Gewinnstreben und Privatisierung als Gründe für das S-Bahn-Chaos
Das Chaos bei der S-Bahn Berlin ist Resultat des bewussten Plans der S-Bahn GmbH, durch den Abbau von Stellen und durch massive Einsparungen mehr Gewinne an den Mutterkonzern Deutsche Bahn AG abzuführen. Die Basis dafür bildet die Privatisierungspolitik und die Orientierung auf den Börsengang von Politik und Spitzenmanagement der Deutschen Bahn.
von Steffen Strandt, Berlin
Das Programm, das das S-Bahn-Chaos hauptsächlich mit verursacht hat, trägt den netten Namen “Optimierung S-Bahnen” und ist ein 2004 im Bahnkonzern beschlossenes Programm, das zum Ziel hat, möglichst hohe Gewinne aus den S-Bahn-Betrieben in Deutschland an den DB-Mutterkonzern abzuführen. Bei der S-Bahn Berlin sollte die jährliche Gewinnabführung an die DB AG auf das 14-fache steigen und so 2010 125 Millionen Euro betragen. 2008 wurde diese Gewinnauspressung noch mit einem Gewinn von 56 Millionen Euro erreicht. Doch selbst nach kapitalistischen Maßstäben war das S-Bahn-Chaos zu heftig, so dass die Ausfälle und Entschädigungszahlungen 2009 und 2010 zu einem summierten Verlust von 300 Millionen Euro für die S-Bahn Berlin GmbH führte.
“Optimierung” statt Wartung
Die “Optimierungen” enthalten vor allem massive Einsparungen bei der Wartung der Züge, die durch eine Verlängerung der Wartungsintervalle um 30 Prozent erreicht werden sollen. Für weniger Wartungen werden auch weniger Mitarbeiter benötigt. Einzelne Werkstätten wurden geschlossen, in der Hauptwerkstatt wurde das Personal von 800 auf 200 ArbeiterInnen reduziert. Von 26 Meistern, die gewartete Wagen abnehmen konnten, sind nur noch drei übrig geblieben. Insgesamt wurde bei der S-Bahn Berlin laut “Bahn von unten” seit 2004 die Hälfte aller Stellen gestrichen.
Dieser Stellenabbau gefährdet die Sicherheit der Reisenden. So kam es 2006 zu einem Unfall am Bahnhof Südkreuz, bei dem 35 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Unfallursache war, dass der Triebwagen zum Unfallzeitpunkt seit 21 Tagen nicht mehr gewartet worden war und so der fehlende Sand zum Bremsen einen Auffahrunfall ermöglichte. Solche Unfälle und Wartungsfehler, die Menschenleben gefährden, gehen dabei nicht auf das Konto der ArbeiterInnen in den Werkstätten, sondern resultieren aus einer völligen Überlastung der reduzierten Kapazitäten. Bahn-Chef Rüdiger Grube gab dies im Zuge des letzten Winterchaos direkt zu, indem er sagte: “Wir fahren auf Verschleiß und haben keine Reserven mehr.”
Als Folge dieses Wartungsrückstandes griff im Sommer 2009 das Eisenbahnbundesamt ein und verordnete nach einem Achsenbruch die vorläufige Stilllegung von knapp 500 Zügen. Der Verkehr kam fast vollständig zum Erliegen. Ein Notfahrplan wurde eingeführt, der bis heute noch nicht ausgesetzt werden konnte.
Fahren auf Verschleiß auch bei der DB AG
Die Deutsche Bahn AG, mit ihrer 100-prozentigen Tochter DB Regio AG, ist alleiniger Eigentümer der S-Bahn Berlin GmbH, die das Berliner Verkehrsnetz betreibt. Dabei ist die Deutsche Bahn AG vollständig in öffentlicher Hand des Bundes. Dennoch wirtschaftet die Deutsche Bahn AG nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, sondern führt ihr Prinzip des Fahrens auf Verschleiß und der Gewinnmaximierung auf Kosten der breiten Leistung bundesweit durch. Wartungsengpässe, ein verkommendes Schienennetz und Stellenabbau führen auch hier zu deutlich spürbaren Einschränkungen. Als Beispiel lassen sich hier die alljährlichen Ausfälle und Verspätungen im Winter, gebrochene ICE-Achsen oder die Ausfälle von Klimaanlagen in ICEs im vergangenen und im aktuellen Sommer anführen. Die Frage ist jedoch, welchen Ursprung diese Politik der DB AG hat und welche Ziele verfolgt werden.
Bahnbörsengang und Profitstreben
1994 begann der Versuch, die Deutsche Bahn von einem Staatskonzern in einen Privatkonzern zu verwandeln und an die Börse zu bringen. Der erste Schritt war die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, deren alleiniger Eigentümer zunächst der Bund ist. In einem späteren Schritt sollen dann private Investoren Anteile der Bahn an der Börse kaufen können. Auch wenn der Börsengang noch nicht durchgeführt wurde, hat die DB AG im Kern schon die Struktur eines privatisierten und auf Gewinn orientierten Unternehmens, da die Prinzipien von Profitorientierung, Expansion und Einsparungen schon umgesetzt werden.
Um die Bahn für potenzielle Investoren fit zu machen, muss sie verschlankt und einzelne Konzernsparten profitabler gemacht werden. Das heißt, die Leistung in der Fläche, also im Regionalverkehr, und eben bei den S-Bahnen, wird vermindert. Bahnhöfe und Strecken in weniger besiedelten Gebieten werden geschlossen. An Wartung, Arbeitsplätzen, Löhnen, Service und Regionalverkehr wird gespart, eben an dem, was für einem Großteil der Menschen die Eisenbahn ausmacht. Profite werden mit dem Fernverkehr, der internationalen Expansion der Logistik-Tochter Schenker oder dem Kauf des britischen Bahnunternehmens Arriva erzielt.
Eine privatwirtschaftliche Organisation der Bahn steht nicht nur im Gegensatz zu den qualitativen Anforderungen an ein Eisenbahnsystem, auch kostet ein privates System mit öffentlichen Auftraggebern wesentlich mehr. Der Steuerzahler bezahlt jährlich enorme Summen an Auszahlungen und Förderungen für die Bahn und für ihr Nahverkehrssystem. Um einen guten öffentlichen Service zu haben, ist dies auch notwendig. Doch können diese Gelder bei einer Privatisierung nicht voll in das Netz und die Leistungen gesteckt werden, sondern müssen zusätzlich die Gewinne und Gehälter der Eigentümer und ihrer Manager bezahlen.
Das Beispiel der Deutschen Bahn zeigt auch, dass ein undemokratischer Staatskonzern, der von abgehobenen und privilegierten Managern geleitet wird, die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen kann. Im Kapitalismus ist nun einmal Profit für das Kapital der Maßstab, an dem sich die Wirtschaft ausrichtet. Notwendig wäre eine dauerhafte Verwaltung und Kontrolle der Wirtschaft durch die arbeitende Bevölkerung, und die ist im Kapitalismus nicht möglich.
Forderungen der SAV
Sofortige Einführung des Nulltarifs bei der S-Bahn, bis das Chaos beseitigt ist
Entlassung und Haftbarmachung aller verantwortlichen Manager und Aufsichtsratsmitglieder von DB AG und S-Bahn
Rücknahme von “Optimierungsprogramm”, Ausgliederungen und Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen und Betriebsstrukturen seit 200
Neueinstellungen zur Wiederherstellung und erheblichen Verbesserung des Service und zur Besetzung der Bahnhöfe und Werkstätten – finanziert aus den abgeschöpften Gewinnen der DB AG und durch den Bund
Einsetzung eines öffentlichen Untersuchungsausschusses aus Beschäftigten der S-Bahn, Bahn-Gewerkschaften, NutzerInnen und Umweltverbänden
Offenlegung des Verkehrsvertrags zwischen dem Land Berlin und der DB Regio
Keine teilweise oder komplette Ausschreibung von Verkehrsleistungen an private Investoren
Für eine S-Bahn inklusive Trassen und Stationen in öffentlicher Hand, die der demokratischen Kontrolle und Verwaltung von Beschäftigten, Gewerkschaften, NutzerInnen und Vertretern von Land und Bund unterstellt wird
Stopp des Baus von Stuttgart 21 und aller weiteren Prestigeprojekte
Schluss mit der Privatisierung der Deutschen Bahn. Für einen staatlichen Bahnbetrieb unter direkter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung