Eindrücke vom Bundesparteitag der LINKEN in Rostock
Die 550 Delegierten des Bundesparteitages der LINKEN haben in Rostock die von der Fraktionsführung eingebrachten Personalkompromisse bestätigt, aber keine Klarheit über den Kurs der Linkspartei geschaffen.
von Heino Berg, Mitglied DIE LINKE Göttingen und C. Flöter, Mitglied Landesvorstand DIE LINKE Hessen und Parteitagsdelegierte
So wichtig die Ergebnisse von Vorstandswahlen für die Kandidaten und Strömungen sein mögen: Die Mitglieder und Wähler der LINKEN erwarten von einem Bundesparteitag vor allem Entscheidungen zu den politischen Schlüsselfragen, über die aus der Parteiführung in den letzten Monaten vollkommen gegensätzliche Antworten zu hören waren: Wie steht die Partei zur Verstaatlichung der Banken und Großkonzerne und der Eurokrise? Wie reagiert sie auf die krachende Niederlage der schwarzgelben Regierungskoalition? Steht sie auch in NRW für Koalitionen mit der SPD wie in Brandenburg oder Berlin zur Verfügung? Oder bleibt es bei der Opposition zu den anderen Parteien? Anstatt darüber solidarisch zu streiten und dann demokratisch zu entscheiden, anstatt die KandidatInnen für die neue Parteiführung daran zu überprüfen und ihnen Handlungsaufträge zu erteilen, wurden diese Fragen – auch durch die Parteilinke – unter den Teppich gekehrt.
Stimmung
Nicht das neue Führungsduo Gesine Lötzsch und Klaus Ernst prägte unter diesen Umständen den Parteitag, sondern Gregor Gysi, der stundenlang am Rednerpult stand, während sich die Delegiertenbeiträge an den Saalmikrofonen oft auf die Unterstützung der jeweils zur Wahl stehenden KandidatInnen beschränkten. Diese aus der PDS bekannten Rituale wirkten nicht nur ermüdend und kosteten Zeit, die für die politische Debatte nötig gewesen wäre. Wenn die Führung nach Strömungs- bzw. Ost-Westproporz und nicht auf der Basis von politischen Richtungsentscheidungen der Delegierten bestimmt wird, sind weitere (Führungs)querelen hinter den Kulissen geradezu vorprogrammiert.
Fest steht: Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, ist nach dem Rückzug von Lafontaine der eigentliche Parteichef. Er präsentierte sich als Vertreter der Mitglieder und WählerInnen der LINKEN, der über den Strömungen stehe und für das sogenannte „Zentrum“ der Partei spreche. Er stellte in seinem „Fraktionsbericht“ klar, dass ein Nein zum Sozialabbau nicht nur – wie vorher von Lafontaine gefordert – für den Bundesrat, sondern auch im Lande selbst gelten müsse. Allerdings bleiben die von ihm und der Parteilinken wie ein Mantra beschworenen „Roten Linien“ für eine Regierungsbeteiligung wenig aussagekräftig und glaubwürdig, wenn die Frage nicht beantwortet wird, warum sie von den bisherigen rotroten Landesregierungen in Berlin und Brandenburg offensichtlich übertreten wurden. Was nützen Haltlinien für eine Regierungsbeteiligung, wenn sie sich nicht einmal ein Bundesparteitag zu ihrer praktischen Einhaltung äußert?
Lafontaine und die Systemfrage
Oskar Lafontaine bekannte sich in seiner Abschiedsrede im Gegensatz zu den SprecherInnen des fds (Forum demokratischer Sozialismus) Stefan Liebich und Inga Nitz zum demokratischen Sozialismus und zur Überwindung der bestehenden Eigentumsordnung. Unter dem Beifall der Delegierten charakterisierte er die Parlamente und Regierungen als „Marionetten der Spekulanten“ und befürwortete den Generalstreik als wichtiges Mittel kollektiver Gegenwehr. Die Gewerkschaften dürften sich nicht auf folgenlose Protestaktionen beschränken, weil das auch zur „Frustration“ der KollegInnen führen könne.
Deutlich verhaltener blieb die Reaktion der Delegierten, als er dann „drei Säulen linker Wirtschaftspolitik“ beschrieb und unter dem Kürzel „KFW“ zusammenfasste: „Damit ist gemeint: Keynesianismus, Finanzmarktregulierung und Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene.“ Nicht die Enteignung der Verantwortlichen für die Krise steht damit auf der politischen Agenda der Linkspartei, sondern der fromme Wunsch, sie „an die Kette zu legen“ und an den Krisenkosten zu beteiligen. Das „Primat der Politik“ gegenüber dem Diktat der Finanzmärkte und Spekulanten kann jedoch nicht mit Regulierungsforderungen durchgesetzt werden. Solange das Finanzkapital in Privatbesitz bleibt, wird es die Welt beherrschen und ganze Staaten in den Bankrott treiben können. Die keynesianischen Krisenprogramme mit ihren Milliardenkrediten haben die Krise nicht überwunden, sondern nur aufgeschoben. Diese programmatische Bescheidenheit von Lafontaine schafft zwar – ebenso wie die Forderung nach Mitarbeiteraktien (Belegschaftsbeteiligung) und nach mehr Mitbestimmung – Berührungspunkte zu entsprechenden Lippenbekenntnissen von SPD und Grünen, steht aber im Widerspruch zu der Forderung nach der Verstaatlichung der Banken im Programmentwurf. Sie stellt die Bereitschaft der LINKEN in Frage, mit dem System selbst zu brechen. Und endlich das Übel an der Wurzel zu packen.
Umso wichtiger ist die Tatsache, daß der Parteitagsbeschluss zu Griechenland aus dem entsprechenden Dringlichkeitsantrag von SAV-Delegierten die Forderung nach Vergesellschaftung der Banken und nach Verbindung des Widerstands in Griechenland mit den Anti-Krisen-Protesten am 12.6. in Deutschland übernommen hat. Außerdem griff die Europaageordnete Sabine Wils in ihrem Bericht die europäischen Protestwoche auf, die der für die irische Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV) im Europaparlament sitzende Joe Higgins mit VertreterInnen der griechischen, spanischen und portugiesischen Linken vorschlägt.
Fraktion führt Partei
Die neu gewählte Führung und das Prinzip der Doppelspitzen folgen dem Anspruch, das Kräfteverhältnis zwischen dem Regierungsflügel und den antikapitalistischen Kräften in der Partei abzubilden und ein Gleichgewicht zwischen ihnen institutionell festzuschreiben. Diese Konstruktion wurde hinter den Kulissen ausgehandelt und den Delegierten zum Abnicken vorgesetzt, anstatt den Delegierten eine wirklich demokratische Diskussion und Auswahl zu ermöglichen. Herausgekommen ist dabei ein geschäftsführender Parteivorstand, der sich außer einem Mitglied (der Mitglied im saarländischen Landtag ist) nur aus Mitgliedern der Bundestagsfraktion zusammensetzt. Damit wird die bereits bestehende Tendenz, dass die Fraktion die Partei regiert, weiter gefestigt.
Die Unterstützung des Kompromisspakets durch die Parteilinke stellte Harmonie zur Schau, schwächt aber die politische Handlungsfähigkeit der Partei vor dem Hintergrund zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen. Denn damit bleibt unklar, welchen Kurs die Mehrheit der Parteibasis für richtig hält: Den Weg der Anpassung an die Sozialdemokratie, die den Kahlschlag gegen die Errungenschaften der Arbeiterbewegung organisiert hat und dafür in der LINKEN Partner sucht, oder den des Widerstandes gegen die Abwälzung der Krisenlasten durch konsequente Oppositionspolitik.
Trotzdem wurde an vielen Abstimmungsergebnissen (z.B. durch das unterdurchschnittliche Wahlergebnis für Halina Wawzcyniak vom fds oder die Nicht-Wahl der fds-Sprecherin Inga Nitz) deutlich, dass die Antikapitalistische Linke (AKL) und die Sozialistische Linke (SL) unter den Delegierten durchaus über eine relative Mehrheit verfügen. Die VertreterInnen des linken Parteiflügels riefen jedoch bereits in den (sehr gut besuchten) Vorbesprechungen dazu auf, jede inhaltliche Konfrontation zu vermeiden, um das ausgehandelte Gleichgewicht in der Führung nicht in Frage zu stellen.
Regierungsfrage
Das galt noch stärker für die inhaltliche Kursbestimmung des Parteitags. AKL und SL hatten auf eigene Anträge zur Regierungsfrage verzichtet, obwohl sie nicht nur in NRW auf der Tagesordnung steht. Während die Parteispitze ohne Rücksicht auf die Parteitagsbeschlüsse des betroffenen Landesverbands ein Koalitionsangebot nach dem anderen veröffentlicht, soll die Delegiertenbasis dazu nicht einmal Stellung nehmen?
Nur in der Debatte über Änderungen des Leitantrags, in dem der Parteivorstand umgekehrt ein ausdrückliches Bekenntnis zur angeblich „sozialen“ Politik der rot-roten Landesregierungen in Berlin und Brandenburg gefordert hatte, kam es zu einer Kampfabstimmung, in der dieses positive Bekenntnis mehrheitlich abgelehnt wurde. Vor allem hier zeigte sich, dass die Kritik an der unsozialen Regierungspraxis von Berlin und Brandenburg keineswegs auf die westdeutschen Landesverbände beschränkt bleibt. Ein gleich darauf angenommener Antrag von VertreterInnen des fds, der sich vorsichtig für eine „strategische Debatte über andere Koalitionsmehrheiten“ ausspricht, also die Tür für Regierungsbündnisse mit prokapitalistischen Parteien auch auf Bundesebene öffnen soll, ändert nichts daran, daß die bestehenden Regierungskoalitionen mit den Hartz- und Kriegsparteien keine Mehrheit unter den Parteitagsdelegierten finden.
Umso bedauerlicher ist der Versuch des linken Parteiflügels, in Rostock der Regierungsfrage in der Hoffnung auszuweichen, daß die SPD-Führung sie durch ein neues Bündnis mit der CDU selbst beantwortet. Das zeigte sich bereits in Delegiertenvorbesprechungen am Freitag Abend. Das AKL-Treffen unterstützte zwar den Vorschlag der SAV-Mitglieder, mit dem Antrag des hessischen Landesvorstands eine Rechtfertigung der bestehenden Koalitionsregierungen zurückzuweisen, nicht aber einen Antrag der Göttinger und Wilhelmshavener Kreisverbände, der in Anlehnung an frühere Beschlüsse der WASG „die Beteiligung an Regierungen mit Parteien, die Sozial- und Stellenabbau betreiben, ablehnt“ und stattdessen die Einzelfallunterstützung von Maßnahmen einer rot-grünen Minderheitsregierung vorschlägt, die tatsächlich im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung liegen. Ohne eine aktive Unterstützung durch die Parteilinke konnte die Beratung von Einzelanträgen abgebrochen werden, als der Göttinger Antrag G.06 an der Reihe war.
Die taz kommentiert den Rostocker Parteitag und die NRW-Wahlen folgendermaßen: „Rot-Grün-Rot in Düsseldorf würde die Flügellogik aufsprengen, die die Partei prägt und oft auch lähmt. Wenn sogar die NRW-Genossen koalieren, dann geht in der Linkspartei alles. Auch für den Bund 2013. (…) Schon die Aussicht aufs Regieren hat die NRW-Linke still verändert. Vor einem halben Jahr traute sich dort kaum jemand, offensiv für eine Tolerierung von Rot-Grün zu plädieren. Jetzt ist es selbstverständlich, dass man mit Rot-Grün regiert, wenn die Inhalte stimmen. Die Grünen brauchten für diesen Prozess in den 80er-Jahren ein paar Jahre, die NRW-Linken ein paar Monate.“
Fazit:
Auf dem Rostocker Bundesparteitag wurde die Chance verpasst, die Schwäche der Regierung Merkel, die Niederlage von Schwarz-Gelb im größten Bundesland und die Krise der EU für Signale zu einer antikapitalistischen Gegenoffensive zu nutzen. Trotz des Einzugs der LINKEN in den NRW-Landtag agierten ihre VertreterInnen wie Wolfgang Zimmermann und Katharina Schwabedissen, überaus vorsichtig und überließen die politische Initiative denjenigen, die in Mecklenburg oder Sachsen-Anhalt mit der SPD regieren wollen, ohne damit die Lage der Bevölkerung substantiell verändern zu können.
In einer vom neu gewählten NRW-Landtagsabgeordneten Michael Aggelidis sowie von Winfried Wolf unterzeichneten Erklärung der Bildungsgemeinschaft SALZ heißt es dazu: „Der nicht überwältigende, aber wegen der Überwindung der undemokratischen 5%-Hürde bedeutende Erfolg der Partei Die Linke ist eine Chance, in der Formierung einer politischen Kraft weiterzukommen, die den Interessen der Beschäftigten und Ausgegrenzten verpflichtet ist. Diese Chance kann genutzt oder auch verspielt werden. Ein erster entscheidender Test ist das Verhalten zur Regierungsfrage. Eine Regierungsmitverantwortung wie in Berlin und Brandenburg wäre ein Rückschlag und würde alle Tendenzen zur Resignation fördern.“
Nach der ersten Regionalkonferenz der LINKEN in NRW kommentierte der WDR auch kritische Positionen von Claus Ludwig, Stadtrat für DIE LINKE in Köln und SAV-Mitglied:
„Bis Mittwoch (19.05.10) sollen die Mitglieder auf drei Regionalkonferenzen in Köln, Bielefeld und Dortmund über die rot-rot-grünen Sondierungsgespräche diskutieren können, darüber entscheiden können sie aber nicht. "Ich gehe von einer Unterstützung durch die Basis aus", sagte Sagel nach der Landesvorstands-Sitzung. Claus Ludwig, der in Köln für die Linken im Stadtrat sitzt, will die Gespräche nicht unterstützen, lehnt Verhandlungen mit SPD und Grünen sogar ab. "Die Linke soll in die Opposition gehen", sagte er. "Wir sollten nicht die Übel mittragen, die Rot und Grün zu verantworten haben und in einer Regierung verantworten müssten", so Ludwig. Zu diesen "Übeln" zählt er unter anderem Sozialkürzungen und Einsparungen im Haushalt.
Um diesen Stimmen in der Partei mehr Gewicht zu verleihen, muss sich nach den Erfahrungen von Rostock die Linke in der LINKEN reorganisieren. Es reicht nicht, sich über Kandidaturen in der Partei abzusprechen. Gemeinsame Initiativen – zur Programmdebatte, der Organisierung des Widerstands und zur Regierungsfrage – sind dringend notwendig.