Dokument Nummer 4 des 10. CWI-Weltkongress im Dezember 2010
Vorbemerkung:
Vom 2. bis zum 9. Dezember 2010 fand im belgischen Nieuwpoort der 10. Weltkongress des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) statt.
120 Delegierte und Gäste aus über 30 Ländern nahmen daran teil. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die anhaltende tiefe Krise des Kapitalismus weltweit und die neue Welle von Massenprotesten, die vor allem mehrere Länder Europas erfasst hat. Die Arbeiterklasse, so die Analyse des Kongresses, hat die Bühne der Geschichte erneut betreten.
Wir veröffentlichen Berichte und die auf dem Kongress beschlossenen Dokumente.
Lateinamerika
Das Wachstum in Lateinamerika vor der internationalen Krise hat dazu beigetragen, in der Mehrheit der Länder in Lateinamerika Bedingungen relativer Stabilität zu schaffen. Die akute Periode von Krise und Rezession, die 2008 begann, drohte eine neue Welle politischer und sozialer Turbulenzen auszulösen, wie jene die für Lateinamerika zur Jahrtausendwende charakteristisch waren. Obwohl dieser Prozess sich nicht so entwickelt hat wie er hätte können (mit Ausnahme der radikalen und massiven Generalstreiks in Guadelupe und Martinique 2009), bietet die relative Erholung keine Garantie für anhaltende Stabilität oder sozialen Frieden. Viele Länder sind sehr instabil und die Möglichkeit eines Double Dip könnte schnell zu einer Wiederkehr von Radikalisierung und politischer und sozialer Polarisierung führen.
Lateinamerika war eine wichtige Arena des Widerstands von ArbeiterInnen und Unterdrückten gegen die neoliberalen Attacken gegen Ende des 20. und zu Beginn dieses Jahrhunderts. Die tief greifende internationale Krise, die 2008 begonnen hat, hat den Fokus in die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder (vor allem nach Europa) verschoben, was Widerstand angeht.
Es gibt Elemente einer „Lateinamerikanisierung“ Europas. Allerdings bedeutet dieser Prozess nicht auch gleichzeitig eine „Europäisierung“ Lateinamerikas in dem Sinn, dass es in der „ersten Welt“ ankommen würde, wie kapitalistische Kommentatoren behaupten.
Die wirtschaftliche Erholung in Lateinamerika seit Anfang 2009 bedeutet nicht, dass die Region von der Rolle eines „Zaungasts“ im internationalen Kapitalismus wegkommen würde. Es ist nach wie vor eine Region, die dem Imperialismus unterworfen ist. Das wird auch bestätigt durch die neuen Abhängigkeitsverhältnisse zu Ländern wie China. Allerdings haben diese neuen Abhängigkeitsverhältnisse nicht die Unterordnung gegenüber dem US- und europäischen Imperialismus ersetzt.
Mit der Zweihundertjahrfeier nationaler und politischer Unabhängigkeit in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern steht die Region an einer entscheidenden Wegscheide, vor allem, da die politischen Alternativen, die sich in der letzten Periode entwickelt haben, wie der „Chavismus“ und „Castroismus“, in einer Sackgasse stecken. Ob sich der Kampf um Emanzipation der lateinamerikanischen Völker nach vorn oder zurück entwickelt, hängt davon ab, ob es der Arbeiterklasse und den unterdrückten Völkern gelingt, eine sozialistische Alternative aufzubauen.
Die Krise und die Grenzen der Erholung
Das Zentrum der internationalen Krise des Kapitalismus liegt zur Zeit nicht in Lateinamerika. Das ist ein wichtiger Unterschied im Vergleich zur Schuldenkrise 1982 und dem „Tequila-Effekt“ der mexikanischen Krise 1994, sowie der Instabilität von 1998 bis 2002. Diese Krisen, besonders letztere, haben die Länder der Region tiefgehend geprägt, haben Massenbewegungen ausgelöst und waren Hintergrund für den Sturz von Regierungen in verschiedenen Ländern und den Aufstieg neuer Regierungen, die eine anti-neoliberale Position eingenommen haben. Allerdings bedeutet die Tatsache, dass die Krise nun ihr Zentrum in der entwickelten kapitalistischen Welt hat, dass ihr Charakter ein grundlegenderer und ernsterer ist als jener vorangehender Krisen. Eine Ausbreitung und Verallgemeinerung ihrer Folgen ist unvermeidbar. Lateinamerika ist nicht nur bereits von den Auswirkungen betroffen, die Widersprüche werden sich weiter zuspitzen.
Der außergewöhnliche Wachstumszyklus in Lateinamerika von 2003 bis 2008, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 5,5 Prozent, wurde von der internationalen Krise Ende 2008 unterbrochen. Das Jahr 2009 war geprägt von einem Fall des BIP von 1,9 Prozent in Lateinamerika und der Karibik. Das hat Rezession, Arbeitslosigkeit und Wachstum von Armut ausgelöst. Rund drei Millionen Menschen in Lateinamerika haben in den ersten Monaten 2009 ihren Job verloren.
Im Gegensatz zur letzten Krise in Lateinamerika (1998 bis 2002) gab es diesmal aber keinen Bruch mit Wirtschaftsmodellen, Zahlungsaufschübe von Schuldenzahlungen oder Zusammenbrüche von Regierungen beziehungsweise Regimes. Die Krise hat noch nicht eine Situation wie 2001 ausgelöst, die zum Zusammenbruch der Regierung von de la Rua in Argentinien und zum Kollaps des wirtschaftlichen Modells von Menem geführt hat.
Die Maßnahmen, die die Mehrheit der Regierungen des Subkontinents während der Krise umgesetzt haben, folgten dem internationalen Muster einer Staatsintervention, um eine tiefere und längere Rezession zu vermeiden. Ohne diese Maßnahmen wären die Volkswirtschaften in Lateinamerika in eine tiefe und lange Rezession gefallen.
Die Länder, die am meisten von der Krise betroffen waren, waren jene, die am stärksten mit der US-Wirtschaft in Verbindung stehen, besonders Mexiko, aber auch Zentralamerikanische Länder wie El Salvador, Honduras, Nicaragua oder Costa Rica. Mexikos BIP fiel 2009 um 6,5 Prozent. Venezuela wiederum wurde direkt von der Instabilität des Ölpreises in Folge der Weltwirtschaftskrise sowie von einer Energiekrise getroffen.
Länder wie Brasilien, Chile und Paraguay haben 2009 zwar BIP-Rückgänge zu verzeichnen (-0,2, -1,5 beziehungsweise -3,8 Prozent), haben aber für 2010 eine Wachstumsperspektive. Argentinien, Uruguay, Kolumbien, Ecuador und Bolivien haben es geschafft, 2009 ein kleines Wachstum zu verzeichnen, mit Aussicht auf mehr Wachstum für 2010. Die zehn lateinamerikanischen Staaten verbuchen zusammen einen durchschnittlichen BIP-Rückgang von 0,2 Prozent für 2009, sollten sich 2010 aber erholen, mit einem Wachstum von 5,2 Prozent.
Der Preis für diese anscheinende Prosperität inmitten einer internationalen Krise ist der Zustrom von volatilem Kapital und der Anstieg der lokalen Währungen. Das wird harte Konsequenzen für die lateinamerikanischen Wirtschaften haben. Trotz hoher Preise für die Exporte von Gütern löst der anhaltende Währungskrieg Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen der Länder mit höherem Wachstum aus. Dieses Szenario öffnet die Tore für eine Flut an importierten Produkten und eine weitere Deindustrialisierung der Region. Die schüchternen Maßnahmen, die bis jetzt von Regierungen gesetzt wurden, wie eine höhere Besteuerung von hereinfließendem ausländischen Kapital in Brasilien und die Interventionen in den Währungsmarkt durch Kolumbien, Peru und andere Länder, sind nicht ausreichend, um die Spekulationsangriffe durch den Währungshandel abzuwehren.
Abgesehen vom Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und der drohenden Deindustrialisierung können das Wachstum von Spekulationsblasen und künstliches Konsumwachstum für die Länder in Lateinamerika ähnliche Probleme schaffen, wie jene, die zur internationalen Krise geführt haben.
Neue Abhängigkeit von China
Das Wachstum in China war selbst zum Höhepunkt der internationalen Krise entscheidend für die Erholung in Lateinamerika. Die Exporte aus Lateinamerika fielen 2009 um 22,6 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Für 2010 wird ein Wachstum von 21,4 Prozent geschätzt. Dieses Wachstum ist hauptsächlich von Exporten nach Asien, vor allem China getrieben.
Der Handel Lateinamerikas mit China ist von zehn Milliarden Dollar pro Jahr im Jahr 2000 auf heute 100 Milliarden Dollar im Jahr gestiegen. Es gibt Schätzungen, dass China die EU als zweitgrößter Handelspartner für Lateinamerika Mitte dieser Dekade überholen könnte. Asien ist bereits jetzt der Hauptmarkt für Exporte aus Brasilien und Chile und der zweitwichtigste Markt für Argentinien, Costa Rica, Kuba und Peru, sowie der drittwichtigste für Venezuela.
Der Handel mit China reproduziert die alte neokoloniale Formel von „Zentrum-Peripherie“, das heißt Lateinamerika exportiert Rohstoffe und importiert Industrieprodukte. Das Wachstum in den Handelsbeziehungen mit Asien, und China im Besonderen, bedeutet keinen qualitativen Fortschritt im Welthandel für Lateinamerika, sondern eine neue Abhängigkeit vom Export von Primärwaren und Rohstoffen („Reprimarisierung“).
Während 1999 der Export von Rohstoffen und Primärwaren noch 26,7 Prozent aller Exporte aus Lateinamerika ausgemacht hat, waren es 2009 bereits 38,8 Prozent. Brasilien allein stellt 45 Prozent aller Sojaimporte durch China, und ist die Basis für andere Agrarprodukte und Eisen. In den ersten vier Monaten 2009 fielen die Exporte von Brasilien in die USA um 37,8 Prozent, jene nach China wuchsen um 62,7 Prozent. China ist damit nun Hauptabsatzmarkt für brasilianische Exporte.
Gleichzeitig hat sich der Handelsüberschuss Lateinamerikas mit China seit 2005 umgedreht. Heute sind 93 Prozent der Importe aus China in die Region Industrieprodukte, was einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der lokalen Industrie hat.
Während der Handel mit China einen Boom für den Export von Primärprodukten aus Lateinamerika ausgelöst hat, beschleunigt er gleichzeitig die Deindustrialisierung aufgrund der Konkurrenz mit chinesischen Industrieprodukten. Der Charakter des Wachstums vor 2008 und der Erholung Ende 2009 ist hat rückschrittlichen Charakter, was die Emanzipation der Lateinamerikanischen Völker und Wirtschaften angeht.
Das Wachstum Chinas auf internationaler Ebene bedeutet nicht automatisch Wachstum für lateinamerikanische Länder. Während der Anteil Asiens am Welthandel von sechs Prozent 1980 auf 23 Prozent 2008 angestiegen ist, liegt die Beteiligung Lateinamerikas stabil (von vier Prozent 1980 auf fünf Prozent 2008).
Die zaghaften Versuche einiger nationaler Bourgeoisien in Lateinamerika, aus den Möglichkeiten, die durch das Handelsdreieck USA-China-Lateinamerika entstanden sind, Kapital zu schlagen, sind kein Weg für nationale und soziale Befreiung der lateinamerikanischen Völker. Die “Reprimarisierung” der lateinamerikanischen Wirtschaften zeigt sich in einer Stärkung eines dominanten Machtblocks, der auf Banken, Agrarindustrie und der Exportindustrie basiert. Es gibt keinen Sektor der Bourgeoisie, der fähig ist, diesen Machtblock zu brechen und eine führende Rolle im Entwicklungsprozess auf nationaler Ebene zu übernehmen.
Die Rolle des US-Imperialismus und Putschgefahren
Die Präsenz von China in Lateinamerika ändert nichts an der historischen Rolle des US-Imperialismus in der Region. Die USA sind durch die Krise und durch das Fiasko in Irak und Afghanistan geschwächt. Das hat einen begrenzten Spielraum für nationale Bourgeoisien in den Handelsbeziehungen geöffnet, und hat in manchen Ländern Fortschritte für die Kämpfe der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker zugelassen. Regierungen wie Chavez in Venezuela und Morales in Bolivien sind Ausdruck der Grenzen der Macht des US-Imperialismus. Allerdings ist Lateinamerika nach wie vor von wichtiger strategischer Bedeutung für den US-Imperialismus. Dieser wird nicht aufhören, zu versuchen, seine ökonomischen und geopolitischen Interessen in Lateinamerika durchzusetzen.
Der Militärputsch gegen Manuel Zelayas Regierung in Honduras 2009 ist eine wichtige Warnung. Das war der erste Coup seit Jahren, der erfolgreich eine Regierung entfernt und ersetzt hat. Zelaya hat nur begrenzt eine politische Alternative dargestellt. Der Massenbewegung hat außerdem eine Führung gefehlt. Das hat Raum für diplomatische Manöver der USA geöffnet, die ein Übereinkommen mit Zelaya anstrebten. Zelaya hat in der brasilianischen Botschaft Zuflucht gesucht und Druck auf Lula ausgeübt, sich rhetorisch anders als der US-Imperialismus zu positionieren. Allerdings hat die brasilianische Regierung versucht, jegliche Massenbewegung zu vermeiden bzw. zurückzuhalten und hat auf Verhandlungen mit den Putschisten gedrängt.
Durch den US-Imperialismus finanzierte Putschversuche haben in einigen anderen Ländern der Region seit Ende der Neunziger stattgefunden. Der Putsch gegen Chavez 2002 wurde von einer Massenbewegung niedergeschlagen. Die Putschversuche gegen Morales wurden ebenfalls vom Widerstand der Armen, Arbeiter und Indigenen Völker niedergeschlagen, mit Elementen eines Bürgerkriegs in der „Media-Luna“. In beiden Ländern war die Radikalisierung der Massen auf die Wahlebene gelenkt worden. Chavez hat daraufhin einige Wahlsiege erzielt. In ähnlicher Weise erzielte Morales 2009 einen überragenden Sieg, wurde mit 64 Prozent wiedergewählt.
Das Beispiel eines siegreichen Putsches der Reaktion in Honduras hatte Widerhall in den instabileren Ländern Lateinamerikas. In Paraguay gab es Zeichen eines möglichen Coups gegen Fernando Lugo. In Ecuador ist die Gefahr eines Coups zuletzt konkreter geworden. Der Putschversuch wurde von einer Massenbewegung und internationalem Druck (vor allem durch UNASUR) verhindert.
Trotz der Polarisierung und Putschtendenzen, die besonders in Ländern, wo die bürgerlich-demokratischen Regime instabil oder fragiler sind, immer gegenwärtig sind, ist dies nicht der vorherrschende Aspekt in Lateinamerika. In der Mehrheit der Länder ist das gesellschaftliche Kräfteverhältnis, das immer noch von Massenkämpfen geprägt ist, für diese Form von Intervention ungünstig. Aus Sicht des Imperialismus gibt es immer noch die Gefahr, dass die Peitsche der Konterrevolution revolutionäre Bewegungen auslöst, über die sie die Kontrolle verlieren könnten. Die Schaffung von UNASUR (mit mehr Autonomie von den USA als die OAS) und deren Einsatz als Mediator in den Konflikten in Lateinamerika, besonders durch Brasilien, hat sich als effizientere Methode der Kontrolle der sozialen Krise erwiesen. Dies ist die Hauptstrategie der herrschenden Klassen in Lateinamerika und des Imperialismus zu diesem Zeitpunkt.
Diese Feststellung heißt nicht, die Rolle des Imperialismus zu unterschätzen. Diese Einschätzung vermeidet einen Fehler, den der Großteil der lateinamerikanischen Linken macht: nämlich jenen Regierungen, die mit dem Imperialismus in Konflikt geraten, bedingungslose Unterstützung für ihre Politik zu geben. Übertriebene Putschszenarien werden oft benützt, um die Beschränktheit und Kapitulation gegenüber dem Kapitalismus von Regierungen wie Chavez, Correa oder Morales zu überdecken. Es ist nötig, Putschversuche zu verurteilen und die Gefahren zu sehen. Allerdings ist es auch nötig, zu zeigen, dass der Weg, die Putschisten zu besiegen, nicht ist, Versöhnung mit diesen Sektoren zu suchen oder das Programm zu verwässern und antikapitalistische Maßnahmen aufzulockern.
Obwohl sich der US-Imperialismus auf kurze Sicht nicht ausschließlich auf die Putschstrategie verlässt, führt er in einigen Regionen Lateinamerikas auf niedriger Ebene Krieg. Die USA hat ihre militärische Präsenz in Lateinamerika verstärkt. Sie hat die Vierte Flotte reaktiviert um den Südatlantik zu überwachen. Sie hat gemeinsame Militärübungen mit Armeen der Region organisiert. Sie hat außerdem neue Militärbasen in Kolumbien etabliert und plant weitere in Panama.
Das Erdbeben in Haiti im Januar 2010 kennzeichnet ebenfalls eine neue Phase der US-militärischen Präsenz in der Region. Die Anwesenheit von UN-Truppen in Haiti (Minustah) vor dem Beben hat die Form von fremder militärischer Besatzung angenommen, die versucht, den Imperialismus nach dem Sturz von Präsident Jean Bertrand Aristide aufrechtzuerhalten. Diese Aktion wurde nicht direkt von den USA geführt, sondern von Brasilien gemeinsam mit anderen Ländern. Das unterstreicht die sub-imperialistische Rolle von Brasilien.
Venezuela und Bolivien stecken in der Sackgasse
Die Dynamik des politischen Prozesses in Venezuela ist zentral für die Einschätzung des Kräfteverhältnisses in Lateinamerika. Chavez‘ Regierung ist internationaler Referenzpunkt für viele, die für eine Alternative zum Neoliberalismus und dem Kapitalismus kämpfen.
Die Auswirkungen der internationalen Krise in Venezuela waren heftig, und im Unterschied zur Mehrheit der anderen Länder in der Region ist Venezuela auch 2010 in einer Rezession geblieben, mit einem voraussichtlichen Fall des BIP von drei Prozent. Das hatte gravierende Auswirkungen auf die Situation der ArbeiterInnen. Die soziale Krise hat den Weg für steigende Gewalt in den Städten geebnet. Diese ist so heftig, dass die Situation in Venezuela bereits mit jener in Mexiko verglichen wird.
Trotz der sozialen Rhetorik untergräbt der hohe Grad an Bürokratisierung und Korruption, die Teile der Regierung miteinschließt, als weiterer Faktor die Unterstützung für den „Chavismo“. Die Welle an beinahe gänzlich ungestraften Tötungen und Angriffen gegen GewerkschaftsführerInnen und –aktivistInnen, die es gewagt hatten, unabhängig vom Regime zu kämpfen, zeigt das Gewicht des bürokratischen Sektors und der Bosse in der Regierung. Wie wir in unserem Material erklären, stagniert der Prozess in Venezuela und die Unterstützung für Chavez fällt.
In den Wahlen zur Bundesversammlung haben die Chavistas eine Mehrheit der Abgeordneten gewonnen, zum ersten Mal aber nicht eine Mehrheit der Stimmen. In einem Szenario von vorherrschender sozialer und wirtschaftlicher Krise, wenn die Rechte es schafft eine gemeinsame Front aufrechtzuerhalten und wenn die Unterstützung für Chavez weiter fällt, könnte das eine wahre Bedrohung in den Präsidentschaftswahlen 2012 bedeuten. Allerdings sind die internen Konflikte innerhalb der rechten Opposition und das Fehlen einer etablierten Persönlichkeit, die es schafft, sie in den Wahlen zu vereinen, Faktoren, die nicht unterschätzt werden dürfen.
Angesichts des Wahlergebnisses war die Reaktion der Chavez-Regierung, die Rhetorik zu radikalisieren und neue Verstaatlichungen anzukündigen. Dennoch neigt das Regime zu einer offeneren Haltung zu Verhandlungen mit der Opposition im neuen Parlament. Die politischen Sektoren, die stärker mit der sogenannten ‚Boli-Bourgeoisie‘ (Bolivarische Bourgeoisie) zusammenhängen, der rechte Flügel des Chavismus, versuchen zur Opposition eine eher versöhnlerische Beziehung zu halten. Die rechte Opposition strebt aber eine endgültige Niederlage von Chavez 2012 an. Dieses Szenario weist darauf hin, dass sich ein kritischer Punkt für den venezuelanischen Prozess, der zwischen Radikalisierung und Kapitulation gegenüber einer gestärkten Rechten oszilliert, nähert.
Schlüssel für den venezuelanischen Prozess ist nach wie vor die Stärke der Massenbewegung und die ersten Signale eines Wiederaufbaus der Arbeiterbewegung in der letzten Periode.
Die Situation in Venezuela sollte eine Warnung für Bolivien sein. Die Regierung von Evo Morales und der MAS hat in den Wahlen im Dezember 2009 und April 2010 eine Riesenmehrheit erreicht. Die Stimmen für Morales und die MAS spiegeln den Wunsch der Massen nach einem Sieg über die rechten Putschisten und einer Intensivierung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen wieder. Allerdings hat die MAS diese breite Mehrheit nicht genutzt, um klare Schritte in eine antikapitalistische Richtung zu setzen. Die Regierung bevorzugt nach wie vor transnationale Unternehmen im Öl- und Bergbau-Sektor und konfrontiert Arbeitskämpfe, wie die jüngsten Bergarbeiter- und Lehrerstreiks. Die Wahlen 2009 und 2010 haben bereits auf den verstärkten Prozess der Degeneration und Bürokratisierung der MAS und jener Sektoren, die mit der Regierung zusammenhängen, hingedeutet. Im Stile der brasilianischen PT und der venezuelanischen PSUV ist die bürokratische Führung der MAS Bündnisse mit der Rechten eingegangen und hat die Liste der KandidatInnen von oben herab bestimmt.
Im Unterschied zu Venezuela könnte in Bolivien allerdings eine Erholung auf die 2008/2009-Krise folgen, auf Basis des Modells von staatlichen Konjunkturpaketen und Exporten von Primärprodukten. Allerdings könnte die Sackgasse, in der der Chavismus jetzt steckt, sich in Bolivien wiederholen, wenn die Weltsituation sich verschlechtert und die inneren Widersprüche sich verstärken.
Wenn in Venezuela und Bolivien Illusionen in eine gemischte Wirtschaft oder Staatskapitalismus, wo versucht wird öffentliche Interessen mit jenen der Kapitalisten zu versöhnen, vorherrschen, kann das Resultat nur noch mehr Krise und die Gefahr tiefer Rückschläge gerade in jenen Staaten, die die Vorhut der Kämpfe in Lateinamerika gebildet haben, sein.
Kapitalistische Restauration schreitet in Kuba voran
Kuba war nicht immun gegen die globale kapitalistische Krise, obwohl es immer noch von staatlich geplanter Wirtschaft dominiert wird. Das Fehlen von Arbeiterdemokratie und geplanter demokratischer Integration auf sozialistischer Basis in Lateinamerika macht die kubanische Wirtschaft verwundbar und abhängig von den internationalen kapitalistischen Märkten. Kuba ist zu einem großen Teil von internationalen Preisen und der Nachfrage für seine Exporte (sowohl von Produkten wie auch Dienstleistungen) abhängig. Der scharfe Fall des Preises für Nickel hatte zum Beispiel starke Auswirkung auf die kubanische Wirtschaft. Die Rezession hat die Tourismuswirtschaft auf der Insel sowie Geldflüsse von Exil-Kubanern, die im Ausland leben, getroffen. Für das Land, das 80 Prozent der Nahrungsmittel importieren muss und das völlig von importiertem Öl abhängig ist, wird die Situation kritisch. Außerdem leidet das Land immer noch unter den Auswirkungen des Hurrikans von 2008.
Die neuen Maßnahmen der Regierung von Raul Castro zielen darauf ab, öffentliche Ausgaben zu reduzieren, durch die Entlassung von 500.000 öffentlich Bediensteten. Diesen Entlassungen werden weitere 500.000 im März 2011 folgen. Wenn dieses Ziel erreicht wird, bedeutet das die Entlassung von beinahe 20 Prozent aller kubanischen ArbeiterInnen. Die Regierung wird diese ArbeiterInnen auffordern, im nicht-staatlichen Sektor Arbeit zu finden und ihnen die Bildung privater Kooperativen und von Familienbetrieben vorschlagen. Zudem wird sie sogar staatliche Betriebe an ArbeiterInnen übergeben, damit diese sich als private Geschäftsleute betätigen. Die neuen von der Regierung geförderten Privatunternehmen sollen Beschäftigte einstellen können. Diese Schritte in Richtung kapitalistischer Restaurationsprozess stellen eine Bedrohung für die geplante Wirtschaft dar. Das sind Schritte in Richtung kapitalistischer Restauration, die dem „Chinesischen Weg“ folgen.
Diese neue kleinbürgerliche Basis wird gemeinsam mit dem Druck der Weltmärkte jene Sektoren der Bürokratie stärken, die expliziter den Weg der kapitalistischen Restauration beschreiten und dem Chinesischen Weg folgen wollen. Das Problem ist, dass es nicht die objektiven Bedingungen gibt, die Kuba eine Wiederholung des chinesischen „Erfolgsmodells“ erlauben. Ein kapitalistisches Kuba wäre eher seinen Nachbarn in Zentralamerika ähnlich als China. Das und die Gefahr einer Wiederkehr der „Exilkubaner“ wird bedeuten, dass dieser Prozess ein extrem komplizierter ist, der noch nicht abgeschlossen ist, und der viele Zick-Zacks des Regimes sehen wird. Allerdings hätte eine Entwicklung in Richtung kapitalistischer Restauration, wenn sie stattfindet, ernsthafte Auswirkungen auf das politische Bewusstsein, besonders in Lateinamerika. Wir müssen das berücksichtigen und erklären, was passiert und warum und was die Alternative ist. Allerdings finden diese Tendenzen in Richtung kapitalistischer Restaurierung vor dem Hintergrund einer wachsenden kapitalistischen Krise und einem Anstieg des Klassenkampfs auf internationaler Ebene statt. Das sind komplett andere Bedingungen als jene, die zur Zeit der Restaurierung des Kapitalismus in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion existierten.
Diametral entgegengesetzt zur Richtung, die das Castro-Regime eingeschlagen hat, wäre es, die internationale Krise sowie Kubas Isolation zu konfrontieren und die Errungenschaften der Revolution auszuweiten. Es ist nötig, wirkliche Arbeiterdemokratie zu etablieren, in der die Verwaltung der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft über die ArbeiterInnen läuft, und nicht über eine bürokratische Schicht, mit demokratischen Freiheiten.
Die Lösung, um die Isolation und die Blockade zu durchbrechen, kann nicht einfach sein, Beziehungen mit bürgerlichen Regierungen in anderen Ländern aufzubauen. Es gibt bereits einen Sektor des Imperialismus, der verstanden hat, dass die beste Methode, die kubanische Revolution zu brechen, ist, das Embargo aufzuheben und Kuba in den kapitalistischen Weltmarkt zu integrieren. Viele KapitalistInnen sehen darin bereits eine Perspektive für Riesenprofite. Die Beziehungen, die Kuba mit Regierungen wie der PT in Brasilien aufgebaut hat, können als Mediator für private Investitionen und Geschäfte auf der Insel fungieren. Statt breiterer Integration in den Weltmarkt ist aber der Ausweg für Kuba einzig ein proletarischer und sozialistischer Internationalismus, der die revolutionären und antikapitalistischen Initiativen in Lateinamerika und der Welt unterstützt.
Die Situation in den Bastionen des Neoliberalismus in Lateinamerika
Das wichtigste lateinamerikanische Land, das vom traditionellen Neoliberalismus regiert wird, erlebt gerade eine tiefe wirtschaftliche, politische und soziale Krise. Das wirtschaftliche Debakel in Mexiko hat die verheerende Situation von sozialem Chaos, Armut und Perspektivlosigkeit vertieft. Ein unausgesprochener Bürgerkrieg findet statt, der den Drogenschmuggel und die Regierung einbezieht. Das zeigt den Grad der sozialen Desintegration. Die Regierung hat in einigen Regionen völlig die Kontrolle über die Situation verloren.
Diese Situation kann sich nach Zentralamerika ausbreiten, wo die Situation nicht viel besser ist, und ebenfalls zu Mexikos nördlichen Nachbarn, den USA. Der korrupte Staat in Mexiko ist völlig unfähig, irgendeine Lösung anzubieten.
Die Regierung von Felipe Calderon von der PAN (die rechtsgerichtete Nationale Aktionspartei) ist 2006 ins Amt gekommen und folgte jener von Vicente Fox, ebenfalls PAN. Der Wahlbetrug, der zur Niederlage des Kandidaten der Mitte-Links-Opposition, Andres Manuel Lopes Obrador (AMLO), von der PRD (Partei der Demokratischen Revolution), geführt hat, hat eine starke Reaktion der Bevölkerung gegen die Regierung ausgelöst. Allerdings hat Calderons Regierung die Massenbewegung gegen den Wahlbetrug sowie starke gewerkschaftliche Kämpfe und den Aufstand mit revolutionären Elementen in Oaxaca 2006 überlebt. Das ist hauptsächlich auf die Fragmentierung der Bewegung und das Fehlen einer starken politischen linken Alternative zurückzuführen.
Kolumbien ist weiterhin eine wichtige Bastion des US-Imperialismus, auch unter dem neuen Präsidenten Juan Manual Santos. Santos hat eine Haltung nationaler Einheit eingenommen, auf der Suche nach mehr Zusammenhalt zwischen den einzelnen Sektoren der Bourgeoisie. Er hat ebenfalls den militaristischen Anti-Chavez-Kurs seines Vorgängers etwas abgemildert. Er hat die Beziehungen mit Venezuela wiederbelebt und wurde sogar in Caracas von Chavez empfangen. Dieser Wandel spiegelt die Auswirkungen der internationalen Krise wieder. Für Kolumbien ist es essenziell, in der Krise – der bilaterale Handel fiel zu einem bestimmten Zeitpunkt um 60 Prozent – Handelsbeziehungen mit Venezuela aufrecht zu erhalten.
Gleichzeitig bleibt die Politik von Repression nach innen, neoliberaler Politik und Anpassung an die USA aufrecht. Der kolumbianische Staat wird von einer Mafia kontrolliert, die nach wie vor an der Macht ist. Die neue Regierung sucht allerdings, anders als Uribe, einen bestimmten Grad der Zusammenarbeit mit den Regierungen in Venezuela und Ecuador in ihren Maßnahmen gegen die FARC.
Peru agiert unter Präsident Alan Garcia (APRA) gemeinsam mit Kolumbien als privilegierter Bündnispartner des Imperialismus in Südamerika. Nach Angriffen auf ArbeiterInnen, BäuerInnen und die indigene Bevölkerung wächst die Opposition gegen Garcia allerdings.
Chile ist nach der Wahl des Milliardärs Sebastian Pinera im Januar 2010 nun eines jener Länder, die von der offen neoliberalen Rechten regiert werden. Dies ist ein Rückschlag für die Arbeiterklasse. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die neue Regierung mit der Politik von Michelle Bachelet (Sozialistische Partei) oder anderer Concertation-Regierungen bricht. In zwei Jahrzehnten hat die Concertation die neoliberale Politik, die unter der Pinochet-Diktatur begonnen wurde, fortgesetzt. Die Wahlen in Chile stellen keinen Rechtsruck in der Gesellschaft dar. Es war lediglich der Schwund an Unterstützung für die Concertation und das Fehlen einer klaren linken Alternative, die den Weg für Pinera in einer Wahl, die von Enthaltung und Proteststimmen geprägt war, ebneten. All das trotz eines Wiederaufschwungs an Kämpfen von ArbeiterInnen und Jugendlichen in Chile nach Jahren ohne Kämpfe.
In vielen lateinamerikanischen Ländern treten die nationale Frage, die Befreiung der indigenen Völker und die Agrarfrage als wichtiger sozialer und politischer Sprengstoff in den Vordergrund. Die Interessen der indigenen Völker stehen in Widerspruch zu den Interessen der multinationalen Konzerne, die ihren Lebensraum und Umwelt zerstören. Die indigenen Völker stehen außerdem in Konflikt mit lokalen Regierungen, die die multinationalen Konzerne bevorzugt behandeln. Die Politik dieser Konzerne bedeutet dass es möglich ist, zwischen diesen Völkern und der Arbeiterklasse ein sozialistisches Bündnis zu schmieden.
Die neue Regierung hat ihre hohe Popularität aufgrund der relativen Erholung nach den Krisenjahren 2008/9 halten können. Allerdings geht ein Großteil der Erholung des chilenischen BIP-Wachstums 2010 auf den Wiederaufbau nach dem Erdbeben am 27. Februar und ein Aufholen des BIP-Falls von 2009 zurück.
Es waren aber vor allem die Marketing-Manöver Pineras in der Rettung der 33 Bergarbeiter, die die öffentliche Meinung prägten. Trotz dieser Marketing-Stunts von Pinera wächst die repressive Seite der Regierung und der Widerstand hält an.
Die neue Rolle Brasiliens
Obwohl Brasilien nach wie vor ein Land ist, das vom Imperialismus ausgebeutet wird und dessen Abhängigkeit vom Export von Primärwaren sich verstärkt hat, ist es gemeinsam mit Mexiko die am weitesten entwickelte und industrialisierte Wirtschaft in Lateinamerika. Von den 500 größten Unternehmen in Lateinamerika sind 226 (45 Prozent) im Moment aus Brasilien. Brasilianische Multinationale Konzerne entwickeln eine starke Präsenz in den Wirtschaften der benachbarten Länder und das politische Gewicht Brasiliens wächst. Petrobras sorgt für 17 Prozent von Boliviens BIP.
Diese wirtschaftliche Basis spiegelt sich politisch in der sub-imperialistischen Haltung der herrschenden Klasse in Brasilien wieder. Lulas Regierung stimuliert eine Internationalisierung der brasilianischen Unternehmen und hat seinen politischen Einfluss auf andere Länder erhöht.
Die Situation in Brasilien ist entscheidend für ganz Lateinamerika aufgrund des wirtschaftlichen Gewichts des Landes, aber auch aufgrund des politischen Gewichts des “Lulaismus” als politische Alternative. Lulas Regierung wird von Teilen der herrschenden Klasse als Alternative zum extremen Neoliberalismus auf der einen Seite und der Linken auf der anderen Seite präsentiert. Die Rolle Lulas als internationaler Feuerwehrmann ist ebenfalls ein Faktor, der den Interessen des Imperialismus und der herrschenden Klassen in Lateinamerika dient.
Lula hat es geschafft, dass seine Nachfolgerin die Wahlen gewonnen hat – eine Demonstration der politischen Stärke. Gemeinsam mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Popularität Lulas hat diese Tatsache Lula zu einem Referenzpunkt für andere Länder gemacht. Die brasilianischen Wahlen 2010 waren geprägt vom Wunsch nach Kontinuität, der die KandidatInnen der Koalition begünstigt hat.
Die Regierung Dilmas wird in der Bundesabgeordnetenkammer eine Mehrheit haben und anders als Lula auch im Senat. Das wird es für Dilma einfacher machen zu regieren, auch wenn sie nicht dieselbe Autorität hat wie Lula. Gleichzeitig werden die unterschiedlichen Interessen der großen korrupten bürgerlichen Parteien wie der PMDR politische Instabilität auslösen. Lula wird in der kommenden Periode weiterhin eine zentrale Rolle spielen, wenn auch nicht in der Regierung. Es gibt annähernd Konsens über die Notwendigkeit, bei den Staatsausgaben in der nächsten Periode zu bremsen. Die Bourgeoisie schreit geradezu nach einer neuen Renten-Konterreform, die den öffentlichen Dienst angreift und die Popularität Dilmas nutzt um Widerstand einzudämmen. In ähnlicher Art und Weise soll ein hartes Finanzanpassungsprogramm umgesetzt werden.
Die brasilianische Arbeiterklasse war 2010 nicht von Illusionen in den Lulaismus paralysiert. Viele Kämpfe und Streiks (öffentlich Bedienstete, Öl- und MetallarbeiterInnen und Bankangestellte) haben stattgefunden (hauptsächlich für wirtschaftliche Forderungen) und waren relativ erfolgreich. ArbeiterInnen haben ihren Anteil am wirtschaftlichen Wachstum eingefordert.
Die Einheit der gewerkschaftlichen, sozialen und Studierendenbewegungen, unabhängig von der Regierung und den Unternehmen, wie auch die Stärkung einer linken politischen Alternative im Land ist wichtig für den Widerstand der ArbeiterInnen. 2010, fast zwei Jahre nach dem Beginn der Versuche, eine neue Gewerkschaft und Dachorganisation aufzubauen, die Conlutas, Intersindical und andere Sektoren einen könnten, sind diese Versuche ohne Erfolg im Sand verlaufen.
In der politischen Arena hat die Linke zwar einige Erfolge verbuchen können, musste aber wichtige Rückschläge hinnehmen. Im Unterschied zu 2006 gab es diesmal keine Linke Front, die PSOL, die PSTU und die PCB vereint hätte. PSOL hat einen enormen inneren Kampf durchgemacht. Nach einem heftigen inneren Kampf wurde Plinio de Arruda Sampaio, der zur Parteilinken zählt, zum Präsidentschaftskandidaten der PSOL bestimmt. Die Verzögerungen durch diesen Kampf gemeinsam mit dem Sektierertum der PSTU haben die Möglichkeit einer Linken Front durchkreuzt.
Plinios Kampagne konnte Unterstützung unter den aktiveren und bewussteren Schichten der ArbeiterInnen und Jugend gewinnen. Allerdings war die Wahlunterstützung für Lula und die PT zu stark angesichts der Möglichkeit eines Sieges von Serra, der traditionellen Rechten. Das hat zu einem starken Minus an Stimmen für die PSOL geführt.
Plinios Kampagne hat allerdings die PSOL belebt und Möglichkeiten unter bestimmten Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen eröffnet. Allerdings wird das Wahlergebnis die Mehrheit in der Partei stärken, die eine ‚moderate‘ Position einnehmen. Die Partei wird 2011 vermutlich einen Parteikongress abhalten. Das Papier der LSR, der brasilianischen Sektion des CWIs, wird dort für eine Stärkung der Linken in der Partei und den Kampf für ein klares sozialistisches Programm auf Klassenbasis für PSOL aufrufen. Die Zukunft von PSOL ist allerdings nach wie vor ungewiss.
Ende der Kirchner-Ära in Argentinien?
Argentinien hat in Lateinamerika weiterhin großes Gewicht. Der Massenaufstand im Dezember 2001, der sogenannte „Argentinazo“, war ein Meilenstein im Widerstand gegen den Neoliberalismus in Lateinamerika. Diese Ereignisse haben die politische Entwicklung des Landes seither geprägt. Die Regierung von Nestor und Cristina Kirchner, mit ihren eigenen Widersprüchen und Charakteristika, war direktes Resultat des Kräfteverhältnisses, das aus diesen Massenmobilisierungen entstanden ist, und der Krise, in der die bürgerlichen Alternativen steckten. Aufgrund des Fehlens einer Alternative der ArbeiterInnen und Massen haben die Kirchners das politische Vakuum gefüllt und versucht, eine Art von Stabilität für die Bourgeoisie herzustellen.
Der Tod von Nestor Kirchner könnte ein weiteres Element in der Entwicklung der politischen Krise, in der das Land unter seiner Nachfolgerin Cristina steckt, bedeuten. Die Bürokratie der CGT-Gewerkschaft, eine wichtige Basis für die Kirchners, hat an Prestige nach der Ermordung von Ferreyra verloren. Das öffnet die Tür für einen Flügel, der rechts vom Peronismus steht und der Sektoren der Bourgeoisie repräsentiert, die mit den Auswüchsen der Regierung von Cristina Kirchner unzufrieden sind.
Die Finanzmärkte haben den Tod von Nestor Kirchner, dem Präsidenten, der für einen der größten Schuldenzahlungsaufschübe verantwortlich ist, die je von einem Land umgesetzt wurden, positiv aufgenommen. Trotz der wirtschaftlichen Performance der letzten Jahre bevorzugt das große Finanzkapital eine verlässlichere politische Alternative, die weniger unter dem Druck von Massenbewegungen steht.
Eine sozialistische Alternative für Lateinamerika
Nach fast einem Jahrzehnt von Krise für den Neoliberalismus, Massenkämpfen und dem Aufbau von Wahlalternativen in vielen Ländern steht Lateinamerika an einem Scheideweg. Die Beschränktheit des Chavismus und die Rückschritte in Kuba, wie auch die wachsenden Konflikte und Widersprüche in den Ländern, die von explizit Neoliberalen regiert werden, wie Mexiko, tendieren dazu, Illusionen in moderate Alternativen wie jene Lulas zu schaffen. Die Wiederholung des brasilianischen Modells scheint eine Alternative zu sein, sowohl zum scheinbaren Radikalismus Chavez‘ wie auch zum proimperialistischen Neoliberalismus Calderons. Das ist allerdings eine Illusion.
Der Lulaismus hat sich an bestimmte wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen gut angepasst. Allerdings sind die grundlegenden Widersprüche des brasilianischen Kapitalismus nicht gelöst. Neue Widersprüche werden auftauchen. Als prokapitalistische Alternative ist der Lulaismus nicht geeignet um die volle Emanzipation der ArbeiterInnen und Völker Lateinamerikas zu erreichen.
Zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit vieler lateinamerikanischer Länder tritt der Kampf für die wahre Befreiung vom Imperialismus und für die soziale Emanzipation der Massen der ArbeiterInnen, Bauern und indigenen Völker in eine Phase ein, in der sozialistische Parteien mit Massenbasis als deren politische Werkzeuge geschaffen werden müssen, sowie Einheit im Kampf gegen den Kapitalismus und Imperialismus. Dafür kämpft das CWI mit seinen Sektionen und Gruppen in Lateinamerika. In unserem Programm stehen wir für den Aufbau einer Sozialistischen Föderation der Lateinamerikanischen Länder, die eine wahre Integration des Kontinents auf Basis von Solidarität und Kooperation gewährleisten kann, zum Wohle der ausgebeuteten und unterdrückten Massen. Das ist die einzige Alternative.