Tarifrunden bringen Reallohnverluste
Die Gewerkschaften sind weiterhin in der Defensive. Das belegen die jüngsten Tarifabschlüsse für Einzelhandelsbeschäftigte, Drucker, Redakteure, Versicherungsangestellte und Gebäudereiniger. Dabei konnten mit teilweise überraschend hoher Streikbereitschaft von den Unternehmern geforderte Verschlechterungen bei Arbeitszeiten und -bedingungen zwar weitgehend abgewehrt werden. Trotz des Booms bleiben die vereinbarten Lohnsteigerungen aber zumeist weit hinter der Preissteigerung zurück.
Ob die Gewerkschaften diesen Trend umkehren können, wird sich vor allem bei den zum Jahreswechsel beginnenden Tarifrunden in der Metallindustrie sowie in Bund und Kommunen zeigen.
von Daniel Behruzi, Frankfurt am Main
Die Wirtschaft brummt, die Gewinne sprudeln. Doch die im Aufschwung üblicherweise etwas besseren Tarifabschlüsse bleiben aus. Stattdessen waren die Auseinandersetzungen der vergangenen Monate aus Gewerkschaftssicht allesamt Rückzugsgefechte.
Tarifkonflikt in der Medienbranche – ein Rückblick
Bei den DruckerInnen wollte der Unternehmerverband die ihm verhasste 35-Stunden-Woche knacken. Die tariflich festgeschriebene Mindestbesetzung von Maschinen sollte ebenfalls beseitigt werden. In den Tageszeitungen forderten die Verleger die Einführung einer zweiten Gehaltsebene: Neueingestellte RedakteurInnen sollten dauerhaft mindestens 15 Prozent weniger verdienen als ihre länger beschäftigten KollegInnen.
Die Bereitschaft, sich gegen diesen Generalangriff zur Wehr zu setzen, war unter den RedakteurInnen – die bislang nicht gerade zu den schweren Bataillonen gewerkschaftlicher Aktionsfähigkeit zählten – extrem hoch. Nach ver.di-Schätzung beteiligten sich weit mehr als ein Drittel der rund 14.000 Betroffenen an einer oder mehreren Arbeitsniederlegungen. Positiv war auch, dass die Gewerkschaft dieses Mal nicht die Belegschaften einzeln und getrennt voneinander mobilisierte. Erstmals seit den achtziger Jahren gingen RedakteurInnen, DruckerInnen und Verlagsangestellte gemeinsam auf die Straße und machten sich so gegenseitig Mut.
Der gemeinsame Krafteinsatz hat sich gelohnt. Die Arbeitszeitverlängerung bei den DruckerInnen wurde ebenso verhindert wie das „Tarifwerk 2“ für RedakteurInnen. Bei Letzteren wurde allerdings die Möglichkeit zur Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld in Betrieben mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten geschaffen.
Vor allem aber sind die vereinbarten Gehaltssteigerungen und Laufzeiten miserabel: Mit plus zwei Prozent in 33 Monaten (DruckerInnen) beziehungsweise 1,5 Prozent in drei Jahren (RedakteurInnen) bedeuten sie drastische Reallohnverluste.
Magere Ergebnisse auch in anderen Bereichen
Angesichts der anziehenden Inflation haben auch die etwas besseren Abschlüsse im Einzelhandel, bei Versicherungen und in der Gebäudereinigung zur Folge, dass die Beschäftigten real eher weniger in der Tasche haben als zuvor.
Bei den Putzkräften bleibt zudem die Benachteiligung ostdeutscher Beschäftigter bis Ende 2018 erhalten – 29 Jahre nach der staatlichen Vereinigung!
Ausblick auf Metallindustrie und Öffentlicher Dienst
Schon zu Beginn des Jahrhunderts sind die Reallöhne in Deutschland – erstmals während eines Aufschwungs und anders als in allen anderen europäischen Ländern – gefallen. Ob das so weitergeht, wird maßgeblich von den Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie mit ihren zusammen rund 4,5 Millionen Beschäftigten abhängen.
In ihren kommunalen Hochburgen muss ver.di zeigen, dass sie überhaupt noch Verbesserungen erreichen kann. Das wird nur mit einem entschlossen und politisch geführten Konflikt gehen.
Und die MetallerInnen haben vom Boom wegen der extrem langen Laufzeit des in der Krise geschlossenen Vertrags bislang überhaupt nichts gehabt. Sie wollen endlich einen Anteil an den Gewinnen. Auch die Gleichstellung der LeiharbeiterInnen und die Übernahme der Auszubildenden stehen auf ihrem Forderungszettel. Die Unternehmer werden sicher auf die sich bis dahin voraussichtlich abschwächende Konjunktur verweisen. Die IG Metall sollte sich davon nicht abhalten lassen. Aus Sicht der Konzerne ist für Lohnerhöhungen schließlich nie der richtige Zeitpunkt.