Die Niederlande vor den Kommunalwahlen

Irak-Untersuchungsausschuss sieht Verletzung internationalen Rechts durch niederländische Regierung – die Kürzungs-Koalition gerät unter Druck


 

Vorbemerkung:

Beim Einmarsch in den Irak 2003 handelte es sich um eine Verletzung internationalen Rechts, so das Ergebnis des Irak-Untersuchungsausschusses in den Niederlanden. Der Ausschuss befand, dass das damalige Vorgehen „nicht mit internationalem Recht zu vereinbaren“ ist. Der am 12. Januar vorgelegte Bericht sagt aus, dass die vor dem Ausbruch des Krieges in den 1990er Jahren beschlossenen UN-Resolutionen den Einmarsch nicht legitimierten. Die Ergebnisse des niederländischen Berichts haben auch ernsthafte Bedeutung für Großbritannien und die USA, da darin Fragen hinsichtlich des Gebrauchs des Begriffs „Massenvernichtungswaffen“ als Grund für einen Krieg aufgeworfen werden, der viele tausend Leben gekostet und zu enormer Zerstörung geführt hat.

Pieter Brans aus Amsterdam wirft einen Blick auf die Ergebnisse der Untersuchungskommission, die Konsequenzen für die niederländische Koalitionsregierung und die Aufgaben, die sich vor den Wahlen 2010 für die Arbeiterbewegung in den Niederlanden daraus ergeben.

von Pieter Brans, Offensief (CWI Niederlande), Amsterdam

Ein Untersuchungsausschuss zur Frage, warum die Niederlande den Irakkrieg politisch unterstützt haben, ist zu erstaunlichen Schlussfolgerungen gekommen. Eine davon ist, dass die Entscheidung der niederländischen Regierung zur Unterstützung der US-amerikanischen und britischen Kriegsvorhaben bei einem Treffen gefällt wurde, das das niederländische Außenministerium hastig einberufen hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, entschied jedoch, dass es das Beste sei, „im Sinne der atlantischen Solidarität“ zu handeln und der Haltung der USA und Großbritannien Folge zu leisten. Später angebrachte Zweifel über die Legitimität des Mandats für den Krieg im Irak und andere Erwägungen wurden beiseite geschoben. Gefällt wurde diese Entscheidung vom Außenminister und einer kleinen Zahl Ministerialbeamter. Der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende war daran nicht beteiligt, da er „mit innenpolitischen Belangen beschäftigt war “, so der Bericht im Wortlaut. Die niederländische Armee war zwar nicht Teil des Irakkriegs, an der sich anschließenden Besetzung nahm sie allerdings teil.

Die niederländische Sozialdemokratie (PvdA; Anm. d. Übers.) bildete damals die Opposition zur Mitte-Rechts-Regierung und äußerte einige Bedenken über deren kriegsfreundlichen Kurs. Heute befindet sich die PvdA in Koalition mit Balkenendes christdemokratischer Partei. Dennoch äußerte man weiter Zweifel an der Legitimation der Entscheidung, den Krieg zu beginnen, und die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses haben sie nun darin bestätigt.

Der Premierminister wischte anfangs ohne umfassende Rücksprache mit seinem sozialdemokratischen Koalitionspartner alle Ergebnisse des Ausschusses beiseite, außer denen, die ihn in einem guten Licht dastehen ließen. Das brachte die PvdA in eine äußerst schwierige Lage. Bei den bevorstehenden Wahlen muss sie (wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa) herbe Rückschläge befürchten. Die Kommunalwahlen finden in den Niederlanden Anfang März 2010 statt. Über die Fortsetzung des Einsatzes des niederländischen Militärs in der afghanischen Provinz Urusgan muss eine Entscheidung getroffen werden. Bisher hatte man sich auf einen Abzug in 2010 verständigt. Enorme Einschnitte (im Umfang von 35 Milliarden Euro) werden von der niederländischen Regierung Ende des Jahres erwartet, was die Unterstützung bei den Wahlen unterminieren wird. Die Parlamentswahlen stehen dann im Mai 2011 an.

Unter immensem Druck stehend machte der christdemokratische Premierminister eine Kehrtwende und sagte der PvdA einige geringfügige Zugeständnisse zu, um die Koalitionsregierung aufrecht erhalten zu können. „Vor dem Hintergrund dessen, was wir jetzt wissen, akzeptiert es das Kabinett, dass ein angemesseneres, rechtlich fundierteres Mandat für ein solches Vorgehen nötig geworden ist“, schrieb Premierminister Jan Peter Balkenende gestern in einem Brief ans Parlament. Das wird seine Autorität untergraben und auch die sozialdemokratische PvdA nicht vor einem Stimmenrückgang bei den Wahlen bewahren.

Der Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass die wichtigste Partei in der niederländischen Regierung, die Christdemokraten, den Irakkrieg unterstützt hat, sich den USA nahezu sklavisch ergab und dass alle Formen des Protests ignoriert oder kleingeredet wurden. Was auch immer die Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen und den Wahlen sein werden: Klar ist, dass die niederländische Arbeiterbewegung sich organisieren muss, um eine starke sozialistische Opposition zur Beendigung der momentanen und künftig zu erwartenden Unterstützung und Hilfe der niederländischen Regierung für imperialistische Invasionen und Besetzungen aufzubauen. Ebenso muss vorgegangen werden, um den von den Christdemokraten und anderen pro-kapitalistischen Parteien gegen die arbeitende Bevölkerung ausgerichteten geplanten Sozialkürzungen erfolgreichen Widerstand entgegen zu setzen.

Die Linke muss sich entscheiden

Die niederländische Socialistische Partij (SP), eine breite, linke, reformistische Partei, erhielt die Unterstützung von ArbeiterInnen und Jugendlichen in ihrer Haltung gegen den Irakkrieg. Wäre die SP von dieser korrekten Position ausgegangen, um eine unabhängige Klassenpolitik zu entwickeln, wäre sie nun als eine linke Partei gut positioniert, um es mit den großen Parteien der herrschenden Klasse in den anstehenden Wahlen aufzunehmen. Stattdessen ist die SP-Führung in den letzten Jahren politisch nach rechts gerückt. Das geschah in der Hoffnung, man würde so zu einem geeigneten Koalitionspartner für PvdA und Christdemokraten avancieren. Letztere ist die Partei des Krieges und der sozialen Kürzungen! Diese Ziele vor Augen hat die SP-Führung Angriffe gegen AktivistInnen von Offensief gefahren, die das CWI in den Niederlanden unterstützen und in der SP aktiv sind. Ein Offensief-Aktiver wurde aus der Jugendorganisation der Partei ausgeschlossen, weil er das „Verbrechen“ begangen hatte, unter jungen Mitgliedern Flugblätter für die Teilnahme an einer antirassistischen Demonstration verteilt zu haben. Es ist ganz deutlich, dass weitere Ausschlüsse vorbereitet werden.

Vor mehr als zehn Jahren waren Offensief-AktivistInnen in die SP eingetreten, weil die Partei für Jugendliche und ArbeiterInnen an Attraktivität gewann. Schließlich sprach man davon, dem Neoliberalismus Widerstand entgegen zu setzen und für eine sozialistische Gesellschaft kämpfen zu müssen. Wir erklärten, dass die SP bei Annahme einer mutigen, auf Kampagnen setzenden und sozialistischen Politik das Potential hätte, sich zu entwickeln und zu wachsen, um eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer echten Massenpartei der ArbeiterInnen zu spielen.

Die Arbeiterklasse in den Niederlanden verlangt immer noch und heute mehr denn je nach einer mutigen, kämpferischen und sozialistischen Massenpartei, die ihre Klasseninteressen repräsentiert. Die Führung der SP hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer mehr in Richtung „Parlamentarismus“ gewandelt. Ziel war es dabei, in Koalitionen mit neoliberalen und Kriegsparteien einzutreten. In einer Phase jedoch, die gekennzeichnet ist von Weltwirtschaftskrise und bevorstehenden umfassenden Sozialkürzungen seitens der Parteien, mit denen die SP potentiell eine Koalitionsregierung bilden würde, würde dieser Weg zum Verlust der bis dato vorhandenen Unterstützung durch die Arbeiterklasse für die SP führen.

Die SP kann sich nur dann weiter entwickeln, wenn sie auf die Wirtschaftskrise und die Belange der ArbeiterInnen Antworten gibt, die auf Klassenbewusstsein basieren. Außerdem ist eine entschiedene oppositionelle Haltung zu imperialistischen Kriegen nötig, indem man eine kämpferische Alternative der Arbeiterklasse aufbaut, die dem kapitalistischen System Widerstand entgegensetzt und eine sozialistische Alternative anbietet. Dafür ist die Öffnung der SP für weit mehr ArbeiterInnen und Jugendliche nötig sowie eine garantierte demokratische Diskussionskultur und Entscheidungsfindung. Ausschlüsse oder angedrohte Ausschlüsse kampagneführender SozialistInnen werden nur noch mehr junge Menschen und ArbeiterInnen abstoßen und davor zurückschrecken lassen, sich in der SP einzubringen oder diese auch nur als wirkliche Alternative zu betrachten.

Dennoch wird die niederländische Arbeiterklasse durch die Ereignisse (Angriffe auf ihre Lebensstandards und -bedingungen) gezwungen sein, nach einer sozialistischen Alternative Ausschau zu halten und damit zu beginnen, eine neue Partei aufzubauen, die ihre Interessen vertritt. Selbst wenn die SP damit fortfährt, den Weg der Ausschlüsse von SozialistInnen und der Verbrüderung mit den etablierten Parteien zu gehen, wird dies geschehen.

Dieser Artikel erschien am 14. Januar 2010 auf der Website des CWI.