„Lehrjahre sind keine Hundejahre!“

Vor 40 Jahren: Begeisternde Lehrlingsbewegung in der Bundesrepublik


 

Das Ende der sechziger Jahre brachte international in vielen Ländern soziale Kämpfe, Revolten und Revolutionen mit sich. In der Bundesrepublik rebellierten vor allem die Studierenden, die mit teilweise spektakulären Aktionen Aufsehen erregten. Protestiert wurde gegen Notstandsgesetze und Vietnam-Krieg. Außerdem kam es zu Streiks an Rhein und Ruhr. Über die Lehrlingsbewegung dieser Zeit ist heute leider weniger bekannt. Und das, obwohl sie Beachtliches leistete.

von Sebastian, Essen

Trotz Wirtschaftskrise und dem einsetzenden Stellenabbau herrschte in der BRD Ende der sechziger Jahre noch fast Vollbeschäftigung. Für Lehrlinge gab es – im Vergleich zu heute – relativ viele Ausbildungsplätze. Die Qualität der Stellen war allerdings sehr unterschiedlich. Gerade in kleinen mittelständischen Unternehmen mit wenig Beschäftigten, wo es schwieriger war, für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten, litten die Azubis unter der harten Fuchtel ihrer Vorgesetzten. Sogar „körperliche Züchtigung“, also Prügel von dem Chef oder Meister, war in vielen Betrieben an der Tagesordnung.

Aber gerade von diesen Ausbildungsstätten aus trat der erste Lehrlingsprotest an die Öffentlichkeit. Die Auszubildenden wehrten sich dagegen, zu ausgebeuteten „fügsamen Arbeitsuntertanen“ gemacht zu werden. Sie fingen an, gegen die miserablen Ausbildungsbedingungen und die mangelhaften betrieblichen Lernmöglichkeiten zu demonstrieren. Und dagegen, dass sie gezwungen wurden, fast ausschließlich berufsfremde Aufgaben und Hilfsarbeiten ohne Lern- oder Übungswert zu verrichten.

Selbstorganisation und Vernetzung

Die Lehrlingsbewegung entwickelte sich Ende der Sechziger und – wie Peter Birke in seinem Buch „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder“ schildert – noch massiver 1970 über Lehrlingszentren beziehungsweise betriebliche und betriebsübergreifende Arbeitsgemeinschaften von Auszubildenden, die den Widerstand gegen die Ausbildungsmisere organisierten. Zeitungen und Flugblätter wurden herausgebracht, um Aufklärungsarbeit im Betrieb und auf der Straße zu leisten. Auf überregionalen Konferenzen wurde versucht, die politische Arbeit zu koordinieren.

Ähnlich wie die Studierenden versuchten die Azubis – von denen einige zuvor SchüleraktivistInnen waren oder sich für „autonome Zentren“ engagierten – mit provokanten Aktionen (wie einer Spontandemo zur Hamburger Börse) Öffentlichkeit zu schaffen. Ein Vorbild waren neben der Studierendenbewegung aber auch die wilden Streiks von KollegInnen in dieser Zeit – hatten Auszubildende doch kein Streikrecht. Auch Azubis organisierten bald wilde Streiks, um sich von Einschränkungen durch Gesetz und Gewerkschaftsbürokratie zu befreien und Verbesserungen zu erstreiten.

„Ausbeutung Tag für Tag – gesichert durch den Ausbildungsvertrag!“

Gefordert wurde eine grundlegende Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. Wichtig war zuerst, dass sich die Unternehmer an gesetzliche und vertragliche Grundlagen der Lehre halten sollten, und dass diese zugunsten der Auszubildenden verbessert werden. Körperliche Züchtigungen durch Vorgesetzte sollten strafrechtlich verfolgt und ausbildungsfremde Tätigkeiten verboten werden. Die Lehrlingsbewegung setzte sich dafür ein, dass die Ausbildung aus Unternehmerhand in staatliche Einrichtungen und Schulen überführt wird – natürlich auf Kosten dieser Unternehmen. In vielen Orten wurde auch ein garantiertes Mindesteinkommen, die Herabsetzung der Höchstarbeitszeit auf sechs Stunden täglich und das Streikrecht für Lehrlinge gefordert.

Ein Grund für die hohe Selbstorganisation war, dass die Gewerkschaften lange untätig blieben. Die Lehrlingsbewegung versuchte, den DGB dazu zu bringen, den Kampf der Azubis zu unterstützen. So traten am 1. Mai 1969 in vielen Städten Lehrlingsblöcke mit Parolen wie „Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft“ bei DGB-Demonstrationen auf. 3.000 Azubis zwangen bei der Hamburger Mai-Kundgebung Gewerkschaftsfunktionäre und Politiker durch Sprechchöre, Stellung für sie zu beziehen und ein „jugendpolitisches Sofortprogramm“ aufzulegen. Dieser Tag wurde für die Gewerkschaftsführung zum Desaster – schon am 6. Mai musste sie eine zentrale Konferenz zum Thema einberufen. Hier wurde die Jugendarbeit des DGB neu ausgerichtet. Davon ermutigt riefen verschiedene Lehrlingsgruppen für den 7. Juni 1969 zu einer kämpferischen Demonstration in Köln auf, an der circa 10.000 Jugendliche teilnahmen. In der Bevölkerung stieg die Solidarität für die Lehrlinge, berichtet Vadim Riga in seiner Schrift „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“.

Bei den Septemberstreiks 1969, primär für Lohnerhöhungen, spielten diese eine wichtige Rolle: Junge Azubis konnten mit ihrem entschlossenen Auftreten auch ältere Beschäftigte ermutigen, sich zu wehren. So bei dem Kampf der Belegschaft der Hoesch-AG Hüttenwerke in Dortmund und den davon ausgehenden weiteren spontanen Streiks, an denen sich 140.000 Beschäftigte aus 69 Betrieben beteiligten.

Verbesserungen erkämpft

Um die Lehrlingsbewegung in eigene Bahnen zu lenken, wandte sich der DGB den rebellischen Azubis zu. Über hundert DGB-Jugendzentren wurden im gesamten Bundesgebiet eröffnet, wo sich die Lehrlingsgruppen versammeln sollten.

Die SPD/FDP-Regierung musste eine umfassende Reform des Jugendarbeitsschutzes, des Betriebsverfassungsgesetzes und der Berufsbildung ankündigen. Die Ausbildungssituation wurde durch die Gesetzesänderungen vor allem in Großbetrieben verbessert. Die erkämpften, vergleichsweise hohen Tarifabschlüsse der frühen siebziger Jahre galten auch für die Lehrlinge. Die Volljährigkeit ab 18 Jahren kam, und damit das Wahlrecht.

Bei den wilden Streiks 1973 gegen Lohnraub, Entlassungen oder auch für sechs Wochen bezahlten Urlaub, an denen im Verlauf einiger Monate über 200.000 Beschäftigte teilnahmen, waren auch viele Organisatoren der Lehrlingsbewegung wieder beteiligt. Mit dem allgemeinen Abebben der Klassenkämpfe und der Studierendenbewegung sowie der Kanalisierung der Proteste durch SPD- und Gewerkschaftsführung kam die Lehrlingsbewegung 1974 zu einem En-de. Teile der Bewegung gingen in die SPD-Jusos, in die K-Gruppen oder in andere linke Zusammenhänge.

Obwohl viele Ziele der Bewegung nicht erreicht werden konnten, kann die Lehrlingsbewegung mit ihrer Selbstorganisation und Radikalität auch heute noch Beispiel sein für anstehende Auseinandersetzungen junger Beschäftigter und Auszubildender, die sich gegen miese Arbeits- und Ausbildungsbedingungen auflehnen und für Arbeit und Übernahme streiten. ntrationen, Streiks und Massenstreiks.“ Als erstes gemeinsames Ziel rufen die UnterzeichnerInnen dazu auf, bei den Demonstrationen am 12. Juni einen Jugendblock „Jugend für Arbeit, Bildung, Ausbildung und Übernahme – die Generation Krise schlägt zurück“ zu organisieren.

Als vorläufigen Höhepunkt soll es nach diesen Protesten eine bundesweite Jugend-Konferenz geben, die AktivistInnen und Jugendliche aus Betrieben, Schulen und Unis, Jugendgruppen und Gewerkschaftsjugenden zusammenbringen und nächste Schritte planen soll.