Parlamentarische Ergänzungspartei oder kämpferische Interessenvertretung?
Die neue SPD/Grüne-Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat die Sommerferien für verlängerte Flitterwochen genutzt. Sie unterließ es, die Wahrheit über ihre Vorhaben in den nächsten Jahren zu verkünden. Rot-Grün profitiert davon, dass die von Jürgen Rüttgers geführte CDU/FDP-Koalition auch nach ihrem Ableben extrem unbeliebt ist.
von Claus Ludwig, Köln
Wenn man genau hinguckt, wird allerdings deutlich, dass es keinen großen Unterschied zwischen der rot-grünen Regierung und ihrer Vorgängerin gibt. Am Rande des farceartigen „Sondierungsgesprächs“ mit der LINKEN im Mai sprach Hannelore Kraft davon, dass die Wahlprogramme einem „Realitätscheck“ unterzogen werden müssten.
Krafts „Realitätscheck“
Dieser „Check“ führt zu deutlichen Abstrichen. Ein Wahlplakat der SPD versprach „ein NRW, das seine Kommunen nicht länger im Stich lässt“. Kraft kündigte an, den Städten finanziell zu helfen. Dafür soll jetzt ein Topf von 300 bis 400 Millionen Euro bereit gestellt werden. Das reicht nicht einmal, um das Haushaltsloch der Stadt Köln im Jahr 2010 zu stopfen. Außerdem wird diese Hilfe an Bedingungen geknüpft, an „verlässliche Kriterien“. Die Kommunen, die diese Hilfe abrufen, sollen weitere Einsparungen zusagen. Solche „Hilfen“ hat die EU Griechenland zugestanden: Nur wenn der soziale Kahlschlag weitergeht, gibt es Geld.
Im Wahlkampf hatten SPD und Grüne damit geworben, die Studiengebühren abzuschaffen und dadurch viele Stimmen von Studierenden bekommen. Nach der Wahl waren SPD und Grüne nicht bereit, mit der LINKEN über eine sofortige Abschaffung der Studiengebühren zu reden. Sie hatten für die Landtagssitzung im Juli einen Antrag vorbereitet, der die Abschaffung der Gebühren erst für das Wintersemester 2011 vorsah, zogen diesen aber ohne Erklärung zurück. Es ist nach wie vor offen, wann es zur Abschaffung der Gebühren kommt.
Die Wut über die Katastrophe bei der Duisburger Love Parade richtet sich – durchaus zu Recht – vor allem gegen den CDU-Oberbürgermeister der Stadt, Adolf Sauerland, und den Veranstalter Rainer Schaller. Davon profitiert die SPD vorübergehend. Doch auch die SPD in Duisburg und NRW hat das Event als „Standortfaktor“ gepusht, hat weggesehen, als das Projekt durchgezogen wurde, ohne auf die zahlreichen Warnungen zu hören.
SPD und Grüne praktizieren die gleiche Art von „Realpolitik“ wie CDU und FDP. Wenn es wirtschaftlich etwas besser geht, machen sie kleinere Zugeständnisse, wenn es eng wird, bürden sie die Kosten der Krise der breiten Masse der Bevölkerung auf. Der „Realitätscheck“ für die Regierung Kraft wird noch kommen.
Fleißige LINKE
Die Landtagsfraktion der LINKEN hat in den Sommermonaten Initiativen ergriffen für die sofortige Abschaffung der Studiengebühren und für die Einstellung von 500 neuen Betriebsprüfern. Die Fraktion mobilisiert gegen faschistische Aufmärsche in Duisburg und NRW und hat Solidaritätsreisen in die Türkei unternommen, um Arbeitskämpfe und Proteste gegen die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung zu unterstützen. Es ist gut, wenn die Möglichkeiten der parlamentarischen Arbeit genutzt werden, um außerparlamentarische Mobilisierungen zu befördern und die Fraktion sich nicht von der bürgerlich-parlamentarischen Routine vereinnahmen lässt.
Strategisch bleibt die Ausrichtung der NRW-LINKEN allerdings unklar. Immer wieder werden von Bundesebene, zum Beispiel durch die Vorsitzende Gesine Lötzsch, Vorstöße unternommen, SPD und Grünen eine engere Zusammenarbeit in NRW anzubieten. Das Gerede vom „Politikwechsel“ durch eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen will nicht verstummen. Doch mit diesen Hartz-IV-Parteien würde sich ein „Politikwechsel“ auf einige symbolische Sozialzückerchen beschränken, während der grundlegende Kurs – Entlastung der Reichen und Konzerne, Aufbürden der Krisenlasten auf die lohnabhängige Bevölkerung – beibehalten würde.
Fraktion und Parteivorstand in NRW lassen offen, ob sie solch einen „Politikwechsel“ für möglich halten. Nach wie vor steht DIE LINKE bundesweit und in NRW vor der Frage, ob sie sich in Richtung parlamentarischer Ergänzungspartei auf dem linken Flügel des bürgerlichen Parteiensystems entwickeln will oder zu einer kämpferischen Partei für Beschäftigte und Erwerbslose, die eine grundlegende Opposition gegen das kapitalistische System und seine Parteien in den Vordergrund rückt. Das bleibt entscheidend sowohl für die Rolle der Partei in sozialen Kämpfen als auch bezüglich der Wahlergebnisse.
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Claus Ludwig ist Kölner Ratsmitglied für die Fraktion DIE LINKE