Nein zur Kopfpauschale, dem „Hartz IV der Gesundheitspolitik“
Mal wieder droht uns eine „Jahrhundertreform“ im Gesundheitswesen. Als ob wir davon nicht schon genug in den letzten 20 Jahren gehabt hätten. Mal wieder wird klar: Banken und Konzerne bleiben verschont, Arbeitslose, RentnerInnen und Beschäftigte sollen mehr bezahlen. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter all dem ein Plan steht: Nach der Beseitigung der Arbeitslosenhilfe soll nun im Gesundheitswesen das Rad der Geschichte zurückgedreht werden. Es geht um nicht weniger als die Abschaffung fundamentaler Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die großen Einfluss auf unsere Lebensqualität haben.
von Holger Dröge, Berlin
Bereits im Koalitionsvertrag hatten FDP und Union festgehalten, dass so genannte „einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“ eingeführt werden sollen. Das wurde in der Vergangenheit oft Kopfpauschale genannt. Die Idee: Egal ob man 1.500 Euro brutto oder 15.000 Euro brutto verdient, jeder und jede zahlt den gleichen Beitrag. Und der wird richtig teuer!
Bereits 2003 legte die „Herzog-Kommission“ dar, wie sich Union und FDP die Zukunft der Krankenversicherung vorstellen: Privatisierung der Krankengeldleistungen, Einführung einer Kopfpauschale. Seinerzeit strebte die Kommission unter Alt-Bundespräsident Roman Herzog (CDU) einen Einheitsbeitrag an, der bei 264 Euro pro Monat für jede und jeden liegen sollte. Diese Konzepte werden jetzt wieder ausgepackt. Da lohnt der Blick auf den eigenen Lohnzettel. 264 Euro damals? Das würde heute fast 300 Euro Beitragsatz bedeuten.
Aber auch für die Pflegeversicherung hatte Schwarz-Gelb schon damals eigene Vorschläge: 52 Euro pro Monat ab 20 Jahren und 66 Euro ab dem 45. Lebensjahr.
Der soziale Ausgleich soll über Steuern erfolgen. Nur nirgends steht, dass dieser Ausgleich vollständig sein wird. Warum wollen sie überhaupt Geringverdiener durch höhere Beiträge belasten, wenn sie angeblich vorhaben, es ihnen aus Steuermitteln wiederzugeben? Wer zahlt denn Steuern? Die Unternehmenssteuern wurden jahrelang gesenkt. Gleichzeitig stiegen die Verbrauchssteuern (zum Beispiel die Mehrwertsteuer) an, die von der Masse der Bevölkerung gezahlt werden.
Der Sozialverband Deutschland bezeichnete 2006 den Gesundheitsfonds der Großen Koalition in einer Erklärung als „völlig untauglich und unsozial“. Mit dem Fonds – in den die Versicherungsbeiträge von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen eingehen, um dann als einheitliche Prämie pro Versicherten an jede Krankenkasse weitergegeben zu werden – würden künftige Kostenrisiken einseitig auf die Beschäftigten abgewälzt und ein hoher bürokratischer Aufwand betrieben. Die SAV schrieb zur gleichen Zeit im Magazin „sozialismus.info“ Nr. 4: „Ist das Fondsmodell erst einmal eingeführt, wird es noch leichter, die Steuerzuschüsse zu senken (was bereits jetzt geschieht), die prozentualen Beiträge zu senken und im Gegenzug die Kopfpauschalen zu erhöhen.“
Genau diese Entwicklung sehen wir jetzt. Erste Krankenkassen haben bereits von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zusätzliche Beiträge einzusammeln: Zwischen acht und 37,50 Euro müssen dort Versicherte zahlen (unabhängig vom Einkommen). Aktuelle Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler sehen eine Kopfpauschale von 29 Euro vor. Das ist der Einstieg in den Ausstieg aus der einkommenabhängigen Finanzierung von Gesundheit. Denn einmal eingeführt, wird diese Pauschale rasch steigen.
Kahlschlag und Abzocke
Mit der Kopfpauschale will die Regierung von Angela Merkel grundlegend das Gesundheitssystem umbauen. Zum Vorteil der Bosse, auf Kosten der Masse. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise sind aus Sicht der Herrschenden die Zahlungen an die Banken und Steuererleichterungen für Konzerne wichtiger als die Gesundheit der Bevölkerungsmehrheit. Was noch an Sozialleistungen existiert, soll teurer werden oder nicht mehr für alle verfügbar sein.
Das passiert aber nicht nur in Deutschland: In Lettland sollen bis 2013 mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser geschlossen werden. In Frankreich droht die Streichung Tausender Stellen im Gesundheitswesen.
An der Gesundheit wird schon lange gespart: Seit Anfang der neunziger Jahre wurde ein Zehntel aller Krankenhäuser in Deutschland geschlossen, 20 Prozent aller Betten abgebaut. Die durchschnitt-liche Verweildauer der PatientInnen ist um 30 Prozent zurückgegangen. Die Patientenfälle sind um 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wurden weit mehr als 60.000 Arbeitsplätze abgebaut.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen schätzt die Zahl der Todesfälle durch falsche Medikamentenverordnung und -einnahme in Deutschland auf 5.000 bis 8.000 pro Jahr. Über 200.000 Menschen kommen jährlich wegen unerwünschter Nebenwirkungen von Arzneimitteln ins Krankenhaus.
Kostenexplosion?
Alle etablierten Parteien argumentieren, dass sie die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zwinge, weitere Leistungskürzungen vorzunehmen. Die SAV lehnt es dagegen ab, dass Fragen von Leben und Tod in Kostenschemata gezwängt werden. Außerdem beweisen statistische Berechnungen, dass der Anteil der Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) am Bruttoinlandsprodukt seit den achtziger Jahren nahezu konstant bei sechs Prozent liegt.
Trotzdem ist der durchschnittliche Beitragssatz von 1970 (8,2 Prozent) bis heute (14,9 Prozent) stark angestiegen. Die tatsächliche Ursache für das Defizit der GKV und die steigenden Beitragssätze ist die Implosion der GKV-Einnahmen durch Arbeitsplatzabbau, Ausweitung des Niedriglohnsektors und Lohnraub. Dies drückt sich zum Beispiel darin aus, dass die Lohnquote im selben Zeitraum von 74 auf 62 Prozent gesunken ist.
Unsinnige Medikamentenflut
Aber es stimmt, das einige Kosten gestiegen sind: 2009 wurden rund 30 Milliarden Euro für Medikamente ausgegeben, 1998 waren es noch 17,7 Milliarden Euro. Nur leider sind die Menschen heute nicht gesünder als 1998.
„50.000 Medikamente sind in Deutschland auf dem Markt“, sagt Peter Sawicki, der Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Völlig unsinnig nennt Sawicki diese Medikamentenflut. „Man braucht keine 70 verschiedenen Beta-Blocker.“ Anders als in anderen Ländern würde in Deutschland aber nicht geprüft, ob ein neues Medikament besser ist als ein anderes. „Es wird nur geprüft, ob es sicher ist und wirkt.“ Dann werde es zugelassen und die Kassen müssten es erstatten – zu Preisen, die die Hersteller frei festlegen. Sawicki schätzt: „Hätten wir ein Gesetz, das bestimmt, dass Präparate ohne Zusatznutzen nicht von den Kassen erstattet werden, dann würde die Hälfte der 50.000 Medikamente vom Markt fliegen.“ Also 25.000 Medikamente – mit denen die Pharmabranche aber Milliarden verdient.
Auf rund 120.000 niedergelassene Ärzte kommen in Deutschland 16.000 Pharmareferenten. Täglich erhält die einzelne Arztpraxis durchschnittlich Besuch von einem Pharmareferenten – der in der Regel nichts anderes im Sinn hat, als seine Produkte in den höchsten Tönen anzupreisen. Jeder Arzt erhält nach Untersuchungen etwa 2,5 Kilogramm Werbung pro Monat zugesandt.
Pharmakonzerne verdienen sich dumm und dämlich. An all diesen Mängeln ändern die Pläne von Gesundheitsminister Rösler gar nichts, denn eine Kosten-Nutzen-Bewertung neuer Medikamente soll weiterhin unterbleiben. Hinzu kommt: Trotz vieler Versuche, die Kosten für Medikamente zu dämpfen, hat die Pharmaindustrie immer wieder Auswege gefunden, um die Kosten erneut in die Höhe zu treiben. Die Umsatzrendite der Pharmabranche beträgt in Deutschland rund 20 Prozent.
Kein Wunder, hat doch – so Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber der Zeitschrift „Arznei-Telegramm“ – „der Preis für ein Medikament […] nichts mit den Produktions- und Entwicklungskosten zu tun“. Ein Beispiel: der Cholesterinsenker Inegy. Laut Ulrich Schwabe, Autor des Arzneiverordnungs-Reports, hat Inegy keine überlegene Wirkung, ist aber 13 Mal so teuer wie die Standardtherapie. So konnte der Hersteller 2008 172 Millionen Euro mit diesem Medikament verdienen.
Lösung „Reform“?
Keine „Gesundheitsreform“ der Vergangenheit diente dazu, die Defizite der Sozialkassen zu sanieren. Die Sozialkassen sind nicht zufällig leer, sie wurden bewusst zu Gunsten der Kapitalisten geleert. Diese waren es, die Massenentlassungen durchgeführt, Löhne gedrückt und Billigjobs geschaffen haben. Zur „Belohnung“ werden diese jetzt noch stärker aus der paritätischen Finanzierung der Gesundheitskosten entlassen.
Was wir jetzt mit Hartz IV und der geplanten „Gesundheitsreform“ erleben, ist die Abschaffung der bisherigen Sozialversicherung. Wer krank, alt oder arbeitslos wird, soll selber zusehen, wie er klar kommt. Letztlich soll die staatliche Gesundheitsversorgung erst weiter eingeschränkt und dann zerschlagen werden. Ein Prozess, den wir nicht nur in Deutschland, sondern international beobachten können. In den USA, wo der Prozess weiter fortgeschritten ist als hier, sinkt die Lebenserwartung in den ärmeren Bevölkerungsschichten erheblich. Daran wird auch die jetzt dort beschlossene Gesundheitsreform nichts ändern.
Im Kapitalismus kein Ausweg
Die Unternehmer wollen die so genannten Lohnnebenkosten senken, die Krankenhauskonzerne und die privaten Versicherungen wollen neue Geschäftsfelder, die Pharma- und Geräteindustrie verlangt immer höhere Kapitalrenditen. Es geht nicht darum, Kranken und Hilfsbedürftigen zu helfen. Es geht um Geld, Profit und Macht. Der Patient wird zum Kunden. Nicht seine Gesundheit interessiert, sondern die Ausbeutung seiner Krankheit für den Profit. Absurderweise wird es „profitabel“, wenn ein Mensch krank wird.
Die Folge dieser Politik? Bereits heute werden in der Bundesrepublik mehr als 60 Prozent der Kosten für Gesundheit von den Beschäftigten und RentnerInnen getragen. Ein armer Mensch stirbt sieben Jahre früher, ein Reicher lebt zwölf Jahre länger als der Durchschnitt. Deutschland ist ein Land geworden, in dem der Geldbeutel über Leben und Tod entscheidet.
Der Kapitalismus ist krank – Für eine sozialistische Alternative
Wer dafür kämpfen will, dass Gesundheit keine Ware ist und Menschen nicht zum Opfer von Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Verhältnissen werden, muss für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft eintreten.
Eine echte Reform im Interesse der arbeitenden Bevölkerung müsste bedeuten, allen einen kostenlosen Zugang zu allen Gesundheitsleistungen zu gewährleisten. Wir brauchen schließlich keinen „Gesundheitsmarkt“, auf dem Gesundheitsleistungen wie Waren gehandelt werden.
Gute Gesundheitsversorgung für alle – finanzierbar?
Es ist ganz offensichtlich, dass es den Herrschenden überhaupt nicht um Gerechtigkeit geht. Ansonsten würden sie sofort die Pflichtversicherungs- sowie die Beitragsbemessungsgrenze und auch die Privatversicherungen abschaffen, um die Reichen ebenfalls in die Gesetzliche Krankenversicherung einzahlen zu lassen.
Ginge es wirklich darum, Kosten zu senken, müsste man sich die horrenden Gewinne der Pharmaindustrie vornehmen, ihrer Verschwendung einen Riegel vorschieben und die Gehälter der überbezahlten Manager in Krankenhäusern und Krankenkassen deutlich reduzieren.
Die letzten 25 Jahre wurde massiv von unten nach oben umverteilt, die paritätische Finanzierung der Gesundheitsversorgung immer stärker ausgehöhlt. Daher brauchen wir unmittelbar eine einseitige Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, die nur von den Arbeitgebern bezahlt werden müssen. Im Gegenzug setzt sich die SAV dafür ein, dass alle Eigenbeteiligungen und Zuzahlungen gestrichen werden. Die zehn Euro Eintrittspauschale beim Arzt gehören wieder abgeschafft.
Gesundheit fördern
Eine Gesundheitspolitik im Interesse der Mehrheit bedarf einer optimalen und ganzheitlichen Behandlung aller PatientInnen entsprechend den medizinischen Möglichkeiten.
Solange an Krankheiten Geld verdient werden kann, gibt es beim Kapital kein wirkliches Interesse an der Vermeidung von Krankheiten. Dabei existiert ein großes Potenzial bei der Prävention. Eine Forschungsarbeit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ermittelte ein Kostenvolumen für die direkte Behandlung von Krankheiten, bedingt durch körperliche Belastungen bei der Arbeit, in Höhe von 29 Milliarden Euro und in Folge von psychischen Belastungen bei der Arbeit in Höhe von 27 Milliarden Euro jährlich. In Ländern wie Frankreich und Japan sind die nachweislich auf Arbeitsbedingungen und mit dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes zusammenhängenden Suizide deutlich angestiegen. Deshalb ist ein massiver Ausbau von präventiver Gesundheitsversorgung in allen Bereichen der Gesellschaft – von der Schule bis zum Arbeitsplatz – nötig. Gleichzeitig sollte der Zustand, dass Millionen zu wenig Arbeit haben, während Millionen bei der Arbeit krank werden, durch eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich abgestellt werden.
Aber wir brauchen auch eine bessere Verzahnung der ärztlichen Versorgung. Die künstliche Trennung in ambulante und stationäre Versorgung oder Fachärzte und Hausärzte hilft nicht weiter. Wer einmal ernsthaft krank oder verletzt war, kennt die Folgen: Erst zum Hausarzt und warten, dann zum Facharzt und wieder warten, dann wieder zum Hausarzt, dann vielleicht ins Krankenhaus, in die ambulante Anschlussbehandlung, dann wieder zum Hausarzt und vielleicht muss auch noch mal der Facharzt ran. Alles verbunden mit Mühen, Zeitaufwand und Kosten. Und dabei ist noch nicht einmal sicher gestellt, dass alle Ärzte die gleiche Therapie vorschlagen oder dass Untersuchungen nicht doppelt und dreifach gemacht werden.
Daher ist die Schaffung von integrierten, staatlichen Gesundheitszentren (Poliklini-ken) als Angebot für die PatientInnen nötig, um so eine bessere Zusammenarbeit von ÄrztInnen, Pflege und TherapeutInnen zu erreichen. Kostenfrei und flächendeckend wären sie eine Alternative, sich im Dschungel der Gesundheitsversorgung nicht zu verirren.
Dies alles kann nur durch ein massives staatliches Investitionsprogramm zur Sanierung von Krankenhäusern, zum Aufbau eines Netzes von Polikliniken, zur Verbesserung und Förderung der Gesundheitsvorsorge und Forschung erreicht werden. Ein solches Programm muss durch eine deutliche Besteuerung von Banken und Konzernen finanziert werden.
Aus Krankheiten keinen Profit schlagen
Privatisierung, Fallpauschalen und Outsourcing bedrohen die Qualität der Gesundheitsversorgung. Mit den Fallpau-schalen wird der Preis der Gesundheit eines Menschen genau wie jede andere Ware kalkuliert und berechnet. Der damit verbundene Wettbewerb führt zu Überversorgung bei Behandlungen, die sich „lohnen“ und Unterversorgung bei Behandlungen,
die sich nicht „lohnen“. Lohnend sind immer Entlassungen von PatientInnen innerhalb eines kürzeren Behandlungszeitraums, als für den Behandlungspreis berechnet. PatientInnen werden noch schneller durchs Krankenhaus geschleust und auch entlassen, wenn sie noch nicht geheilt sind („quicker and sicker“).
Die bereits eingeführten Mittelkürzungen in den Krankenhäusern müssen zurückgenommen werden. Seit 1993 werden die Tariferhöhungen nicht mehr durch Budgeterhöhungen refinanziert, sondern durch Stellenabbau, Überstunden und Tarifflucht kompensiert. 150.000 Arbeitsplätze sind so in den letzten zehn Jahren in den Krankenhäusern vernichtet worden, davon 50.000 in der Pflege. Dringend notwendig ist ein Ausbau statt des Abbaus der Personalversorgung. Alle geplanten Privatisierungsschritte gehören gestoppt. Bereits privatisierte Klinken müssen wieder in öffentliches Eigentum überführt werden.
Wettbewerb zwischen Kassen, Pharmaunternehmen und privaten Versicherungen geht immer zu Lasten der Versicherten. Daher setzt sich die SAV für die Zusammenführung aller Krankenkassen (auch aller Privatversicherungen) zu einer einzigen öffentlichen Krankenkasse bei Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten ein. Dadurch ließe sich auch viel Geld sparen. Gleichzeitig wäre es ein erster Schritt hin zur Umwandlung des Gesundheitswesens – bei Abschaffung aller Arbeitnehmerbeiträge – zu einem kostenlosen, staatlichen Gesundheitswesen. Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen, sondern ist aus unserer Sicht ein unverzichtbares Grundrecht.
Wir lehnen es ab, dass Beschäftigte einen Teil ihres Lohnes dafür bezahlen müssen, ihre Gesundheit zu erhalten. Menschen werden vor allem krank, da sie arbeiten oder keine Arbeit haben, weil sie in krankma-chenden Wohnungen leben oder Opfer von Umweltzerstörung werden. Alles Ursachen, die sich auf den Kapitalismus zurückführen lassen. Daher wollen wir, dass die bezahlen, die von diesen Umständen profitieren: die großen Banken und Konzerne. Unmittelbar treten wir dafür ein, dass die Unterneh-mervertreter aus den Verwaltungsräten der Krankenkassen entfernt werden. Wir brauchen auch keine überbezahlten und korrupten Manager in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Krankenkassen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen! Die Alternative besteht in der demokratischen Wahl aller Personen mit Leitungsfunktionen durch die arbeitende Bevölkerung. Ein Kontrollrecht und das Recht zur jederzeitigen Abwahl muss gewährleistet sein.
Zur Abschaffung des Wettbewerbs und des Profitemachens mit der Gesundheit von Menschen gehört auch, dass die Pharma-, Bio-, und Gentechnikkonzerne sowie die Medizingeräteindustrie in Gemeineigentum – unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch gewählte VertreterInnen der arbeitenden Bevölkerung – überführt werden. Profitorientiertes Wirtschaften hat in der Gesundheitsversorgung nichts zu suchen.
Aber es geht nicht nur um eine bessere Gesundheitsversorgung, sondern auch um die Bekämpfung von krank machenden Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen, von Arbeitslosigkeit und Armut. Der Kampf um eine optimale Gesundheitsversorgung ist gleichzeitig ein Kampf um Arbeit, vernünftige Löhne und Umwelt-, wie Wohnbedingungen für alle Menschen.
Mit der kapitalistischen Wirtschaft lässt sich dies nicht vereinbaren. Deshalb muss die Macht der Banken und Konzerne gebrochen, Großunternehmen in öffentliches Eigentum überführt und nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt produziert werden. Nötig ist eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft. Erst dann können Bedingungen entstehen, die Krankheiten vermeiden und optimal heilen.
Holger Dröge ist ausgebildeter Krankenpfleger und Mitglied der SAV-Bundesleitung
US-Gesundheitsreform: der große Wurf?
Nachdem das Gesetz im US-Kongress beschlossen war, tönte Präsident Barack Obama: „Das ist der Wandel!” Die weitgehend private Organisierung des Gesundheitswesens in den Vereinigten Staaten wird aber auch in Zukunft beibehalten werden.
Private Versicherungskonzerne bekommen Millionen neue Kunden, teilweise durch Steuererleichterungen finanziert. Darunter viele bisher unversicherte Senioren. „Die brauchen Arzneien – ein neuer Milliardenmarkt“, so SPIEGEL Online in seinem Artikel „Obamas Gesundheits-Kompromiss verschont die Pharmaindustrie“ vom 22. März.
Kein Wunder, dass die Aktienkurse der Pharmariesen in die Höhe schnellten, als das Gesetz im Kongress unter Dach und Fach war. Die Pharmaindustrie hatte in den letzten Monaten sogar viel Geld locker gemacht, um für Obamas “Reform” zu werben. Darüber hinaus werden nach der Umsetzung des Projektes über zehn Millionen Menschen in den USA weiterhin ohne Krankenversicherung bleiben.