Kommt die »Schuldenbremse« bei der Volksabstimmung am 27. März durch, würde das den Sozialabbau erleichtern. Ein Gespräch mit Simon Aulepp
Das Interview führte Herbert Wulff. Es erschien zuerst in der Jungen Welt am 18. März 2011. Simon Aulepp ist Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Kassel und kandidiert dort für die Linkspartei zur hessischen Kommunalwahl am 27. März
Sie rufen dazu auf, bei der hessischen Kommunalwahl am 27. März nicht nur die Linke zu wählen, sondern zugleich bei der Volksabstimmung zur »Schuldenbremse « mit Nein zu stimmen. Warum?
Die Einführung der »Schuldenbremse« dient der Landesregierung zur Rechtfertigung ihrer Kürzungspolitik. Ein positives Votum bei der Volksabstimmung würde die Argumentation für sozialen Kahlschlag in der Zukunft deutlich erleichtern. Nach dem Motto: Ihr habt selbst gegen die Aufnahme weiterer Schulden gestimmt, deshalb bleibt uns nichts anders übrig, als Schwimmbäder zu schließen, Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen und städtische Leistungen einzuschränken.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, die »Schuldenbremse« zu verhindern?
Die Ausgangslage ist denkbar schlecht. Nicht nur Union und FDP sind für den Gesetzentwurf. Nach kosmetischen Korrekturen sind auch SPD und Grüne umgefallen und unterstützen die angestrebte Verfassungsänderung. Erschwerend kommt hinzu, daß der an alle Haushalte versandte Begleitbrief völlig einseitig informiert – Gegenargumente bleiben unerwähnt. Die Gewerkschaften, ATTAC und Die Linke sind die einzigen relevanten Kräfte, die gegen das Projekt mobil machen. Dennoch habe ich Hoffnung, denn die Erfahrung an unseren Infotischen zeigt, daß viele Menschen die negativen Auswirkungen einer »Schuldenbremse« erkannt haben.
Würden mit einer Ablehnung der Verfassungsänderung weitere Einschnitte verhindert?
An sich noch nicht. Vor dem Hintergrund der miserablen Haushaltslage der Kommunen ist eine Verschärfung der Kürzungspolitik zu erwarten. Deshalb geht es bei der Kampagne gegen die »Schuldenbremse « auch darum, den gemeinsamen Widerstand von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen jeglichen Sozialkahlschlag aufzubauen. Er ist eine Vorbereitung auf künftige Auseinandersetzungen. Hierbei trägt Die Linke eine besondere Verantwortung.
Wo sehen Sie Ansätze für konkreten Widerstand?
Kassel plant den Abbau von 60 Stellen im städtischen Klinikum, Azubis werden nur befristet übernommen – trotz der bereits jetzt untragbaren Arbeitsbelastung. Dagegen organisieren wir gemeinsam mit ver.di den Protest. So haben Mitte Februar rund 200 Menschen vor der Aufsichtsratssitzung demonstriert. Eine weitere Auseinandersetzung betrifft die Schließung einer Skaterhalle. Dagegen gab es Anfang Februar vor dem Kasseler Rathaus eine Demonstration mit 250 Jugendlichen. Daraufhin hat die Stadt eine neue Halle zugesichert, vorerst jedoch nur bis Jahresende. Das zeigt: Widerstand kann etwas bewirken. Für die unbefristete Finanzierung der Halle werden wir aber weiter streiten müssen. Was konsequente Opposition im Parlament erreichen kann, zeigt das Beispiel des Hartz-IV-Betruges in Kassel. Die Stadt hatte die Leistungsempfänger bei der Berechnung der Unterkunftskosten um etwa zwei Millionen Euro betrogen. Das hat die Kasseler Linke aufgedeckt und skandalisiert. Die Regierenden sahen sich daraufhin gezwungen, von dieser illegalen Praxis abzurücken.
Welche Ursachen sehen Sie für die Haushaltskrise der Städte und Gemeinden?
Die Kommunen wurden durch die Steuerpolitik der vergangenen Jahrzehnte ausgeblutet. Würde das Steuerniveau noch dem von 1998 entsprechen, wären jährlich rund 50 Milliarden Euro mehr in den kommunalen Kassen. In der Wirtschaftskrise wurden Milliarden für die »Bankenrettung« verpulvert, die jetzt in Kitas, Schulen und Krankenhäusern fehlen. Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und eine Millionärssteuer durchzusetzen.
In den Parlamenten sind Mehrheiten für solche Forderungen aber doch bei weitem nicht in Sicht.
Entscheidend sind nicht nur parlamentarische Mehrheiten, sondern vor allem der Druck von der Straße und aus den Betrieben. Diesen zu organisieren muß die Hauptaufgabe linker Parlamentarier sein. Ein gutes Beispiel dafür ist die genannte Skaterhalle. Parallel zur Demonstration der Jugendlichen hat die Kasseler Linke eine Anfrage zum Thema in der Stadtverordnetenversammlung gestellt und damit für weitere Öffentlichkeit gesorgt. In diesem Sinne kann es durchaus einen Unterschied machen, ob eine kämpferische Linke im Parlament vertreten ist oder nicht.