Neue Qualität gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft
Die zweiwöchige Blockade der ArbeiterInnen in Belgien endete damit, dass das multinationale Management ihren ursprünglichen Plan zurücknahm und versprach, keine Entlassungen vorzunehmen! Im kapitalistischen System ist jeder Sieg natürlich nur zeitweilig und hat meist noch schärfere Auseinandersetzungen zur Folge. „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den ganzen Krieg“, so Luc Gysemberg von der christlichen Gewerkschaft ACV. Wie aber kam es dazu, dass der Brauerei-Multi Inbev durch den Kampf, über den die Medien breit berichtet hatten, so beeindruckend in die Schranken gewiesen werden konnte?
Bericht von Mitgliedern der LSP/PSL (Schwesterorganisationen der SAV in Belgien)
Zwei Wochen lang blockierten die Beschäftigten der Brauerei Inbev verschiedene Standorte des Konzerns. Sie versuchten damit, die multinationale Geschäftsführung von ihrem Plan abzubringen, 303 ArbeiterInnen zu entlassen. Was man in Belgien bei Inbev vorhatte, war Teil einer europaweiten Offensive, bei der 10 Prozent der Gesamtbelegschaft weggekürzt werden sollte, rund 800 von insgesamt 8.000 ArbeiterInnen. Neben Belgien, wo 303 Arbeitsplätze verloren zu gehen drohten, wäre Deutschland am stärksten betroffen gewesen. Hier waren 386 Entlassungen geplant. Eine bislang noch nicht bezifferte Anzahl Beschäftigter stand in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden auf dem Spiel. Die Inbev-Brauerei im luxemburgischen Diekirch sollte ganz geschlossen werden.
Kürzungspläne und fette Boni für die Vorstände
Es handelte sich um den fünften, von Inbev in den letzten fünf Jahren vorgelegten, sogenannten Restrukturierungsplan. Jahrelang ist die Zahl der Beschäftigten in den belgischen Brauerei-Standorten scheibchenweise gekürzt worden. Es hatte den Anschein, als seien extreme Kostensenkungen zur einer Art Religion für die multinationale Geschäftsführung geworden. Zugleich hing man mit unmenschlicher Besessenheit Zielen an, die der Vorstand ausgegeben hatte.
2009 fuhr Inbev Profite in Höhe von 2,8 Milliarden Euro ein. Die abgesetzte Menge an Bier ging in der Tat um 3,8 Prozent pro Jahr zurück. Die Profite stiegen im dritten Quartal letzten Jahres jedoch von 837 Millionen US-Dollar auf 1,13 Milliarden. – Krise? Jedenfalls nicht so sehr für die Konzernchefs von Inbev!
Sogar in den kapitalistischen Medien gab es Berichte, die die unglaubliche Gier des Vorstands von Anheuser-Busch Inbev, Carlos Brito, und seiner engsten Kollegen aufdeckten. 2007 kassierte Brito 4,25 Millionen Euro. 3,4 Millionen davon wurden als Bonuszahlungen abgerechnet. Beim Rest handelte es sich um sein „übliches Gehalt“. Offensichtlich sind nicht nur die Banken von der „Bonuskultur“ befallen. In der zweiten Hälfte des Jahres 2009 teilten die 13 Mitglieder des internationalen Firmenvorstands 73 Millionen US-Dollar unter sich auf!
Auch die Zeitungen waren voll von Berichten, in denen detailliert dargestellt wurde, welche Boni die Geschäftsführung erhalten würde, wenn die avisierte Schuldensenkung bis 2013 geschafft würde. Die Schulden resultierten übrigens aus dem Ankauf des vormaligen Konkurrenten Anheuser Busch. Die 13 Vorstandschefs hätten 9,3 Millionen Aktien im Wert von jeweils 10,32 € bekommen. Natürlich musste AB Inbev die Propagandaschlacht verlieren.
Zeitgleich wurden die ArbeiterInnen ausgepresst, mehr und mehr zu produzieren. Und sie hatten das sichere Gefühl, dass es sich auch dabei nicht um die letzte „Restrukturierungs“-Runde handeln würde. Deshalb kamen sie zu der Einsicht, dass genug genug ist und begannen mit Blockaden in Leuven, dem Hauptstandort in Belgien, sowie in Jupille.
Neue Taktik und neue Qualität gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft
Die belgische Geschäftsführung hatte sich über Monate hinweg auf die entscheidende Kraftprobe mit den Gewerkschaften vorbereitet. Plötzlich war die Bierproduktion im Winter auf dem Stand, der sonst nur im Sommer erreicht wird. Das Management hatte wichtige Kunden mit Aktienanteilen ausgestattet. Worauf sie allerdings nicht vorbereitet waren, war die Antwort der Gewerkschaften.
GewerkschaftsaktivistInnen blockierten sämtliche Zufahrten zu den Produktionsstätten in Leuven und Jupille, wobei die Arbeit in den Betrieben jedoch weiter lief. Inbev musste die ArbeiterInnen somit weiter bezahlen, weil es offiziell ja keinen Streik gab. Die KollegInnen verloren somit keinen Lohn.
Eine solche Taktik mag nicht für alle Unternehmensformen angemessen sein und wäre der Konflikt eskaliert, hätte es zu einem Streik an allen Inbev-Standorten kommen müssen. Unter diesen Umständen wurde die Geschäftsführung allerdings auf dem falschen Fuß erwischt: Man hatte sich auf einen mehrtägigen Streik vorbereitet, der möglicher Weise auch eine Woche lang hätte andauern können. Aber nun mussten sie die ArbeiterInnen weiter bezahlen, während kein Rohmaterial die Anlagen erreichte und kein Bier ausgeliefert werden konnte.
Das Management reagierte mit der Drohung, die Behörden einzuschalten, um die Blockade zu beenden. Den GewerkschaftsaktivistInnen drohte man hohe Strafzahlungen an. Aufgrund der prinzipienfesten Haltung der Gewerkschaften jedoch, die von allen ArbeiterInnen und sogar den besser bezahlten (wie den VerkäuferInnen) unterstützt wurde, funktionierte das nicht. Wegen der Solidarität aus der Bevölkerung und der Tatsache, dass die Presse einen schweren Stand dabei hatte, das Vorgehen des Konzerns zu verteidigen, muss die Geschäftsführung das Gefühl ereilt haben, der Schuss würde nach hinten losgehen.
Die Linkse Socialistische Partij (LSP) war vom ersten Tag der Blockade an mit einer beträchtlichen Zahl an Mitgliedern in Leuven mit dabei. Von Anfang an war klar, dass es ein langer und harter Konflikt werden könne. Die Gewerkschaften nahmen die eindeutige und korrekte Position ein, keine Entlassungen verhandeln zu wollen. Der Plan sollte aufgehen, bevor es zu Verhandlungen kommen würde. Die LSP war wegen der Kontakte zu GenossInnen, die in der Hauptproduktionsstätte von Ambev in Brasilien arbeiten und mit Hilfe von Liberdade Socialismo e Revolução, der CWI-Sektion in Brasilien, in der Lage, eine Solidaritätserklärung weiterzugeben, die von GewerkschaftsaktivistInnen bei Ambev Brazil unterzeichnet und an die KollegInnen in Belgien gerichtet war. Dieses Vorgehen wurde von den ArbeiterInnen und AktivistInnen in Leuven sehr begrüßt und trug dazu bei, dass die LSP zur Autorität unter den ernsthaften UnterstützerInnen der Inbev-ArbeiterInnen wurde.
In Diskussionen mit AktivistInnen an den Streikposten wurde klar, dass unser Beitrag zu dem jüngst errungenen Sieg der Gewerkschaften bei Bayer in Antwerpen den Ton mit angegeben hatte. Seit Beginn der Rezession wurde von verschiedenen Unternehmen in Belgien eine Reihe von Entlassungen und Kürzungen durchgeführt. Die Reaktion darauf seitens der GewerkschaftsvertreterInnen war meistens Resignation und die Bereitschaft zu Gesprächen mit dem jeweiligen Management, um Details zu diskutieren.
Es gab zwar auch einige Ausnahmen wie die Kämpfe bei Tecteo und Bridgestone. Hauptsächlich wurde aber wie oben beschrieben vorgegangen. Diese Reihe von Niederlagen und Teil-Niederlagen wurde im November und Dezember plötzlich durchbrochen, als die Gewerkschaften am Chemiestandort Bayer in Antwerpen einfach „nein“ sagten zu einem Plan von Lohn- und sonstiger Kürzungen der Konzernchefs. Von den Medien wurden sie an den Pranger gestellt, blieben aber bei ihrer kämpferischen Haltung. Schließlich musste das Bayer-Management sein Vorhaben aufgeben, da ein möglicher Streik drohte. Nach diesen Ereignissen organisierte LSP/PSL ein erfolgreiches Treffen mit 50 TeilnehmerInnen, bei der auch einer der wichtigsten Betriebsräte von Bayer sprach.
Bayer war eindeutig ein Bezugspunkt für die meisten aktiven und kämpferischen Inbev-ArbeiterInnen. Und in der Tat wurde die Blockade bei Inbev nach nahezu zwei Wochen zu einer Art Fallstudie sowohl für die Konzernleitung als auch die Arbeiterorganisationen in Belgien. Und mit der Weigerung der niederländischen Inbev-ArbeiterInnen, einen Teil der belgischen Produktion zu übernehmen, den ersten Aktionen bei Inbev in Bremen und den Solidaritätsaktionen in Brasilien, war das Management plötzlich konfrontiert mit einer Verallgemeinerung des Kampfes, weitergehenden Betriebsstörungen in der Lieferkette und – möglicher Weise – mit europaweiten Streiks.
Nach erfolglosen Versuchen, Schlichtungsverhandlungen mit den Gewerkschaften hinzubekommen unter Anwesenheit von Regierungsvertretern, erlitt AB Inbev schlussendlich eine Niederlage. Nach zwei Wochen der Blockade und fallenden Aktienkursen gab man die ursprünglich vorgesehenen Entlassungspläne in Belgien auf. – Ein klarer Sieg für kämpferische Gewerkschaftsarbeit und gelebte Solidarität!
Aussichten für weitere gewerkschaftliche Kämpfe
Die Geschehnisse bei Bayer und Inbev könnten zum Wendepunkt für breitere Klassenkämpfe in Belgien werden. Und tatsächlich begannen die Gewerkschaften bei Opel in Antwerpen, einen Tag bevor die Inbev-ArbeiterInnen ihren Sieg verkünden konnten, ebenfalls mit einer Blockade der Fabrik: Keine Neuwagen wurden mehr durchgelassen. Andere ArbeiterInnen, wie bspw. die Feuerwehrleute, – so scheint es – beginnen, dem kämpferischen Beispiel der Inbev-ArbeiterInnen zu folgen. Weil sie genau dies befürchten, ist es möglich, dass die Regierung bei den angestrebten „Schlichtungsverhandlungen“ Druck aufbaut, der auf die bedrückende Niederlage des Inbev-Managements zurückzuführen ist.
Ob die Lehren aus diesen Beispielen an kämpferischer Gewerkschaftsarbeit gezogen werden, hängt zu einem Gutteil vom Ausgang einer anderen, weit größeren drohenden Katastrophe ab: Der angekündigten Schließung der Opel-Fabrik in Antwerpen, die die Lebensbedingungen von 8.000 bis 10.000 ArbeiterInnen und ihren Familien bedroht (Zulieferfirmen eingerechnet). Bisher ziehen die Gewerkschaften bei Opel dem kämpferischen Handeln leider den politischen Lobbyismus vor.
Wir meinen, dass die gesamte Gewerkschaftsbewegung aus den Kämpfen bei Bayer und Inbev lernen sollte. Eine Generalmobilisierung der belgischen Arbeiterklasse ist nötig, um die Arbeitsplatzvernichtung bei Opel Antwerp und einer Reihe weiterer Betriebe zu stoppen. LSP/PSL (die CWI-Sektionen in Belgien) werden für die bevorstehenden Kämpfe und Demonstrationen ein klares Programm für Arbeitsplätze und zur Verstaatlichung unter der Kontrolle der Beschäftigten vorlegen. Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür kämpfen, dass der Kampf für Sozialismus und Arbeiterkontrolle in der dafür eminent wichtigen Bewegung an Popularität gewinnt.