Augenzeugenbericht aus Ankara
Zwei SAV-Mitglieder aus Bremen und Berlin sind seit heute in Ankara, um den Streik der Tekel-Beschäftigten vor Ort zu unterstützen und aus erster Hand über ihn zu berichten. Hier der erste Bericht:
Arbeit – Brot – Freiheit!
Keine Arbeit – kein Brot – dann wird es keinen Frieden geben!
Teuerung – Unterdrückung – Folter – das ist die AKP!
Dies sind einige der Parolen, die hunderte von Tekel-Arbeitern, die seit 57 Tagen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu gleichen Bedingungen wie bisher kämpfen bei einer Demonstration bei der Zeltstadt von mehreren tausend Tekel-Arbeitern vor der Türk-İş Zentrale in Ankara, skandierten.
Nachdem die AKP-Regierung unter Erdoğan Ende letzten Jahres ankündigte, alle Niederlassungen von Tekel, das vor zwei Jahren an American Tabacco verkauft wurde, zu Ende Januar zu schließen, traten die betroffenen Beschäftigten in den Streik.
Solidarität
Der Kampf der Tekel-Arbeiter hat die gesamte Türkei erfasst. Nicht nur, weil Arbeiter aller möglichen Regionen betroffen sind, sondern auch weil sich Beschäftigte vieler anderer Branchen mit dem Kampf solidarisch zeigen. Bisheriger Höhepunkt war der landesweite Generalstreik am 4. Februar.
Hier vor Ort herrscht eine unbeschreibliche Stimmung von Solidarität. Es wurde behauptet, dass sich die Ladenbesitzer, deren Läden an der Einkaufstraße liegen, die in den letzten 57 Tagen zu einer kleinen Kampfstadt geworden ist, gestört fühlen. Dann aber gab es gemeinsame Aktionen von diesen Ladenbesitzern und Tekel-Arbeitern. Die Arbeiter werden von den anliegenden Geschäften mit Essen versorgt. Eine Kneipe, die direkt an der Zeltstadt der Tekel-Arbeiter liegt hat den Betrieb eingestellt, gibt Tee und Essen zum Selbstkostenpreis ab und stellt Schlafplätze zur Verfügung.
Es kann nicht genug betont werden, dass hier türkische und kurdische Arbeiter Seite an Seite stehen. Nicht wenige der türkischen Tekel-Arbeiter, die sich auf den Weg nach Ankara gemacht haben, waren Anhänger der MHP bzw. der Grauen Wölfe und haben nun begonnen mit dem Nationalismus zu brechen.
Als Antwort auf Erdoğan, der behauptete der Tekel-Kampf sei von der PKK unterwandert, beschworen die Arbeiter auf der heutigen Demonstration in lauten Sprechchören die Brüderlichkeit der Völker und riefen die Namen der Städte der Osttürkei, deren Tekel-Niederlassungen hier durch Arbeiter repräsentiert werden.
Wie weiter?
Nach den landesweiten Streiks vom 4. Februar steht die Frage, wie es weiter gehen kann im Raum. Alle, mit denen wir heute geredet haben antworteten uns auf diese Frage mit der Forderung nach einem Generalstreik, der noch weitere Kreise der Arbeiterklasse einbeziehen (die Privatwirtschaft, aber z.b. auch die Lehrer, da am 4. Februar Winterferien waren) müsse und auch Forderungen, die nicht nur die Tekel-Arbeiter betreffen stellen müsse.
Die Gewerkschaftsverbände haben angekündigt am 12. Februar über weitere Schritte zu beraten und streben bis dahin Gespräche mit der Regierung an.
Unser Eindruck ist, dass die Forderungen der Arbeiter an ein Weiterführen des Kampfes bis zum Erfolg einerseits unerbittlich sind und auch Skepsis gegenüber der Gewerkschaftsführung besteht, aber auch, dass die Zuversicht erfolgreich zu sein nach dem 4. Februar bei einigen abnimmt bzw. in Verzweiflung umschlägt. Die Situation ist umso komplizierter, als dass die Tekel-Niederlassungen seit Ende Januar tatsächlich alle dicht sind.
Ein Arbeiter aus Samsun meinte, wie viele hier: „lieber sterben, als aufgeben“. Die vorher jeweils dreitägigen Hungerstreiks von einigen Arbeitern sind nun unbegrenzt.
Interessant ist, dass offenbar nicht wenige der Kollegen kurz vor der Rente standen und teilweise nur Wochen oder Monate vor Renteneintritt mit dem plötzlichen Verlust ihres Arbeitsplatzes konfrontiert waren, um nun entschlossen an der Seite ihrer jüngeren Kollegen zu kämpfen.
Hier geht es zum türkischsprachigen Flugblatt des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI – die internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist)