versammlungen von ArbeiterInnen organisiert werden. Manchmal bestehen sie aus den Unterdrücktesten, die bei der Verteidigung von Chávez fanatisch sind und durch Propaganda aufgepeitscht sind, die solche Gruppen von ArbeiterInnen als privilegierte Schichten darstellt, die die Konterrevolution unterstützen.

Es wäre ein Fehler, diese Tendenz zu übertreiben, aber sie entwickelt sich in manchen Gebieten und es ist eine Warnung vor der sich entwickelnden Gefahr, dass die Arbeiterklasse und die städtischen Armen durch diese Herangehensweise gespalten werden. Es gab eine schnelle Beschleunigung solcher Methoden in der PSUV und durch die Staatsmaschine allgemein. Die PSUV gibt jetzt eine Mitgliedschaft von fünf Millionen an. Sie ist gespalten in drei Kategorien – eine volle Mitgliedschaft, SympathisantInnen und – am größten – „die Reserve” – was widerspiegelt, wie weit sich die Militarisierung des Prozesses entwickelt. Die bürokratisch-administrativen Maßnahmen spiegeln sich in der PSUV wider. Zum Beispiel wurden KandidatInnen für Delegiertenpositionen für den kommenden Kongress der Partei von jedem regionalen Vizepräsidenten der Partei ausgewählt, was zu Protesten dagegen führte, dass manche Parteimitglieder mit abweichenden Meinungen von den Listen ausgeschlossen wurden. Manche dieser Methoden kopierten anfänglich das kubanische Regime.

Aber es scheint, dass jetzt viel vom Regime in China übernommen wird, dessen Einfluss zugenommen hat, weil Chávez Handelsabkommen und Joint Ventures für Infrastrukturprojekte mit China verstärkt hat. Die Chinesen bauen eine Reihe von Hochgeschwindigkeitsbahnverbindungen in Venezuela. Chávez pries kürzlich die „revolutionäre Regierung” in China und schickte einhundert PSUV-Spitzenfunktionäre für „ideologisches Training” nach China. China scheint zunehmend sein „Modell” zu sein. Die Regierung veröffentlichte offizielle Zeitungsanzeigen zum Jahrestag der chinesischen Revolution, die die chinesische Regierung von Hu Jintao priesen!

Freunde an schlechten Orten

Aber es ist nicht nur das chinesische Regime, das die begeisterte Unterstützung von Chávez gewinnt. Eine der internationalen Strategien seiner Regierung war der Versuch, einen Block von jedem Regime zu bilden, das im Konflikt mit dem US-Imperialismus ist. Eine wirklich revolutionäre sozialistische Regierung, egal in welchem Land, kann für eine Zeitperiode isoliert sein, bis sich die Revolution in anderen Ländern entwickelt. Unter solchen Bedingungen ist nichts Falsches daran, wenn ein Arbeiterstaat Handels- und Geschäftsvereinbarungen schließt, die ihm aufgezwungen sein mögen. Das Ausnutzen von Spaltungen und Differenzen zwischen verschiedenen imperialistischen Mächten wäre unter solchen Bedingungen völlig legitim. Die Bolschewiki und Lenin und Trotzki waren angesichts der Isolation der Russischen Revolution zu solchen Abkommen gezwungen.

Aber die Schaffung von formellen Handelsabkommen oder kommerziellen Beziehungen ist nicht dasselbe wie brutale Regime überschwänglich mit Lob zu überschütten, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken und gegen sie handeln, wenn sie kämpft. Handelsabkommen erfordern nicht, jemanden wie Ahmadinedschad im Iran als großen revolutionären Führer zu preisen. Die Massenbewegung gegen sein Regime war laut Chávez ein Teil einer imperialistischen Verschwörung. Auf dem letzten Gipfel lateinamerikanischer und afrikanischer Staatschefs (ASA) fügte Chávez ein paar weitere Freunde zu seiner Liste hinzu, einschließlich des libyschen Führers Muammar Gaddafi.

Weder sein Regime noch das auf Kuba waren auch nur bereit, das brutale Gemetzel der Regierung von Sri Lanka am tamilischen Volk zu verurteilen und gegen es in der UNO zu stimmen!

Die Unterstützung solcher Regime wie der iranischen und libyschen Diktaturen durch eine Regierung, die beansprucht, den „revolutionären Sozialismus” zu verteidigen ist nicht zu entschuldigen und kann nur der Idee des Sozialismus in der Arbeiterklasse in diesen Ländern und international Schaden zufügen.

Die Zukunft von Chávez’ Regime hängt in der Schwebe. Die Methoden und Beschränkungen seines Programms untergraben nun ernsthaft seine Unterstützung. Parlamentswahlen für die Nationalversammlung stehen 2010 auf der Tagesordnung. Chávez strebt an, sich eine Zweidrittelmehrheit zu sichern. Dies scheint im Moment unwahrscheinlich. Aber um sein Ziel zu erreichen, hat sein Regime das Wahlverfahren geändert und das Verhältniswahlrecht beseitigt, das bisher bestand. Solche Schritte untergraben seine Unterstützung nur weiter und verstärken die Idee, dass er jetzt ein Unterdrückungsregime aufbaut. Dies spielt den Rechten in die Hände. Die Gefahr einer „schleichenden Konterrevolution” bleibt, wenn wachsende Teile der Bevölkerung frustrierter, unzufriedener und desillusionierter mit dem gegenwärtigen Regime werden.

Gleichzeitig ist in der gegenwärtigen Lage die Aussicht, dass mehr Klassenschlachten und noch größere soziale Explosionen als Reaktion auf die Angriffe der Regierung ausbrechen, angelegt. Unter solchen Bedingungen kann es, besonders bei einer scharfen Wirtschaftsrezession, nicht ausgeschlossen werden, dass Chávez wieder zu weiteren radikalen populistischen Maßnahmen einschließlich weiterer Verstaatlichungen oder Enteignungen schreitet und andere Maßnahmen gegen die „Boli-burguesia” und die Korruption ergreift. Das ist trotz seiner jüngsten Anpassung an diese „neue Bourgeoisie” und die Bürokratie möglich.

Programm für eine sozialistische Revolution notwendig

Aber jeder solche Schritt würde nicht das grundlegende Problem lösen, wenn er nicht auf einer bewussten unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse mit einem Programm zur Durchführung der sozialistischen Revolution beruht. Selbst wenn der Kapitalismus völlig ausgelöscht würde, würde das Fehlen einer wirklichen Arbeiterdemokratie den Aufbau von Sozialismus verhindern.

Ein Programm für eine sozialistische Revolution in Venezuela müsste umfassen:

– Die Einführung eines wirklichen Systems der Arbeiterkontrolle durch Komitees von gewählten und jederzeit abwählbaren Delegierten, die die tägliche Leitung der Betriebe kontrollieren. Die Öffnung der Geschäftsbücher aller Firmen – einschließlich verstaatlichter Firmen – für die Inspektion durch Komitees von ArbeiterInnen zur Beendigung von Korruption und zur Vertreibung der Bürokratie.

– Diese Komitees sollten sich auf stadtweiter, Landes- und Bundesebene verbinden. Staatliche Betriebe sollten auf der Grundlage eines Systems demokratischer Arbeiterverwaltung geleitet werden, bei dem die Vorstände solcher Firmen aus gewählten VertreterInnen der ArbeiterInnen in der Branche, breiteren Teilen der Arbeiterklasse und der Armen und einer ArbeiterInnen- und Bauernregierung bestehen.

– Alle Funktionäre sollten gewählt und jederzeit wieder abwählbar sein und nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn erhalten.

– Die Enteignung der Banken, multinationalen Konzerne und einhundert reichsten Familien, die immer noch die venezolanische Wirtschaft kontrollieren und die Einführung eines demokratisch-sozialistischen Produktionsplans.

– Die Bildung eines unabhängigen demokratischen Gewerkschaftsdachverbandes mit einer gewählten Führung, die unter der Kontrolle der Basismitglieder steht und ihnen rechenschaftspflichtig ist.

Der Kampf für ein solches Programm drängt, um frisches Leben in die venezolanische Revolution zu bringen und ihre Stagnation, ihr Verrosten und die Gefahr der Konterrevolution zu verhindern.

Dieser Text ist auch als Broschüre erhältlich.